MyMAI …

MyMAI

Er hätte so schön werden können, der Mai, MyMAI. Geplant mit einem „Doppelpack“ aus der TorTOUR de Ruhr (TTdR) und dem Grand Union Canal Race (GUCR), aber wenn die Planung am warmen Schreibtisch zu Hause gemacht wird, dann besteht immer die Gefahr, dass da etwas dazwischen kommt, was sich „Realität“ nennt …

Und so stehen am Ende von MyMAI nur drei Läufe in meinem Lauf-Lebenslauf:
U 254 – Rengsdorfer Westerwaldlauf, 50 km, 10. Mai, 6:19:30
U 255 – 44 km Veedels Verzäll dreij, Köln, 13. Mai, GL
U 256 – TorTOUR de Ruhr 230,  Winterberg-Duisburg, 19./20. Mai, 34:21:00
Wie gut hätten sich da noch die 145 Meilen des GUCR gemacht?

Aber es war wohl das Wetter, das mir einen Strich durch mein ehrgeiziges Ziel gemacht hat und ein wenig auch die kurze Abfolge der ultralangen Kanten.

Beim „Westerwaldlauf“ um Rengsdorf herum war Badetag. Es schüttete, wir froren und wir zitterten. Und ich war am Ende der 50 Kilometer auch ziemlich fertig. Dennoch war es ein kleines Highlight, mit dem Erfinder der „Clean your trail“ Aktion, Sascha Rupp, und mit Christoph Mintgen gelaufen zu sein.

Einen Samstag später kümmerte ich mich um den Versorgungpunkt beim „25km Kölnpfadwandern im 4/4 Takt“, kein Wandern für mich, auch kein Laufen – und das alles bei bestem Frühsommerwetter.
Und dann, einen einzigen Tag später, als ich mit der großen Familie der KÖLNPFAD UltraläuferInnen beim „Veedels Verzäll dreij“ unterwegs war, war es wieder nass. Von oben, von unten, von der Seite. Und solch ein Wetter trübt natürlich auch immer ein wenig die Stimmung, bei allen. Und jeder ist, pitschnass bis auf die Haut, dann froh, in sein Auto zu kommen, um nach Hause fahren zu können.
Neben den Mitte 20 LäuferInnen, die mich da auf dem „Veedels Verzäll dreij“ begleitet haben, verdiente sich Patric Wurmbach Bestnoten, weil er im Regen unter einer Bushaltestelle die Stellung hielt und den Verpflegungspunkt auch für die Langsameren unter uns offen hielt.
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Und dann kam die TorTOUR.
Selten fühlte ich mich besser vorbereitet, mein Laufpensum der letzten Monate war ordentlich und ich hatte endlich mal keine Schmerzen mehr. Nicht an den Füßen, vor allem nicht an den Zehen, nicht in den Knien und auch nicht in den Waden.
Das muss an der Kombination der neuen HOKA-Schuhe gelegen haben, die ich, weil HOKA „meine“ Schuhgröße US 13,5 nicht mehr liefert, in US 14 geholt hatte.
Zudem hatte ich die Einlagen in die Schuhe eingebracht, ein Unterfangen, dass mich bei der Schuhgröße US 13 oder US 13,5 immer in Not bei den Zehen brachte.
Durch die Einlagen wird der Fußraum verkleinert, der gesamte Fuß angehoben und damit verkleinert sich auch der Spielraum der Zehen.
Mit den neuen, noch etwas größeren, Schuhen und den Einlagen scheine ich eine gute Lösung gefunden zu haben.

Meine Gabi war meine Supporterin und wir nächtigten in einem Ortsteil von Winterberg. Nach dem großen „Hallo“ und „Juhu“, nach unendlich vielen gedrückten Leibern und nach so viel Wiedersehensfreude ob der vielen bekannten Gesichter bei diesem wohl einmalig familiären Lauf, nach dem Briefing im neuen TTdR-Shirt, langärmlig und im Sublimationsdruck hergestellt und somit mit besten Voraussetzungen, in die Gruppe meiner Lieblingsshirts aufzusteigen, und nach einer kleinen Wartezeit ging es dann endlich los.

