Hermann, Hermann und Hermann

„An einem Sommermorgen, da nimm den Wanderstab. Es fallen deine Sorgen wie Nebel von dir ab.“Theodor Fontane

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PlanungWenn wir längere Läufe planen, dann nehmen wir uns dafür viel Zeit, ganz viel Zeit. Da wird langfristig geplant, oft Monate, manchmal Jahre im Voraus. Geplant wird die Anreise mit dem Flugzeug, mit dem Auto, mit dem Fahrrad, da werden die entstehenden Kosten kalkuliert, Übernachtungsmöglichkeiten werden ergoogelt und gebucht, man sieht sich im Detail die Strecke an, bemüht unter Umständen sogar Google Earth, um sich die Strecke, die gelaufen werden soll, wirklich bildlich vorstellen zu können man fragt im Freundeskreis herum, ob auch einige der Lauffreunde bei diesem oder jenem Lauf dabei sind.
Man sucht das Internet kreuz und quer nach Berichten und Fotos ab, hofft, Hinweise zu finden, die einem den einen oder anderen Fehler ersparen helfen. Man macht sich erste und letzte Gedanken über das Material, das man für solch einen langen Lauf braucht, ob in der Wüste, im Eis, auf dem Berg oder im Moor.
Dabei gilt: je länger eine Strecke ist, desto langfristiger und detaillierter ist die Vorplanung.

Ich aber liebe auch diese Art Läufe:
Zum Beispiel, wenn „der Hexer“ Michael Frenz über Facebook anfragt, ob denn jemand spontan Lust hätte, von Detmold nach Paderborn zu laufen. Einfach so, mitten in der Woche. Viel Regen war bestellt, die Temperatur war herunter geregelt, die Bahnstrecke für den Rückweg von Paderborn nach Detmold war nicht intakt, beste Voraussetzungen also für uns.
Der Lauf aber war, abgesehen davon, dass er eben sehr nass war, vor allem am Ende, sehr nett. Ich hatte leider eine falsche Entscheidung bezüglich der Schuhe getroffen und habe auf die HOKAs verzichtet, ein Fehler, der mir schon ab Kilometer 20 klar gemacht hat, dass ich mich in diese klobigen Dinger wohl verliebt haben muss. Aber Michael war nachsichtig mit mir und hat geduldet, dass ich noch ein wenig langsamer war wie geplant.

HOder ein anderes Beispiel: wenn Andreas Haferkamp, alias „Hermann, der Einladende“, mich, in diesem Fall alias „Hermann, der Eingeladene“, zum Hermann einlädt.
So sollen die rund 156 Kilometer auf dem legendären Herrmannsweg am 24.-25. Oktober nonstop bewältigt werden, idealerweise in 36 Stunden, gerne aber auch zeitlich etwas ausgedehnter.
Für all diejenigen, die genausowenig wie ich wussten, dass der jährliche Hermannsweg-Lauf nur einen sehr kleinen Teil des Herrmannsweges darstellt, eben nur knapp 32 dieser rund 156 Kilometer, sei gesagt, dass der Hermannsweg einer der bekanntesten Wanderwege Deutschlands ist und als Kammweg des Teutoburger Waldes von Rheine bis hinauf auf den Lippischen Velmerstot verläuft.

Entlang dieses 156 km langen Weges findet man viele Sehenswürdigkeiten, wie das „Hockende Weib“ der Dörenther Klippen, Deutschlands größtes Freilicht-Musiktheater in Tecklenburg, das Schloss Iburg mit seinem barocken Rittersaal, die Sparrenburg in Bielefeld und natürlich das Hermannsdenkmal in Detmold. Aha, denke ich, da war ich doch mit Michael Frenz gerade erst?

