Die Lehre von der Leere …

Von Nürnberg in das Eifelstädtchen Nürburg, so hatte ich es angekündigt.

Es war eine Idee, die mir spontan kam, als ich von dem Schreibfehler eines Mitarbeiters der Agentur erfuhr, die den StrongManRun durchführt und der die Eifelstadt mit der Frankenmetropole verwechselt hat. Zwar hat man das schon nach zwei, drei Tagen korrigiert, bei mir allerdings sind Fragen entstanden.
Fragen nach mir und meinem Leben.

In Nürnberg wurde ich geboren, nahe dem Eifelstädtchen Nürburg wohne ich seit mittlerweile über 20 Jahren. Am vergangenen Montag hatten meine Gabi und ich unseren 25. Hochzeitstag und so ungewöhnlich, wie wir geheiratet haben, so ungewöhnlich wollte ich auch diesen ganz besonderen Tag verbringen. Wäre der Start eines großen Laufs nicht ungewöhnlich genug für so einen Jubeltag?
Und 2011 ist auch deshalb ein für mich besonderes Jahr, weil ich in diesem Jahr zum fünften Mal „nulle“.

An das erste Mal erinnere ich mich gar nicht mehr, das zweite Mal war der Eintritt in das selbständige, fast erwachsene Leben.
Mit dem dritten Mal begann meine Identitätskrise, weil ich plötzlich nicht mehr jugendlich-jung war und beim bisher letzten Mal verabschiedete ich mich endgültig von der Illusion, noch irgendwie zu den jungen Menschen zu gehören.

Noch bietet man mir in der U-Bahn keinen Seniorensitzplatz an, aber der Umgang mit jungen Menschen ist zweifellos schwieriger geworden. Manche Freunde meiner Tochter siezen mich, obwohl ich das explizit anders erbitte und ich begreife die Sorgen und Nöte junger Menschen nur noch bedingt.

Beim dritten Mal „nullen“ begann ich, mein eindimensionales, langweiliges und ausschließlich auf die berufliche Arbeit ausgerichtetes Leben zu ändern. Ich begann, Tennisstunden zu nehmen, um wenigstens etwas Sport zu treiben und ich begann, auch Klavierstunden zu nehmen, um meine musische Seite weiter zu entwickeln.
Tennis spiele ich noch immer, das Klavierspiel aber fiel nach gut sieben Jahren dem beruflichen Stress zum Opfer, vielleicht ergibt sich jetzt, da ich mein Leben neu ordnen muss, wieder eine Möglichkeit, daran erneut anzuknüpfen.

Beim vierten Mal „nullen“ sah ich in den Spiegel und ich war erschrocken von dem, was ich sah. Aus dem schlanken jungen Mann, der mit Ende 20 noch Jeans in der Größe 28/34 gekauft hat, war ein saturierter Mann geworden, dem die Natur gedroht hat, auch mit 34/34 nicht mehr hin zu kommen, ein Alarmzeichen.
„Wenn die erste Zahl bei den Jeans höher ist als die zweite, wenn Du breiter wie hoch bist, dann stimmt etwas nicht in Deinem Leben,“ dachte ich mir und ich begann zuerst mit einer BCM-Diät und dann, 2 ¼ Jahre später, mit dem Laufen. Das war im April 2004.
Heute bin ich mir sicher, dass diese Entscheidung die vielleicht bedeutendste Entscheidung war, die ich in den letzten 20 Jahren getroffen habe.
Ich bin zum Glück nicht so geworden, wie ich mich damals, mit 40 Jahren, gesehen habe, wenn ich irgendwann 50 Jahre alt sein werde. Ich bin nicht träge und dick, ich bin auch nicht satt und selbstgefällig. Mir geht da nie die Szene aus Asterix „Obelix GmbH & Co. KG“ aus dem Kopf, wo der junge Technokratus über den dicklichen Senator Sozialstatus sagt, was aus diesem jungen und schlanken Tribun geworden ist. Er sei träge und fett geworden und denke nur noch ans Essen. Darauf fragt der halb schlummernde Sozialstatus: „Ist schon angerichtet?“
Nein, so wollte ich wirklich nicht werden!


Was aber passiert mit mir, wenn ich Mitte November wirklich zum 5 Mal „nulle“?

All diese Überlegungen führten mich zu der Überlegung, dass ein Lauf von meiner Geburtsstadt gewissermaßen „nach Hause“ Sinn macht, dass der Starttag der Tag der Silberhochzeit sein sollte und dass der Abschluss des Laufs der StrongManRun sein sollte. Die Kölner Agentur war spontan begeistert und sagte mir viel Unterstützung zu.
Ich suchte dann weitere Unterstützer, die ich in Udo Schick als Starttages-Mitläufer und in Torsten Riemer als Supporter in der ersten Nacht, der Nacht, in der ich durchlaufen wollte, fand. Auf die beiden habe ich mich am meisten gefreut und den beiden absagen zu müssen, hat mich tief bewegt und schwer getroffen.
Ich fand Unterstützung bei meinem besten Laufkumpel Achim Knacksterdt, bei dem ich, so das Ziel, in der zweiten Nacht, also der ersten Nacht mit Schlaf, verweilen wollte und ich fand spontane Unterstützung bei den „Runningfreaks“ Steffen und Melanie, bei denen ich planmäßig am dritten Lauftag zum zweiten Frühstück gewesen wäre.
Und ich war dankbar, dass Florian mir die Chance gab, auf diesem Lauf die superflachen INOV8 – Schuhe zu testen, von denen ich so viel Gutes gelesen habe. INOV8 hat nun also „etwas gut“ bei mir und so verschiebe ich den ausgiebigen Test also auf Mitte Oktober.

