Mount Everest Base Camp: „60 K Extreme Ultramarathon“

Am 29. Mai 1953 bestiegen der Sherpa Tenzing und der Neuseeländer Sir Edmund Hillary zum mutmaßlich ersten Mal den „Berg der Berge“, den höchsten Berg der Welt in absoluter Höhe gemessen, den Mount Everest. Und jetzt, 60 Jahre später, riefen die nepalesischen Ausrichter des THEM (Tenzing Hillary Everest Marathons) zu einem neuen Ereignis, dem „60 K Extreme Ultramarathon“.

Am 29. Mai 2013 um 6 Uhr war der Start, ganz weit hinten im Mount Everest Base Camp. Einen Tag zuvor schon haben wir ihn geprobt, beim „Mock Race“, dem Teststart, damit die Damen und Herren Journalisten nicht so früh aufstehen müssen. Damit genug gutes Licht da ist für die Pressefotos. Und vielleicht auch, damit wir am frühen Morgen uns nicht auf dem Weg zum Start verlaufen. Das half aber nichts, ich habe es dennoch geschafft. Im Verlaufen bin ich ja wirklich gut.
Wenigstens eine Stärke …
Der Wecker steht auf 5 Uhr, aber meine nicht immer geliebte Eigenschaft, immer etwas vor dem Klingeln wach zu liegen, ließ mich schon um 4.45 Uhr aufstehen. Ich hatte am Vortag des Laufs in Gedanken Dutzende Male durchgespielt, was ich beim Lauf anziehen werde, dennoch überlegte ich an diesem Morgen alles wieder ganz neu. Gut war, dass wir die Jacken und eine Hose am Start in einen Beutel packen konnten, der dann nach Namche Bazaar gebracht wurde. Ich konnte also ohne Bedenken eine Oberhose und eine schöne warme Winterjacke überziehen, um nicht zu frieren. Darunter erst ein wärmendes Sportunterhemd, darüber ein Langarmshirt und darüber die heiß geliebte schwarze X-BIONIC Weste gegen den Wind und darüber noch das offizielle Laufshirt, das uns der Veranstalter mit dem Hinweis übergeben hat, dass das Tragen des Shirts unabdingbar sei.
Das wiederum hatte etwas Gutes. Coca-Cola war ja der Hauptsponsor des Laufs, das entsprechende Getränk aber gab es bei keinem der Verpflegungspunkte. Immerhin hatten wir so das Logo auf dem Shirt und das Logo war auch auf den selten angebrachten Fähnchen, die uns den Weg weisen sollten.

Frühstück gab es ab 5.45 Uhr, ich war schon eine Viertelstunde vorher da und saß einsam auf einem Klappstuhl im Essenszelt. Die Tische waren schon abgebaut, Porridge kannst Du aber auch gut ohne Tisch zu Dir nehmen. Für mehr reichte es nicht. Wenn ich nervös bin, dann bekomme ich einfach nichts in mich hinein. Irgendwann trudelten auch die anderen Starter beim Frühstück ein und ich ging schon mal zum Start, zumindest versuchte ich das.
Prompt verlief ich mich und kam wieder zum Zelt zurück und schloß mich denen an, die den Eindruck machten, den Weg zum Start zu kennen. Und das war gut so. In dem vielen Weiß des Camps hätte ich wohl lange suchen müssen, um den Weg zum Start zu finden, trotz des Trainings am Vortag.
Mock Race
Es war warm am Start, zumindest warm für die Höhe von immerhin 5.350 Metern und weil alle anderen Läufer viel weniger anhatten als ich, beschloss ich, meine Entscheidung bezüglich der Kleidung noch einmal zu korrigieren und verzichtete auf das wärmende Unterhemd.
Nirmala Giri aus Kathmandu vom Orga-Team richtete noch ein paar mahnende Worte an uns alle. „Don’t push the others or you will be disqualified,“ sagte sie und Bob, der Australier, lachte und meinte, er könne gar nicht gestossen werden, weil er ja sowieso ganz hinten laufen würde.
Das irrst Du Dich, dachte ich, weil ich mir den letzten Platz schon vor Tagen für mich ausgekuckt habe.
Meine Rennstrategie war klar und einfach: langsam starten und das Ding in Ruhe abwickeln. Ich war auch der Einzige der 19 Starter, der von vornherein seine Laufzeit auf 15 Stunden festgelegt hatte, während die meisten Anderen sich auf eine Zeit unter 12 Stunden eingestellt hatten.
Bis zu dem Punkt, an dem der Loop der 60K Läufer begann, kannten wir alle ja die Strecke, immerhin sind wir sie vorsichtig und langsam nach oben gewandert. Und wir alle wussten, wie schwer das war, wie die Strecke trotz einem durchschnittlichen Gefälle stetig rauf und runter ging, nicht laufbar war und ich mir ganz sicher war, dass es sehr schwer werden würde, diese Strecke zu bewältigen.