Historisch soll dieser Weg an die Varusschlacht erinnern, in welcher Hermann der Cherusker als Anführer der Germanen vor 2000 Jahren eine entscheidende Schlacht gegen die Römer gewann. Hermann der Cherusker, der in Rom als Mündel angenommen, von den Römern als Soldat ausgebildet und in Kroatien die Kampfkunst der Römer real studieren konnte, wurde von Martin Luther so genannt, die Römer aber nannten ihn Arminius. Gut, dass Luther ihn da anders genannt hat, ich würde ja nicht so gerne als „Arminius, der Eingeladene“ mit „Arminius, dem Einladenden“ auf dem Arminiusweg unter anderem zum Arminiusdenkmal gehen.
Gut auch, dass wir nicht Hermanns Lebensweg von Germanien über Rom nach Kroatien und zurück nach Germanien laufen müssen, da würden zwei Tage innerhalb einer Woche wohl nicht reichen. Außerdem wäre es sehr schwer, vorab alle etwa 30 Kilometer ein Depot an Getränken und Nahrung anzulegen.
VarusschlachtWelche Läufe tummeln sich dort alle auf dem Hermannsweg!
Der bekannteste ist wohl der kurze Hermannsweg-Lauf, den ich schon wegen der fehlenden Länge seit Jahren nicht mehr gelaufen bin. Im nächsten Jahr wird es dort den „Double H – Hermannsweg extrem“ über 63 Kilometer geben, auch eingeladen und organisiert von Andreas Haferkamp, aber unzählige Laufkollegen sind den ganzen Hermannsweg schon komplett gelaufen, teilweise nonstop, oft aber auch als Etappenlauf.

Rekorde brechen wollen Andreas Haferkamp, alias „Hermann, der Einladende“, und ich, alias „Hermann, der Eingeladene“, beide nicht. Ich würde es bei meinem schlechten Trainingszustand auch gar nicht erst versuchen wollen. Nach dem UTMB Ende August habe ich mir ja einen Monat der Regeneration verschrieben und ich wollte dann, so war der Plan, im Oktober bis Mitte November die Trainingsumfänge wieder so weit steigern, dass ich die 141 Kilometer des KoBoLT von Michael Eßer und Andreas Spiekermann am 23.-24. November einigermaßen bewältigen kann.
Diese spontanen 156 Kilometer auf dem Hermannsweg kommen also eher zur Unzeit, einen Monat zu früh – und damit genau richtig.

Wie ich oben schon geschrieben habe, ich liebe ja diese Art Läufe, die Läufe, die in etwa so vereinbart werden wie manche einen Kneipenbesuch unter Freunden vereinbaren.
„Hast Du in zwei Wochen schon etwas vor? Wollen wir dann in die Kneipe um die Ecke gehen, etwas trinken und dabei Fußball auf Sky ansehen?“
Bei uns entfallen halt die Kneipe, das Bier und natürlich auch der Fußball. Dafür kommen bei uns halt viel mehr Kilometer zusammen als beim Kneipenbesuch.

Sport ansehen ist zwar schön, den Trainingszustand verbessern tut Sport aber nur, wenn Du ihn auch machst.
Es ist da wie so oft im Leben bei den Dingen, die wirklich schön sind, wie beim Essen beispielsweise: Zusehen alleine macht nicht satt, reicht nicht aus.

Und so laufen wir auf dem Hermannsweg und denken an Hermann, den Cherusker, an den, der „Germanien“ ein Stück weit befreit hat.
Auch, um uns von den Alltagssorgen zu befreien.
Und auch, weil ich solche spontanen Läufe so sehr liebe.
Herrmannshöhen

Die Zeit rast …

Noch drei Wochen bis zum THE NORTH FACE UTMB 2012, die Zeit rast.
Da ich ja mehr beobachten und berichten will als laufen, habe ich mir mal ein paar Gedanken über den UTMB gemacht, über die „Mörderhitze“ (inklusive eines lustigen Videos einer Sascha-Persiflage von SWR3 von vor einigen Monaten, über die Ausrüstung und auch darüber, warum ein Folienschweißgerät in keinem Läuferschrank fehlen sollte:

https://marathonundlaenger.wordpress.com/the-north-face-utmb/

Viel Spaß beim Lesen …

Der „Kleine KOBOLT“ – ganz groß!

Wenn man einen Lauf wie den „Kleinen KOBOLT“ mit dem Abstand von einigen Tagen ansieht, dann wird der „Kleine KOBOLT“ tatsächlich fast klein. Wenn man mit diesem Abstand auf so einen Lauf zurück blickt, dann denkt man leicht, dass er eigentlich gar nicht so schwer war.
Jetzt, wo die Wunden an den Fersen verheilt sind, die Muskeln sich wieder gut anfühlen und ich auch im Magen wieder das Gefühl einer leichten Übersättigung habe, kommt mir der „Kleine KOBOLT“ wie ein netter, kleiner Freund daher …


Allerdings weiß ich auch noch gut, welch gehörigen Respekt ich vor diesem Lauf hatte. Schon die nackten Zahlen sprechen für sich:
140,5 Kilometer lang – mein bislang fünftlängster Lauf überhaupt …
4.446 Höhenmeter – nur der „PTL“, der „UTMB“, der „Trail Verbier St. Bernard“ und der „Canyon du Verdon“ hatten bisher mehr Höhenmeter …
3 UTMB Punkte – so viel wie eine Woche „TransAlpineRun“, so viel wie eine Woche „Marathon des Sables“ …

(Klicken zum Vergrößern!)

