A Chacun son Everest !

„A Chacun son Everest !“
„Jedem seinen Everest !“ Das ist das inspirierende Motto der sozialen Organisation „A Chacun son Everest !“, die krebskranken Kindern und krebskranken Frauen beistehen, helfen und Orientierung geben will.
Aus dem Text auf der Webseite der Organisation:

„Nach der Krankheit… ein Ort zum Leben!
Der Verein „A Chacun son Everest !“ begleitet Kinder mit Krebs oder Leukämie und Frauen bei der Remission von Brustkrebs, um Ihnen zu helfen, mit der heiklen Phase der Zeit nach dem Krebs (postkrebs) umzugehen, damit Vertrauen, Lebensfreude und wieder neue Impulse des Lebens gewonnen werden.“

Es war der Sonntagmorgen des UTMB in Chamonix. Ich saß mit Sarah Schreiber in einem Café an der Fußgängerzone und wir warteten auf die Finisher des UTMB, vor allem natürlich auf Tobi Schreiber, der aber erst gegen Mittag kommen sollte. Weiterlesen

Imaginations from the Other Side

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Es gibt nur wenige Fixpunkte in meinem beschaulichen Leben. Da ist die Arbeit mit den drei Säulen Ostergeschäft, Herbstaktionen an den Wochenenden und das Weihnachtsgeschäft, all diese Zeiten sind „tabu“ für Events, leider.
Und da ist der alljährliche Urlaub im Februar auf Gran Canaria, idealerweise abgeschlossen mit dem TransGranCanaria-Event, 2017 hoffentlich sogar mit dem neuen Format „360 Grad“. Dabei sind es die Dünen zwischen Playa del Inglès und Maspalomas, auf die ich mich immer schon vorfreue, wenn ich das immergleiche Appartementhotel wieder buche.

Und da ist regelmäßg diese letzte Woche im August, diese fantastische Woche in Chamonix bei den Bewerben des UTMB.

Ich muss ja kaum erklären, was der UTMB, der „Ultra Trail du Mont Blanc“, ist. Aber weil es vielleicht doch den einen oder anderen Leser gibt, der in diesem Punkt so unwissend ist wie ich es bis Ende 2008 war (*), sei kurz erklärt, dass der UTMB mit den Nebenbewerben OCC (55 km), CCC (101 km), TDS (119 km) und PTL (290 km) ein 170 km Lauf rund ums Mont Blanc Massif ist. 10.000 Höhenmeter sind dabei zu meistern und „normalsterbliche Läufer“ schaffen das nur, indem zwei Nächte durchgelaufen wird.

Zwei Nächte durchlaufen? Geht das denn?
Eine Nacht ohne Schlaf ist reine Gewöhnungssache, zwei Nächte ohne Schlaf aber sind … ja, was sind sie eigentlich?
Ich will es mal blumig formulieren: Wer zwei Nächte ohne Schlaf erlebt, der erlebt in der zweiten Nacht Dinge, die sonst nie zu erleben sind. Bäume, die Spalier stehen und den Läufern zujubeln, Schilder, die vor Dir her wanken, kurz, Halluzinationen, die man nicht kaufen kann. Für alles gibt es ja bekanntlich MasterCard, für Halluzinationen jedoch nicht … Weiterlesen

UTMB für Runaways …

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Wenn ein Engel herunter geschwebt kommt vom großen Berg, in diesem Falle vom Weiler Bovine, und wenn Dir dieser Engel dann ein Geschenk anbietet, dann musst Du dem Himmel oder dem Wahnsinn nahe sein …

„Nein, ich gehe auf keine Finisher-Zeit,“ sagte ich Tom Dörner. Schlimm genug, dass er gewonnen hat!
„Ich setze 50 EUR auf Deinen Start,“ hat er gesagt. Aber niemand hat dagegen gehalten, auch ich nicht. Die Oberschenkel fühlten sich noch bis Donnerstagmorgen an wie feste Schienen, erst die Wanderung mit Uwe Herrmann zum „Refugio Belle Lachat“ lockerten sie auf. Aber die Knie und die Kniescheiben wackelten wie Pudding herum. Und richtige Lust zu starten hatte ich eigentlich auch nicht.
Eher war es die Überlegung, nichts mit mir anfangen zu können, wenn alle beim CCC oder UTMB laufen und ich ziemlich alleine im „Deutschen Haus“ herum lungere. Und wieder nur surfen? Facebook, bis die Fingerkuppen qualmen? Nein, dachte ich, dann doch lieber laufen gehen!
UTMB
Die Organisatoren hatten mir mit ihrer Mail am Donnerstagnachmittag die letzten Sorgen genommen, nicht starten zu dürfen. „Wer sich noch nicht eingeschrieben hat, der möge es morgen früh ab 9.00 Uhr bitte tun!“ Also tat ich es.
Es war leichter als befürchtet. Niemand fragte mich wegen des Starts beim PTL, wie auch, bei 2.300 Startern? Aber wenn man die Einschreibeprozedur des PTL hinter sich gebracht hat, dann stellt man fest, das die gleiche Prozedur beim UTMB ein Vielfaches an Zeit benötigt. Alles wird detailliert kontrolliert. Und Du läufst von Pontius nach Pilatus, um erst einen Schein zu erhalten mit Deinen Daten, dann die Materialkontrolle über Dich ergehen zu lassen, das Bändchen für das Handgelenk zu erhalten, das Plastikfähnchen an den Rucksack zu bekommen, die Startnummer und das Starterpack zu erhalten, das Starter-T-Shirt ausgehändigt zu bekommen und noch das nette Sackerl des UTMB für Deine Abfälle abzugreifen, das dann an Deinen Rucksack montiert werden soll.
Mir hätte die Startnummer und das strahlend blaue Starter-T-Shirt schon genügt. Aber das Shirt war schon sehr, sehr wichtig.
Nach den guten Jahren 2009 und 2010 gab es ja manche Geschmacksverirrung im Starter-T-Shirt Design, 2013 aber ist das Shirt wieder ein Traum. Gut, dass ich zwei Mal gestartet bin. Zwei Starts – zwei Shirts, so gehört sich das!