TTdR – ein Schauspiel in fünf Akten für mich.
2010 konnte ich das Ding finishen. Dabei war das mein erster wirklich langer Lauf, nonstop war ich zuvor nur ein Mal über 100 Kilometer gekrochen, das war bei der nur ein einziges Mal durchgeführten DLV-Challenge in Delmenhorst, 177,4 km in 24 Stunden, immerhin. Und dann gleich 230 K!
Aber ich erreichte die Stele in Duisburg erst in der Nacht und ich hatte, ehrlich gestanden, gar nicht bemerkt, dass da überhaupt eine Stele stand.
Aber schon am Tag danach, als ich die Fotos der anderen Finisher sah, war ich gierig darauf, auch mein ein Foto im Hellen an der Stele machen zu können.
2012 startete ich und scheiterte an meiner Übermotivation. Ich wollte zu viel und ich gab zu wenig. Und so ging ich nach 100 Kilometern aus dem Rennen.
2014 war ich angemeldet und heiß auf den Lauf. Heiß war aber auch das Wetter damals, extrem heiß sogar. Aber ich war sowieso nicht in Winterberg, sondern in Italien, weil ich einer Einladung des Chefs des Stöcke-Produzenten FIZAN zu einem Symposion über perfekte Laufstöcke folgte. Und am Tag danach, am zweiten TorTOUR-Tag also, liefen Michi Raab und ich auf einem alten Schmugglertrail in Italien eine Kurzstrecke von knapp 40 Kilometern und ich war danach vollkommen fertig.
2016 sollte es dann eigentlich endlich soweit sein: Die geniale Gürtelschnalle, die es ja 2010 noch nicht gab, wartete auf mich in Duisburg. Gabi, meine Supporterin, musste am Samstag noch arbeiten, also lief ich mit Christoph Mintgen, bis er nicht mehr konnte oder wollte und dann noch ein Stück weiter.
Als Gabi dann in der Nähe war und mich fragte, wo ich denn sei, da „tervauschte“ ich zwei der Ruhrseen und lotste sie prompt zu einem falschen Ziel. Von dort aus musste sie dann mich erst mal richtig finden, ich wartete im VP, die Zeit lief und der Cut-Off kam immer näher. Aber dann, kurz vor vier Uhr am Sonntagmorgen, startete ich, fast zeitgleich wie die 100 km „Bambini-Läufer“, die mich dann auch gleich einholten. Und ich war sooooo müde. Ich wankte und lief gerade in einen Gartenzaun hinein, als die beiden Letzten der 100 km Starter gerade bei mir waren. Es war die Familie Hanner, die mir dann zwei RedBull Dosen eintrichterten. Danach ging es aber kaum besser, die lange Pause im VP war einfach kontraproduktiv gewesen.
Als dann Frank Nicklisch auf mich auflief und mich immer wieder führte, weil ich immer wieder wegnickte, da war es um mich geschehen. Er wollte sich ein wenig in seinem Auto, dass dann zufällig am Weg stand, ausruhen und so verschliefen wir beide das Rennen. Als wir wieder aufwachten war uns beiden klar, dass es schon so spät war, dass ein Weiterlaufen nicht mehr sinnvoll gewesen wäre.
Die Gürtelschnalle musste also weiterhin in Duisburg auf mich warten.
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Ich war schnell unterwegs dieses Jahr, etwas schneller als sonst. Und ich hatte meiner Gabi gesagt, dass sie ruhig wieder ins Hotelbettchen steigen könne, die ersten 50 km bräuchte ich keinen Support. Dachte ich, das war aber weit gefehlt.
Gefehlt, weil ich zwei entscheidende Fehler noch im Hotel machte. So vergaß ich, das Melkfett bzw. den Hirschtalg zwischen die Beine zu schmieren und ich klebte meine Brustwarzen „blind“ ab. Und so verrutschte ich mit dem Pflaster links und dieses Pflaster thronte dann somit direkt neben der Brustwarze.

Aus der Verlegenheit der beginnenden Schmerzen im Schritt half mir mein KÖLNPFAD-Partner Thorsten Klenke und das Pflaster ersetzte ich dann, als Gabi dann irgendwann in den Support eingriff. Da war die Stelle aber schon blutig gewesen.

Das Wetter war fantastisch am Samstag, nicht zu heiß, kaum direkte Sonnneeinstrahlung und ich fand relativ schnell in Georg Hilden einen Laufpartner, mit dem ich sehr lange zusammen blieb und mit dem ich die Nacht verbrachte.
Gemeinsame Nächte unter Männern sind immer etwas sehr Verbindendes, etwas, das bleibt. Finde ich zumindest.
Wir trennten uns immer nur, wenn unsere Supporter getrennt voneinander parkten, damit wir nicht zwei Mal warten mussten. Nach dem Support aber fanden wir uns schnell wieder und kämpften wieder gemeinsam.
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Ganz besonders schön war, dass wir ganz kurz vor 16 Uhr am Startpunkt der 100 Meilen – LäuferInnen ankamen, die in einer Horde zusammenstanden und auf den Startschuss warteten. Ich gönnte mir den Abstecher nach rechts in die Menge der Wartenden, drückte und herzte viele, gerade die KÖLNPFAD UltraläuferInnen hatten es mir besonders angetan, dann gingen wir erst mal ein paar Meter zurück zum Verpflegungspunkt, um uns mit einem Nudelgericht zu stärken.

Kohlenhydrate, Salz, Flüssigkeit … das Regenerieren und Auftanken des Körpers kann so einfach sein!

Die Nacht war kalt und feucht. Die Ruhrauen zeigten kühlen Tau, wir froren und ich ärgerte mich, keine Handschuhe mitgenommen zu haben. Aber da meine Gedanke in solchen Situationen langsam sind und die Nacht kurz war, erledigte sich das Frieren schon mit den ersten Sonnenstrahlen.
Und von da an begann die Hitze. Keine Wolke am Himmel, viel direkte Sonneneinstrahlung und die Gewissheit, von jetzt ab gar nicht mehr so viel trinken zu können, wie der Körper es eigentlich verlangt hätte.