„Wenn die Jungs und Mädels in Chamonix sich also nicht irren, dann wird der „Kleine KOBOLT“ doch ein ganz großer Lauf für mich,“ dachte ich und ich erinnerte mich daran, dass ich zwei Drittel der Strecke schon gelaufen war. Ganz gemütlich bei meist bestem Wetter in der Woche vor Ostern als Gruppenlauf mit Rolf Mahlburg beim „Rheinsteig Erlebnislauf“.
Rolf startet immer in Bonn und geht etappenweise den Rheinsteig entlang bis nach Wiesbaden. Die ersten drei Tagesetappen dabei sind die Strecke des „Kleinen KOBOLT“. Die ersten beiden Tagesetappen bin ich schon mit Rolf Mahlburg gelaufen.
Und ich erinnerte mich gut daran, dass ich früher schon nach einer einzigen dieser Tagesetappen am Folgetag kaum mehr laufen konnte. Nach dem Ende der ersten Etappe damals in Unkel ging es am nächsten Tag weiter über der Erpeler Ley Richtung Koblenz und so war die Erpeler Ley weit, weit weg von Bonn, dachte ich damals.
Beim „Kleinen KOBOLT“ allerdings sagte ich mir, dass wir fast am Ziel wären, wenn Achim und ich erst einmal die Erpeler Ley erreicht haben würden.

Ach, Achim, mein Laufpartner beim „Kleinen KOBOLT“ … es war so schön, endlich mal wieder einen ganzen Lauf mit ihm, neben ihm zu bestreiten, auch wenn 28 Stunden lang quatschen dann auch nicht möglich war. Am Ende gab es Phasen, wo wir stumm hintereinander hergelaufen waren, teilweise stumm aus Erschöpfung, teilweise auch aus Frust, weil wir uns mal wieder verlaufen hatten.

Sich zu verlaufen ist vielleicht eines der entscheidenden Punkte bei diesem Lauf. Jeder hatte es am Ende hinter sich, Achim und ich genossen die Extra-Runden ausgiebig. Gleich nach zwei der üppig bestückten Verpflegungspunkten drehten wir eine lange Schleife, die uns wieder zum Verpflegungspunkt zurück brachte. Am Ende waren statt der 140,5 Kilometer immerhin 153,5 Kilometer auf der GARMIN Uhr. Sich zu verlaufen haben Achim und ich also zur Stilform erhoben.

Neben den beiden Schleifen nach den Verpflegungspunkten 2 und 3 war auch die Gegend um das hübsche Ausflugslokal „Milchhäuschen“ ein ideales Gelände, um dieser Stilform zu frönen und wir taten es hier gleich mehrmals.
Ich liebe das „Milchhäuschen“ und hatte Achim schon kilometerweit vor diesem Restaurant von seiner Schönheit erzählt, die Gegend um das „Milchhäuschen“ herum liebe ich jedoch jetzt nicht mehr so sehr …

Ein Lauf wie der „Kleine KOBOLT“ ist also schon auf Grund der nackten Zahlen und der teilweise suboptimalen Beschilderung ein hartes Ding, am ersten Dezember-Wochenende kamen dann noch die Wetterbedingungen hinzu. Zwar war es beileibe nicht so kalt wie in den Nächten zuvor, es hat auch erst ganz am Ende geschneit, dennoch war es während der ganzen Zeit kalt und feucht, der Boden war von zusammengetretenen Schnee bedeckt und damit sehr, sehr glatt. Zum Glück hatte ich meine Alpin Sticks dabei, sie verhinderten einigem Male einen Sturz, vor allem deshalb, weil ich schuhtechnisch nicht optimal ausgestattet war.