Der 4er Club der UTMB-Starter des „Deutschen Hauses“ setzte sich schon um 14.30 Uhr Richtung Startlinie in Bewegung. Na ja, eigentlich war es gar kein 4er Club, eher ein 2x2er Club. Zwei Rennhasen, Axel, der am Ende eine unglaubliche Zeit abliefern sollte und Gerald auf der einen Seite und zwei Rennschnecken, Marius, der sich selbst wegen seiner Knieprobleme nur eine 50%-Chance gegeben hatte, das Ding zu finishen und ich auf der anderen Seite.
Und wir warteten geduldig vor dem Start auf dem Boden sitzend. Selbst hier wurden manche noch stichprobenartig auf die Vollständigkeit der Pflichtausrüstung kontrolliert. Na ja, alles, was ablenkt, ist gut und hilft, dass die Zeit schneller vorbei geht.
Aber das zog sich hin und erst vielleicht 15 Minuten vor dem Start, alles stand natürlich schon wieder, begann das Kribbeln im Bauch, die Nervosität und der Wille, dieses Ding auch ein zweites Mal zu finishen.

Ich hasse eigentlich die zweiten Läufe.
Bei der TorTOUR de Ruhr hatte ich 2010 die 230 K finishen können, trotz großer Hitze und immenser Schmerzen. 2012 hat wieder etwas weh getan und dann war nach 100 Kilometern Schluss für mich. Nein, Jens Vieler, das passiert mir nicht noch einmal! 2014 musst Du mich wieder im Ziel bei der berühmten Stele empfangen.
Beim KoBoLT konnte ich in der ersten Edition bei klirrender Kälte finishen, ein Jahr später hatte ich schon nach 35 Kilometern mehr Lust, mit Günther Brun Bahn zu fahren und zu quatschen.
Wahrscheinlich ist es das: beim ersten Mal bist Du bis in die Haarspitzen motiviert und Du willst Dir beweisen, dass Du es kannst. Beim zweiten Mal weißt Du, dass Du es kannst. Die Frage ist nur, ob Du es wirklich noch einmal willst.
KarteAber den UTMB wollte ich wirklich noch einmal. Spätestens als „die Musik“ spielte, als sich die 2.300 Läufer in Bewegung setzten und Du gefeiert wurdest wie ein Star. Der Start beim PTL war schon „Emotion pur“, der Start beim UTMB 2013 war einfach unbeschreiblich. Ich würde mich immer wieder dort anmelden, nur, um diesen Start erleben zu dürfen. So viel Gefühl, so viel Begeisterung!
Mit einem Mal sind alle Gedanken an das, was zu Hause an Problemen auf Dich wartet, weg geblasen und Du bist beseelt von dem Wunsch, die Vorschusslorbeeren, die diese Menschen Dir auf den ersten zwei Kilometern gegeben haben, auch wirklich zu verdienen.
Ich hätte den Menschen in Chamonix nicht mehr in die Augen sehen können, wenn ich dieses Rennen ohne triftigen Grund nicht gefinished hätte. Zudem kam dazu, dass schon die ersten Finisher des TDS im Ziel waren. Und die hatten die Weste!
Die Weste des UTMB ist ja eines der am besten gehüteten Geheimnisse dieser Welt. Selbst die Nachfrage bei der NSA hilft da kaum weiter. Aber spätestens, wenn der erste Finisher des TDS im Ziel ist, ist das Geheimnis gelüftet. Und dieses Jahr war das Geheimnis rot! Strahlend rot!
Die Weste passt so schön zum strahlend blauen Starter-T-Shirt! Es ist einfach wunderbar.

Ich begann locker trabend, aber etwas zügiger als 2009. Aber ich hatte immer eine kleine Bremse im Kopf. So viele machen sich schon auf dem Weg nach Les Houches kaputt. Aber was kannst Du auf den ersten 7,6 Kilometern denn gewinnen? Vielleicht 10 Minuten. Aber was kannst Du hinten heraus verlieren?
Das gilt auch für den ersten Abstieg. Abstieg ist da eigentlich nicht der richtige Ausdruck, Abfahrt trifft es besser. Es ist eine ordentlich steile Skipiste, die ich im Winter wohl kaum ohne Päuschen durchfahren würde. Aber bergab laufen scheint ja so einfach zu sein. Und viele, so viele, sind ohne Rücksicht auf Knie, Oberschenkel oder sonstige Verluste da runter gespurtet, als gäbe es kein morgen mehr, keine weiteren vielleicht 150 Kilometer!

Ansonsten gibt es wenig zu schreiben über diesen Lauf bei mir. Das rauf und runter schien weniger als 2009 zu sein, vielleicht weil 9.600 Höhenmeter heute nicht mehr so gewaltig klingen wie damals, vielleicht auch, weil nach den Erlebnissen des PTL die „Bergautobahn“ des UTMB mehr dem Auslaufen als dem Anstrengen zu dienen schien.
Und alles war gut – bis kurz vor Courmayeur.

Ich war ja auch bestens vorbereitet. Als ordentlicher Trail-Maniak hatte ich auf neue Stöcke gesetzt, auf die leichtesten, die es zurzeit gibt, auf die FIZAN-Stöcke. Sie kamen gerade noch rechtzeitig vor meiner Abreise nach Chamonix, schade, dass ich sie heute nicht mehr habe. Aber dazu später.
Und ich habe mich ja dem Fanclub der CLIF BARS angeschlossen, das schrieb ich ja hier an dieser Stelle nach dem Pitztal Gletscher Marathon schon. Und weil ich ja ursprünglich vorhatte, vor dem UTMB erst ein paar Bergtrainingstage einzulegen, habe ich von den fünf leckeren Sorten jeweils vier CLIF BAR Riegel mit nach Chamonix gebracht.
Und zuletzt hatte ich vor allem für die zweite UTMB-Nacht bei unser aller „Dealer“, dem großartigen Rolli von WAT LÄUFT, einige Ampullen des Wachhalters Activator aus dem Hause Sponser bestellt. Da ist so ziemlich alles drin, was mit -in aufhört: Koffein, Taurin, … auch eine gute Wahl, die ich schon in den beiden Nächten des PTL getestet hatte.

