Trauer auf rund 5.000 Metern Höhe …

Bevor ich die schöne Geschichte vom Trekking und vom Lauf in Nepal erzähle, schreibe ich etwas über Freundschaft, über Mitgefühl und über Abschied.

Henk Sipers, mein Zimmer- und Zeltkollege während der gesamten Reise, und Eberhard Schaaf (gestorben am 19. Mai 2012) waren Lauffreunde – und irgendwann auch mehr als das.
Sie waren Verwandte im Geiste und bewältigten Etappenläufe in Marokko, in Äthiopien, in der Mongolei, in Mali und in Costa Rica zusammen, stets auch als Zelt- und Zimmerpartner.
EberhardAber Eberhard war, außer Läufer zu sein, noch mehr. Bergsteiger, Abenteurer mit einem hohen Ziel, dem höchsten, dass man auf dieser Erde anstreben kann. Henk hatte keine hohen Ziele, seine Höhenangst hinderte ihn, von der Welt über den Wolken zu träumen.
Und so hatte Eberhard  für seine hohen Ziele andere Partner. Im Mai 2012 war es Paul Thelen gewesen. Das Ziel waren die 8.848 Meter des Mt. Everest gewesen und mit dem Gipfelsturm am 18. Mai nahmen die beiden die wohl letzte Gelegenheit wahr, diesen vor dem kommenden Monsoon zu wagen.
THEMAls der Nepalese Tenzing Norgay Sherpa und der Neuseeländer Sir Edmund Hillary 1953 den Gipfel zum wahrscheinlich ersten Mal in der Menschheitsgeschichte betraten, war die Regenzeit noch etwas später, seit Jahren aber kommt sie früher und früher, eine der vielen Folgen der Klimaerwärmung.
Und weil 2012 jener 18. Mai der letztmögliche Aufstiegstermin war, war es auch sehr voll da oben, sehr voll und auch sehr tödlich für gleich fünf dieser Bergsteiger.
Wenn sich am Hillary Step ein Stau bildet, weil immer nur ein Mensch dort passieren kann, dann werden Unterkühlungen unvermeidbar.

Am Morgen des 19. Mai waren die meisten der Bergsteiger dann oben auf dem Gipfel, auch Eberhard, jedoch ohne seinen Partner, der wegen Kopfschmerzen den Aufstieg absagte. Vielleicht zum Glück, denn ein sich entwickelndes Gehirnödem ließ Eberhard dann nicht mehr absteigen. Er starb an dessen Folgen etwa 100 Höhenmeter unterhalb des Gipfels. Er liegt noch immer dort.
Aber es wurde ihm, wie so vielen anderen Helden auch, ein Steindenkmal errichtet, als Mahnmal und zum Gedenken. Paul Thelen schmückte diese dann so gut es ging und Henk beschloss, seine Angst vor der Höhe zu überwinden und mit dem Trekking zum Mt. Everest Basecamp (EBC) diesen Ort der Stille zu besuchen, ihn weiter zu schmücken und auch, dort kleinere Erinnerungskarten an Eberhard abzulegen.
Eberhards Ehefrau wollte nicht an diesen Ort, zu beschwerlich schienen ihr der Weg und die Gedanken bis dorthin, aber sie hatte, wie viele andere auch, letzte Grüße geschrieben, die auch am Denkmal abgebracht werden sollten, zusätzlich zu den Blumen, die für Eberhard weiterleben sollten. Henk machte Fotos und kleine Filmsequenzen von dieser, seiner Verabschiedung und ich unterstützte ihn dabei nach Kräften.
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Nach Dingboche ging es zuerst einen steilen Weg hinauf und dann wären wir auf der Hochebene, die Zeugnis ablegt davon, dass es schon viele Frauen und Männer wären, die auf diesem höchsten Berg der Welt ihr Leben lassen mussten. Viele davon waren jung, viel zu jung zum sterben.
Schon beim Anblick der ersten dieser Steintürme begann ich, hemmungslos zu weinen. Ich war darin nicht alleine.
Die Besonderheit des Stücks Erde, das Bewusstsein um die hochdramatische Situation und der dort fühlbare Geist machten die meisten von uns erst traurig, dann schweigsam und endlich kamen die Tränen.
Dort an diesem Fleck gab es keine Distanz zwischen den Kulturen und Religionen, zwischen Frauen und Männern. Da erinnerten Steindenkmäler stets eindringlich und nachhaltig daran, dass der Mensch dort oben eigentlich nichts zu suchen hat.
Und dennoch zieht es Jahr für Jahr eine noch größere Zahl von Menschen auf das „Dach der Welt“ und mir war ein Trost, dass all diese Menschen nicht sinnlos gestorben sind, sondern sie sind alle abgestürzt bei Ihrem Traum vom Fliegen.
Lieber bei der eigenen Mission das Leben lassen als ganz profan bei einem Autounfall, dachte ich mir.
DSC_1111 DSC_1116 DSC_1127 (die Minifotos durch Klicken vergrößern … )
Etwas später, nachdem ich etliche Gedenkstätten fotografiert hatte, etliche kleine Gebete gesprochen und etliche Tränen vergossen hatte, ging ich weiter, zu Eberhards Mahnmal und zu Henk, der schon eifrig dabei war, die Blumen, die er für Eberhard nach oben trug, fest zu machen. Henk wirkte glücklich in diesem Moment der Anstrengung, nicht traurig und er fixierte die Erinnerungskärtchen, die man ihm mitgegeben hatte. Es war eine Viertelstunde der Arbeit, die Henk beflügelte und als alles fertig war, begann Henk zu weinen.
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Abschied nehmen tut doch mehr weh, als man denkt. Und in den Minuten der Trauer, des Weinens und des Gedenken erzählte er mir viel über die Männerfreundschaft, die vom Laufen her kam und die weiter ging, bis hin zu jenem Moment auf der Hochebene, rund 5.000 Meter über dem Meer.

Danke, Henk, für dieses Beispiel, danke, dass ich dabei sein durfte.

Rest in peace, lieber Eberhard Schaaf.

(Auswahl von Links zum Tod Eberhard Schaafs: Spiegel Online, Aachener Zeitung, Bild.de, weitere Links hier bei Google)

Ein Kommentar zu “Trauer auf rund 5.000 Metern Höhe …

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