Auf der Rückfahrt nach dem Ziel nickte ich ein Mal kurz ein. Gabi fuhr und das monotone Fahrgeräusch läd Läufer, die eben mal eine Nacht durchgelaufen sind, geradezu zum Einschlafen ein. Und ich träumte von einem Polizisten mit stark bayrischem Akzent, der mich anhielt, auf die neue Winterreifenpflicht hinwies und mein Profil sehen wollte.
Also hielt ich meine Schuhsohlen nach oben und der Polizist bemerkte natürlich sofort, dass der Schuh ein Sommermodell war, zudem war das Sohlen-Profil an vielen Stellen komplett abgelaufen.
Ich liebe diese Nike Laufschuhe, obwohl sie an zwei Stellen schon zerschlissen und definitiv viel mehr als die empfohlenen 1.000 Kilometer gelaufen haben, was die Dämpfungseigenschaften einschränkt. Für den „Kleinen KOBOLT“ aber war diese Schuhwahl nicht akzeptabel.
Und der Polizist schimpfte über das Profil und bestrafte mich mit zehn Liegestützen und einer 5-km-Strafrunde.
Ich war schon vollkommen fertig und flehte ihn an: „Tun Sie das nicht, bitte. Tun Sie das nicht, bitte, bitte, ich habe schon über 13 Strafkilometer hinter mir …“
Aber der Polizist wollte nicht auf mich hören, also wurde ich wütend und dann schrie ich ihn an: „TUN SIE DAS NICHT!“ Dann wachte ich wieder auf, wir waren zu Hause.

Aber so labil, wie ich im Traum bei dem Polizisten war, so war ich auch auf den letzten acht Kilometern vor dem Ziel. Irgendwann zwischen dem letzten Verpflegungspunkt und dem Ziel wollte mein Geist nicht mehr und alles tat weh.
Ich hatte mir im Schritt einen „Wolf“ gelaufen und hatte die beiden Hosen, die ich übereinander trug, schon so weit nach unten gezogen, dass die obere Hälfte meines Hinterns nur durch die Laufjacke bedeckt wurde, ich hatte eine dicke Blase hinten an der linken Ferse, eine kleine Blase unter dem rechten Fuß und mein linkes Knie machte sich ganz leicht schmerzend bemerkbar. Ich wollte nur noch im Ziel sein, endlich am Ziel sein …

Wenn Du so lange mit dem gleichen Partner läufst, dann gibt es Momente, in denen Du den Partner ziehen und motivieren musst und es gibt Momente, in denen Du Zuspruch brauchst und Unterstützung. Am Ende habe ich nur noch von Achims Kraft gelebt, er hat mich gezogen und meine Laune einigermaßen hoch gehalten, aber ich habe den Bonnern, die wir nach dem Weg zum Ziel gefragt hatten, wohl ein jämmerliches Bild geboten. Aber irgendwann dann waren wir tatsächlich im Ziel, irgendwann und mit 27:54 Stunden doch noch wenigstens unter der 28 Stunden Marke.

Unsere Hochrechnungen sahen uns schon mal mit 25:30 Stunden im Ziel, mal aber auch erst nach dem Cut-Off von 29:00 Stunden. Ganz schlimm war es ein paar Kilometer vor dem letzten Verpflegungspunkt. Nach dem vielen Verlaufen wussten wir, dass wir viel Zeit, Kraft und Motivation verloren hatten und wir begannen, neu zu rechnen.
Die Strecke nach dem VP, die Strecke von Bad Honnef bis zu diesem VP und die Strecke bis nach Bad Honnef … und in diesem Moment kam eine Spitzkehre mit einer Wegbeschilderung nach Bad Honnef, auf der stand: BAD HONNEF 11,5 km.

Wir hatten keine Chance mehr, vor dem Cut-Off anzukommen, dachten wir. Achim wurde aus Trotz und Ärger schneller, ich wurde aus den gleichen Gründen langsamer. Achim wurde richtig ärgerlich, ich verzweifelte und wanderte ins „innere Jammertal“.
Es folgte eine merkwürdige Viertelstunde, in der wir liefen und schwiegen, träumten und dachten, bis wir von einem dicken Stein erlöst wurden, auf dem stand: BAD HONNEF 1,5 km.