Aber auch FIZAN-Stöcke haben so ihre Grenzen. Kurz vor Courmayeur auf dem schmalen Waldweg runterwärts, gar nicht an einer extrem steilen Stelle, sondern eher in einer gemäßigten, die Gedanken schweiften ab, ich fragte mich, ob Eric Tuerlings vielleicht dort zu Besuch wäre, da fädelte ich an einer Wurzel ein, stolperte und konnte mich nicht mehr fangen. Ich sah einen großen Baum auf mich zukommen und drehte ab, den Abhang hinunter. Dort fiel ich dann auf den Rücken, zum Glück durch den Rucksack abgefedert. Und da lag dann ein abgesägter Baumstamm. Es ging alles so schnell und instinktiv. Ich stoppte mit dem linken Fuß an dem Baum, schüttelte mich, zählte meine Extremitäten, alle waren noch da. Nur einer der Stöcke fehlte. Nach knapp der halben Strecke und als passionierter Stöckeschieber musste ich auf einen Stock verzichten. Mehr noch als die Wunde am Rücken, die ich in Courmayeur versorgen ließ, schockierte mich diese Situation und der Verlust enorm und bremste mich auf Stunden ein.
Du glaubst gar nicht, wie vielen Läufern ich danach erklären musste, warum ich nur einen Stock dabei hatte!
ProfilAus Courmayeur heraus lief ich auf Gabi Kenkenberg auf und wir beide beschlossen, lange Zeit zusammen zu laufen. Für Gabi, die auf ebenen Strecken sämtliche Rekorde dieser Welt knacken kann, war es nach dem CCC im Vorjahr der erste wirklich lange Berglauf und ihr ging es sichtlich schlecht. Mir auch, aber eher wegen des Sturzes. Mittlerweile wurde ich beim Kopf drehen immer wieder an den Sturz erinnert, der Nacken tat weh, der Rücken schmerzte und ein Stock war weg.
Und Gabi und ich trabten und trotteten die Berge rauf und runter.
Am einem sonnenbeschienenen Berg ohne Büsche und Bäume, dafür mit hohen Temperaturen, großer Müdigkeit und sinkender Motivation, ich glaube, es war der Grand Col Ferret, mit 2.537 Metern höchster Punkt des UTMB, konnte und wollte ich Gabi nicht mehr halten. Ich musste ein paar Minuten ruhen, mich die Wege hinauf quälen und ich hatte das Gefühl, dass mich in dieser Phase Hunderte anderer Läufer überholten. Aber dann war ich auch dort oben und – alleine.

Immer, wenn es rauf ging, kannst Du Dir sicher sein, dass es auch wieder runter geht. Und dann auch wieder rauf. Verpflegungspunkte gibt es zu Hauf beim UTMB, Höhenmeter auch. Und irgendwann kam der Berg, an den ich mich nur mit Grausen erinnern kann. 2009 war der Bovine richtig schwer und steil, enorme Steinstufen waren zu überwinden. Nach einem Regenjahr schrieb Rainer Wachsmann über diesen Berg einmal, er sei „Körperverletzung“. Und dieser Berg kam. Ich habe mir vorher noch in einem Vorsorgungszelt die sich anbahnenden Blasen am linken Fuß versorgen lassen, dabei hatte ich auch den anderen Stock versehentlich stehen lassen. Jetzt war ich also komplett auf mich alleine gestellt. Und das vor dem Bovine.
Die Organisatoren hatten ja schon geschrieben, dass es den Versorgungspunkt auf dem Bovine nicht mehr geben würde, man solle sich essensmäßig und von den Getränken her doch darauf einstellen. Aber direkt vor dem Berg standen drei vielleicht 8-jährige Mädchen, die Spaß daran hatten, die Läufer mit Wasser zu versorgen. Ein kleines Wunder, eines von zweien, das diesen Berg zu meinem Freund werden ließ.
Und als ich die ersten Meter nach oben gelaufen war und den Berg als wesentlich unproblematischer erlebt hatte, kam Engel Gabi Kenkenberg mit einem japanischen Läufer von oben. Sie hatte ein schmerzverzerrtes Gesicht und erzählte mir, dass der Rumpfbeuger nicht mehr mitspielen würde. Sie müsste hier und jetzt aussteigen.
Und sie fragte mich, ob ich mir ihre Stöcke ausleihen wollte! Das zweite Wunder des Bovine. Aber klar doch, nur mal her damit.
Bis dahin dachte ich immer, dass Engel weiße Flügel haben, es gibt sie aber auch in einer Läufer-Edition.

UTMBNun, wieder mit Stöcken, war der Bovine ein eigentlich einfacher Berg. Aber ich schickte bei den nächsten beiden Abstiegen ein Stoßgebet nach oben. Abstiege ist dabei eigentlich nicht das richtige Wort für die Strecken runter nach Trient und nach Vallorcine, die Dinger sind so steil und so wenig griffig, dass Du wirklich froh bist, dass Du Stöcke hast und irgendwann tatsächlich unten bist. Welcher Landschaftsarchitekt sich bei der Planung und dem Bau dieser Berge eine solch üble Passage ausgedacht hat?

Trotzdem war ich dann froh, in Vallorcine zu sein. Seit dem Aufstieg zum Catogne war ich auch nicht mehr alleine gewesen. Jörg, ein Schweizer, kam mir auf dem Weg nach oben entgegen. „Was machst Du denn?“ fragte ich ihn. Und er antwortete vergeistigt, dass er müde wäre, aufhören würde und in Trient schlafen würde. Ich redete auf ihn ein wie auf ein unartiges Kind. „Nein,“ sagte ich, „das machst Du nicht. Du gehst jetzt mit mir auf den Berg, dann wieder runter und schläfst in Vallorcine. Du hast mehr als genug Zeit für das Laufen und das Schlafen.“ Jörg folgte artig. Oben dann, auf dem Berg, war ich froh um ihn, weil ich so müde wurde, mich immer wieder auf die Stöcke stützen musste und in Trance irgendwelchen Blödsinn erzählte. Mehr lallen als ich dort kann auch kein halbwegs ambitionierter Alkoholiker.
Später dann, in Vallorcine, war Jörg dann nicht mehr müde. Schlafen wollte er nicht mehr, also sollte es gleich weiter gehen. Aber Schweizer sind ja eher gemütlich. Bis wir uns wieder weiter bewegt hatten, das dauerte. Und ich hatte mir ausgerechnet, dass wir mein eigentliches und erstes Ziel, die Strecke unter 40 Stunden zu bewältigen, erreichen konnten. Aber Jörg war langsam. Für einen, der in 24h 230 Kilometer laufen kann, der den Halbmarathon in unter 1:30 Stunden ablaufen kann, war er doch sehr, sehr langsam. Ich blieb das flache Stück bis zum Col des Montets bei ihm und dann wurde es wirklich steil. Die üblen Steinstufen waren an diesem Berg, nicht da, wohin meine Erinnerungen sie gepackt hatten.