Und da war ja auch noch der Engländer, der im Vorjahr den Marathon mit fantastischen 6.15 Stunden gepackt hat und 2013 auf 6 Stunden kommen wollte. Er war schon lange im Himalaya, auf die Höhe adaptiert und einschlägig trainiert und er sagte, dass er plant, in 45 Minuten (!) vom Start bis Gorak Shep und in weiteren 60 Minuten von Gorak Shep bis zur zweiten Versorgung zu laufen.
Gorak Shep liegt fast auf der gleichen Höhe wie das Base Camp, der Weg dazwischen ist holprig, steinig, geht rauf und runter und Michele Ufer und ich sind die Strecke in 2 1/2 Stunden gewandert. Dabei waren wir die ersten aus unserer Gruppe. 45 Minuten? Das geht einfach gar nicht.
Wenn ich diese Strecke in 1 1/2 Stunden schaffen würde, dann wäre das schon gut in meinem Plan. Also langsam und ganz hinten laufen. Bob, dachte ich, um den Platz an der roten Laterne werden wir uns dann wohl streiten müssen …

Ich schaute mich in der Gruppe der Ultraläufer um. Lauter hypertrainierte Menschen und ich irgendwo dazwischen. Mein Zimmer- und Zeltpartner Henk Sipers hatte schon auf den Marathon herruntergegradet, weil er sich beim 60 K Loop wegen seiner Höhenangst die schweren Passagen nicht zugetraut hatte. Frank Rocktäschel, erst ein Marathoni, dann zum Ultramarathon hochgegradet, wechselte zum Halbmarathon, weil sein Gesundheitszustand einfach nicht mehr hergab.
Und dann rief Nirmala Giri den Start aus, den Start zum Lauf. Und so lief ich eben auch.

Auf halber Strecke durch das Mount Everest Base Camp lagen das Frühstückszelt und unsere Schlafzelte und der Rest unserer Gruppe stand da und klatschte. Ich hatte mittlerweile auch den schlanken und von mir hoch eingeschätzten tätowierten Australier und seinen Kumpel überholt, sicher nur, weil sich die beiden auf den glitschigen Steinen nicht wohl fühlten. Und ich überholte und überholte, während ich die Führenden allerdings schon lange nicht mehr sah.
Nach 17 Minuten hatte ich die 1 1/2 Kilometer durch das Base Camp geschafft, 13 Minuten vor meinem Plan. Und nach 54 Minuten war ich in Gorak Shep – und es wäre mehr drin gewesen, wenn ich nicht so verhalten gestartet wäre. Ich überholte und wurde überholt, aber ich blieb an denen, die mich passierten, immer dran.
Es lief wirklich fantastisch gut und ich begann, meine Ziele zu revidieren.
Statt der 15 Stunden Laufzeit könnten es vielleicht tatsächlich nur 12 Stunden werden, dachte ich. Voraussetzung war eine kumulierte Durchschnittsgeschwindigkeit von 12 Minuten pro Kilometer, vorausgesetzt, die 60 Kilometer waren auch richtig ausgemessen. Ich lag permanent knapp über 10 Minuten pro Kilometer, Tendenz besser werdend.