Und so wurden wir langsamer und langsamer und mein Wille, mich zu quälen, sank stündlich weiter. Längst war klar, dass wir im Hellen ankommen würden und während Georg noch das Ziel formulierte, eine „35“ vorne haben zu wollen, war mir alles egal und so trennten sich unsere Wege einen Halbmarathon vor dem Zielschluss und so lief er rund 23 Minuten vor mir ins Ziel ein, natürlich mit seiner „35“ vorne.

Ich aber verzweifelte an den letzten Kilometern, bei denen Du denkst, ganz bestimmt ganz gleich da zu sein, ganz gleich die orangene Stele zu sehen und ganz gleich erlöst zu sein von den Schmerzen in den Oberschenkeln und dem Ziehen im ganzen Körper.
Aber wenn die ersten 224 Kilometer noch einigermaßen kurz waren, die letzten 6 Kilometer zogen sich und mein Verstand drohte zu streiken.

Ich weiß nicht, wie ich diese letzten 6 Kilometer hinter mich gebracht habe, es war alles langsam. Ich hatte aber auch keine Lust mehr, ich wollte da dann nur noch drin sein. Für einen Schlussspurt fehlte mir die Kraft und die Einstellung.
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Aber dann war sie da, die Stele. Noch ganz weit hinten, aber so viele Menschen wünschten Glück, staunten über die Zahl 230 auf meiner Startnummer und schon deshalb ging es irgendwie weiter.
Aber dann an der Stele entlud sich die Anspannung mal wieder in sanftem Geheul. Wenig Wasser war noch im Körper verblieben, es reichte aber noch für viele Tränen.
Die Gürtelschnalle musste 2018 also nicht weiter auf mich warten, ich behüte und verehre sie jetzt in meinem Büro.

Meine Füße allerdings waren nach der Hitze und den vielen Kilometern elefantenmäßig aufgequollen und ich konnte vier Tage lang nicht richtig gehen.

Und dieser vierte Tag, der Donnerstag, war dann auch der Tag, an dem ich entschied, zwar nach England zu fliegen, aber am GUCR nicht teilzunehmen. Gabis und meine Flüge waren bezahlt, die Hotels weitgehend auch, wir gönnten uns etwas Liebe und etwas London, schrecklichen Dauerregen in Birmingham und wohlig warme Sonne in der englischen Hauptstadt.
Hätte ich die Entscheidung einen Tag später treffen müssen oder können, dann wäre ich wohl mit meinen Laufsachen nach England geflogen. Wer weiß, wofür die Pause gut war. Schlecht allerdings war sie für meinen Lauf-Lebenslauf. Und für meine Psyche.
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Dass Katrin Grieger als erst zweite Deutsche die Frauenwertung des GUCR gewinnen konnte, war jedoch mehr als ein Trost für mich und die gemeinsame Zeit mit Matthias, Katrin, Gabi und mir versöhnte mich mit der Traurigkeit, die uns Ultraläufer immer überkommt, wenn wir bei einem Laufevent vor Ort sind, aber dort nicht mitlaufen können oder dürfen.

MyMAI … kein perfekter Monat also, aber vielleicht ein guter Wegweiser für den Juni?
Zwei Marathons stehen da auf der Laufagenda und der DOLOMITI EXTREME mit 103 km und 7.150 HM.
Die 185 km auf dem GR-20 auf Korsika aber habe ich heute von meiner Agenda genommen, mir fehlt halt leider die Zeit für eine ganze Woche Laufspass, leider.
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„Gülü seven dikenine katlanır.“

„Wer die Rose liebt, der erträgt auf ihren Dorn,“ heißt es ja landläufig.
Und Dornen gab es einige beim IZNIK ULTRA 140 am 21. April 2018. Erstaunlich aber war, dass ich mich an die Dornen überhaupt nicht erinnern konnte, obwohl ich diesen Lauf 2016 schon hinter mich bringen durfte.
Türkei
Selten erinnerte ich mich öfter an den Satz „Die Erinnerung ist gnädig, die Realität ist grausam.“ Oder anders formuliert: Hinter der Ziellinie beginnt die Verklärung.
Schönes bleibt in Erinnerung, weniger Schönes wird vom Mantel der Dankbarkeit und des Vergessens überdeckt.

Ich bin ein Sonnenscheinkind, ein Warmduscher, ein Schattenparker.
Bei mir muss, damit ein langer Lauf funktioniert, idealerweise alles stimmen. Die Realität muss deckungsgleich sein wie die Bilder, die ich mir vorab von einem Lauf in meinem Kopf schon gemacht habe, die Laufklamotten müssen optisch passen, nichts darf vergessen sein und auch das „Drumherum“ sollte so sein, wie ich es haben will, sonst wird es schwer für mich.