Aber Dank des Geschenks des absteigenden Engels war ich schnell und ich nahm keine Rücksicht mehr auf den immer langsamer werdenden Schweizer. Ich wollte sicher gehen, unter 40 Stunden einzulaufen, da durfte ich kein Risiko mehr eingehen. Rauf auf den Tete aux Vents, immer in Gedanken an das Jahr 2009, wo ich diese Strecke im Sonnenschein mit Lars Schläger hochgestiefelt bin. Ich wusste noch, dass Du da immer denkst, gleich oben zu sein. Und wenn Du dann scheinbar oben warst, dann ging es noch weiter und noch weiter …
Oben überholte ich noch eine Gruppe Läufer und dann begann ich diesen Berg zu hassen. Eine Steinwüste, nichts war mit Laufen oder Tempo machen, es ging Ewigkeiten von großem Stein zu großem Stein und die Zeit verrann. Noch eine Kontollstelle, noch ein Versorgungspunkt, noch zwei kleinere Anstiege. Und dann ging es abwärts.
Meine Füße, mittlerweile von drei Rot-Kreuz-Leuten begutachtet, waren voller Blasen und schmerzten wie noch nie. Tausend Gründe, langsam zu machen. Aber ich hatte kaum mehr als 38 Stunden auf der Uhr und es waren vielleicht noch 9 Kilometer abwärts, vielleicht noch 10 Kilometer. Vielleicht geht da noch was, die 39 Stunden-Marke schien erreichbar.
Blasen hin, Schmerzen her, der letzte Abstieg darf schmerzen!
Wenn Du drin bist, dann gibt es keinen Berg mehr, Du brauchst keine Reserven mehr. Und so lief ich Trail. Wie ein Trail-Maniak so schnell, wie ich Trails eigentlich nie laufe. Und ich überholte einen Läufer nach dem anderen. Da waren zügige Läufer dabei und Läufer, die sich kaum mehr bewegen konnten. Und vor mir war ein guter Trail-Läufer. Er machte die Geschwindigkeit, ich folgte auf Abstand.
Es war die vielleicht schönste Dreiviertel Stunde meines Lebens. Wir rasten gemeinsam den Wald-Trail hinab, passierten alle und jeden, Läufer, die ehrfürchtig zur Seite gingen, als sie uns anfliegen hörten. Und dann kam der letzte Abschnitt vor Chamonix, die breite Waldautobahn.
Der Trail-Läufer vor mir, ein Franzose, war mir auf der Autobahn vollkommen unterlegen. Ich zündete den Turbo, genau an der Stelle, wo ich 2009 nur noch tippeln konnte und ich rannte und rannte und rannte. Ich ließ ihn einfach stehen, überholte einen weiteren Läufer, der es mir sehr schwer machte und dann kam die Straße.
Und die Staße in Chamonix ist lang.
Ich hatte mittlerweile Zeiten von 4:30 Minuten pro Kilometer, aber ich wusste nicht, wie weit es noch war. Und da kam dann der erste Bogen.
Unmittelbar ein paar Meter vor dem Bogen überholte ich noch einen Italiener und ich sah den Zeitnahmebalken unter dem Bogen. Und ich bekam ein schlechtes Gewissen.
Überholen nach 168 Kilometern fünf Meter vor dem Bogen gehört sich nicht. Also stehen bleiben, die Hand des Italieners greifen und gemeinsam durch das Tor laufen.
Trail-Maniak_LogoAber er korrigierte mich und sagte, dass das erst der Vorbogen wäre. Noch ein weiterer Kilometer! Und er schickte mich los und ich gab wieder Gas. Rechts an der Strecke stand Julia, unser Trailschnittchen und feuerte mich an. Und ich rannte und rannte und rannte wie noch nie nach 100 Meilen. Als die 39 Stunden um waren war ich gerade beim Hotel Alpina und es ging nach rechts ein paar Meter bergauf.
Die Luft war jetzt leider ein wenig raus, also ein paar Meter gehen und verschnaufen. Und dann wieder gebremst Fahrt aufnehmen. Die Fußgängerzone entlang, nach rechts Richtung Start-/Zielbogen und dann nach 39:03 Stunden richtig glücklich rein.

Es hat gar nicht weh getan, das mit den drei Minuten. Ich freute mich, fühlte mich wie im „7. Himmel“, ich wollte endlich meine strahlend rote Weste haben und ich wartete noch ein Weilchen auf andere Läufer.
Ich war tatsächlich richtig glücklich. Die Füße schmerzten zwar sehr, aber der Verstand war so klar und rein wie der Morgen. Trailschnittchen kam, wir warteten noch auf den Einlauf von Marius aus dem „Deutschen Haus“ und dann gingen wir gemeinsam nach Hause.
Erst duschen, dann frühstücken.
Tränen rollten auf dem letzten Weg zum „Deutschen Haus“ mal wieder über meine Wangen, aber es war einer der schönsten Momente meines Lebens.
Nach dem Abbruch beim PTL hatte ich mir doch noch eine Weste erlaufen können. Und nur für diese Weste laufen wir ja.
Ich glaube, ich ziehe sie nie wieder aus …

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(klicken zum Vergrößern …)

Das Deutsche Haus in Chamonix

„There was a house in Chamonix, they called the German House …“
Deutsches Haus Als ich 2012 für The North Face ein wenig über deren Läufer und meinen alten Trans Alpine Run – Laufpartner Heiko Bahnmüller schreiben durfte, lernte ich zuerst Judy Ng, die für Denis Wischniewski’s Trail Magazin schrieb und dann ihren Lebenspartner Thomas Bohne kennen. Thomas ist ein junger und sehr schneller Läufer, auch in der unsäglich nassen Nacht von Chamonix 2012. Und Judy, Thomas und ich verstanden uns spontan ausnehmend gut.
Anschließend blieb ich den beiden über das Blog www.thomasbohne.com verbunden und las da von mancher Verrücktheit, vom Laufen im Land von Dschingis Khan, vom Projekt Rim2Rim2Rim, das Thomas von der Südseite des Grand Canyon (South Kaibab Trail) quer durch denselben auf die Nordseite (North Kaibab Trail) und wieder zurück (Bright Angel Trail) geführt hat. Außerdem gibt es dort Berichte über „Hong Kong – zu Fuß in China“ und über Trailrunning in Beijing. Lauter interessante und außergewöhnliche Themen also. Ein wirklich lesenswertes Blog.
DHAußergewöhnlich war auch die Idee der beiden, mitten in Chamonix ein „Deutsches Haus“ einzurichten. Mit der Unterstützung des Trail Magazins, von Patagonia, Erdinger Weißbier Alkoholfrei und 4Deserts.com wurde also ein großes Chalet gemietet, in das sich deutsche Athleten und Medienvertreter einmieten konnten. Und ich war wohl der erste Läufer, der dafür zugesagt hatte. Dabei ging es den beiden darum, eine Anlaufstelle für die doch relativ wenigen vor Ort weilenden deutschen Teilnehmer zu schaffen. Eben so, wie man es beispielsweise auch von den Olympischen Spielen kennt.

