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Wenn ein Engel herunter geschwebt kommt vom großen Berg, in diesem Falle vom Weiler Bovine, und wenn Dir dieser Engel dann ein Geschenk anbietet, dann musst Du dem Himmel oder dem Wahnsinn nahe sein …
„Nein, ich gehe auf keine Finisher-Zeit,“ sagte ich Tom Dörner. Schlimm genug, dass er gewonnen hat!
„Ich setze 50 EUR auf Deinen Start,“ hat er gesagt. Aber niemand hat dagegen gehalten, auch ich nicht. Die Oberschenkel fühlten sich noch bis Donnerstagmorgen an wie feste Schienen, erst die Wanderung mit Uwe Herrmann zum „Refugio Belle Lachat“ lockerten sie auf. Aber die Knie und die Kniescheiben wackelten wie Pudding herum. Und richtige Lust zu starten hatte ich eigentlich auch nicht.
Eher war es die Überlegung, nichts mit mir anfangen zu können, wenn alle beim CCC oder UTMB laufen und ich ziemlich alleine im „Deutschen Haus“ herum lungere. Und wieder nur surfen? Facebook, bis die Fingerkuppen qualmen? Nein, dachte ich, dann doch lieber laufen gehen!
Die Organisatoren hatten mir mit ihrer Mail am Donnerstagnachmittag die letzten Sorgen genommen, nicht starten zu dürfen. „Wer sich noch nicht eingeschrieben hat, der möge es morgen früh ab 9.00 Uhr bitte tun!“ Also tat ich es.
Es war leichter als befürchtet. Niemand fragte mich wegen des Starts beim PTL, wie auch, bei 2.300 Startern? Aber wenn man die Einschreibeprozedur des PTL hinter sich gebracht hat, dann stellt man fest, das die gleiche Prozedur beim UTMB ein Vielfaches an Zeit benötigt. Alles wird detailliert kontrolliert. Und Du läufst von Pontius nach Pilatus, um erst einen Schein zu erhalten mit Deinen Daten, dann die Materialkontrolle über Dich ergehen zu lassen, das Bändchen für das Handgelenk zu erhalten, das Plastikfähnchen an den Rucksack zu bekommen, die Startnummer und das Starterpack zu erhalten, das Starter-T-Shirt ausgehändigt zu bekommen und noch das nette Sackerl des UTMB für Deine Abfälle abzugreifen, das dann an Deinen Rucksack montiert werden soll.
Mir hätte die Startnummer und das strahlend blaue Starter-T-Shirt schon genügt. Aber das Shirt war schon sehr, sehr wichtig.
Nach den guten Jahren 2009 und 2010 gab es ja manche Geschmacksverirrung im Starter-T-Shirt Design, 2013 aber ist das Shirt wieder ein Traum. Gut, dass ich zwei Mal gestartet bin. Zwei Starts – zwei Shirts, so gehört sich das!
Der 4er Club der UTMB-Starter des „Deutschen Hauses“ setzte sich schon um 14.30 Uhr Richtung Startlinie in Bewegung. Na ja, eigentlich war es gar kein 4er Club, eher ein 2x2er Club. Zwei Rennhasen, Axel, der am Ende eine unglaubliche Zeit abliefern sollte und Gerald auf der einen Seite und zwei Rennschnecken, Marius, der sich selbst wegen seiner Knieprobleme nur eine 50%-Chance gegeben hatte, das Ding zu finishen und ich auf der anderen Seite.
Und wir warteten geduldig vor dem Start auf dem Boden sitzend. Selbst hier wurden manche noch stichprobenartig auf die Vollständigkeit der Pflichtausrüstung kontrolliert. Na ja, alles, was ablenkt, ist gut und hilft, dass die Zeit schneller vorbei geht.
Aber das zog sich hin und erst vielleicht 15 Minuten vor dem Start, alles stand natürlich schon wieder, begann das Kribbeln im Bauch, die Nervosität und der Wille, dieses Ding auch ein zweites Mal zu finishen.
Ich hasse eigentlich die zweiten Läufe.
Bei der TorTOUR de Ruhr hatte ich 2010 die 230 K finishen können, trotz großer Hitze und immenser Schmerzen. 2012 hat wieder etwas weh getan und dann war nach 100 Kilometern Schluss für mich. Nein, Jens Vieler, das passiert mir nicht noch einmal! 2014 musst Du mich wieder im Ziel bei der berühmten Stele empfangen.
