Das grüne Licht am Eiger, eigentlich eine gute Idee.
Leider ist der Laser hinter den Läufern statt davor, deshalb haben einige Läuferinnen und Läufer diesen wahrscheinlich kostspieligen Gimmick gar nicht mitbekommen.
Nicht schlimm, es geht ja auch ohne.
Rennen durch die Stadt Grindelwald, die Hauptstraße entlang. Ich bin bei solch großen Rennen immer wieder fasziniert, wie viele Menschen ihre verdiente Nachtruhe gegen einen Besuch an der Laufstrecke am sehr, sehr frühen Morgen eintauschen.
Diese Menschen jubeln uns Läufern zu, dazu scheint der Mond hell vom Himmel, die ganze Stadt ist in ein Licht getaucht, das den bald aufziehenden Morgen erahnen lässt.
Ich kenne diesen Teil der Laufstrecke noch aus dem Premierenjahr dieses Bewerbs, die Abbiegung von der Hauptstraße, der Übergang in den Trail. Das elende Anstehen nach wenigen Kilometern, weil wir einzeln einen Fluß überqueren müssen. Und noch ein paar Staus später. Langsam fallen mir all diese Hürden wieder ein.
Und es geht treppenartig höher Richtung Große Scheidegg.
Ich bin weit hinten und höre bei jedem Schritt in meinen Körper hinein. Kann ich laufen? Wie verhält sich der Rücken beim Auftreten? Alles fühlt sich gut an. Aber nur nicht übermütig werden, denke ich.
Der erste VP ist eine Hütte auf der Großen Scheidegg, ich erreiche sie, als es gerade beginnt, wieder hell zu werden. Auch diese Station kenne ich vom Premierenjahr noch, eigentlich kommt der VP für mich eher zu früh.
Es gibt Wasser, Sponser Drinks, Sponser Riegel und vieles mehr. Ich nehme nur einen halben Riegel und bin auch gleich wieder weg.
Viel Zeit ist vergangen, aber nun kommt eine Passage, in der Du Dein kumuliertes Durchschnittstempo erheblich verbessern kannst. Die Wege sind breit und nicht allzu hügelig, ein echter Laufbewerb also und nicht nur einer, bei dem Speedhiking die einzige Antwort aufs Gelände ist.
Ich unterhalte mich prächtig mit den Mitläufer*innen. Ob es die Liverpoolerin ist, die mich beim späteren Downhill rasant überholen wird, um mir dann beim Uphill wieder die Chance zu geben, sie zu passieren oder der eine oder andere Deutsche, mit dem man die immer gleichen Fragen austauscht („Warst Du schon einmal hier?“ „Was läufst Du sonst noch dieses Jahr?“ oder „Where do you come from?“), es wird nicht langweilig.
Und die Sonne scheint auf uns herab und auf ein Panorama, das so schön ist, dass ich an Nicole Kidman denken muss, die im Lied „Come what may“ singt:
Suddenly the world seems such a perfect place
Suddenly it moves with such a perfect grace
Suddenly my life doesn’t seem such a waste.
Und mir wird mal wieder klar, warum so viele Menschen, Läufer oder Nichtläufer, Skifahrer, Wanderer, Mountainbiker, Urlauber oder einfach Bergliebhaber, von dieser Region magisch angezogen sind, warum Eiger, Mönch und Jungfrau einen solch hohen Bekanntheitsgrad haben und von diesen Bergen mit so viel Zuneigung und Liebe gesprochen wird.
Wir kommen zur Bergstation der First-Bahn. Auch die kenne ich noch. Die hatte mich 2013 wieder vom Berg hinunter gebracht, kaputt, demoralisiert und geschwächt.
Und dort geht es gleich wieder runter. Weit runter. Steil runter.
Zwar keinen technisch schwierigen Downhill, dafür aber sehr steil. An der Straße, die uns runter bringt, steht ein Schild „20% Gefälle“. Ich bin langsam und schone meine Oberschenkel, die Liverpoolerin spurtet an mir vorbei, als wäre ich eine Slalomstange.
Nach dem VP geht es auch gleich wieder hoch. Wieder zur Bergstation der First-Bahn, aber auf einem anderen, weiter entfernten Trail. Lange bleibt es flach, dann geht es ähnlich rauf, wie es vorhin runter gegangen ist.
Hier treffe ich auch auf Marc, dessen Gesellschaft ich dann bis zum Schluss suchen werde. Und wir reden über das, was war und das, was kommen wird. Da gibt es viele gemeinsame Ziele, die Welt ist halt ein Dorf.
Weit über uns, rechts oben am Hang, sehen wir die First-Bahn. Dahin geht es rauf. Aber wir sehen auch eine Metallkonstruktion, die an der Wand angebracht ist und die, die als Skywalk fantastische Blicke in die Tiefe ermöglicht.