Nun wollte ich, dass ich nach Möglichkeit von den nepalesischen Wunderläufern nicht vor der 2-Stunden-Marke überholt würde. Das habe ich nicht ganz geschafft, nach 1:55 Stunden war es so weit, ein Nepali kam angeflogen. Offiziell eine Stunde nach uns gestartet war er mehr als doppelt so schnell wie ich. Egal, es half mir, weil ich mich in diesem Moment nicht mehr auf dem richtigen Weg befand, sondern auf der anderen Seite des Taleinschnitts lief. Also rüber. Glück gehabt.
Und nach und nach flogen auch andere Nepali an mir vorbei. Unglaublich, was in dieser Höhe doch läuferisch für manche doch noch möglich ist.
Map
Die beiden, die mich zwischen dem Base Camp und Gorak Shep überholt haben, sah ich nun immer näher kommen. Da ging noch was. Oder besser: die beiden gingen. Dann riss erst einmal die Schnürung an meinen Hoka One One Schuhen. Der Metallhaken der rechten Gamasche sägte so lange daran, bis die Schnürung aufgab und riss. Die restlichen 50 Kilometer musst Du also mit offenem Schuh bewältigen, dachte ich und versuchte, den Fuß noch kontrollierter aufzusetzen, um nicht immer im Schuh hin und her zu wackeln.
5 weitere Kilometer später riss auch das unter den Schuh gezogene Band der linken Gamasche. Damit es nicht ständig wild umher schlug, stellte ich mich mit dem rechten Fuß darauf, machte mit dem linken Fuß einen großen Schritt und riss das Band endgültig ab. Das war sicher die richtige Entscheidung.
Diese beiden Malheurs allerdings hatten die beiden vor mir genutzt, um den Abstand wieder größer zu machen.

Zuletzt liefen wir an den Gedenksäulen an die toten Mount Everest Besteiger vorbei, eine kurze Bekreuzigung, ein paar Gedanken an die Toten und weiter ging es. Danach führte der Weg kurz nach oben, um danach steiler abzufallen. Wir waren schon kurz vor Dingboche, kurz vor dem Startpunkt des Halbmarathons. Auf dem Weg nach oben schloss ich auf die beiden auf und ich überholte sie just oben auf dem Grat. Und dann ging es bergab.
Ich rannte, die beiden hinter mir aber auch.
So langsam könnten die schnellsten ausländischen Marathonis kommen, dachte ich. Ein Grund, schneller zu werden. Die beiden hinter mir gaben die Hoffnung auf das Verbessern ihrer Position auf und genau nach 17.76 K, nicht nach 21.2 K, war ich am Start des Halbmarathons. 2 Stunden und 58 Minuten waren vorbei, die kumulierte Durchschnittsgeschwindigkeit betrug jetzt fast exakt 10 Minuten pro Kilometer.

Jetzt begann der kleine Loop. Offiziell drei Kilometer ansteigend bis zum Wendepunkt, der dann nach 2.850 Metern auch tatsächlich da war und dann diese Strecke wieder zurück. Wenn die erste Hälfte des Marathons etwas mehr als 3 1/2 Kilometer zu kurz war und auch beim Loop insgesamt 300 Meter fehlten, dann könnte das auch darauf hindeuten, dass die Gesamtstrecke vielleicht auch etwas kürzer ist als die angegebenen 60 Kilometer, dachte ich. Eine Zeit unter 12 Stunden wurde immer wahrscheinlicher.
Auf dem Weg runter nach dem Wendepunkt traf ich erst Michele Ufer, dann Craig Langobardi. Beide anderen 60 K Läufer aus unserer Gruppe waren hinter mir. Michele aber sah gut und frisch aus, Craig war schon sichtlich mitgenommen. Fast am Ende des Loops traf ich noch den Amerikaner Max und den Reutlinger Michael, die sich eine Zeit um die 6:30 Stunden für den Marathon vorgenommen hatten. Ich traf aber keinen der Marathonis aus meiner Gruppe.
Für den Loop benötigte ich 1:03 Stunden, wir sind eine Stunde vor den Marathonis gestartet … das sah richtig gut aus. Keiner aus meiner Gruppe war also schneller als ich.

Und so setzte ich mir ein neues Ziel. Ich wollte vor der Abbiegung zum 60 K Loop auch nicht mehr überholt werden. Nicht von den Ultras und schon gar nicht von den mir bekannten Marathonis. Die Abbiegung kam genau bei der 29.5 Kilometer-Marke. Leider also genau dann, wie es am Anfang nach zweimaliger Korrektur des Wertes angekündigt wurde. Ich hatte mittlerweile 4:55 Stunden auf der Uhr.
Rund 5 Stunden für die erste Hälfte, dann verbleiben noch 7 Stunden für die zweite Hälfte, dachte ich. Das sieht doch richtig gut aus, um unter 12 Stunden zu bleiben.