Ich wusste anfangs noch nicht, wer sonst noch alles sich dort im Haus aufhalten würde, ich wurde aber dann sehr positiv überrascht. Viele Mitbewohner kannte ich schon lange zuvor, Da war zum Beispiel die Läuferlegende, der Abenteurer, Bergsteiger und Läufer Gerald Blumrich, der unter anderem auch etwas über seine Besteigung des „tödlichsten Bergs der Welt“, des Mt. McKinley verriet oder der stets gut gelaunte Marathon4you und Trailrunning.de Texter Bernie Manhard, bei dessen 50. „Marathon und länger“ im Karwendelgebirge ich dabei sein durfte und der aber mittlerweile auch schon deutlich auf die magische 100 Marathon – Grenze zusteuert.
Manche kannte ich nur vom Namen her aus Facebook, das war Tom Dörner, der sich, sehr engagiert, die ersten Sporen auf wilden und langen Trails, in diesem Fall auf dem des CCC (Courmayeur – Champex – Chamonix) verdienen wollte. Insgesamt liefen übrigens vier Chalet-Bewohner diesen CCC.
Natürlich waren auch Judy und Thomas da, einige andere, die ich alle lieb gewinnen konnte, später kam sogar noch Trailschnittchen Julia Böttger für ein paar Nächte, es waren aber auch – und das fand ich etwas ganz Besonderes – unzählige Gäste da, die entweder zur Patagonia Pasta Party erschienen sind, beim 4Deserts Vortrag anwesend waren oder die einfach so mal diesem Haus, dieser Institution ihre Aufwartung machen wollten, um einen Tee, ein Glas Wein oder ein alkoholfreies Weizenbier zu genießen.
Unter den Gästen war auch der schnelle Thomas Wagner, der angeblich nur unsere Waschmaschine gebraucht hatte. Er kam auf einen Drink und einen Gruß, um gleich weiter zu fahren zum Start des Trans Alpine Run 2013, wo er dort schon einen Tag später als TEAM 357 mit Denis Wischniewski die Konkurrenz ordentlich aufmischen wollte.

Das „Deutsche Haus“ war also meine Bleibe für eine komplette Woche in Chamonix und die Überlegung, die ich hatte, war, nach einem Eingewöhnungstag am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag ein wenig in die Berge zu gehen, um mich für den UTMB (Ultra Trail du Mont Blanc) zu akklimatisieren, noch ein wenig Höhenmeter zu sammeln und sonst einfach eine gute Zeit zu haben.
Aber wie heißt es im Musical „Elisabeth“ an einer Stelle?
„Was nützt ein Plan, ist er auch noch so schlau, er bleibt doch immer Theorie. Und nur das eine weiß man ganz genau: so wie man plant und denkt, so kommt es nie! „
Wie wahr, denke ich heute, wenn ich nachträglich an diese unglaubliche Woche denke.
ElisabethAls ich am Sonntag vor dem UTMB am frühen Abend endlich in Chamonix ankam, brauchte ich schon eine Weile, um das „Deutsche Haus“ zu finden. Eine verdächtige schwarz-rot-goldene Fahne hat mir aber schließlich doch verraten, welches der vielen Chalets damit gemeint war. Außer Judy, Thomas und Marius Keil war noch niemand da, ich bezog mein Einzelzimmer, richtete mich ein und gewöhnte mich langsam an das weiche und sehr hohe Bett.
Und ich telefonierte. Ich hatte erst wenige Tage zuvor erfahren, dass das einzige deutsche Laufteam beim PTL (La Petite Trotte à Léon) um eine Person verkleinert war und ich überlegte, ob ich diesen Makel ausgleichen könnte und am Montagmorgen gegen 11 Uhr entschieden Eric Tuerlings, Uwe Herrmann und ich, dass wir das gemeinsam wagen wollten.
Wunderbar für mich auf der einen Seite, ein wenig schade war es aber auch um die Nächte im „Deutschen Haus“, um das Runningevent, das vom Patagonia-Laden in Chamonix für den Dienstagmorgen vorgesehen war, um die Pastaparty, um die vielen Gäste und um all die schönen Erlebnisse, die man in solch einer großen und einschlägig interessierten Runde haben kann.

Und so verabschiedete ich mich am Montagabend auf die maximal 136 Stunden lange Strecke des PTL. Und ich wurde verabschiedet – von allen Bewohnern dieser neu gegründeten „WG“. Und ich sagte Thomas, dass es schade wäre um mein nun nicht mehr genutztes Bett und dass er dieses gerne weitergeben könne.
Welch ein Glück, dass dies nicht schnell genug geschah, denn schon am Mittwoch war ich zum Frühstück wieder in meinem Zimmer.
Die Mitbewohner des Chalets staunten nicht schlecht, als sie mich, zusammen gefallen wie ein Häufchen Elend, zum Eingang traben sahen und mancher fragte mich sofort, ob ich denn nun doch den UTMB laufen würde.
Tom Dörner wagte sich am weitesten aus der Deckung, als er rief: „50 EUR, dass Du startest!“
Er wusste nicht, dass ich genau darauf gehofft hatte. Aber noch wusste ich ja nicht, ob das überhaupt möglich sein würde. Also antwortete ich stets damit, dass mein Startplatz weg sei und außerdem würde ich nicht glauben, dafür noch Courage und Motivation aufbringen zu können.
Aber ein kurzer Blick auf die Internetseite und ich wusste, dass ich tatsächlich noch auf der Starterliste des UTMB stand, der Platztausch mit dem verletzten Michael Eßer, dessen Platz ich im PTL Team einnahm, hatte nicht dazu geführt, dass ich beim UTMB von der Starterliste genommen wurde. Welch ein Glück!

Und so gönnte ich mir einen harmonischen Mittwoch in unserer WG, am Donnerstag wanderte ich mit Uwe Herrmann auf das Refugio „Bel Lachat“, um bei herrlichstem Wetter auf den grandiosen Mont Blanc zu blicken und am Freitag tat ich alles dafür, um am Spätnachmittag erneut starten zu können. Da mussten zuerst die drei Dropbags des PTL abgeholt werden, damit ich überhaupt Wäsche zum Anziehen und Wechseln haben würde. Dann musste die Einschreibung für den UTMB vorgenommen werden und eine neue Dropbag musste gepackt und abgegeben werden.
Dann ging es zum Mittagessen wieder ins „Deutsche Haus“ und anschließend warteten wir alle gemeinsam darauf, dass es endlich 16.30 Uhr werden möge, damit wir vier UTMB-Starter Chamonix wieder verlassen konnten.

