Der TransGranCanaria 2013 (TGC) war schon ein wenig anders als der des Vorjahres und ich war nicht über jede Veränderung froh.
Unser Appartementhaus lag nur 50 Meter vom alten Startplatz entfernt, ideal, wenn um Mitternacht gestartet wird. Du kannst Dich noch bis 23.55 Uhr hinlegen und schlafen, die erste Nacht ist dann eigentlich gar keine mehr.
Aber der Start wurde zur „10th Edition“, zum Jubiläum, nach Agaete verlegt und das bedeutete für mich, dass ich kurz vor 9 Uhr Playa del Inglés verlassen musste, um zum Start nach Las Palmas zu fahren. Von dort gingen dann die Busse Richtung Agaete ab.
Diese waren für 22.15 Uhr geplant und ich frage mich jetzt noch, warum das alles so früh sein musste, immerhin ist Agaete nur gut 30 Kilometer von Las Palmas entfernt. Im Bus wurde ich darauf angesprochen, dass ich mich wirklich dick eingecremt hatte und man das Weiß der Sonnenmilch noch sah. Ich war wohl der Einzige gewesen, der nicht mitbekommen hat, dass es in der Nacht und am Morgen wohl satt regnen würde. „Optimistisch“ nannte man also meine Eincremorgie.
Die Fahrt war wirklich kurz und die Folge war, dass wir schon um 22.35 Uhr am Startort waren, 85 Minuten vor dem Start!
Aber wir fanden ein Fischerstädtchen vor, das ich zwei Wochen vorher noch besucht hatte. Damals war es ruhig und fast ausgestorben, jetzt aber pulsierte das Leben dort und jeder von uns Läufern fühlte sich wie ein Star.
Da gingen die Daumen hoch für uns, die wir noch durch die Stadt schlenderten, da erhielten wir Glückwünsche und Motivation auf spanisch von wildfremden Menschen und die Musik der Sambatruppen spielte scheinbar nur für uns.
So lassen sich auch 90 Minuten bis zum Start aushalten … !
Und doch ging es dann irgendwann wirklich los.
Was ich wusste, ist, dass es gleich auf den ersten 10 Kilometern auf 1.200 Meter Höhe geht. Ich erinnerte mich an die Steilstrecken des vergangenen Jahres und war auf einen enorm harten Einstieg gefasst. Es kam aber vollkommen anders.
Bis zur Höhe von 600 Metern über dem Meer war der Anstieg moderat, der Weg fast so breit und eben wie die Kurpromenade von Bad Salzuflen – easy going also. Erst danach wurde es etwas enger und schwieriger, aber noch immer war ich überrascht, wie einfach es doch nach oben ging.
Ich hatte mich ja sofort sehr weit hinten eingeordnet, einf Fehler, wie sich später heraus stellte, weil Du irgendwann an niemandem mehr vorbei kommst und Du die Lücken in der Läuferschlange vor Dir zwar siehst, Du kommst aber nicht an den Vorderleuten vorbei, um diese Lücke zu schließen.
Noch bis zur Höhe von 900 Metern über dem Meer hörten wie die Samba-Musik, sahen das hell erleuchtete Hafenstädtchen und fühlten uns beobachtet und getragen von den bewundernden Blicken der Zuschauer.

Die Hauptstraße von Agaete zwei Wochen vor dem Event.
Wenn ich mir also Sorgen gemacht hatte, dann waren die vollkommen unbegründet, zumindest bis zur ersten Verpflegung. Und auch da war alles anders. Im Vorjahr noch stand da ein riesiger Wasserwagen und sonst nichts. Dieses Jahr war die Station voll bestückt. Für uns Vegetarier gab s lecker-süße Orangen, aber es gab auch nahezu alles, was Du Dir als Läufer wünschst. Nach 10 Kilometern aber wollte ich noch nichts essen, ich blieb beim Aussaugen der Orangenstücke.
3 1/2 Stunden gibt Dir die Organisation für diesen Streckenabschnitt, ich war bei rund der Hälfte geblieben und war noch immer sehr weit hinten. Auch an der Cut-Off Front gab es also keine Probleme.

Blau-weiß sind die Farben von Agaete. Dieses Haus war direkt neben dem Start. Aber „in der Nacht sind alle Katzen grau“ – zum Glück habe ich diees schöne Haus auch bei Tageslicht gesehen …
Weiter ging es auf und ab auf einem Hochplateau durch Wald und Wiese und so langsam wachte der Regen auf. Erst ganz sparsam, dann aber immer stärker. Er sollte sich noch zu einem sehr starken Landregen entwickeln mit der Folge, dass die Laufhose klitschnass, die Füße durchweicht und die im Rucksack getragenen Sachen unbrauchbar wurden. Aber die Strecke blieb leicht und gut laufbar, die Ausschilderung war gut und so blieb es auch bis der Morgen graute.