Alles war wieder gut für Achim, für mich aber noch nicht. Nach einem Kilometer kam ein Abzweigschild nach Bad Honnef Innenstadt, das ich aber übersehen habe und wir liefen und liefen und kamen scheinbar einfach nicht nach Bad Honnef. Ich stellte mir vor, dass auf dem Stein 7,5 km gestanden haben musste und ärgerte mich. Erst als Achim von der Abzweigung erzählte, die ich übersehen hatte, ging es mir wieder besser.

Knapp 28 Stunden lang stramm bergauf oder vorsichtig bergab, weil es so glatt war, ständig mit dem gleichen Laufpartner zusammen, den Du schon so lange kennst, immer unleidlich vor den Verpflegungspunkten, aber motiviert und vorne weg danach, da denkst Du oft an Deinen Laufpartner und daran, woher Du ihn kennst.

Achim kenne ich schon viele Jahre. Wir hatten uns auf dem Eisweinlauf vor einigen Jahren kennen gelernt und kamen damals über das Thema Fußball ins Gespräch. Achim ist in erster Linie ein Fan von Mainz 05, damals noch von „Kloppo“ trainiert. In zweiter Linie ist er ein Fan von Eintracht Frankfurt, schön, dass während des „Kleinen KOBOLT“ gerade diese beiden Vereine gegeneinander gespielt hatten. Achim hatte sich mit einem mobilen Radio und Ohrclips bewaffnet, um noch das Siegtor der Frankfurter mitzubekommen, bevor der Akku seinen Geist aufgegeben hatte.

Danach haben Achim und ich uns bei ein paar kleineren Läufen gesehen. Ich erinnere mich an den 50K Ultra in Rodgau, aber da sahen wir uns nur kurz nach dem Zieleinlauf auf dem Weg zum Auto. Achim hatte damals eine 4:35 Stunden gelaufen, ich hatte 4:45 Stunden gebraucht. Achim ist meist etwas schneller als ich, nur beim K-UT konnte ich ihn kurz vor dem Ziel noch einholen.

Das erste lange Ding, das wir dann zusammen gemacht hatten, waren die 350 Kilometer des Swiss Jura Marathon von Genf nach Basel. Antje, seine Frau, war als Helferin mit im Orga-Team, Achim und ich liefen. Achim lief wie immer ein wenig schneller als ich, zur Strafe durfte er in den Turnhallen immer schon unsere Schlafecke einrichten.
Nur an einem Tag war ich schneller als er, am 5. Tag, dem Donnerstag, einen Tag nach Achims Sturz und einen Tag bevor meine Muskelverhärtung begann.
Achim war also gestürzt beim SJM und er ging dann nach dem Lauf zum Doc, um die Rippen untersuchen zu lassen.
Eine angebrochene Rippe hatte er, wenn ich mich richtig entsinne, und der Doc fragte ihn etwas vorwurfsvoll, warum er denn nicht gleich nach dem Unfall zu ihm gekommen wäre.
„Weil ich noch 200 Kilometer laufen musste,“ war Achims Antwort. Der Doc war schockiert, ich war amüsiert. So eine Antwort kann nur von einem „Ultra“ kommen, oder?

Mit Yogi Schranz und Susanne Alexi sind Achim und ich dann das „Schräge O.“ gelaufen, mit meinem Laufpartner vom TransAlpineRun 2008, mit Heiko Bahnmüller, sind Achim und ich dann gemeinsam in der Wüste gewesen. Beim „Marathon des Sables“ war die Ankunftsreihenfolge in unserem Zelt auch jeden Tag gleich. Zuerst kam Heiko eingelaufen, dann folgte Achim, dann erreichte ich das Ziel, danach Tilmann, dann Christian. Jeden Tag gleich.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl haben aber vor allem diese beiden Etappenläufe enorm gestärkt, über all das dachte ich also nach beim „Kleinen KOBOLT“.