Bei all dem dachte ich mir, dass meine ganzen Rochaden, der spontane Start beim PTL mit dem späteren Abbruch, die Wandertage und dann der Start beim UTMB zum Schluss, nicht möglich gewesen wären, wenn Judy und Thomas nicht diese fantastische Idee mit dem „Deutschen Haus“ gehabt hätten.
Ein wunderbares Haus, fein eingerichtet, internettechnisch auf höchstem Niveau, eine harmonische und liebevolle Bewohnerschaft, zumindest ab dem Mittwoch auch bestes Wetter, es hat einfach alles gestimmt in dieser Woche, in diesem Chalet, mit diesen Menschen.

Ich verneige mich in Dankbarkeit und Zuneigung und hoffe, dass diese Woche nicht die letzte gewesen sein mag, die uns zusammen vergönnt war.
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Und 2014?
Vielleicht gibt es dann von jemand Anderem eine Fortsetzung dieser großartigen Idee, einen anderen Anlaufpunkt für Medienvertreter und Athleten, für Freunde und Fans, einen neuen Punkt, wo man sich begegnen und austauschen kann.
Das wäre doch auch ein wirklich schlauer Plan, oder?

Der Mann, der bei uns Hans Esser war …

Am 1. Oktober 2012 feierte Günter Wallraff seinen 70. Geburtstag.
Aus diesem Anlass wurde sein Buch „Der Aufmacher – Der Mann, der bei BILD Hans Esser war“ neu aufgelegt und das endlich in einer unzensierten Version.
BILDDieses Buch schrieb bei der Ersterscheinung 1977 Presse- und Verlagsgeschichte und schlug wie eine Bombe ein. Es war Günter Wallraffs legendärer Bericht aus dem Innern der Bild-Zeitung, Wallraff beschreibt in diesem Buch, was er als Bild-Reporter „Hans Esser“ erlebte.
Und der Springer-Konzern schlug zurück, setzte Spitzel und Detektive auf ihn an, verleumdete Wallraff als »Lügner«, »Psychopathen« und »Untergrundkommunisten« – und klagte in mehr als einem Dutzend Verfahren gegen den »Aufmacher«. Obwohl der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht Wallraff am Ende in entscheidenden Punkten Recht gaben, blieben viele Passagen in dem Buch verboten.
Dass sich Wallraff damals auch mit Geldern von „ganz unten“ finanzieren ließ, also von der „Staatssicherheit“ der ehemaligen DDR, schmälert nicht seinen Erfolg. Das Buch war und bleibt ein Glanzstück des investigativen Journalismus und wir alle wünschten uns mehr davon.

„Der Mann, der bei uns Michael Esser war“ hätte auch meine Geschichte heißen können, eine Geschichte, die sich um Stolz und Erfolg, um Scheitern und Aufstehen dreht, eine Geschichte von guten Freunden und von drei Menschen, von denen einer noch ein wenig verrückter ist als der andere. Aber nun mal alles der Reihe nach …

Es begann mitten in der Nacht beim Einladungslauf von Martin Urlaub auf einem Teil des Westfalenwegs von Schwerte nach Hattingen. Ich konnte arbeitstechnisch bedingt erst ab der Tankstelle zur Gruppe stoßen, die den ersten Verpflegungspunkt bildete. Und dort hörte ich, dass das Team der „schleichenden EMUs“ beim PTL 2013 zerbrochen ist. Michael Esser hatte sich vor Wochen schon aus dem Team verabschiedet. Und alle wussten es, nur ich nicht.
Ich hatte noch einen Tag zuvor mit Uwe Hermann in einer anderen Sache telefoniert und keinen Ton davon erfahren, wahrscheinlich, weil er dachte, dass ich diese Situation sicher kennen würde.
2011 hatte ich mit Uwe Hermann, dem „U“ der „EMUs“ und Eric Tuerlings, dem „E“ der „EMUs“ ein Erkundungswochenende im Aostatal verbracht und wir hatten uns, welch ein Wunder, weder gegenseitig die Gabeln ins Fleisch gestochen noch sind wir uns danach aus dem Weg gegangen. Nein, es war ein fantastisches Wochenende, an das wir uns alle noch heute gerne erinnern. Zwar hatte es 2011 beim TdG dann für Eric und mich nicht zum Finish gereicht, Uwe aber erledigte das mit Bravour und Eric korrigierte dieses Scheitern in 2012 mit seinem Finish an gleicher Stelle. Nur ich blieb ein Gescheiterter.
Aber wenn Michael Esser, der das „M“ zu den „EMUs“ beisteuern sollte, nicht laufen kann, vielleicht kann ich dann der Michael Esser des PTL-Team der „schleichenden EMUs“ sein, dachte ich. Und dann diesen Wahnsinnslauf mit diesen tollen Jungs finishen, das wäre doch was!
Offiziell ummelden ging zwar nicht mehr, die Fristen dafür waren knapp verpasst. Aber es gibt ja immer noch ein Leben außerhalb von offiziellen Regeln und Regularien.

Uwe und ich gingen also zum Boss des gesamten UTMB-Events, zu Jean-Claude, mit dem ich vor Jahren schon einmal beim Frühstück saß und ein paar Worte wechseln konnte. Wenig genug, dass er mich nicht mehr kannte, aber dennoch ausreichend, dass in seinem Hinterkopf eine Ahnung von Bekanntheit entstand. Er sagte sofort zu und wir änderten den Namen Michael Esser in Thomas Eller und änderten auch die Telefonnummern, die bei der Organisation für jeden Läufer hinterlegt waren.
Ob es an der Zustimmung von Jean-Claude lag, an der immens ähnlichen Namesgebung von Michael und mir oder ob es einfach ein Versehen war, dass ich mit der Einschreibung beim PTL nicht aus der Starterliste des UTMB gestrichen wurde, weiß ich nicht, es war jedenfalls so, dass ich auch weiterhin noch als UTMB-Starter geführt wurde.
Auf dem „Dossart“, der Startnummer, stand aber Michael Esser. Da war ein Neudruck in so kurzer Zeit nicht möglich, also war ich im Team der „schleichenden EMUs“ der Michael Esser und so ging es mit den beiden nach „ganz oben“.PTL

