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Schon etwas länger her ist der 50 K Lauf „Georgsmarienhütter Null“, aber ich will jetzt, bald zwei Monate später, doch eine kleine Hommage an diesen Lauf veröffentlichen, den ich allerdings noch im alten Jahr geschrieben habe:
Georgsmarienhütte? Ein Städtchen, das aus Läufersicht eher ungeeignet für große Läufe scheint, vor allem wegen des langen Namens. Denn entweder hast Du ein Kreuz wie ein Schrank, Du machst die Buchstaben auf dem Vereins-Shirt sehr klein oder – und das ist die Lösung, die die meisten Georgsmarienhütter Läufer bevorzugen – Du kürzst Georgsmarienhütte mich Gm’hütte ab.
Ob das aber alle Leser richtig interpretieren können bezweifle ich stark.
Aber Georgsmarienhütte hat auch zumindest zwei ganz hervorragende Sachen. So habe ich zum ersten Mal von Georgsmarienhütte gehört, als Winfried Bornemann in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrtausends, damals, als Briefe noch etwas zählten und noch nicht durch eMails oder SMS ersetzt wurden, mit seinen legendären „Briefmacken“ für viel Verwirrung und noch mehr Lacher gesorgt hat.
Sofern Dir Winfried Bornemann’s „Briefmacken“ bekannt sind, kannst Du den nachfolgenden Teil überspringen, falls nicht, so empfehle ich Dir, Dich mal mit diesen „Briefmacken“ auseinander zu setzen.
Winfried Bornemann schrieb diese Briefe teilweise unter seinem eigenen Namen, meist aber unter einem Pseudonym. Die in aller Form und mit der gebotenen Höflichkeit verfassten Briefe wurden hin und wieder beantwortet. Hatte man den passenden Anlass und die verlockende Gelegenheit gefunden, konnten die Antworten auf diese Briefe doch schon sehr entlarvend sein. Winfried Bornemann nervte damals Behörden, Firmen, Prominente und Amtsträger.
Die oft todernsten Antworten sind zum Lachen. Zumindest für uns Leser.
Ein Beispiel sei hier zitiert:
Anschreiben: Samenspende
Finanzamt Osnabrück
Beratungsstelle
Postfach
45 OSNABRÜCKBetr.: SAMENSPENDE
Sehr geehrte Damen und Herren,
verzeihen Sie mir die peinliche Frage (ich möchte nicht persönlich erscheinen):
Muss ich mir im Falle einer Samenspende eine Spendenquittung geben lassen, um später Gemeinnützigkeit dieser Sache anerkannt zu bekommen?
Ich bin von einer Dame mittleren Alters um diese Spende gebeten worden und möchte diesem Ansinnen sehr gern nachkommen, wenn mir daraus keine steuerlichen Nachteile entstehen.Hochachtungsvoll
Winfried Bornemann
Antwortschreiben: Samenspende
Finanzamt Osnabrück-Land
Az.: IX
Hannoversche Straße 12
4500 Osnabrück
Sprechstunden: Montag bis Freitag 9-12 UhrHerrn
Winfried Bornemann
Fillerschloß4504 Georgsmarienhütte
Osnabrück, 30. April 1982
Betr.:Samenspende
Bezug: Ihre Schreiben vom 25.02. und 13.04.1982Sehr geehrter Herr Bornemann!
Nach § 10 b EStG (Einkommensteuergesetz) sind bestimmte Ausgaben zur Förderung mildtätiger oder als besonders förderungswürdig anerkannter gemeinnütziger Zwecke als Sonderausgaben (Spenden) abzugsfähig.
Leider lassen Ihre recht kurzen Angaben keine eindeutige Stellungnahme zu. Wie Sie bereits andeuten, stellt in diesem Fall die Abwägung zwischen der gebotenen Zurückhaltung vor Ihrer Privatsphäre und den Erfordernissen einer erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts ganz besonders hohe Anforderungen.
Nach § 10 b Abs. 1 Satz 3 EStG gelten als Ausgaben auch die Zuwendungen von Wirtschaftsgütern (sog. Sachspenden). Wenn diese jedoch als unentgeltliche Arbeitsleistung angesehen werden müssten, so könnte eine Ausgabe nicht angenommen werden.
Falls Sie jedoch auf Ihnen bereits zustehendes Arbeitsentgelt verzichten, bildet der Verzicht auf die Auszahlung eine Verfügung über Ihr Vermögen und damit eine Ausgabe (Spende). Ich stelle anheim, Ihre Darlegungen insoweit zu präzisieren, insbesondere den Umfang Ihrer Leistungen anzugeben und auch Ihre persönliche Einschätzung mitzuteilen, ob Sie in Ihrer Spendenaktion eine Arbeit erblicken.