Aber nun, da ich die Marathonstrecke verlassen hatte, wurde ich träge, müde und meine Motivation sank. Der Loop zeigte sich als extrem schwierig, die „3 1/2 Kilometer“ bis Phortse waren mehr als 5 1/2 Kilometer lang, so lang, dass ich schon Sorge hatte, den Kontrollpunkt dort übersehen zu haben. Und es ging rauf und runter, meist in Form von Treppenstufen.
Direkt an der Abzweigung machte ich eine kleine Pause, um drei Schalen der warmen Suppe zu schlürfen und wurde von einem Ultra überholt. Bei km 35 wurde ich von der Amerikanerin Michelle überholt und ich konnte einfach nicht an ihr dran bleiben. Vor allem bergauf ging scheinbar gar nichts mehr bei mir. Ständig musste ich durchschnaufen und ein paar Sekunden stehen bleiben.
Michele Ufer erreichte mich nach 37.5 Kilometern, genau dann, als ich mir mal wieder ein Päuschen gönnte. An ihm aber blieb ich dran. Ein wenig zumindest. Aber auch hier musste ich einsehen, dass da im Moment psychisch und physisch die Luft raus war und so nahm der Abstand zu ihm permanent zu. Möge wenigstens Craig noch hinter mir bleiben … und natürlich und vor allem der Australier Bob.
Am Anfang hätte mir das Tragen der roten Laterne nichts ausgemacht, jetzt allerdings wollte ich sie keinesfalls bekommen …

Ständing ging es rauf auf 4.400 Meter, um dann wieder auf 3.800 Meter zu fallen. Rauf, runter, steil, steiler. Und auf der anderen Seite des Tals sahen wir auch die Laufstrecke, die es dann wieder zurück gehen würde. Auch kein Zuckerschlecken.
Irgendwann war ich dann kurz vor Na-La, dem Wendepunkt des Loops. Eine Heidelandschaft, ein großes Gebäude mit einem blauen Dach, das musste der Kontrollpunkt sein. Ich war total am Ende und brauchte einen psychologischen Schub.
Das große Gebäude mit dem blauen Dach war längst passiert und es passierte noch immer nichts. Doch nun sah ich, wie ich sorgsam meine Füße durch die Heidekräuter schwang, die Amerikanerin Michelle und Michele Ufer vor mir. In Sichtweite. Ich schloss auf und wir suchten den Wendepunkt Na-La.
Auf der anderen Seite des Tals wehte eine Fahne im Wind und drei Menschen winkten. Was wollen die?

Michelle, Michele und ich überlegten, ob wir hier einfach durch den Fluß waten könnten. Die Amerikanische Michelle und ich waren dafür, Michele Ufer war dagegen. Und das war auch gut so. Wir erkannten nun, dass die Winkenden mit ihren Armen Richtung Oberlauf des Flusses zeigten und wir gingen weiter. Am Fluss entlang zu gehen war unmöglich, also mussten wir ständig rauf und runter, den angrenzenden Hügeln folgen. Und dann war sie endlich da: Na-La, die Brücke.
Michele hatte sie als Erster entdeckt und nun ging alles wieder ein wenig schneller.
Über die Brücke, über den reißenden Fluss, an unserem bedauernswerten Sherpa Lila vorbei, der eisern im kalten Wind ausharren musste, den Weg zurück, ein wenig nach oben, immer Richtung der im Wind wehenden Fahne.
Kein anderer Läufer war in Sichtweite, wir waren vollkommen alleine.

Bei der Fahne gab es nichts außer dem guten Rat, dass der nächste Kontrollpunkt „nahe“ sei und es dort Suppe gäbe. Aber die Erlösung ist der Bibel nach ja auch „nahe“, wahrscheinlich haben diese beiden „nahe“ etwas miteinander zu tun, aber irgendwann erreichten Michelle und ich diesen Kontrollpunkt. Michele war zu diesem Zeitpunkt ein wenig nach hinten abgefallen, er holte uns aber schnell wieder ein, nämlich dann, als Michelle und ich den Kontrollpunkt verließen und beim Ausgang rätselten, ob wir nach rechts oder nach links zu gehen hätten.
Ich war für links, Michelle war für rechts. Als Michele dann kam, war auch er für rechts und so machten wir uns auf den Weg. Daran, dass Wegmarkierungen eher selten waren, hatten wir uns ja schon gewöhnt, hier aber fand ich die Situation extrem unglücklich.