Mit dem Konzept der INOV8 Schuhe beschäftige ich mich schon, seit dem ich Florian auf einem „Survival Trainings Wochenende“ im Herbst 2010 kennen gelernt hatte. Da gibt es ja die unterschiedlichsten Theorien zu Laufschuhen. Vorderfußläufer, Fersenläufer oder eben, wie INOV8 das sieht, Mittelfußläufer.
Es gibt dicke Sohlen mit ungeheurer Dämpfung einerseits, andererseits gibt es auch das Konzept von INOV8, das Dir nur superdünn, dünn und maximal 8 mm Sohlenstärke anbietet. Wie ich damit klar kommen würde, das wollte ich bei diesem langen Lauf testen.
Im Grunde ist es so wie bei Schuhen, die speziell für Überpronierer wie mich gemacht sind. Die einen schwören darauf, weil der Fuß stabilisiert wird, die anderen verweisen auf die Faulheit des Körpers und stellen fest, dass Muskeln nicht entstehen oder gar zurück gebildet werden, wenn sie nicht gebraucht werden. In dem Maß, in dem Du also die Füße entlastest, in dem Maß verminderst Du auch die Notwendigkeit für Deinen Körper, hier durch die Bildung von Muskeln und Stützgewebe aktiv gegenzusteuern, warum sollte der Körper das auch tun?
Und da denke ich oft an die bedauernswerten Frauen dieser Welt, die einem skurrilen Schönheitsideal folgend, sich ständig Ringe um die Hälse legen. Auf Dauer getragen darfst Du die dann nie wieder abnehmen, weil die Halsmuskeln, die ja keine Leistung mehr vollbringen müssen, sich soweit zurück bilden, dass sie nicht mehr in der Lage sind, den Kopf zu tragen.
Oder die frühere perverse Situation, dass den Chinesinnen die Füße stramm eingewickelt wurden. Schon nach wenigen Jahren war ein Leben ohne die einschnürenden Bänder nur mit Höllenqualen zu ertragen.
Ob also eine dauerhafte Entlastung des Körpers tatsächlich Sinn macht, ist durchaus zweifelhaft. Und das werde ich im Oktober dann detailliert testen.

All diesen Menschen, die mich unterstützen wollten, danke ich von Herzen. Wenn ich diesen Menschen durch das Streichen des Events weh getan habe, dann entschuldige ich mich auf diesem Weg bei ihnen. Einzig die Kölner Agentur, die den StongManRun für Fisherman’s Friend durchführt, war eine einzige Enttäuschung.
Wenn Du in Köln in der Altstadt innerhalb von Minuten mit jedem Deiner Nachbarn besten Kontakt bekommst und Du von jedem für einen der nächsten Tage zu einem Besuch eingeladen wirst, dann weißt Du, dass das Floskeln sind. Erscheine bloß nicht am nächsten Tag bei diesen Menschen zu Hause, Du würdest Unverständnis ernten. Zumindest eine Kölner Agentur hat dieses Lebensgefühl auch in die eigene Arbeit übernommen und war ständig darum bemüht, am Tag nach einem Telefonat oder nach einer eMail den Inhalt des Gesprächs und den Inhalt der eMail schnell zu vergessen. Ich aber vergesse das nicht.

Und so stand ich vergangene Woche plötzlich deprimiert und enttäuscht da. Durch die viele Arbeit der letzten Wochen, durch die vielen Reisen durch ganz Deutschland fühlte ich mich untertrainiert, durch die Erklärung der Agentur, ganz elementare Dinge vergessen zu haben, fühlte ich eine innere Leere, richtig leer und perspektivlos.
So griff ich nach dem Telefon und rief den Läufer an, dessen Urteil mir besonders wichtig war. Achim sagte dann nicht nur, dass allein der Grund, einen Lauf im Blog angekündigt zu haben, nicht bedeuten kann, dass diese Ankündigung nicht reversibel ist, wenn es eben nicht passt. „Gerade Läufer wissen, dass nicht alles nach Plan gehen kann,“ sagte Achim. Er kam sogar auch noch mit dem Vorschlag, dass er mir helfen würde, ab dem 12. Oktober gemeinsam die entstandene Scharte auszuwetzen. Ein toller Vorschlag, ein gemeinsamer langer Lauf, der mir wieder Kraft und Mut gab und so freue ich mich auf die Tage ab dem 12. Oktober.

Udo Schick und Torsten Riemer nahmen meine Absage auch ohne Probleme an und mit Florian werde ich die entstandene Situation spätestens Ende April besprechen.

Und die Lehre von der Leere?
Es ist gut, Freunde zu haben. Freunde, die Dich auch unterstützen, wenn es Dir schlecht geht, wenn Du Deine Ziele nicht erreichst und wenn Du Zuwendung und neue Ziele brauchst.
Und noch etwas habe ich gelernt: die Welt hat nach der Event-Absage nicht aufgehört, sich zu drehen, mein Kopf ist noch immer am alten Platz und die Lauffreunde, mit denen ich gestern läuferisch unterwegs war, haben mein scheinbares Problem überhaupt nicht thematisiert.

Läufer sind eben die besseren Menschen.