Bei meinem Trip nach Iznik zum IZNIK ULTRA 140 stimmte aber einiges nicht. Es begann damit, dass ich mich noch gut daran erinnern konnte, auf der Wiese neben der Start-/Zielzone zelten zu können, inmitten drei Dutzend anderer Camper. Direkt daneben war ein grün gestrichenes Badehaus mit Toiletten und einer Waschmöglichkeit, ausreichend für die kurze Zeit vor dem Lauf, jedoch nicht ausreichend für das Säubern des Körpers nach dem Lauf.
2016 hatte ich deshalb im Grand Nicea Hotel, korrekt Grand Hotel Belekoma 2, direkt an der Strandpromenade, angefragt und ich durfte damals eine der dortigen Duschen benutzen. Der Gast, der dieses schöne Zimmer gemietet hatte, hatte schon ausgecheckt, das Reinigungsteam aber war dort noch nicht fertig gewesen.

Ich packte also meinen (Hand)Koffer …
Ich packte ein:
Ein Zelt
Einen Schlafsack
Einen Innenschlafsack aus dünnem Seidengewebe
Meine Stöcke
Mein gesamtes Laufequipment.

Ich wusste, dass ich erst spät Abends in Iznik eintreffen würde, deshalb buchte ich noch ein Zimmer für die erste Nacht von Donnerstag auf Freitag in einer „Pansyion“ nahe dem See, dem Iznik Gölü. Das Zimmer war mit 22 EUR inklusive einem kleinen Frühstück recht günstig und ich dachte, dass ich vielleicht dort sogar noch zwei weitere Nächte bleiben könnte, falls das mit dem Campen nicht klappen sollte.

Und „wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“, heißt es in Urians Reise um die Welt von Matthias Claudius. Und ich reiste. Von Köln aus nach Istanbul zum Flughafen Sabiha Gökçen, dem Flughafen im asiatischen Teil dieser turbulenten Metropole. Von dort aus ging es weiter mit dem Bus nach Bursa und von Bursa mit dem Minibus nach Iznik. Längst war es dunkel geworden und wir fuhren eine Ewigkeit am Iznik Gölü entlang. Und all diese Strecke sollen wir Laufen und das auf beiden Seeseiten?

Der Iznik Gölü (Gölü = See) ist der fünftgrößte See der Türkei. In der Antike wurde er auch Askania-See (Askania Limne, latinisiert Ascania Lacus) genannt. Seinen gegenwärtigen Namen verdankt er der Stadt Iznik (ehemals Nikaia). Seine Fläche misst 298 km². Zum Vergleich: Der Bodensee misst mit Ober- und Untersee zusammen 536 km², der Genfer See misst 580 km².
Kein kleiner Tümpel also. Und weil ja nicht die Seepromenade entlang gelaufen wird, die es sowieso nicht gibt, zumindest nicht um den gesamten See herum, sondern weil über die umliegenden Höhen und Berge gelaufen wird, misst die komplette Runde um den See eben 138,6 km.

Ich bezog mein Zimmerchen, nicht ohne vorher zu fragen, ob man denn noch ein freies Zimmerchen für die nächsten beiden Nächte hätte, was aber nicht der Fall war. Ich schlief früh ein und wachte zeitig auf. Es war Zeit, sich schon für den Lauf am Abend anzuziehen, so spart man sich das Umziehen am Nachmittag.
Beim Anziehen bemerkte ich, dass ich die zu den Armlingen und dem Laufshirt passenden Spykers für die Waden zu Hause vergessen hatte, welche Katastrophe. Ich bin schon lange keinen langen Ultra mehr ohne Wadenkompression gelaufen. Ob das gut gehen kann?
Nach dem Frühstück wollte ich mein Zelt aufbauen gehen. Der Wetterbericht, den ich in Deutschland angesehen hatte, versprach absolut trockenes Wetter, 13 Grad am Tag und 5 Grad in der Nacht, ideal eigentlich für einen Lauf.
Die Wirklichkeit an jenem Freitag aber sah ganz anders aus. 10 Grad warm, Regen, Regen und … schrieb ich das schon? Regen!

So trottete ich mit meinem Handköfferchen erst zum See und dann nach links zum Start-/Zielgebiet. Alles war anders. Es war eine riesige „Construction area“, Bäume wurden gepflanzt, eine Luxuspromenade soll dort entstehen und ich fand nichts wieder, nicht das Start-/Zielgebiet, nicht das kleine grüne Toilettenhäuschen, das längst hätte da sein müssen. Irgendwann kamen mir Morgenläufer vorbei, die ich kurz anhielt und nachfragte. „Mitten in der Stadt ist der Start jetzt,“ also die rund drei Kilometer mit dem Köfferchen zurück rollen. Nun sah ich auch das kleine grüne Toilettenhäuschen, eingebaut in riesige Erdhaufen, mittendrin in der „Construction area“.
Das wird wohl nichts mit dem Zelten, dachte ich. Und ich hatte Recht.
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Ich fand das Start-/Zielgebiet, anschließend klapperte ich nach und nach die einzelnen Hotels ab. Absage folgte auf Absage – und ich frage auch in den übelsten Kaschemmen nach. Meine Laune sank wie das Quecksilber in einem Thermometer in der Kühltruhe und ich sagte mir, dass ich wieder nach Istanbul fahren würde, wenn ich nirgendwo mehr unterkommen würde.
Zuletzt fiel mir wieder das feine Grand Nicea Hotel ein. Fragen kostet nichts, die Chancen sind gering, immerhin sind solche exponierten Hotels ja meist die ersten, die voll sind, weil sie eben in allen Führern und auf allen Portalen präsent sind.