Beim KoBoLT konnte ich in der ersten Edition bei klirrender Kälte finishen, ein Jahr später hatte ich schon nach 35 Kilometern mehr Lust, mit Günther Brun Bahn zu fahren und zu quatschen.
Wahrscheinlich ist es das: beim ersten Mal bist Du bis in die Haarspitzen motiviert und Du willst Dir beweisen, dass Du es kannst. Beim zweiten Mal weißt Du, dass Du es kannst. Die Frage ist nur, ob Du es wirklich noch einmal willst.
Aber den UTMB wollte ich wirklich noch einmal. Spätestens als „die Musik“ spielte, als sich die 2.300 Läufer in Bewegung setzten und Du gefeiert wurdest wie ein Star. Der Start beim PTL war schon „Emotion pur“, der Start beim UTMB 2013 war einfach unbeschreiblich. Ich würde mich immer wieder dort anmelden, nur, um diesen Start erleben zu dürfen. So viel Gefühl, so viel Begeisterung!
Mit einem Mal sind alle Gedanken an das, was zu Hause an Problemen auf Dich wartet, weg geblasen und Du bist beseelt von dem Wunsch, die Vorschusslorbeeren, die diese Menschen Dir auf den ersten zwei Kilometern gegeben haben, auch wirklich zu verdienen.
Ich hätte den Menschen in Chamonix nicht mehr in die Augen sehen können, wenn ich dieses Rennen ohne triftigen Grund nicht gefinished hätte. Zudem kam dazu, dass schon die ersten Finisher des TDS im Ziel waren. Und die hatten die Weste!
Die Weste des UTMB ist ja eines der am besten gehüteten Geheimnisse dieser Welt. Selbst die Nachfrage bei der NSA hilft da kaum weiter. Aber spätestens, wenn der erste Finisher des TDS im Ziel ist, ist das Geheimnis gelüftet. Und dieses Jahr war das Geheimnis rot! Strahlend rot!
Die Weste passt so schön zum strahlend blauen Starter-T-Shirt! Es ist einfach wunderbar.
Ich begann locker trabend, aber etwas zügiger als 2009. Aber ich hatte immer eine kleine Bremse im Kopf. So viele machen sich schon auf dem Weg nach Les Houches kaputt. Aber was kannst Du auf den ersten 7,6 Kilometern denn gewinnen? Vielleicht 10 Minuten. Aber was kannst Du hinten heraus verlieren?
Das gilt auch für den ersten Abstieg. Abstieg ist da eigentlich nicht der richtige Ausdruck, Abfahrt trifft es besser. Es ist eine ordentlich steile Skipiste, die ich im Winter wohl kaum ohne Päuschen durchfahren würde. Aber bergab laufen scheint ja so einfach zu sein. Und viele, so viele, sind ohne Rücksicht auf Knie, Oberschenkel oder sonstige Verluste da runter gespurtet, als gäbe es kein morgen mehr, keine weiteren vielleicht 150 Kilometer!
Ansonsten gibt es wenig zu schreiben über diesen Lauf bei mir. Das rauf und runter schien weniger als 2009 zu sein, vielleicht weil 9.600 Höhenmeter heute nicht mehr so gewaltig klingen wie damals, vielleicht auch, weil nach den Erlebnissen des PTL die „Bergautobahn“ des UTMB mehr dem Auslaufen als dem Anstrengen zu dienen schien.
Und alles war gut – bis kurz vor Courmayeur.
Ich war ja auch bestens vorbereitet. Als ordentlicher Trail-Maniak hatte ich auf neue Stöcke gesetzt, auf die leichtesten, die es zurzeit gibt, auf die FIZAN-Stöcke. Sie kamen gerade noch rechtzeitig vor meiner Abreise nach Chamonix, schade, dass ich sie heute nicht mehr habe. Aber dazu später.
Und ich habe mich ja dem Fanclub der CLIF BARS angeschlossen, das schrieb ich ja hier an dieser Stelle nach dem Pitztal Gletscher Marathon schon. Und weil ich ja ursprünglich vorhatte, vor dem UTMB erst ein paar Bergtrainingstage einzulegen, habe ich von den fünf leckeren Sorten jeweils vier CLIF BAR Riegel mit nach Chamonix gebracht.