Nach gut 200 Metern wedelte eine Nepali aufgeregt mit den Armen, um uns zu signalisieren, dass wir falsch seien. Sicherheitshalber griff ich mir meinen Zettel mit den nächsten Kontrollpunkten, ging zu ihr und fragte nach Dole, dem nächsten Zwischenziel. „Dole, Dole,“ sagte sie und zeigte aufgeregt in die Richtung, aus der wir gerade gekommen waren. Also zurück, am letzten Kontrollpunkt wieder vorbei.
Es kam wieder eine Abzweigung und noch eine und wieder gab es keine Wegmarkierungen. Aber wieder zeigte eine Nepali uns in etwa den Weg. Wir gingen langsam, ständig auf die Dame schauend, die wir aber nicht mehr zu interessieren scheinten. Wir waren wohl richtig mit dem eingeschlagenen Weg.

Beim letzten Kontrollpunkt hieß es, dass der nächste Kontrollpunkt „nur 5 Kilometer“ weg sei und es „nur abwärts“ ging. Abwärts aber hieß, dass wir ständig höher kamen und dann irgendwann, ich hatte zu diesem Zeitpunkt die Führung unserer kleinen Gruppe übernommen, um wenigstens den Anschein zu geben, etwas zu wissen, gab ich auf. Ich stoppte und sagte Michele und Michelle, dass ich nicht sicher wäre, ob wir richtig wären. Aber die mittlerweile 4 Kilometer zurück gehen, um dann vielleicht zu merken, dass wir doch richtig waren, wollte ich auch nicht.
Michele aber griff zu seinem Garmin, schaute auf den Track, den er sich im Computer zuvor gebastelt hatte, und sagte, dass wir richtig wären. Warum hat er von diesem Teil und dem Track nicht zuvor erzählt, das Teil nicht schon vorher befragt? Ich war verärgert und glücklich zugleich, glücklich vor allem, weil klar war, dass „nur 5 Kilometer“ eben oft länger sind wie geplant und dass „nur abwärts“ auch relativ ist.
Nach 12:19 Stunden erreichten wir endlich Dole, mit 4.200 Höhenmetern auf einem der höchsten Punkte des Loops, zwar 270 Meter tiefer liegend als der letzte Kontrollpunkt, aber unter „nur abwärts“ stellte ich mir dann doch etwas anderes vor.

Es gab schon vor dem Lauf eine Riesendiskussion ob der Cut-Off Zeiten. Beim Marathon gibt es: keine. Beim Ultra aber sollte es welche geben. Erst hieß es, dass diejenigen, die nach 11 Stunden noch nicht in Na-La seien, dort stoppen sollten, dort schlafen sollten, um dann am nächsten Morgen um 6 Uhr weiter zu laufen. Dann wurde diese Grenze auf 12 Stunden verlängert und schlussendlich galt offiziell diese Regelung:
Wir laufen 12 Stunden lang und gehen danach in die nächstgelegene Lodge. Ein Sherpa wird da sein, der uns in der Lodge betreut, der die Kosten verauslagt, wir bekommen eine Decke, ein Abendessen und ein Frühstück.
Eine Pflichtausrüstung gab es nicht, etwas halbwegs Sinnvolles wie beispielsweise ein Kopflicht war nicht verlangt. Daher kam auch die Angst der Veranstalter, wir könnten in der Nacht verloren gehen oder abstürzen. Ob die nun gewählte Lösung aber gut war? Ich bezweifle das sehr und zumindest drei Nachtläufer zeigten später auch, dass sie mit diesem „gut gemeinten Vorschlag“ nicht einverstanden waren.