Dort stehen Dutzende von Beobachtern, jubelnd und begeistert. Und wir dürfen oben über diese Metallkonstruktion laufen, die nachgibt wie ein Sprungbrett am Wasserbecken, die mir kurz die Füße weggezogen hat, deren Belaufen aber so geil, so genial, so gigantisch war, dass ich alleine für diese Passage auf jeden Fall wiederkommen möchte.
Schade, dass die E51 Läufer diese Freude nicht haben. Also E101 und dann wieder ab Burglauenen abkürzen? Oder doch einfach ganz privat diese wenigen Hundert Meter außerhalb des Wettkampfes genießen?
Und die Welt scheint plötzlich tatsächlich ein perfekter Platz zu sein, alles bewegt sich plötzlich voller Anmut und mein Leben ist plötzlich nicht mehr sinnlos.
Danke, Nicole Kidman, für diese Zeilen, die ich in diesem Moment am liebsten laut rausschreien möchte.
Es geht weiter zum Faulhorn. Dorthin, wo es zwei Tage zuvor noch viel geschneit hat, wo am Vortag noch 25 Helfer des Orga-Teams oben waren, um die Trails soweit zu präparieren, dass wir Läufer dort einigermaßen sicher laufen können.
Kein Schnee ist zu sehen, denke ich. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden. Es wurde auch noch. Und zwar viel, arg, üppig. Und es wurde rutschig.
Die Schritte kosten Kraft und ich konzentriere mich auf jeden Schritt, immer in der Sorge, auszurutschen oder eine blöde, unkontrollierte Bewegung zu machen. Das könnte Gift sein für meinen Rücken, denke ich.
Es geht weit rüber und dann nicht allzu steil rauf auf den höchsten Punkt, das Faulhorn. Oben ist ein VP. Und wir müssen anstehen. Ein letztes Mal an diesem Tag, aber dafür recht lange. Wenn sich jeder langsam und vorsichtig bewegt, dann führt das bei einer Masse an Läufer*innen zum vollständigen Stillstand.
Runter geht es durch den Schnee.Lange. Und es bleibt glatt und rutschig. Kein schönes Erlebnis und meine Sorgen sind ständig präsent. Ich bin ein „Fleisch gewordenes Hindernis“ für die anderen Läufer. Zumindest fühle ich mich so. Aber, von einigen Sprintern abgesehen, alle kämpfen mit diesem Gerutsche und ein „ach“ oder „aua“ hier und da zeigt, wie viele Läufer*innen auf diesem Stück unfreiwillig die schneebedeckte Erde küssen.
Dann wird es leichter und irgendwann ist auch der letzte Schnee weg. „Schnee von vorgestern“ gewissermaßen. Und der Trail führt wellig weiter zum Punkt Schynige Platte. Aber der Weg zieht sich. Und das ist auch gut so. Er ist nämlich wunderschön.
Gut zu laufen zwischendurch, immer wieder mit Konteranstiegen und stets mit traumhaften Ausblicken über die Landschaft, über Interlaken, den Thuner See und so viele anderen Leckerbissen, dass ich die Touristen, die dort im Gras liegen, um sich eben dieses Panorama anzusehen und die Ausblicke zu genießen, von Herzen beneide.
Aber Marc und ich laufen in der Gesellschaft von Lokalmatadoren, in der Gesellschaft des „Wüstenläufers“ Jens Vieler und der unglaublichen Ricarda Bethke. Bestes Wetter, grandiose Ausblicke, ein gut laufbarer Trail, die Herzen wärmende Begleitung – kann Trailrunning schöner sein?
Suddenly the world seems such a perfect place
Suddenly it moves with such a perfect grace
Suddenly my life doesn’t seem such a waste.
Ich verliere die beiden dann leider, als es eine Metallleiter hinauf geht;
soweit für heute …
Songtext: „Come What May“ aus dem Film „Moulin Rouge“:
Ewan:
Never knew, I could feel like this,
Like I’ve never seen the sky before
Want to vanish inside your kiss
Everyday I love you more and more
Listen to my heart, can you hear it sing
Telling me to give you everything
Seasons may change, winter to spring
But I love you, until the end of time
Come what may, come what may
I will love you, until my dying dayNicole:
Suddenly the world seems such a perfect place
Suddenly it moves with such a perfect grace
Suddenly my life doesn’t seem such a waste
It all revolves around youEwan:
And there’s no mountain too high, no river too wide
Sing out this song and I’ll be there by your side
Storm clouds may gather,
And stars may collideBoth:
But I love you (I love you)
(un)Til the end of time (Until the end of time)Come what may, Come what may
I will love you, until my dying day
Oh come what may, come what may
I will love you (I will love you)Suddenly the world seems such a perfect place
Come what may, Come what may
I will love you
Until my dying day.