Und zuletzt hatte ich vor allem für die zweite UTMB-Nacht bei unser aller „Dealer“, dem großartigen Rolli von WAT LÄUFT, einige Ampullen des Wachhalters Activator aus dem Hause Sponser bestellt. Da ist so ziemlich alles drin, was mit -in aufhört: Koffein, Taurin, … auch eine gute Wahl, die ich schon in den beiden Nächten des PTL getestet hatte.
Aber auch FIZAN-Stöcke haben so ihre Grenzen. Kurz vor Courmayeur auf dem schmalen Waldweg runterwärts, gar nicht an einer extrem steilen Stelle, sondern eher in einer gemäßigten, die Gedanken schweiften ab, ich fragte mich, ob Eric Tuerlings vielleicht dort zu Besuch wäre, da fädelte ich an einer Wurzel ein, stolperte und konnte mich nicht mehr fangen. Ich sah einen großen Baum auf mich zukommen und drehte ab, den Abhang hinunter. Dort fiel ich dann auf den Rücken, zum Glück durch den Rucksack abgefedert. Und da lag dann ein abgesägter Baumstamm. Es ging alles so schnell und instinktiv. Ich stoppte mit dem linken Fuß an dem Baum, schüttelte mich, zählte meine Extremitäten, alle waren noch da. Nur einer der Stöcke fehlte. Nach knapp der halben Strecke und als passionierter Stöckeschieber musste ich auf einen Stock verzichten. Mehr noch als die Wunde am Rücken, die ich in Courmayeur versorgen ließ, schockierte mich diese Situation und der Verlust enorm und bremste mich auf Stunden ein.
Du glaubst gar nicht, wie vielen Läufern ich danach erklären musste, warum ich nur einen Stock dabei hatte!
Aus Courmayeur heraus lief ich auf Gabi Kenkenberg auf und wir beide beschlossen, lange Zeit zusammen zu laufen. Für Gabi, die auf ebenen Strecken sämtliche Rekorde dieser Welt knacken kann, war es nach dem CCC im Vorjahr der erste wirklich lange Berglauf und ihr ging es sichtlich schlecht. Mir auch, aber eher wegen des Sturzes. Mittlerweile wurde ich beim Kopf drehen immer wieder an den Sturz erinnert, der Nacken tat weh, der Rücken schmerzte und ein Stock war weg.
Und Gabi und ich trabten und trotteten die Berge rauf und runter.
Am einem sonnenbeschienenen Berg ohne Büsche und Bäume, dafür mit hohen Temperaturen, großer Müdigkeit und sinkender Motivation, ich glaube, es war der Grand Col Ferret, mit 2.537 Metern höchster Punkt des UTMB, konnte und wollte ich Gabi nicht mehr halten. Ich musste ein paar Minuten ruhen, mich die Wege hinauf quälen und ich hatte das Gefühl, dass mich in dieser Phase Hunderte anderer Läufer überholten. Aber dann war ich auch dort oben und – alleine.
Immer, wenn es rauf ging, kannst Du Dir sicher sein, dass es auch wieder runter geht. Und dann auch wieder rauf. Verpflegungspunkte gibt es zu Hauf beim UTMB, Höhenmeter auch. Und irgendwann kam der Berg, an den ich mich nur mit Grausen erinnern kann. 2009 war der Bovine richtig schwer und steil, enorme Steinstufen waren zu überwinden. Nach einem Regenjahr schrieb Rainer Wachsmann über diesen Berg einmal, er sei „Körperverletzung“. Und dieser Berg kam. Ich habe mir vorher noch in einem Vorsorgungszelt die sich anbahnenden Blasen am linken Fuß versorgen lassen, dabei hatte ich auch den anderen Stock versehentlich stehen lassen. Jetzt war ich also komplett auf mich alleine gestellt. Und das vor dem Bovine.
Die Organisatoren hatten ja schon geschrieben, dass es den Versorgungspunkt auf dem Bovine nicht mehr geben würde, man solle sich essensmäßig und von den Getränken her doch darauf einstellen. Aber direkt vor dem Berg standen drei vielleicht 8-jährige Mädchen, die Spaß daran hatten, die Läufer mit Wasser zu versorgen. Ein kleines Wunder, eines von zweien, das diesen Berg zu meinem Freund werden ließ.