Der PTL, der „kleine Spaziergang des Léon“, startete am Montagabend um 22 Uhr. 91 Teams nahmen daran teil, die meisten als Dreierteams, manche aber auch nur als Zweierteams. Eine eher kleine Veranstaltung also, aber der Start war tatsächlich atemberaubend. Nicht nur, dass alle, wirklich alle Mitbewohner des „Deutschen Hauses“ in Chamonix da waren, um dem einzigen deutschen Team die Daumen zu drücken, wobei der nominelle Niederländer Eric wegen seiner langen Wohntradition in Deutschland der Einfachheit halber von uns eingebürgert wurde, was ja auch gewissermaßen zu Recht geschah, immerhin wollen meisten der wenigen Einwohner von Reichweiler, dass Eric deren Bürgermeister sein sollte. Eric hat mit seiner Arbeit dort und auch mit dem K-UT, dem Keufelskopf-Lauf, diesem Städtchen so viel Sympathie gebracht, dass Reichweiler nun zumindest in Trailrunnerkreisen eine Art Mekka des Traillaufens geworden ist, ein unübersehbarer Punkt auf der Trail-Landkarte, der vor Eric einfach nicht präsent war. Und wenn im kommenden Jahr beim K-UT auch noch die offizielle DUV-Meisterschaft im Traillaufen ausgetragen wird, dann erhebt sich Reichweiler noch höher über die unzähligen anderen Kleinstädte, deren Trails unbelaufen, unbeweint und unbezwungen im Dunkeln vor sich hin trauern.

Die ganze Stadt Chamonix war auf den Beinen, um die 91 Teams auf ihre lange Reise zu schicken, 91 Teams, von denen allerdings die meisten nicht ankommen würden, das war von Anfang an klar. 49 Teams schafften die ungefähr 288 Kilometer lange hochalpine Strecke, die „schleichenden EMUs“ aber waren nicht darunter. Schade, wirklich schade. Dieser Traum zerplatzte sehr früh wie eine Seifenblase, die gerade eben noch in großer Stärke regenbogenfarbig schimmerte und dann nach einem kleinen „Plopp“ in sich zusammen fällt.
Dass dieser Bewerb so viel Beachtung bei der dortigen Bevölkerung findet, hätte ich nicht gedacht und mir kamen schon die Tränen, als wir kilometerweit durch ein Spalier von Menschen gelaufen sind, die uns alle „courage“ gewünscht haben, die applaudierten, winkten und jubelten. Kinder hielten ihre Hände zum Abklatschen hin und manche der Zuschauer standen erst in der Fußgängerzone und sind dann schnell noch den Berg nach oben gelaufen, um uns erneut zu sehen, als wir nach einer Biegung dort ankamen.PTL

Dass unser Team und unsere Situation von Anfang an unter keinem guten Stern stand sei aber auch erwähnt. Kaum waren wir aus Chamonix heraus und verschwanden im Wald, wollte ich die Stirnlampe anschalten, aber nichts tat sich. Später tauschte ich dann die Batterien aus, weil ich dachte, dass sich diese entladen hätten, wieder tat sich nichts. Die zweite Stirnlampe hatte ich im Auto gelassen und dafür lieber eine LED Stablampe mitgenommen, ideal zum Leuchten und Suchen, aber in Verbindung mit Treckingstöcken war das keine gute Alternative.
Am Ende lösten wir das Problem mit einer Mischung aus der Verwendung der Stablampe, teilweise bin ich in Erics Lichtkegel gelaufen und irgendwann habe ich Erics Ersatz-Stirnlampe bekommen. Dafür ist man ja ein Team, aber meine Sorgen wuchsen.
Sie wuchsen auch, weil Eric einige fatale Sätze sagte. Ob er das nur zu unserer Motivation tat oder wirklich daran glaubte, weiß ich nicht, ich jedenfalls empfand manches als unpassend und unüberlegt. Der Satz, der mich am meisten irritierte, war dabei dieser: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, hier nicht zu finishen!“
Ich konnte das schon. Und als Eric dann vorschlug, wir sollten nicht auf die Schlusszeit Sonntag 14 Uhr zielen, sondern auf ein Finish am Samstagabend, da wurde mir richtig unwohl. Uwe würde ich so etwas zutrauen, bei Eric war ich mir da gar nicht sicher. Zwar ist er hartnäckig, konsequent und zäh, aber er ist, wie ich, eher langsam. Und bei mir fielen mir die vielen Tausend Höhenmeter ein, die ich in der Vorbereitung auf den UTMB 2013 nicht gemacht hatte.

Bedingt durch den Darmvirus aus Nepal war ja in Andorra statt nach 170 Kilometern schon nach 20 Kilometern Schluss, beim Pitztal Gletscher Event habe ich mich von der 95 Kilometer Distanz schon vor dem Event auf die Marathonstrecke zurückstufen lassen und beim Eiger Ultra Trail war schon nach 16 Kilometern Schluss, weil der Virus wieder zugeschlagen hatte. Und dann sollten wir beim PTL schnell sein?

Für die erste Nacht auf den Dienstag war Regen vorhergesagt, zu unserer großen Freude blieb es aber trocken. Und am Dienstag wurde es sogar warm, fast heiß. Erst als wir gegen 14 Uhr vom Berg herunter zum tiefsten Punkt des gesamten Parcours herunter gekommen waren, zu dem Punkt, an dem Eric im Vorfeld eines von insgesamt fünf Verstecken eingerichtet hatte, Verstecke, in denen sich eine 1,5 Liter Flasche Coca-Cola, TUC Kekse, M&M Snacks und Mars Riegel unf für Eric eine Flasche Bier finden ließen, begann es dann doch zu regnen und wir zogen die verschwitzten Sachen aus und die Regensachen an. Und nach einer kleinen Pause ging es weiter, von da an nur noch rauf.

War der Weg bis dahin sehr gewöhnungsbedürftig, da waren Klettersteige, die Dich langsam gemacht haben, auch, weil sich ständig Schlangen davor bildeten. Immerhin waren einige der Läufer eben keine Bergsteiger und hatten schlichtweg Angst. „Gelbe Nummernschilder“ eben, gewissermaßen, ohne den Niederländern zu nahe treten zu wollen. Und da waren auch Leitern, Spalten, über die gesprungen werden sollten und Steinpassagen, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Das Resulat für uns war, dass wir sage und schreibe 13 Stunden und 45 Minuten für unseren ersten von etwa sieben Marathons brauchten. Der Besenwagen beim Berlin-Marathon wäre da schon zwei Mal vorbei gefahren gewesen.