Eine Sachspende setzt außerdem voraus, dass das Wirtschaftsgut vor seiner Zuwendung zu Ihrem Vermögen gehört hat. Daran fehlt es nach Auffassung von Kommentatoren bei Bestandteilen des menschlichen Körpers, die beim Spenden entfernt werden und nach der Trennung unmittelbar in das Eigentum der entnehmenden Stelle gehen. Auf die Beurteilung Ihres Vermögens durch die Empfängerin der Spende kommt es dabei nicht an.
Obwohl nach Ihren Ausführungen mildtätige Beweggründe nicht von vornherein entfallen, zielt Ihre Frage wohl mehr auf die gemeinnützigen Aspekte der Spenden. Ich möchte nicht ausschließen, dass angesichts des stagnierenden Wachstums zumindest der einheimischen Bevölkerung Ihren Plänen gewisse gemeinnützige Momente nicht abzusprechen sind.
Nur kommt es in diesem Fall ausschließlich auf die Gemeinnützigkeit des Empfängers der Spende an, der eine gemeinnützige Personenvereinigung oder Körperschaft sein muss. Dabei ist zu bedenken, dass eine Personenvereinigung im steuerlichen Sinne nicht die Ihnen vorschwebende Tätigkeit, sondern eine Gesellschaft ist, bei der die Gesellschafter Unternehmer (Mitunternehmer) sind.
Nur vorsorglich weise ich darauf hin, dass bei Ihrem Vorhaben eine Personenvereinigung selbst dann nicht gegeben ist, wenn noch weitere Mitunternehmer beteiligt sein sollten. Gegebenenfalls müssten von Ihnen zur Unternehmereigenschaft der Spendenempfängerin nähere Angaben gemacht werden.
Auch eine Körperschaft mag sich der steuerliche Laie etwas anders vorstellen, als es nach den einschlägigen Vorschriften geboten ist. Da es sich überwiegend um Kapitalgesellschaften handelt, spielen sie hier keine Rolle.
Ich hoffe, Ihnen die steuerliche Problematik Ihres Vorhabens ein wenig näher gebracht zu haben. Falls Sie den Eindruck gewonnen haben, dass die Subsumption einer so ganz und gar elementaren Lebensäußerung unter die Steuergesetze allzu beschwerlich erscheint, bitte ich, die Komplikationen nicht Ihrem Finanzamt anzulasten, sondern Erleichterung beim Gesetzgeber zu suchen. Im übrigen können Sie sich stets vertrauensvoll und wirklich ohne Scheu an das Finanzamt wenden, da alle Ihre Verhältnisse durch das Steuergeheimnis geschützt werden.
In diesem Sinn möchte ich Sie freundlichst bitten, Ihre Einkünfte aus schriftstellerischer Tätigkeit, die Sie bisher erzielt haben und mit denen Sie in Zukunft rechnen können, dem Finanzamt mitzuteilen, damit aus Gründen der Steuergerechtigkeit Ihre Einkommensteuer in richtiger Höhe festgesetzt werden kann. Ihrer Antwort sehe ich bis zum 20.05.1982 entgegen.Hochachtungsvoll
Im Auftrag
(Heiser)
Meine Lieblingsbriefe aber sind vor allem das Schreiben unter dem Pseudonym eine älteren Rentnerin an die RWE AG, die vier Wochen vor der Hauptversammlung der RWE AG eine Verlegung des Termins von Montag auf den darauf folgenden Dienstag erbittet, weil sie mit ihren beiden Aktien am Montag wegen ihres Stricknachmittags sonst nicht an der Hauptversammlung teilnehmen könnte.
Wie verhält sich ein Unternehmen in so einem Fall politisch korrekt?
Sensationell war auch sein Schreiben kurz nach dem Mauerfall unter dem Pseudonym eines Adligen, der den Bürgermeister einer thüringischen Kleinstadt als Vertreter der Dorfgemeinschaft mit den Worten „Liebe Untertanen“ anschrieb und das gesamte Dorf als sein Hab und Gut einforderte.
Die Kleinstadt-Bürger fanden das alles andere als lustig und wehrten sich vehement gegen diesen Scherz, den sie nicht als solchen erkennen wollten.
Zusammengefasst sind diese Schreiben und die dazu gehörigen Antworten in mehreren Büchern, die man auch heute noch erwerben kann. Dort liest Du auch, wie mancher Prominente vor Gier sabbernd sich auf das angekündigte Erbe der „Carola von Gästern“, immerhin ein Wasserschloss, gefreut hat. Mit jedem Schreiben wurde alles dann skurriler, vom Schlossgespenst angefangen bis hin zu „nassen Füßen“ des Schlosses.