Und als ich die ersten Meter nach oben gelaufen war und den Berg als wesentlich unproblematischer erlebt hatte, kam Engel Gabi Kenkenberg mit einem japanischen Läufer von oben. Sie hatte ein schmerzverzerrtes Gesicht und erzählte mir, dass der Rumpfbeuger nicht mehr mitspielen würde. Sie müsste hier und jetzt aussteigen.
Und sie fragte mich, ob ich mir ihre Stöcke ausleihen wollte! Das zweite Wunder des Bovine. Aber klar doch, nur mal her damit.
Bis dahin dachte ich immer, dass Engel weiße Flügel haben, es gibt sie aber auch in einer Läufer-Edition.
Nun, wieder mit Stöcken, war der Bovine ein eigentlich einfacher Berg. Aber ich schickte bei den nächsten beiden Abstiegen ein Stoßgebet nach oben. Abstiege ist dabei eigentlich nicht das richtige Wort für die Strecken runter nach Trient und nach Vallorcine, die Dinger sind so steil und so wenig griffig, dass Du wirklich froh bist, dass Du Stöcke hast und irgendwann tatsächlich unten bist. Welcher Landschaftsarchitekt sich bei der Planung und dem Bau dieser Berge eine solch üble Passage ausgedacht hat?
Trotzdem war ich dann froh, in Vallorcine zu sein. Seit dem Aufstieg zum Catogne war ich auch nicht mehr alleine gewesen. Jörg, ein Schweizer, kam mir auf dem Weg nach oben entgegen. „Was machst Du denn?“ fragte ich ihn. Und er antwortete vergeistigt, dass er müde wäre, aufhören würde und in Trient schlafen würde. Ich redete auf ihn ein wie auf ein unartiges Kind. „Nein,“ sagte ich, „das machst Du nicht. Du gehst jetzt mit mir auf den Berg, dann wieder runter und schläfst in Vallorcine. Du hast mehr als genug Zeit für das Laufen und das Schlafen.“ Jörg folgte artig. Oben dann, auf dem Berg, war ich froh um ihn, weil ich so müde wurde, mich immer wieder auf die Stöcke stützen musste und in Trance irgendwelchen Blödsinn erzählte. Mehr lallen als ich dort kann auch kein halbwegs ambitionierter Alkoholiker.
Später dann, in Vallorcine, war Jörg dann nicht mehr müde. Schlafen wollte er nicht mehr, also sollte es gleich weiter gehen. Aber Schweizer sind ja eher gemütlich. Bis wir uns wieder weiter bewegt hatten, das dauerte. Und ich hatte mir ausgerechnet, dass wir mein eigentliches und erstes Ziel, die Strecke unter 40 Stunden zu bewältigen, erreichen konnten. Aber Jörg war langsam. Für einen, der in 24h 230 Kilometer laufen kann, der den Halbmarathon in unter 1:30 Stunden ablaufen kann, war er doch sehr, sehr langsam. Ich blieb das flache Stück bis zum Col des Montets bei ihm und dann wurde es wirklich steil. Die üblen Steinstufen waren an diesem Berg, nicht da, wohin meine Erinnerungen sie gepackt hatten.
Aber Dank des Geschenks des absteigenden Engels war ich schnell und ich nahm keine Rücksicht mehr auf den immer langsamer werdenden Schweizer. Ich wollte sicher gehen, unter 40 Stunden einzulaufen, da durfte ich kein Risiko mehr eingehen. Rauf auf den Tete aux Vents, immer in Gedanken an das Jahr 2009, wo ich diese Strecke im Sonnenschein mit Lars Schläger hochgestiefelt bin. Ich wusste noch, dass Du da immer denkst, gleich oben zu sein. Und wenn Du dann scheinbar oben warst, dann ging es noch weiter und noch weiter …
Oben überholte ich noch eine Gruppe Läufer und dann begann ich diesen Berg zu hassen. Eine Steinwüste, nichts war mit Laufen oder Tempo machen, es ging Ewigkeiten von großem Stein zu großem Stein und die Zeit verrann. Noch eine Kontollstelle, noch ein Versorgungspunkt, noch zwei kleinere Anstiege. Und dann ging es abwärts.