Mal hörte der Regen auf, mal kam er wieder und irgendwann wurde auch die Strecke so, wie ich sie aus dem Vorjahr kannte. Enge Trails, oft überwuchert, sodass Du den Boden nicht sehen konntest, dicke Streine im Weg, steile Anstiege und noch schlimmer: steile Abstiege, die auch deshalb schwer zu laufen waren, weil die Steine durch den Regen sehr glitischig waren. Und das, was sich Trail nannte, war oft nur eine Ansammlung von Matsch. Nasse Füße waren dabei noch das kleinste Problem.
Teilweise gab es Stellen, an denen Du Dich nur mit abgestützten Stöcken bewegen wolltest und mein Plan, unter 12 Minuten pro Kilometer zu bleiben, wurde immer mehr zur Makulatur. Immer nachdem es den Berg rauf ging war die kumulierte Zeit über der 12er Marke und das von Anstieg zu Anstieg deutlicher. Bei den Abstiegen oder den flacheren Passagen (gab’s da welche?) habe ich die kumulierte Zeit dann wieder unter diese Marke gedrückt, bei jeder Sequenz aber etwas weniger deutlich.
Mit der zunehmenden Helligkeit wurde es aber weder trockener noch wärmer, im Gegenteil. Wir liefen in ein Nebelgebiet hinein, in dem es so stark regnete und windete, dass uns richtig kalt wurde. Wie sehr war ich froh, ein wenig dieser Kälte in der Vorwoche beim privaten Training erlebt zu haben, so war ich nicht allzu schockiert. Ohne diese Vorerfahrung aber wäre ich wohl dünner angezogen gewesen und hätte noch mehr gefroren.
Die Brigaden in den Verpflegungsstellen taten mir oft leid, ich sah sie oft frieren und war froh, selbst wieder laufen zu können. Nach etwas mehr als der halben Strecke, ich hatte mittlerweile über 5 Stunden gegenüber dem Cut Off gewonnen, liefen wir auf eine Stelle, die ich beim zweiten langen Training in der Woche vor dem Start zufällig entdeckt hatte. Es war die Stelle, an der ich mich damals verlaufen hatte und wo ich dann den offiziellen Track des TGC 2012 verlassen hatte, um mich irgendwie nach oben zu schlagen. Damals hatten mir zwei Einheimische diesen Weg gezeigt und empfohlen.

Ein Foto kann leider nicht ganz wiedergeben, wie schön dieser Weg war. Vielleicht hätte ein „Fisheye“-Objektiv hier geholfen. Aber wenn Du mal auf Gran Canaria bist, dann gehe nach „Cruz Grande“, um diesen schönen Weg zu wandern …
Es war ein Weg der mitten durch hohe Felsen führte, liebevoll gemacht mit tollen Ausblicken, vor allem, wenn man ihn in der umgekehrten Richtung gelaufen wäre. Ich fand ihn nach dem Training so schön, dass ich ihn meiner Gabi schon einen Tag später bei einer gemütlichen Wanderung zeigen musste. Und genau diesen Weg ging es nun nach oben. Glücklicherweise war es mittlerweile schon trocken, die Sonne ist hat sich noch sehen lassen und alles wurde wieder angenehmer, fast schön.
Oben angekommen geht es weiter auf dem Hochplateau bis zum Scheitelpunkt, der Weg dahin war aber viel weiter als vor einer Woche (!) und dort am Scheitelpunkt ging es nicht wieder runter, wie ich gelaufen war, sondern nach links.
Unvermittelt und überraschend kamen wir dann auf einen Weg, der den Roque Nublo mit dem Pico de las Nieves verbindet. 2012 war es ein Teil des Tracks und ich bin ihn mit meiner Gabi bei einer anderen Wanderung auch gegangen. Darin integriert ist ein Teilstück, das normalerweise ungesichtert, aber sehr steil ist. Im Vorjahr haben die Veranstalter für die Läufer ein Sicherungsseil angebracht und es ging diese Passage hinauf.
Dieses Jahr hatten Gabi und ich und bergauf kämpfend gesagt, dass bergab wesentlich schwieriger wäre. „Und wenn die Felsen hier nass sind, dann will ich da überhaupt nicht runter,“ höre ich Gabi noch immer sagen.
Aber der Track des TGC 2013 ging hinunter und die Felsen waren nass. Welch ein Glück, dachte ich, dass ich diese Passage schon kenne, ich glaube, Espen hätten sonst weniger gezittert wie ich. Ich bin ja so ein Angsthase, wenn ich mich nicht sicher fühle.
Anschließend kommt man auf den Parkplatz vor dem Roque Nublo, dort geht es aber nicht hinauf, was ich sehr bedauert habe, sondern runter und wieder rauf Richtung Garanon, dem höchsten Punkt der Strecke, da, wo es wie schon im Vorjahr lauwarme Nudeln gab mit einer Bolognese-Sauce. Für uns Vegetarier blieben die Nudeln eben lauwarm und trocken.
Vielleicht hat mal einer der Veranstalter eine Eingebung und es gibt dort irgendwann auch eine klassische Tomatensauce?