Zimmer? Ja, eines war noch da. Und Geld? 180 türkische Lira die Nacht, 360 Lira für die beiden Nächte, umgerechnet 72,64 EUR, als Sonderpreis für die beiden Nächte. „Deal!“ sagte ich und reichte dem Consierge die Hand, bezog mein Zimmer und verließ es gleich wieder, um meine Startnummer abzuholen.

„Deinen Pass bitte,“ hieß es da. „Äh, … im Hotel!?“ Und, ach ja, es gibt beim IZNIK ULTRA auch eine Materialkontrolle! Das hatte ich vollkommen vergessen. Ich hatte auch vergessen, in Deutschland zu schauen, ob und was gefordert war.
Also wieder ins Hotel, die Sachen gepackt und wieder zur Startnummernausgabe.
Sicherheitsweste? Igitt!
Handschuhe? Ej, wir sind in der Türkei, da ist es warm!
Trinkbecher? Ich habe doch meine Flaschen …
Aber die Türkei ist billig und so kaufte ich für insgesamt 40 Lira, also für gut 8 EUR, diese drei Sachen nach. Zumindest die Handschuhe sind dabei ein echtes Schnäppchen gewesen und Handschuhe sind wie heißes Wasser – kann man immer brauchen.

Ich versuchte dann, im Hotel zu ruhen und schlief tatsächlich den halben Nachmittag durch. Um 18.30 Uhr (17.30 Uhr deutsche Zeit) gab es das Briefing. Ich ging hin, um zu schauen, wer denn von meinen türkischen Bekannten da wäre. Das Briefing war in Türkisch, macht nichts, ich war ja auch neben einem südafrikanischen Päarchen der Einzige, der kein Türkisch spricht.
Die beiden bekamen danach noch ein Kurzbriefing in Englisch, kurz, weil sie ja auch mit 30 km nur die Kurzstrecke liefen, ich brauchte das nicht, kannte die Zeichen und den Weg ja noch aus dem Vorvorjahr.
Danach gab es Pasta mit Tomatensauce und Ayran, ganz simpel und unspektakulär aus einem riesigen Topf. Ich sah und sprach Ruby und ihren Mann. Die beiden kenne ich von fast allen meiner türkischen Läufe. Sie war Deutsche, ist dann nach Kanada umgesiedelt und hatte den deutschen gegen den kanadischen Pass getauscht. Später dann haben die beiden ihre Firma in Kanada verkauft, seither leben sie in der Türkei, genießen das Leben und Laufen, was da zu Laufen ist.
Noch ein paar Fotos mit einigen türkischen Freunden, ein paar Worte mit dem Chef der Veranstaltung, mit Caner Odabaşoğlu, gemeinsame Erinnerungen teilen (ich verteilte mit ihm an der Warteschlange für den UTMB 2016 Flyer für den IZNIK ULTRA 2017) und ab ins Hotel. Ruhe, Schlaf, Entspannung.

Das Quecksilber des Laune-Thermometers war ein wenig gestiegen, von Begeisterung oder Vorfreude allerdings konnte keine Rede sein. Der Regen hatte weitgehend aufgehört, aber alles war pitschenass, ich hatte viel mehr Bekannte erwartet, es sollte einfach nicht mein Tag, nicht mein Rennen sein.
Ich stellte den Wecker des Handys auf 23.25 Uhr und ich war mir nicht sicher, ob der Wecker nach der türkischen oder nach der deutschen Zeit wecken würde. Wäre es die deutsche Zeit gewesen, dann wären die Läufer längst weg gewesen und ich hätte einen Grund gehabt, nicht Laufen zu müssen. „Höhere Gewalt,“ Du verstehst?

Aber ich wollte Laufen, ich musste Laufen, schon wegen des „Doppelpacks“ TTdR (TorTOUR de Ruhr), 230 km von der Quelle der Ruhr bei Winterberg bis zur Mündung der Ruhr in den Rhein bei Duisburg Rheinorange an Pfingsten und des GUCR (Grand Union Canal Races), 245 km am Grand Union Canal von Birmingham nach London Little Venice eine Woche später.
Ich dachte, wenn ich erst den JUNUT 170 packe, eine Woche später den GR 221 auf Mallorca mit den Lauffreunden von Michi Raabs Laufcoaches.com in drei Etappen bewältige und dann eine Woche später eben jene 140 km des IZNIK ULTRA einigermaßen innerhalb des Zeitlimits hinbekomme, dann zwei Wochenenden pausiere, dann einen Marathon laufe, dann sollte ich für den „Doppelpack“ gerüstet sein.