Meine Füße, mittlerweile von drei Rot-Kreuz-Leuten begutachtet, waren voller Blasen und schmerzten wie noch nie. Tausend Gründe, langsam zu machen. Aber ich hatte kaum mehr als 38 Stunden auf der Uhr und es waren vielleicht noch 9 Kilometer abwärts, vielleicht noch 10 Kilometer. Vielleicht geht da noch was, die 39 Stunden-Marke schien erreichbar.
Blasen hin, Schmerzen her, der letzte Abstieg darf schmerzen!
Wenn Du drin bist, dann gibt es keinen Berg mehr, Du brauchst keine Reserven mehr. Und so lief ich Trail. Wie ein Trail-Maniak so schnell, wie ich Trails eigentlich nie laufe. Und ich überholte einen Läufer nach dem anderen. Da waren zügige Läufer dabei und Läufer, die sich kaum mehr bewegen konnten. Und vor mir war ein guter Trail-Läufer. Er machte die Geschwindigkeit, ich folgte auf Abstand.
Es war die vielleicht schönste Dreiviertel Stunde meines Lebens. Wir rasten gemeinsam den Wald-Trail hinab, passierten alle und jeden, Läufer, die ehrfürchtig zur Seite gingen, als sie uns anfliegen hörten. Und dann kam der letzte Abschnitt vor Chamonix, die breite Waldautobahn.
Der Trail-Läufer vor mir, ein Franzose, war mir auf der Autobahn vollkommen unterlegen. Ich zündete den Turbo, genau an der Stelle, wo ich 2009 nur noch tippeln konnte und ich rannte und rannte und rannte. Ich ließ ihn einfach stehen, überholte einen weiteren Läufer, der es mir sehr schwer machte und dann kam die Straße.
Und die Staße in Chamonix ist lang.
Ich hatte mittlerweile Zeiten von 4:30 Minuten pro Kilometer, aber ich wusste nicht, wie weit es noch war. Und da kam dann der erste Bogen.
Unmittelbar ein paar Meter vor dem Bogen überholte ich noch einen Italiener und ich sah den Zeitnahmebalken unter dem Bogen. Und ich bekam ein schlechtes Gewissen.
Überholen nach 168 Kilometern fünf Meter vor dem Bogen gehört sich nicht. Also stehen bleiben, die Hand des Italieners greifen und gemeinsam durch das Tor laufen.
Aber er korrigierte mich und sagte, dass das erst der Vorbogen wäre. Noch ein weiterer Kilometer! Und er schickte mich los und ich gab wieder Gas. Rechts an der Strecke stand Julia, unser Trailschnittchen und feuerte mich an. Und ich rannte und rannte und rannte wie noch nie nach 100 Meilen. Als die 39 Stunden um waren war ich gerade beim Hotel Alpina und es ging nach rechts ein paar Meter bergauf.
Die Luft war jetzt leider ein wenig raus, also ein paar Meter gehen und verschnaufen. Und dann wieder gebremst Fahrt aufnehmen. Die Fußgängerzone entlang, nach rechts Richtung Start-/Zielbogen und dann nach 39:03 Stunden richtig glücklich rein.
Es hat gar nicht weh getan, das mit den drei Minuten. Ich freute mich, fühlte mich wie im „7. Himmel“, ich wollte endlich meine strahlend rote Weste haben und ich wartete noch ein Weilchen auf andere Läufer.
Ich war tatsächlich richtig glücklich. Die Füße schmerzten zwar sehr, aber der Verstand war so klar und rein wie der Morgen. Trailschnittchen kam, wir warteten noch auf den Einlauf von Marius aus dem „Deutschen Haus“ und dann gingen wir gemeinsam nach Hause.
Erst duschen, dann frühstücken.
Tränen rollten auf dem letzten Weg zum „Deutschen Haus“ mal wieder über meine Wangen, aber es war einer der schönsten Momente meines Lebens.
Nach dem Abbruch beim PTL hatte ich mir doch noch eine Weste erlaufen können. Und nur für diese Weste laufen wir ja.
Ich glaube, ich ziehe sie nie wieder aus …

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