Eiger Ultra Trail E 101 – der Start


Es ist 2.00 Uhr, mitten in der Nacht. Der Wecker steht auf 3.15 Uhr – eigentlich. Aber an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Ich bin positiv nervös. Und ich bin überrascht und erfreut, ich befummele meinen Rücken, drehe mich und richte mich auf – nichts tut mehr weh.

Seit Tagen von Rückenschmerzen buchstäblich geknickt hatte ich meinen Start beim E 101 des Eiger Ultra Trails (EUT) schon abgeschrieben und mich auf ein Alternativprogramm eingestellt.
Aber Wärmepflaster, die Zauberarme eines Lauffreundes und die Zauberfinger des Masseurs auf der Läufer-Expo, alles am Freitag, dem Tag vor dem Start, kombiniert mit 3x 2 Tabletten Muskelrelaxans zum Lösen der Muskelverspannung im Rücken, die die Ursache für die Rückenschmerzen war, all das hatte geholfen.
Punktgenau war ich wieder soweit hergestellt, dass ich das Abenteuer Eiger Ultra Trail angehen konnte.

Es ist 2.00 Uhr, mitten in der Nacht. Warum bin ich nicht mehr müde? Ich nutze die Situation aus, um sehr langsam und bedächtig die Laufvorbereitungen zu treffen. Abkleben hier und da, Laufklamotten anziehen … warum muss man kurz nach 2.00 Uhr eine Entscheidung treffen, was man anziehen will?
Ich entscheide mich trotz der vorhergesagten Hitze für eine Dreiviertel-Laufhose. Ich liebe dieses Teil mit den weißen Riffeln auf den Oberschenkeln. In dieser Hose habe ich schon viel Gutes erlebt. Und die Nacht war ja kühl.
Und ich entscheide mich für ein Kurzarmshirt, aber kombiniert mit dünnen Armlingen und eine Laufweste. Man weiß ja nicht, denke ich, wer friert schon gerne?
Die vorgeschriebene Mütze und die Handschuhe gehen in den Rucksack, das vorgeschriebene Langarmshirt ebenfalls. All das bleibt auch bis zum Rennende da drinnen.

Die Trinkblase bleibt leer, ich fülle nur die beiden Flaschen vorne. Als Gegengewicht zur Füllung des Rucksacks gewissermaßen. Noch etwas Hirschtalg auf die Stellen, die der „böse Wolf“ so gerne attackiert und noch immer bleibt sehr viel Zeit bis zum Start um 4.30 Uhr. Ich verhandle mit mir über den Inhalt des DropBags für den VP in Burglauenen bei km 54, ich hätte es nicht tun brauchen, weil ich den DropBag in Burglauenen nicht nutzen werde und die Abholung desselben nach dem Finish auch prompt vergessen werde.
Alten Männern sollte man solche Konzentrationsübungen nicht mehr zumuten, finde ich.

Ich beschließe, mich ganz gemächlich von meinem edlen Hotel zum Start zu bewegen, gönne mir aber erst noch ein kleines Frühstück im Hotelzimmer. Das fantastische Frühstück im Hotel gibt es ja erst um 7.00 Uhr.
Die Nacht im teuren Hotel nur zur Hälfte genutzt, kein Frühstück, manchmal wäre es tatsächlich besser, ein Hotel zu wählen, das nach Stunden abrechnet …
Im Erdgeschoss aber sehe ich, dass andere Läufer doch frühstücken. Unglaublich, man hatte uns eine reduzierte Auswahl als „early bird“ Frühstück hingestellt.
Obwohl ich schon gegessen hatte, dachte ich, dass so ein leckeres Birchermüsli immer noch in mich hineinpasst. Nirgends auf der Welt ist das Birchermüsli besser als in den edlen Hotels der schönen Schweiz.2016-07-16 04.28.28
Ich bin schon deutlich vor 4.00 Uhr am Start, es ist noch ziemlich leer da. Familie Martina und Gaston Prüfer ist da und ich lerne, dass es einen offiziellen „shortcut“ gibt, einen planvollen Ausstieg in Burglauenen, wenn man sich dort entschließt, direkt nach Grindelwald zurück zu laufen.
Gut zu wissen, denke ich. Aber ich zweifle noch, ob ich überhaupt 10 Kilometer überstehen könnte. Eric Gee ist da und er ist total begeistert und aufgewühlt. Es wird voller und voller und zunehmend kommen Läufer*innen dazu, die ich kenne. Ich fühle mich nicht mehr so allein.
Irdendwo unter den Startenden ist auch Ueli Steck, der Botschafter des Eiger Ultra Trail. Er hat es sich nicht nehmen lassen, auch einer der E 101 Läufer zu sein. Er ist es ja, der den Rekord beim Durchqueren der weltberühmten Nordwand hält, jener Wand, an der vor dem Start ein rotes Licht brennt.