Die 12 Stunden waren in Dole also um und ich fokussierte mich, da ich ja mit Zahnbürste und Zahncreme bewaffnet war, auf die Nächtigung. Die Lodge fanden wir eher zufällig, weil noch ein paar Wasserflaschen draußen auf einem Tischchen standen. Der Lodge-Inhaber war vollkommen erstaunt, dass ich dort schlafen wollte, er war aber auch froh ob des unerwarteten Umsatzes.
Michelle und Michele aber wollten unbedingt weiter, trotz der anderslautenden Weisung durch das Orga-Team. Da die beiden zusammen aber nur eine Kopflampe hatten, war deren weiterer Weg wohl eher problematisch gewesen. Einer leuchtet, einer geht – und anders herum. Michelle und Michele waren gegen 22 Uhr endlich in Namche Bazaar, das Ziel war längst unbesetzt, die beiden mit den Nerven am Ende.
Ich jedoch genoss mein traditionelles nepalesisches Abendessen: Reis mit Linsen, vorab eine heiße und wirklich leckere Gemüsesuppe. Zwei junge Männer, Wanderer aus Dänemark, saßen am Tisch neben mir und wir unterhielten uns über Nepal, den Himalaya und über das Essen.

Eine Stunde und 10 Minuten später kamen dann Craig und der Kanadier Mike in der Lodge an. Es war längst dunkel, regnete stark und ich fragte mich, wie die beiden die Lodge finden konnten. Die Wasserflaschen waren längst nach innen geholt worden, wie auch immer, die beiden waren da und nahmen zusammen das Zimmerchen neben meinem.
200 nepalesische Rupien, rund 1.80 EUR, kostete jeden die Nacht in der Lodge, eine Flasche Coca-Cola allerdings kostetet 300 nepalesische Rupien. Hier sind die Werte also etwas verschoben, das war jedoch kein Grund, mir nicht eine Flasche Cola zu gönnen. Und ich lud meine Garmin 310 nach, auch für 300 Rupien die Stunde.
Ich hatte die Garmin angelassen, weil ich am nächsten Tag einfach wieder auf Start drücken wollte, um kumulierte Werte zu haben.
Das hat aber nicht funktioniert, weil sich die Uhr irgendwann in der Nacht selbständig in den Werten zurückgesetzt hat. Weil sie aber die ganze Nacht an war, war der Stand des Akkus trotz der einstündigen Nachladung bedrohlich tief.

Um 5 Uhr wurden wir geweckt, ich war wieder um 4.45 Uhr wach, stets vor dem Wecker. Frühstück statt um 5.30 Uhr schon um 5.15 Uhr und um 5.40 Uhr waren wir fertig. Wir beschlossen, nicht bis 6.00 Uhr zu warten, sondern eben diese 20 Minuten früher zu starten.
Aus dem starken Regen des Vorabends war mittlerweile sehr starker Regen geworden, so stark, dass meine aufnahmebereite Garmin 310, eigentlich eine Uhr, die man auch für das Triathlon verwenden können sollte, leidenschaftlich viel Wasser in sich aufnahm, wahrscheinlich, weil sie dachte, dass sie nun, da die Garantiezeit abgelaufen war, auch einmal auf Lebensende gepolt sein wollte.
Bye bye, liebe Garmin 310!

Wir wussten, dass wir nach einer längeren Hochebene noch einmal bis auf 3.600 Meter steil absteigen und auf der anderen Seite des Tales wieder auf die Höhe von 4.200 Metern aufsteigen mussten. Meine Bergaufschwäche war nach der Nacht vollkommen verschwunden und ich trieb Craig und Mike nach oben an. 44 Minuten für 600 Höhenmeter, kein schlechter Wert, finde ich.
Und oben fehlte nicht nur der Kontrollpunkt, sondern auch mal wieder die Markierung. Wir versuchten es mit dem Weg nach links, gingen dann zurück, in ein Restaurant und wir ließen uns den Weg nach rechts beschreiben.

Nach 2 Stunden und 30 Minuten Laufzeit am zweiten Tag, zusammen also nach 14 Stunden und 59 Minuten, war ich dann im Ziel. Craig und Mike bekamen nahezu die gleiche Zeit aufgeschrieben, weil die Zeitnehmer nicht verstanden, dass die beiden erst deutlich nach mir in der Lodge waren. Macht auch nichts, der morgentliche Lauf mit den beiden war toll, motivierend und wir verstanden uns als Team hervorragend.