24 Läufer waren für die langen 140,5 Kilometer angemeldet, nur 17 davon traten an. Einer, mein Freund JoSi, Joachim Siller, scheiterte an der Zugverbindung, die im Schnee stecken blieb, einer, der großartige Jens Vieler, musste wegen einer Erkältung passen, wieder andere kamen aus anderen Gründen nicht und nur 10 ser 17 Starter kamen tatsächlich am Ziel an.
Und wenn Achim und ich uns gemeinsam den 8. Platz teilen und wir uns somit ganz weit hinten auf der Ergebnisliste wiederfinden, dann tut mir das gar nicht weh. Wir sind durchgekommen, haben gefinished, durch den Schnee, durch die Kälte, durch die Nacht …

Wir hatten trotz der Verlaufer offensichtlich mehr Glück als die, die auf der Strecke aufgeben mussten. Und wir hatten das Glück, diesen Lauf erleben zu dürfen, der von den drei Jungs aus dem „Chamonix-Appartement“ in kürzester Zeit ins Leben gerufen wurde.
Michael Eßer, der mitgelaufen war und 10. wurde, Stefan Scherzer, der den „Kleinen KOBOLT light“ lief und dort den zweiten Platz errang und Andreas Spieckermann, der Race Director, der in einer unglaublichen Ruhe die vielen Helfer dirigierte, motivierte und lenkte, haben hier einen kleinen Traum realisiert, auf den sie stolz sein können.

Ein richtig harter Winterlauf, der Dir alles abverlangt, gleichzeitig aber liebevoll organisiert ist und landschaftliche Highlights bietet, wie Du sie nur selten siehst. Wenn dieser Lauf im nächsten Jahr neu aufgelegt wird, dann solltest Du dabei sein und auch den Blick auf die in der Nacht hell erleuchteten Burgen werfen, stets abwechselnd das Rheintal und die Höhen der rechtsrheinischen Berge kennen lernen.
Du solltest die kalte und lange Winternacht erleben und genießen. Die kurze, warme Nacht von Biel ist zauberhaft, das Gegenstück, eine Nacht, die schon früh beginnt und nicht enden will, die kalt ist und lang, ist auch ein echtes Erlebnis.
Wir gehen in die Wüsten, in die Alpen und in die Dünen, um wegzukommen vom üblichen Trott eines Straßenmarathons – hier beim „Kleinen KOBOLT“ hast Du die Herausforderungen gebündelt und direkt vor der Haustüre.

Schade nur, dass der Rheinsteig auf der „schäl Sick“ liegt, aber daran können Michael, Stefan und Andreas ja noch arbeiten …

Das Schweigen der Lämmer …

„Du machst dich rar auf deinem Blog. Nun lese ich da regelmäßig und kaum mach ich das, schreibst du nix!“

Letzte Woche riss mich Michael Neumann aus einer tiefen Agonie, als er feststellte, dass ich nicht mehr schreiben würde. Das stimmte leider, aber es drängte über Wochen nichts mehr von innen nach außen, nichts, das meine Finger auf der Tastatur hätte bewegen können. Ich überlegte ein paar Tage, wann das alles begonnen hat und warum das so gewesen war.
Es war der Schock des Aussteigens beim PTL, das mehr Gründe hatte als nur das Wetter und die teilweise unvollkommene Materialliste. Es gab da die Spannungen innerhalb des Teams, das sich schnell vom Dreier- zum Zweierteam reduziert hatte. Und es gab mein „Kopfkino“, das seit bald 49 Jahren in bestimmten Situationen ständig den gleichen Film zeigt. Kein NLP, kein Seminar, keine Literatur, nichts konnte bisher diesen Film absetzen.
Und der Film handelt von Respekt und Zurückweisung, von Achtung und Beachtung und er bringt mich immer wieder in ein tiefes Gefühlstal, wenn er auf dem Spielplan steht.

Klicken zum Ansehen und bitte: SOUND ON, es ist eine wunderbare Musik!

Dabei ist so viel Schönes passiert dort und auch danach. Beim PTL hatten wir zwei wunderschöne Sonnentage in einer Landschaft, die teilweise so skurril ist, dass ich mir wünschte, dort leben zu dürfen, in großer Höhe in einer der hübschen Almen kurz unterhalb der jeweiligen Berggipfel. Und wir hatten aufregende Nächte dort.
„Ballermann 6“ Kandidaten werden den Begriff „aufregende Nacht“ anders definieren wie Bergläufer, für mich war vor allem die Nacht ein echter Genuss, als wir kurz unter einem Gipfel die drei PTL-Freunde Michael Eßer, Eric Türlings und Andreas Spieckermann trafen und einige Zeit mit den Dreien dann auch den Berg herunter gelaufen sind.
Und später dann, beim späten Frühstück auf einer Jause, mittlerweile in gleißender Sonne und großer Hitze, kamen die Drei genau in dem Moment an, wo wir unsere Pause beenden wollten. Es ist so schön, vertraute Gesichter zu treffen, ein paar Worte wechseln zu können und zu wissen, dass wir alle beim PTL die gleichen Sorgen und Nöte hatten.
Aber ganz am Ende war da nur noch Wut und Trotz und das Gefühl, für Carsten wenig wichtig zu sein und so wurde ich bockig und geißelte mich selbst, in der Hoffnung, so doch wieder die Beachtung zu bekommen, die ich zuvor stets hatte. Und nichts hat in den letzten fast 49 Jahren dazu beigetragen, dass TomWingo endlich lernt, dass diese Reaktion besser durch eine andere Reaktion ersetzt werden sollte.
Der Film in meinem „Kopfkino“ heißt schon immer: „Das Schweigen der Lämmer, Teil XX …“