21 Stunden und 4 Minuten brauchte ich 2016 für die Strecke. Das war heuer nicht wieder drin. Der Boden war matschig und rutschig wegen des andauernden Regens, ich bin schlapp und nach dem JUNUT und dem GR 221 noch nicht vollständig wiederhergestellt und vollkommen untermotiviert.
Zielschluss ist 1 Uhr am Sonntag, also 25 Stunden Zeit. Aber ich wollte schon unter 24 Stunden bleiben, mindestens. Lieber wäre es mir jedoch, vor 22 Uhr zu finishen, mal sehen, ob mir das gelingen kann, dachte ich.

Da weder Gott noch Allah, weder Brahma, Shiva, Vishnu oder Saraswati und schon gar nicht Siddharta Gautama (Buddha) einen Fall von „höherer Gewalt“ mit meinem Wecker produziert hatten, trabte ich rechtzeitig zur Startlinie, gab den DropBag ab und sah wieder Ruby und ihren Mann.
An ihr wollte ich dran bleiben, er lief dieses Mal gar nicht und war als Edel-Supporter eingeteilt. Es wurde heruntergezählt: „On, dokuz, sekiz, yedi, alti, beş, dört, üç, iki, bir … sifir!“ Und die Meute setzte sich in Bewegung, Ruby und ich sicherten das Feld nach hinten ab.

Und das Anfangstempo war ungeheuer schnell …

MyMai …

MyMAI„MyMai“ hatte ich ihn ja genannt, meinen Mai.
Den „Wonnemonat“, in den so viele Läufe fielen.

Da war das Ende der Serie „MMM“, Madeira – Mallorca – Menorca, mit den 185 Kilometern Länge und dem Sturz nach 18 Kilometern auf Menorca, da waren die 24-Stunden von Steenbergen, bei denen ich gefühlt mehr geruht habe als dass ich gelaufen bin, da war der Monatsanfang mit dem Landschafts-Marathon „vor der Haustüre“ in Mendig, da war das Grand Union Canal Race (GUCR), das ich wegen der Nachwirkungen des Sturzes von Madeira nach 59,7 Kilometern am dritten Verpflegungspunkt verlassen musste.
Und da war der fantastische Abschluss beim UTLW, beim Ultra Trail Lamer Winkel, einer der best organisierten Veranstaltungen mit Herzlichkeit und Wärme, die ich je erleben durfte.

Nicht alles hat also funktioniert, zum perfekten „MyMai“ fehlen eben diese rund 180 Kilometer am Grand Union Canal, auf die ich verzichten musste. Schade, denn dieses Event wäre es wert gewesen, zu Ende gelaufen zu werden, schon wegen der schweren und edlen Finisher-Medaille. Und wegen Dick Kearn, dem urigen Veranstalter – oder, leider, besser: dem urigen ehemaligen Veranstalter. Weil der GUCR 2015 sein letztes Event war. Er hat sich mit warmen Worten bei den Läufern bedankt und verabschiedet und hofft, in Zukunft noch eine Rolle in der Organisation dieses Rennens zu spielen, die Zeiten als Frontman aber sind nun für ihn zu Ende.
Dick, you are always in our hearts!

Vorbei ist nun also der „MyMai“, was werden die Monate Juni und Juli bringen?

Der Juni beginnt mit einem privaten Lauf im Muellerthal in Luxemburg, mit Eric Gee, mit dem ich auf Madeira lange Zeit laufen konnte. Irgend etwas um die 100 Kilometer sollen es sein, getreu dem Motto: „Hundert gehen immer!“
Darauf folgt die fünfte Ausgabe des RheinBurgenWeg-Laufs, die erste in einer warmen Zeit mit einer kurzen Nacht. Mal sehen, wie sich das auf die Truppe auswirken wird. Es wird voraussichtlich die größte Truppe sein, die da die 110 Kilometer von Koblenz nach Bingen unter die Füße nehmen wird.
Wir werden also unseren Körpern viel Gutes tun und gleichzeitig auch viel Gutes für Nepal zu tun versuchen. Nach dem schlimmen Erdbeben in Nepal, das dieses schöne Land weitgehend zerstörte, ist es uns allen eine Herzenssache, da unseren Beitrag zu leisten, Hilfe zum Neustart zu geben.HHUnd eine Woche später geht es dann auf die Insel Korsika, für mich das erste Mal in meinem Leben.
Der legendäre Weitwanderweg GR-20 will bezwungen werden. Und das nicht in einem Wettkampf, sondern als Veranstaltung von Trail-ManiaX mit 24 anderen „Säbelzahntigern“ als Wohlfühl- und Kennenlern-Programm. Fünf Tage Zeit haben wir für die rund 180 Kilometer des GR-20, für eine Strecke, für die selbst der Wunderläufer Kilian Journet rund 32 Stunden gebraucht hat.
Wir werden rund 110 Stunden zur Verfügung haben, aber da sollen auch Zehntausend Fotos drin sein, die am Ende der Veranstaltung hoffentlich sogar einmal ein ganzes Buch füllen werden.
Ausnahmslos hervorragende BergläuferInnen werden dort vertreten sein, ein Glück, dass ich in diesem Kreis den Bremser machen darf.
Ein Wahnsinns-Event und ein Wahnsinns-Dank an die Ober-Säbelzahntiger Mario Schönherr und Michi Raab.TMIm Juli dann kommt der KÖLNPFAD, vielleicht das größte Highlight meines bisherigen Läuferlebens. Ich als Organisator, nicht als Läufer. Und aktuell 60 Namen auf der Einzelläufer-Liste und fünf Staffelteams mit jeweils fünf Staffelläufern. Die Erwartungen sind hoch, mal sehen, ob wir, das wunderbare Helferteam und ich, das gut umsetzen können.