Es waren also unter dem Strich doch genau die 15 Stunden geworden, die ich ursprünglich auch geschätzt habe. Es waren insgesamt mehr als 67 Kilometer Laufstrecke gewesen, ich benötigte 5 Stunden für die ersten 30 Kilometer und 10 Stunden für die zweiten 30 Kilometer, die eigentlich 37 Kilometer waren. Ohne die Übernachtung aber hätte ich zweifellos länger gebraucht, die Regeneration über Nacht hat ein Stück weit funktioniert.

Michelle und Michele sind über 3 1/2 Stunden durch die Nacht und den Regen gelaufen, mit einem gemeinsamen Kopflicht, der Australier mit den vielen Tattoos lief erst gegen 3 Uhr oder 4 Uhr, also weitere 5 oder 6 Stunden später, in Namche Bazaar ein. Ursprünglich wurden die drei dann ohne Zeiten gewertet, mittlerweile kamen errechnete Zeiten dazu.
Für alle Seiten blieb aber ein doofes Gefühl. Hier sind die Veranstalter dringend geraten, sich von Anfang an entweder auf ein Zwei-Tage-Event einzurichten oder mit einer Pflichtausrüstungsliste die Nacht zur Laufzeit dazu zu nehmen und wie bei anderen Ultraläufen auch, Cut-Off Zeiten und eine Maximalzeit im Ziel vorzuschreiben.
Denn so viel gefährlicher wie die Laufstrecken des TdG, des PTL, des UTMB und anderer Bergläufe, die über eine oder teils über zwei und mehr Nächte gehen, war diese Strecke definitiv nicht, ganz im Gegenteil.

Es bleibt aber die Erinnerung an eine teilweise wunderschöne und hammerharte Strecke auf höchstem Level, gerade der Loop des 60 K hatte es da in sich, mit einer Strecke, die meist über 4.000 Metern lag und es bleibt die Erinnerung daran, auf der angeblich „höchsten Uphill Trail Running Section“ gewesen zu sein.
Schade war, dass es eben nur so wenige Teilnehmer waren.
Der Australier Bob allerdings hatte von Anfang an Recht. Er hielt die rote Laterne fest und sicher über die gesamte Laufstrecke fest. Und auch deswegen ist er ein Held, wie alle, die diesen „60 K Extreme Ultramarathon“ in seiner ersten Ausführung gewagt haben.
Results

Trauer auf rund 5.000 Metern Höhe …

Bevor ich die schöne Geschichte vom Trekking und vom Lauf in Nepal erzähle, schreibe ich etwas über Freundschaft, über Mitgefühl und über Abschied.

Henk Sipers, mein Zimmer- und Zeltkollege während der gesamten Reise, und Eberhard Schaaf (gestorben am 19. Mai 2012) waren Lauffreunde – und irgendwann auch mehr als das.
Sie waren Verwandte im Geiste und bewältigten Etappenläufe in Marokko, in Äthiopien, in der Mongolei, in Mali und in Costa Rica zusammen, stets auch als Zelt- und Zimmerpartner.
EberhardAber Eberhard war, außer Läufer zu sein, noch mehr. Bergsteiger, Abenteurer mit einem hohen Ziel, dem höchsten, dass man auf dieser Erde anstreben kann. Henk hatte keine hohen Ziele, seine Höhenangst hinderte ihn, von der Welt über den Wolken zu träumen.
Und so hatte Eberhard  für seine hohen Ziele andere Partner. Im Mai 2012 war es Paul Thelen gewesen. Das Ziel waren die 8.848 Meter des Mt. Everest gewesen und mit dem Gipfelsturm am 18. Mai nahmen die beiden die wohl letzte Gelegenheit wahr, diesen vor dem kommenden Monsoon zu wagen.
THEMAls der Nepalese Tenzing Norgay Sherpa und der Neuseeländer Sir Edmund Hillary 1953 den Gipfel zum wahrscheinlich ersten Mal in der Menschheitsgeschichte betraten, war die Regenzeit noch etwas später, seit Jahren aber kommt sie früher und früher, eine der vielen Folgen der Klimaerwärmung.
Und weil 2012 jener 18. Mai der letztmögliche Aufstiegstermin war, war es auch sehr voll da oben, sehr voll und auch sehr tödlich für gleich fünf dieser Bergsteiger.
Wenn sich am Hillary Step ein Stau bildet, weil immer nur ein Mensch dort passieren kann, dann werden Unterkühlungen unvermeidbar.