Dort in Garanon gab es auch die Drop-Bags, es war der Start des Marathons und die Illusion, dass es nun nur noch abwärts gehen würde. Aus dem Vorjahr aber wusste ich aber noch, dass das ein großer Irrtum war. Ich hatte nach dem Essen und Umziehen noch immer fast fünf Stunden Reserve vor dem Cut Off, ließ mich von diesem Punkt aus auch nicht mehr überholen und ich ließ, vor allem auf den letzten acht Kilometern, mindestens drei Dutzend Läufer hinter mir. Dennoch sank mein Vorsprung auf den Cut Off kontinuierlich und ich konnte nur noch 3 1/2 dieser anfänglichen 5 Stunden ins Ziel retten.
Wer also in Garanon am Zeitlimit war, der „hatte dann auch gleich fertig“. Die Berechnung der Cut Off Zeiten könnte also ein wenig optimiert werden.
Über die Strecke von Garanon aus breiten wir hier an dieser Stelle mal den weiten Mantel des Schweigens aus, ich denke jetzt nicht mehr an die unglaublich falsche Beschilderung, die uns die längsten 13 Kilometer aller Zeiten beschert haben, erst, um uns zu ärgern und dann, um festzustellen, dass es nun noch viel kürzer war als eigentlich angegeben … steile Abstiege, Konteranstiege, der berühmt-berüchtigte Lauf durch das trockene Flussbett und das Einlaufen nach Las Palmas über ein unschönes Gewerbegebiet, all das will wirklich niemand wissen.
Welch ein Glück hatte ich, dass ich mit dem Schweden Magnus einen Laufpartner gefunden hatte, mit dem zu sprechen meine Aufmerksamkeit von den übleren Seiten des Laufs weg nahm.
Beim vorletzten Verpflegungspunkt war ich todmüde. Ich lallte nur noch wie ein Betrunkener und ich wollte unbedingt schlafen. Das ging dort aber nicht, es war zu kalt, es gab keine Liegemöglichkeit, keine Decken und das Gebläse des Heizofens war so laut, dass an Schlaf nicht zu denken war.
Gabi gab mir telefonisch noch einen kleinen „Einlauf“, also gingen wir weiter und beschlossen, schneller zu werden. Magnus meinte, dass das die Müdigkeit hemmen würde. Eine Dose Energydrink aus meinem Rucksack in mich hinein, das Tempo gesteigert ging es weiter durch die Nacht.
Und es wurde besser. Es wurde sogar wieder richtig gut.
Die Müdigkeit verschwand mit jedem Läufer, den wir überholten.
Ob das 119 K Läufer des TransGranCanaria waren oder ob wir die letzten Läufer des 83 K Advance Laufes eingeholt hatten, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich mit vielen dieser Laufkollegen Mitleid hatte. Teilweise war ein normales Gehen nicht mehr möglich, die Schmerzen sah man förmlich in den Gesichtern und ich kann mir gut vorstellen, wie frustrierend es dann sein muss, wenn dann zwei Läufer wie Magnus und ich an diesen Läufern noch einigermaßen locker vorbei gelaufen sind.
So sammelten wir Läufer für Läufer ein.
Drei Kilometer vor dem Ziel gab es dann eine Bodenmarkierung. Die kannte ich schon. Von da an geht es fast nur noch bergab und Magnus und ich trabten diese Strecke gemächlich ab. Irgendwann kam dan die große weiß angestrahlte Brücke, unter der es durch geht. Jetzt waren es nur noch 800 Meter. Das Tempo etwas reduzieren, um Kraft für die Gerade auf der Promenade zu haben, noch 400 Meter bis zum Ziel.
Jetzt langsam das Tempo steigern, die Strandpromenade entlang, am Ziel vorbei, in die Biegung rein und parallel zur Strandpromenade auf den Zieleinlauf. Schneller werden. Das geht noch was.
Hand in Hand mit Magnus liefen ich über die Ziellinie, 85 Minuten später wie erhofft, 34 Minuten später als im Vorjahr, aber glücklich. Ich gab den Zeitnahme-Chip ab, holte meine Finisherweste und grinste.
Und am Ende herrschte nur noch pures Glück, trotz allem Hadern, trotz des Wetters, dem Geläuf, der Versorgung, den Verlaufern und allem, worüber man während knapp 25 1/2 Stunden schimpfen kann.
Was bleibt, ist die Erinnerung an eine wunderschöne Inselmitte, an die Blicke auf den Roque Nublo, den Pico de las Nieves, an diese tolle Passage in den Felsen, an temporäre Laufpartner, die mich motivierten und inspirierten, an leckere Orangen und an die Gesichter meiner Gabi und Magnus‚ Freundin, in denen sich unser Glück spiegelte.
Kurz hinter Las Palmas war ich dann im Mietwagen fest eingeschlafen. Der Schlaf war gerecht und die Träume drehten sich um die letzten 119 Kilometer.

Im Ziel, die gelbe TransGranCanaria-Finisherweste in der Hand.