Es ging also nur noch rauf und das im ständigen und stärker werdenden Regen. Und Eric schwächelte sichtlich. Als ich ihm eine für mich wichtige und lieb gewordene Nachricht erzählen wollte, wollte er die gar nicht hören und verwies darauf, dass es ihm wirklich nicht gut gehen würde. Ähnliches hat er dann auch Uwe erzählt. Uns beiden hatte er aber nicht verraten, wo seine Probleme lagen, das erfuhren wir erst ganz am Ende, nach knapp 60 Kilometern, also unwesentliche 228 Kilometer vor der Ziellinie.
Erst ging es eine Schotterstraße herauf, dann einen steilen Waldtrail. Dann folgte ein Trail durch niederes Gebüsch, der teils waagrecht verlief, teilweise anstieg. Und irgendwann waren wir dann an einer etwa 150 Meter hohen und etliche Kilometer langen Steinwand, die man nur über einen Klettersteig bezwingen konnte.
Ich ging mit Uwe zügig herauf, wir beide sind schon seit Kindesbeinen an auf solchen Klettersteigen gewandert. Dafür muss ich heute wohl noch meine Eltern um Verzeihung bitten, weil ich die damaligen Bergtouren eher in die Schublade „Things, I hate to do“ gepackt hatte. Heute sind sie das Fundament für einige Bergläufe und das habe ich auf diesen 60 Kilometern des PTL wieder gemerkt.
Oben warteten wir auf Eric und stellten uns an einer Hütte unter, deren Dachüberstand so klein war, dass Du nur dann nicht nass wurdest, wenn Du stramm an der Hüttenwand standest. Beim späteren Umziehen, beim Anziehen der warmen Schicht, wurdest Du permanent nass, was aus der „trockenen, warmen Schicht“ eine klamme, kühle Schicht machte. Immerhin besser als die nasse, kalte Schicht, die wir uns im Dauerregen erlaufen haben und die uns enorm frieren ließ.
Stehen bleiben und warten ist halt doch nicht immer leicht.

Als Eric kam, zog er sich auch um und erzählte uns davon, dass er sich „einen Wolf gelaufen“ hatte – und das direkt zwischen den Pobacken. Hirschtalg hätte das verhindern können, dachte ich, aber es war nun mal geschehen. Und er cremte sich ein und hoffte, als John Wayne o-beinig den kleinen Rest der Reise bewältigen zu können. Die Diskussion, ob wir aussteigen sollten oder nicht, hatte aber schon begonnen. Eric hatte die Frage zuerst gestellt, ich hatte sie nur gedacht. Als Gast des Teams wollte und konnte ich sie nicht formulieren, aber da oben frierend hatte meine Motivation schon deutlich abgenommen.
Am Ende hatten wir uns jedoch darauf geeinigt, doch weiter zu laufen, aber es war viel Zeit vergangen, sehr viel Zeit. Und nach weiteren vielleicht 200 Metern musste Eric einräumen, dass es für ihn definitiv nicht weiter gehen konnte. Er bot Uwe und mir an, als Zweierteam weiter zu laufen, das wollte ich aber nicht. Uwe ist ein sehr guter Läufer und ich hätte mich ständig unter Druck gefühlt. Im Dreierteam mit Eric wusste ich, dass mal er, mal ich die Bremse waren, das verteilt den Druck und gibt Dir Motivation, wenn Du auf den anderen warten musst.
Außerdem glaubte ich nicht an Erics Aussage, dass da eine Straße nach unten existieren würde. Und ich hatte Recht. Wir suchten und fanden – nichts. Am Ende stiegen wir im Dunklen über den Klettersteig ab. Eric wurde von uns dann kurzerhand ausgebürgert, bekam sein gelbes Nummernschild zurück und verhielt sich dann auch so. Aus dem starken Bär war ein verunsicherter Läufer geworden, der sichtlich Angst vor jedem Schritt hatte. Uwe und ich waren froh, ihn dann irgendwann nach unten geschleust zu haben.

Wenn ich mir vorstelle, wir wären weitergelaufen, dann hätten wir den Tracker mitbekommen und Eric wäre unbemerkt vielleicht gestürzt und keiner hätte es gemerkt. Ich bin so froh, dass wir die Entscheidung so getroffen haben, wie wir sie getroffen haben, obwohl ich mir gut vorstellen kann, dass Uwe mit der Situation stark hadern muss. Eric kann sich ja noch beim TdG den Frust von der Seele laufen und der Fehler der Organisation, mich beim UTMB nicht zu streichen, gab mir die Chance einer Revanche. Für Uwe, unseren besten Läufer allerdings, gab und gibt es keinen „Entfruster“.

Nach dem Klettersteig folgte der Trail durch das Gebüsch und den steilen Trail durch den Wald wollten wir durch einen langen Spaziergang auf der Straße umgehen. Das wiederum bedeutete 12 Kilometer kaum abfallende Straße und wir waren gegen 2.30 Uhr wieder im Dörfchen, das zwar einen Bahnhof, aber keinen Traffic mehr hatte. Kein Taxi, kein Bus, die Kirche abgeschlossen, die Parkbänke aber waren frei. Und sie wurden bei 12 Grad Temperatur unser Domizil.
Wir froren also kräftig, bis gegen 5.40 Uhr das Café eines einfachen Hotels öffnete und wir endlich wieder etwas Wärme erfuhren, eine heiße Schokolade trinken konnten und so warteten wir bis 7.40 Uhr auf den ersten Zug nach St. Gervais und dort dann auf den Zug nach Chamonix.

Mit leeren Händen, geknickt und gescheitert kamen wir dann dort an. Der Tracker, der ständig unsere Position verriet zeigte denen, die zwischen 14 Uhr am Dienstag und 2 Uhr am Mittwoch nicht auf unsere Position geschaut haben, an, dass wir uns scheinbar 12 Stunden lang nicht bewegt hätten. Am Ende waren also 75 Kilometer auf meiner Uhr verzeichnet und Eric, Uwe und ich waren müde und traurig.
Jetzt waren wir „ganz unten“.
Die restlichen vier Verstecke, die Eric an der Strecke eingerichtet hatte, sind wohl heute noch da. Wenn Du also mal die Strecke des PTL abläufst, dann schaue doch hinter jeden Stein – es könnte sich lohnen …