Wenn man so etwas vorhat wie den Tor des Géants (TdG) zu laufen, dann ist es hilfreich, die Strecke des Laufs zumindest teilweise vorab zu erkunden. Eric Tuerlings hat die meisten deutschen Läufer dazu eingeladen, Uwe Herrmann und ich sind diesem Ruf gefolgt.
Wir haben uns die vierte von sieben Etappen zum Probelaufen ausgesucht, gerne noch garniert mit einer anderen Etappe – oder zumindest mit einem Teil davon. „Die vierte Etappe,“ sagte Eric „ist die schwerste von allen. Hier sind die meisten Läufer ausgestiegen, 5.200 von 24.000 Höhenmetern gibt es auf dieser Etappe und auch die Organisatoren warnen vor der Schwierigkeit dieser Etappe.“
2010 hat der schnellste Finisher diese Etappe in gut 13 Stunden bewältigt, der langsamste Finisher hat dafür 29 Stunden gebraucht.
Knapp über 50 Kilometer in einer so langen Zeit? Gut, wir sind nicht beim Stadtmarathon, aber vier Stundenkilometer sollten im Schnitt immer drin sein, mit Essenspausen sollten 16 Stunden also ausreichen, dachten wir. Wir irrten uns gewaltig, soviel sei vorab verraten.
Die Strecke war nicht wirklich sensationell. Es fehlten die grandiosen Ausblicke auf Gebäude oder Landschaften, es war nicht der UTMB mit dem Blick auf den „weißen Riesen“, nicht der Grand Canyon oder der Zion National Park.
Aber es war eine ehrliche und typische Berglandschaft, wie ich sie vielfach als Kind bei den Wanderungen mit meinen Eltern und meinen Geschwistern erlebt habe.
Als Kind und als Jugendlicher habe ich die Wanderungen mit meinen Eltern nie wirklich geliebt. Meine Eltern waren stets zu schnell für uns Kinder, zudem war der Spaßfaktor stets extrem gering. Also blieben mir nur sehr wenige Highlights in den Alpen in Erinnerung, dazu gehörten auch die Drei Zinnen bei Sexten. Erst Jahre später habe ich dann die Drei Zinnen am Abschlusstag des TransAlpineRun 2008 erneut erlebt und die Erinnerungen waren auch sofort wieder da. Meine Eltern jedoch hat das alles leider nur wenig interessiert.
Genau wie damals war es auch an diesem Wochenende. Die wenig spektakulären, aber vertrauten Bergwelten weckten in mir sofort Erinnerungen an damals und sofort fühlte ich so etwas wie ein „zuhause sein“ in den Alpen.
Ich kann gar nicht wirklich erklären, was es genau war, das mich zu dem Gefühl brachte, „zuhause“ angekommen zu sein, aber gerade die italienischen Dolomiten mit ihrer Schroffheit und mit durch aufgeschichtete große Steinplatten begehbar gemachten Wege sind mir ja so vertraut.
Auch die enorme Freundlichkeit der Italiener gab mir das Gefühl „zuhause“ zu sein.
Das begann schon mit der netten Dame im Fremdenverkehrsbüro in Donnas. Wir brauchten eine Unterkunft für die Nacht und sie organisierte die Anmietung einer kleinen Wohnung in einem der Nachbardörfer.
Und wir stellen ihr Frage auf Frage und anstatt verärgert zu reagieren, beantwortete sie diese alle mit einem „Ja“, egal, womit wir auch ankamen.
Wahrscheinlich hätte sie auch weiter gehende Fragen mit einem freundlichen „Ja“ beantwortet, aber wir waren zufrieden und froh, dass jeder von uns nebenbei ein Magazin mit den Höhenwegen des Aostatals erhalten hat. Dieses Magazin ist sehr nützlich für die Detailplanungen für den TdG, finde ich.
Sie rief auch bei den Vermietern an, kündigte uns als Zu-Fuß-Ankommer an und sie wusste natürlich auch alles über den TdG.
Unsere Vermieterin im hübschen Örtchen Marine mit ihrer erwachsenen Tochter war sehr stolz, TdG –Läufer im Haus zu haben.
Natürlich wusste auch sie alles über den TdG.
Für unser Frühstück schenkte sie uns drei saftige und leckere Birnen und sie verwies uns auf das just an diesem Freitag stattfindende „Schwarzbrotfest“, das eigentlich eher ein „Fleischfest“ war.
Natürlich gingen wir dort hin, setzten uns an einen Tisch, der noch freie Plätze hatte. Wir aßen, Eric und Uwe zuerst Speck auf Schwarzbrot, danach wir alle einen überbackenen Ziegenkäse auf Toast, anschließend einen Salat und zuletzt einen prall gefüllten Fleischteller mit so vielen Fleischsorten, dass dem geneigten Fleischesser keine Wünsche mehr offen blieben.
Und auch ich als Vegetarier wurde versorgt. Ich erhielt einen Käseteller, der so übervoll war, dass es unmöglich war, ihn am Abend komplett zu leeren, also blieb noch etwas für das Frühstück am nächsten Morgen übrig.
Als Schüler habe ich einige Jahre lang Käse auf dem Wochenmarkt verkauft, ich kenne mich mit Käse also einigermaßen aus. Und das, was mir an diesem Abend geboten wurde war wirklich sehr ordentlich, richtig lecker.
Wir saßen neben zwei älteren Paaren, wobei der eine Herr nicht nur früher ein richtig guter Marathonläufer war, sondern auch beim TdG 2010 geholfen hatte. Alle vier wussten natürlich alles über den TdG und eine der Damen hatte auch eine eigene Meinung dazu. Sie schaute uns mitleidig an und klopfte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe. Aber sie war auch diejenige gewesen, die dafür gesorgt hat, dass ich meinen tollen Käseteller bekommen habe.