Einmal zugestimmt und „angebissen“ sollten diese Einschränkungen dann die Entscheidung der Prominenten nicht wieder ändern.
Und Georgsmarienhütte hat noch ein Highlight, etwas ganz, ganz Uriges, ein kleines Juwel unter den persönlichen Landschaftsläufen und das nicht nur, weil die 50 K lange Laufstrecke wirklich attraktiv ist. Viele Trails, aber auch Straßenabschnitte, Anstiege und welliges Gelände gibt es da, aber auch das ist nicht das Besondere.
Besonders ist, dass es zwei offizielle Starts gibt, dass Du aber auch auf eigene Gefahr hin schon vorher starten kannst.
Besonders ist, dass es keinerlei Zeitnahme gibt. Es gibt nur die Vorgabe, spätestens um 16 Uhr wieder im Ziel zu sein. Es gibt auch keine Startnummern, keinen Streß und keine Kontrollen an den Verpflegungspunkten. Wie auch, wenn die Teilnehmer ohne Startnummern unterwegs sind.
Besonders ist auch, dass die, die einen der letzten 49 Läufe mitgemacht haben, offiziell danach „Nuller“ heißen.
Georg, der Organisator dieses skurrilen Laufs, nennt sich dabei die „Obernull“.
Und alle Läufer – und auch das ist etwas ganz Besonderes – haben dort „besondere Aufstiegsmöglichkeiten“.
Nach fünf Teilnahmen wird man Berg- und Talführer und auf dem Laibchen, das man dann erhält, steht: „Georg sagt, ich kenne die Strecke!“
Und nach zehn Teilnahmen darf der Läufer „jubilieren“, weil er zum „Magister bergum et talum“ befürdert wurde. Auf dem Laibchen, dass er nun bekommt, steht dann: „Georg sagt, ich verlauf‘ mich nicht!“
Bei diesem Lauf gibt es unglaublich viele Läufer in einem der beiden Laibchen, ein sicheres Zeichen, dass die meisten dort Wiederholungstäter sind.
Gehört habe ich schon oft von diesem Lauf, aber dieses Jahr wollte ich das Mitlaufen endlich wahr machen. Wenn ich schon altersbezogen „nulle“, dann sollte ich auch die zweite Null abholen und dort in Georgsmarienhütte „nullen“. Zwei Mal „nullen“ in einem Jahr ist doch auch etwas Besonderes, oder?
Beim Lauf selbst lief ich erst mit Thomas Hagel und Lars Schläger, beides Läufer, die mir sehr nahe sind, die ich aber beide schon länger nicht mehr gesehen habe. Danach lief ich lange mit Raimund Slabon, Stefan Beckmann und Peter Kaminski.
Bei km 27 aber musste ich die drei dann aber ziehen lassen, weil ich einen Hungerast bekam und fünf Kilometerchen lang gar nichts mehr ging. Aber was kommt, das geht auch schnell wieder und so erreichte ich nach 5:35 Stunden doch das Ziel, kumuliert mit 6:39 Minuten pro Kilometer, besser als erwartet und durchaus akzeptabel für einen so hügeligen und trailigen Lauf. Aber wer fragt danach?
Auf der Urkunde steht keine Zeit, es gibt weder eine Platzierung noch eine Einlaufliste. Das einzige, was es gibt, ist das gute Gefühl, an einem Lauf teilgenommen zu haben, der etwas ganz Besonderes ist.
Und wenn im nächsten Jahr die „Georgsmarienhütter Null“ auch selbst „nullt“ und zum 50. Mal stattfindet, dann sollte der 50-jährige TomWingo wohl wieder dabei sein, vielleicht nur, um zu testen, ob der Lauf wirklich echt ist.
Und dieser Aspekt führt wiederum zu dem Georgsmarienhütter Schriftsteller Winfried Bornemann, desses „Briefmacken“ so harmlos begannen, indem er ein Pfennigstück an die Deutsche Münzanstalt in Karlsruhe schickte mit der Bitte, nachzuprüfen, ob der denn echt sei. Der Ernst und die Akribie der Antwort Deutschen Münzanstalt verblüfften Bornemann damals:
Ja, so war die Antwort, der sei echt, Jahrgang 1978, mit einem Gewicht von 19,9992 Gramm, 16,55 Millimetern Durchmesser und 1,37 Millimeter dick.
Es zeigt sich: das Lustige und Skurrile ist in Georgsmarienhütte zu Hause, der „Bierernst“ aber ist im restlichen Deutschland verteilt.
Danke also an Winfried Bornemann und Danke an Georg, die „Obernull“, ich komme wieder!