Am Morgen des 19. Mai waren die meisten der Bergsteiger dann oben auf dem Gipfel, auch Eberhard, jedoch ohne seinen Partner, der wegen Kopfschmerzen den Aufstieg absagte. Vielleicht zum Glück, denn ein sich entwickelndes Gehirnödem ließ Eberhard dann nicht mehr absteigen. Er starb an dessen Folgen etwa 100 Höhenmeter unterhalb des Gipfels. Er liegt noch immer dort.
Aber es wurde ihm, wie so vielen anderen Helden auch, ein Steindenkmal errichtet, als Mahnmal und zum Gedenken. Paul Thelen schmückte diese dann so gut es ging und Henk beschloss, seine Angst vor der Höhe zu überwinden und mit dem Trekking zum Mt. Everest Basecamp (EBC) diesen Ort der Stille zu besuchen, ihn weiter zu schmücken und auch, dort kleinere Erinnerungskarten an Eberhard abzulegen.
Eberhards Ehefrau wollte nicht an diesen Ort, zu beschwerlich schienen ihr der Weg und die Gedanken bis dorthin, aber sie hatte, wie viele andere auch, letzte Grüße geschrieben, die auch am Denkmal abgebracht werden sollten, zusätzlich zu den Blumen, die für Eberhard weiterleben sollten. Henk machte Fotos und kleine Filmsequenzen von dieser, seiner Verabschiedung und ich unterstützte ihn dabei nach Kräften.
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Nach Dingboche ging es zuerst einen steilen Weg hinauf und dann wären wir auf der Hochebene, die Zeugnis ablegt davon, dass es schon viele Frauen und Männer wären, die auf diesem höchsten Berg der Welt ihr Leben lassen mussten. Viele davon waren jung, viel zu jung zum sterben.
Schon beim Anblick der ersten dieser Steintürme begann ich, hemmungslos zu weinen. Ich war darin nicht alleine.
Die Besonderheit des Stücks Erde, das Bewusstsein um die hochdramatische Situation und der dort fühlbare Geist machten die meisten von uns erst traurig, dann schweigsam und endlich kamen die Tränen.
Dort an diesem Fleck gab es keine Distanz zwischen den Kulturen und Religionen, zwischen Frauen und Männern. Da erinnerten Steindenkmäler stets eindringlich und nachhaltig daran, dass der Mensch dort oben eigentlich nichts zu suchen hat.
Und dennoch zieht es Jahr für Jahr eine noch größere Zahl von Menschen auf das „Dach der Welt“ und mir war ein Trost, dass all diese Menschen nicht sinnlos gestorben sind, sondern sie sind alle abgestürzt bei Ihrem Traum vom Fliegen.
Lieber bei der eigenen Mission das Leben lassen als ganz profan bei einem Autounfall, dachte ich mir.
DSC_1111 DSC_1116 DSC_1127 (die Minifotos durch Klicken vergrößern … )
Etwas später, nachdem ich etliche Gedenkstätten fotografiert hatte, etliche kleine Gebete gesprochen und etliche Tränen vergossen hatte, ging ich weiter, zu Eberhards Mahnmal und zu Henk, der schon eifrig dabei war, die Blumen, die er für Eberhard nach oben trug, fest zu machen. Henk wirkte glücklich in diesem Moment der Anstrengung, nicht traurig und er fixierte die Erinnerungskärtchen, die man ihm mitgegeben hatte. Es war eine Viertelstunde der Arbeit, die Henk beflügelte und als alles fertig war, begann Henk zu weinen.
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Abschied nehmen tut doch mehr weh, als man denkt. Und in den Minuten der Trauer, des Weinens und des Gedenken erzählte er mir viel über die Männerfreundschaft, die vom Laufen her kam und die weiter ging, bis hin zu jenem Moment auf der Hochebene, rund 5.000 Meter über dem Meer.

Danke, Henk, für dieses Beispiel, danke, dass ich dabei sein durfte.

Rest in peace, lieber Eberhard Schaaf.

(Auswahl von Links zum Tod Eberhard Schaafs: Spiegel Online, Aachener Zeitung, Bild.de, weitere Links hier bei Google)