Und dann wird es auch gleich episch. Die zweite Austragung des „BUFF EPIC TRAIL“, jetzt „BUFF EPIC RUN“ genannt, steht an. In den Pyrenäen, steil und schroff. Ein Event, das im Vorjahr nur 17 Finisher sah. Ich bin also darauf vorbereitet, hier wegen des Reißens der Cut-Off-Zeiten irgendwann herausgenommen zu werden.
Aber ich will es probieren … und ganz vielleicht habe ich ja einen perfekten Tag, die perfekte Vorbereitung mit viel Ruhe davor, immerhin laufe ich den KÖLNPFAD ja nicht selbst, aber ohne nennenswerten Muskelabbau durch eine zu lange Pause.
Vielleicht, vielleicht …

Und abschließen werde ich den Juli dann mit der 260 Kilometer langen „Suche nach meinen Wurzeln“. In der Türkei, in Kappadokien, zwischen den Städten Kayseri und Aksaray.
6 Etappen, darunter die Königsetappe mit 101 Kilometern, die Veranstaltung „Runfire Cappadocia“ wird eine Wallfahrt für mich werden.
„teşekkür ederim“ in die Türkei!Cappadocia2

„Ja, ich will!“

Auch dieses Jahr hat wieder Gerhard Börner zu seinem JUNUT gerufen, dem 230 Kilometer langen Lauf auf dem Prädikats-Wanderweg Jurasteig und auch dieses Jahr bin ich seinem Ruf gefolgt.
Trotzdem. Und genau deswegen.
2014-04-11 13.00.32Trotzdem, dass ich 2012 schon an der sehr engen Cut-Off-Zeit zu scheitern drohte und Gerhard uns dann gesagt hat, wir sollten, weil ein Verpflegungspunkt hochzeitsbedingt sehr pünktlich schließen musste, doch einen Abschnitt statt über den Steig lieber am Fluss entlang gehen. Das wiederum hatte zur Folge, dass wir die Flussgabelung nicht realisierten und dem falschen Gewässer folgten.
Nie werde ich wohl den Anruf von TrailMaxx (Max Schiefele) vergessen, der uns darüber informieren wollte, dass er aus dem Rennen sei.
„Wo seid Ihr eigentlich?“ fragte er noch und ich nannte ihm den Ort, dessen Ortsschild wir gerade neben uns stehen hatten. „Nein, seid Ihr nicht!“ war seine Antwort.
„Klar sind wir da, ich kann doch lesen!“
„Dann seid Ihr total falsch!“ sagte Max und holte uns mit dem Auto dort ab. Ein DNF bei solch einem Rennen war neu für mich.

Trotzdem, dass ich 2013 bei 172 Kilometern ausgestiegen bin. Nein, kein DNF, das war im Rahmen der Möglichkeiten, aber eben ein „Finish zweiter Klasse“. Und wer will das schon?
Dabei hatte ich noch genug Zeit, die restlichen 58 Kilometer zu rennen, zu laufen, zu gehen sogar. Zu gehen wahrscheinlich, weil ich zu diesem Zeitpunkt schon in meiner Moral geknickt war.
Aber die Aussicht, die vier UTMB-Punkte dennoch zu erhalten, dennoch gewertet zu werden, ein Finisher zu sein und, was genauso motivierend war, in einem richtigen Bettchen schlafen zu können, war zu schön, also verzichtete ich auf den kleinen Rest der Reise.
Aber schon eine Nacht später ärgerte ich mich sehr über mich und dieser Ärger hielt an – bis zum letzten Wochenende.

Und genau deswegen, weil ich diese Scharte beim dritten Start auszumerzen gedachte. Und so sagte ich jedem, der es hören wollte und auch denen, die es nicht hören wollten, dass man mich doch bitte so lange schlagen möge, bis ich eine solche Entscheidung, das Rennen zu verlassen, neu überdacht hätte, falls ich eine solche Entscheidung irgendwann treffen sollte.
2014 musste es einfach ein „Finish erster Klasse“ sein, mein erster von insgesamt drei 230 Kilometer-Läufen, ziemlich dicht hintereinander.
Die beiden anderen neben dem JUNUT sind noch das Grand Union Canal Race (GUCR) und die TorTOUR de Ruhr

2014 wollte ich auch alles anders machen und ich entschloss mich, das Rennen gemeinsam mit Frank Nicklisch zu bestreiten. Nach der Müritz-Umrundung und dem halben, im kalten Januar inoffiziell nachgelaufenen, KoBoLT wusste ich, dass wir gut harmonieren können und ich folgte seinem Rennplan. Die ersten 100 Kilometer wollten wir in 10 Minuten pro Kilometer absolvieren, die zweiten 100 Kilometer dann in 12 Minuten pro Kilometer. Dann die Schlafpause und ein Finish am späten Sonntagvormittag, soweit zu diesem Plan.