Was in Deutschland wohl ein Zeichen für „Ihr spinnt doch … “ ist, bedeutet im Aosta-Tal ganz sicher etwas wie „Wahnsinn, dass Ihr Euch das zutraut. Wir werden Euch unterstützen, wo wir können!“
Am nächsten Tag, beim Lauf, erreichten wir gegen Mittag hungrig die erste Hütte, ein Refugio. Dort haben wir nicht nur viele Menschen getroffen, die uns nach dem TdG befragt haben, natürlich wussten auch die alles über den TdG.
Wir bekamen von der Hüttenwirtin sogar einen „Athletenrabatt“, ein alter Bergspezialist von der Bergwacht versprach auch, uns, falls notwendig, aus dem Berg zu retten.
In der Hütte hingen das TdG-Plakat vom letzten Jahr, garniert mit vielen Unterschriften und daneben hingen etliche Fotos von TdG-Läufern.
Das ganze Aosta-Tal scheint im TdG-Fieber zu sein. Ist das nicht herrlich?
Am Abend, viel später als geplant, erreichten wir das Örtchen Niel, endlich, gefrustet und mittlerweile ohne Wasservorräte, hungrig und ohne einen Riegelvorrat. Direkt nach Niel beginnt ein 900 HM Aufstieg, den man nicht mit leerem Magen angehen sollte. Aber was tust Du, wenn es schon 22.30 Uhr ist und eigentlich alles schon geschlossen hat?
Uwe suchte nach dem Dorfbrunnen, ich schlich mich in ein Haus, das weder ein Restaurant war noch ein Hotel, es schien mir eher eine Art „Zimmervermietung mit Verköstigung“ zu sein.
Die Türe war offen und ich hoffte, zumindest frisches Wasser für uns zu bekommen.
Immer halbstöckig waren Zimmertüren, von denen die ersten vier Türen aber alle geschlossen waren. Dann aber kamen mir Menschen entgegen und ich hörte Stimmen von ganz oben. Ich ging weiter und fand einen wunderschönen Raum vor, wo ein Mann vor einer Schale Nudeln mit Pesto saß und mit der Dame des Hauses redete.
Ich fragte ganz lieb, ob das hier ein Restaurant sei und erzählte, dass wir drei hungrig und durstig seien.
„Ihr seid hier wegen dem TdG?“ fragte die Dame des Hauses und ich bejahte das. Auch sie wusste natürlich alles über den TdG und sagte, dass die Küche schon etwas für uns zaubern könnte.
Wir waren so glücklich und meine Sorgenfalten auf der Stirn verschwanden. Wir waren „zuhause“, das Gefühl war riesig und wärmte uns sehr.
Wir bekamen eine vegetarische Lasagne mit Pesto, viele Hinweise über den TdG, unter anderem den, dass viele Läufer wie wir die vierte Etappe auswählen würden, um dann zu resignieren und zu erklären, nicht starten zu wollen.
Ganz ehrlich, auch ich hatte phasenweise ähnliche Überlegungen, nach dieser Information aber ging es mir wieder viel, viel besser.
Wir hinterließen unsere Namen, damit die Dame des Hauses nachsehen kann, wie es uns dann ergehen wird und sie verriet uns, dass dann beim Event direkt vor ihrem Haus ein Versorgungspunkt sein wird.
Am Ende fragte sie noch, ob wir einen „gateaux“ haben wollten und wir drei schauten uns dekadent an, grinsten und nickten zufrieden.
Es gab für jeden ein unglaublich großes Stück Schokoladenkuchen, das wir dann, wider besseres Wissen, komplett verschlangen.
Am liebsten hätte ich die Dame „Mama“ genannt, ich fühlte mich wohl, wie früher als Kind, wenn es eine Belohnung gab.
Kurzum, ich bin ja einer, der immer „das Gefühl“ braucht und all das gab es im Aosta-Tal zu Hauf.
2010 haben 1.200 Helfer dafür Sorge getragen, dass die Läufer bestmöglich versorgt wurden, dieses Jahr werden es nicht weniger sein.
Eric, Uwe und ich werden dann im September „zuhause“ sein, uns „zuhause“ fühlen.
Bella Italia, danke an alle, die so lieb zu uns waren.
Die Strecke selbst aber war extrem hart, aber dazu beim nächsten Mal …
Wieder, ein sehr emotionaler und inspirierender Bericht. Durch Deine „Berichterstattung“ gehen die persönlichen Ziele nie aus. Danke.
Danke Kersten,
auch ich finde immer wieder Inspirierendes auf Deinem Blog laufeninstavenhagen.de/.
Und dass die persönlichen Ziele nie ausgehen ist ja immer so eine Sache im Laufsport. Kaum machst Du einen Lauf, da bekommst Du von einem Lauffreund einen Hinweis auf einen anderen Lauf.
Und anstatt die Liste der Vorhaben verkleinert zu bekommen wird die Liste länger und länger ….
Wenn ich das so lese, dann bekomme ich richtig Lust das nachzumachen. Leider lässt meine Zeit das zurzeit nicht zu. Ich setze das aber mal auf die Liste der Läufe, die ich noch machen möchte.
Hallo Michael,
ich war wieder für ein paar Tage in den Bergen … Danke für den Kommentar.
Es muss ja nicht gleich der TdG sein, in den Alpen gibt es so viele schöne Strecken, ob mit oder ohne Wettkampf.
LG
TOM
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