Ich rede mit einigen, vor dem Lauf und während des Laufs. Und jede*r hat eine Geschichte zu erzählen. Es sind die wirklich großen Rennen dieser Welt, die die wirklich großen und interessanten Geschichten erzählen lassen.
Und der Eiger Ultra Trail ist ein wirklich großes Rennen. Es ist unglaublich, dass es dieses Event erst seit 2013 gibt, heuer ist es erst die vierte Austragung. Und schon hat das Event Kultcharakter, ist ein wichtiger Teil der Ultra Trail World Tour (UTWT) und trotz ständig erweiterter Startplätze innerhalb von Stunden ausgebucht.
Da muss ja etwas dran sein. Am Event. An der Region. An diesen Bergen.

Grindelwald ist wirklich international. Viele Japaner urlauben dort, Chinesen, Amerikaner. Grindelwald ist genau dort, wo die Berge hoch, aber die Preise für Chalets und Wohnungen noch viel höher sind. Hänge einfach eine Null hinter die Preise, die Du für solche Chalets oder Wohnungen bezahlen könntest, dann bist Du nahe dran an der Realität.
Und doch sind die Immobilienpreise ein Zeichen dafür, wie beliebt diese Urlaubsregion ist.
Eiger, Mönch, Jungfrau … First, Faulhorn, Männlichen, Jungfraujoch … wer hat diese Namen nicht schon einmal gehört?

Jede*r hat also seine Geschichte zu erzählen. Da höre ich von einem, dass er zum neuen Event „Alpen X“ nicht antreten will, wenn er den E 101 nicht packt. Ein anderer Läufer erzählt mir, dass er seit Kindertagen Jahr für Jahr nach Grindelwald kommt – und 2016 erstmals für einen Ultralaufbewerb.
Für manche ist es der erste Hunderter, der erste lange Berglauf. Manche haben ihren Sommerurlaub rund um dieses Event geplant, andere sind nur kurz in die Schweiz gefahren und werden sie gleich nach dem Event auch wieder verlassen.
Jede*r hat seine Geschichte zu erzählen. Und auch ich habe meine – und die ist nicht so schön.

Ich war ja dabei bei der Premierenveranstaltung 2013. Natürlich. Es war das Jahr mit dem „K 60 Extreme“ in Nepal, wo ich mir eine langanhaltende und eklige Darminfektion eingefangen hatte, die dazu geführt hat, dass ich damals vom E 101 gleich auf den E 51 runtergebucht und diesen dann nach rund 20 Kilometern aufgegeben hatte.
Zwar kam ich noch zur Bergstation der Firstbahn, dort musste ich aber einsehen, dass es wenig Sinn macht, in einem Bewerb zu bleiben, wenn Du fast jeden Kilometer mit einer persönlichen Duftnote hinter einem Busch markieren musst.
Auf dem Weg runter traf ich dann auf den noch aufwärts laufenden Günther Bruhn, wir bekamen ein gemeinsames Foto, er musste später dann auch passen.
Eiger.jpgUnd dieses Jahr habe ich eben diese Rückensache, mal wieder. Meine Geschichte, die ich vom Eiger zu erzählen habe, kann also nicht „rund“ sein.

Dabei hat dieser Bewerb Kultcharakter. Schon die nackten Zahlen des Eventwochenendes imponieren:
600 Teilnehmer auf der langen Distanz, 800 Teilnehmer auf der Distanz E 51, weitere 800 Teilnehmer auf den Kurzstrecken E 31 und E 16 sowie 110 Kinder im Eiger Kids Race. Und für diese nackten Zahlen benötigte das Event ganze drei Tage.
Drei Tage, dann waren die Bewerbe ausgebucht. Viel länger, vermute ich, wird es nach dem 28. Oktober 2016, wenn es darum geht, sich für die Bewerbe des Jahres 2017 einzuschreiben, auch nicht dauern. Am besten, Du machst das Gleiche wie ich und notierst Dir den Termin jetzt schon in Deiner Agenda. Nur damit wir uns dann dort sehen.

Und die nackten Zahlen der Strecke imponieren nicht weniger:
101 K Länge mit 6.700 HM und auch noch 3.400 HM auf der 51 K Distanz, 63 Nationen waren eingeschrieben und beim Briefing am Vorabend wurden die zahlenmäßig größten Länder, die Schweiz, Deutschland, Italien und die Niederlande, aber auch die zahlenmäßig kleinsten Länder wie Equador oder Mexiko gerufen. Alle durften ihr Jubelgetöse an die Läuferinnen und Läufer bringen, an all die Läuferinnen und Läufer, die alle den gleichen Traum hatten: Eiger, Mönch und Jungfrau belaufen.
Aber noch brennt am Eiger, an der berühmten Nordwand, dieses rote Licht.

Ich schalte die Laufuhr ein, packe die Laufstöcke aus, ich drücke Menschen und klatsche einige Läufer ab, vor, neben und hinter mir. Nur noch wenige Sekunden …

Zehn, neun, acht …
Es wird gemeinsam die Zeit heruntergezählt und das rote Licht am Eiger wird grün, der E 101 hat begonnen ….

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