Mancher hat mich gefragt, warum mein Nickname Tom Wingo ist.
Tom Wingo, wer ist das eigentlich?

Vielleicht hast Du Dich das auch schon gefragt, möglicherweise aber kennst Du sogar den Film „Herr der Gezeiten“ (Originaltitel: „The Prince of Tides“). Die männliche Hauptfigur darin ist Tom Wingo, ein kantiger Football-Trainer und Lehrer, der in weiten Bereichen aufgewachsen ist wie ich mir meinen „angeheirateten“ Geschwistern. Auch bei mir gibt es eine Schwester Savannah, die sich hinter einer falschen Identität versteckt und mit einer schwierigen Psyche ausgestattet ist, einen Bruder, der, die Familieninsel rettend, für mich für Jahre tot war. Es gab den despotischen Vater, das verdrängte Familienerlebnis und das Abtauchen von uns Dreien mit dem Kreis aus Blut und Fleisch, das uns für eine gewisse Zeit vergessen ließ, wo wir waren und was wir waren.

Im zweiten Teil des Film sagt Tom Wingo, überzeugend gespielt vom großartigen Nick Nolte: „Ich kann ein verschlossener Scheißkerl sein!“ Ich auch, meine Frau Gabi kennt das zur Genüge. Ich kann so schweigen, dass es den Menschen um mich körperlich weh tut.
Wie Tom Wingo im Film löse ich meine Probleme auch häufig durch Schweigen auf und jeder, der mich näher kennt, weiß, dass ich mich, wenn ich sehr mitteilsam bin, besonders wohl fühle.
Vielleicht neigen wir Männer generell nicht dazu, einen „besten Freund“ oder eine „beste Freundin“ zu haben, wo wir unsere Problem abladen und diskutieren können. Mit unserem „besten Freund“ gehen wir zum Sport oder in die Kneipe, reden aber tun wir nicht miteinander, zumindest nicht über uns und unsere Probleme.

Am Ende steht Tom Wingo zwischen der Psychaterin Dr. Susan Lowenstein, gespielt von Barbra Streisand, die ich so sehr bewundere wie nur wenige im Show-Business, und seiner Ehefrau Sallie, mit der er drei Kinder hat. Er entscheidet sich – natürlich – für seine Ehefrau und Susan Lowenstein sagt zu ihm: „An Dir schätze ich am meisten, dass Du der Typ Mann bist, der immer zu seiner Familie zurück kehren würde.“
Später dann ergänzt sie: „Gib‘ zu: Du liebst sie mehr als mich!“

Tom Wingo antwortet darauf mit dem Satz, der mich tief bewegt hat: „Nein, nur länger.“
Und dann fährt er von New York zurück in seine Südstaaten-Heimat nach South Carolina und der Film schließt mit Tom Wingos einfühlsam gehauchten Worten:

„Aber es ist das Mysterium des Lebens, das mir jetzt Kraft gibt. Und ich sehe nach Norden. Und wieder wünschte ich, jeder Mann hätte zwei Leben zu seiner Verfügung, und jede Frau.
Am Ende eines jeden Tages fahre ich durch die Stadt Charleston – und wenn ich die Brücke überquere, die mich nach Hause bringen wird, fühle ich, wie sich die Worte in mir bilden. Ich kann sie nicht aufhalten, noch kann ich erklären, warum ich sie spreche.
Aber wenn ich die Mitte der Brücke erreiche, kommen diese Worte als ein Flüstern zu mir. Ich spreche sie als Gebet. Als Bedauern. Als Lobpreisung. Ich sage Lowenstein, Lowenstein.“