Wir waren langsam unterwegs, auch dank eines Abstechers in einer bayrische Dorfkneipe, die neben echten Originalen, Bayern-Bazis, wie sie im Buche stehen, auch stark gewürzte Pommes anbot, zwei kühle alkoholfreie Weißbier dazu, es war ein kleine Oase im stundenlangen Trail. Wir waren langsam, aber stets im Rahmen unseres Plans.
Zu gewinnen gab es für uns mit diesem Plan nichts, das wussten wir beide. Aber ich bin ja 2013 nicht aus Zeitmangel raus, sondern, weil ich vor der zweiten Nacht Angst hatte.
Nun, 2014, rund zwei Stunden später am Punkt 172 K, dem offiziellen Ausstiegepunkt?

Ich überlegte hin und her. Mit Frank kann ich gut auskommen, er hat viel und Gutes und Interessantes zu erzählen, auch wenn die Nacht lang ist und die Laufgeschwindigkeit niedrig, irgendwie wird es gehen.
Und da kam mir auch die Stimme in den Sinn, die Stimme, die die ultimative Frage stellte:

„Willst Du, TOM, den hier anwesenden Jurasteig-Trail als Deinen Dir ausgewählten Trail annehmen, ihn ehren, achten und lieben und ihn so lange belaufen, bis dass der Zieleinlauf Euch scheidet? Dann antworte mit „Ja“!“

2014-04-11 15.18.27Was weiß ich denn, dachte ich mir, aber ich sprach ein deutliches „Ja, ich will!“ in mich hinein.
Und ich war ein wenig stolz auf mich. Es ist so leicht, zu laufen, so lange es schnell geht, Spaß macht und nicht allzusehr schmerzt. Aber an diesem Punkt, mit schmerzenden Füßen, die so maltraitiert waren, dass ich später Blasen in einer Größenordnung entdeckt habe, wie ich sie noch nie hatte, mit Knieschmerzen in beiden Knien, mit matschigen Oberschenkeln, die zwar nicht blockierten, die mich aber auch nicht unterstützen wollten und allem voran mit einem „Wolf“ im Schritt, der so schlimm war, dass ich die bayrischen Landmädels mit meiner tief herunter gezogenen Laufhose erschrecken konnte, an diesem Punkt dennoch „Ja, ich will!“ zu sagen, darauf war ich schon stolz, weil es so einfach gewesen wäre, auszusteigen.

Um die Nacht noch kurzweiliger zu machen, nötigte ich an diesem Punkt auch noch den Moorrunner Frank, sich uns anzuschließen. Und das war gut so. Er war zu diesem Zeitpunkt einfach zu schwach, um sich gegen meine Nötigung zu wehren und so trabten wir die folgenden 58 Kilometer gemeinsam Richtung Ziellinie. Wir gönnten uns noch 90 Minuten Schlaf und erzählten uns gegenseitig Romane aus unseren Leben, romantische Schwänke aus Zeiten, in denen auch nachts die Sonne schien, in denen alles, aber auch wirklich alles besser war und wo uns junge Burschen die Frauen noch gnädig anlächelten.
Und wenn das alles heute nicht mehr so ist, wenn die Nächte kühl und dunkel sind und wenn wir für unsere Frauen längst schon altes und gewohntes Inventar geworden sind, das auch mal abgestaubt gehört, dann sind wir gegenüber damals doch eines:

Wir sind Finisher des JUNUT, des mit 230 Kilometern und rund 7.000 Höhenmetern im Aufstieg zurzeit noch zweitlängsten Ultralaufs Deutschlands. Und das kann uns keiner mehr nehmen.
2014-04-11 13.00.37Rund 200 dieser 230 Kilometer bin ich dabei an der Seite von Frank gelaufen, knapp 60 Kilometer war auch der Moorrunner bei uns. Und dazwischen bildeten wir Trios, Quartette oder mehr mit vielen der fast 100 Läufer, von denen exakt 50 ins Ziel in Dietfurt gekommen sind. Andreas Siebert ist hier an erster Stelle zu nennen, mit ihm teilten wir vor allem am Anfang Trail und Suche.

Was Gerhard Börner und seine Frau Margot, sein Team aus Schwester, Schwager, Schwippschwager, Bekannten, Verwandten, Freunden, Kumpels und Unterstützern da auf die Beine gestellt hat, das ist schon phänomenal.
So ausergewöhnlich, dass nun, im vierten Jahr der offiziellen Austragung, im allerersten Jahr waren es ja nur vier wackere Testläufer, der BR sogar in der Abendschau darüber bereichtete. Ein regionaler Fernsehsender war auch da und auch Antenne Bayern und andere Rundfunksender nahmen hochachtungsvoll Notiz von diesem Event.

Und 2015?
Wenn Gerhard Börner mich also wieder fragt, ob ich starten möchte, dann antworte ich ganz bestimmt auch mit
„Ja, ich will!“
Urkunde

Warum es schön ist, durch die Nacht zu laufen …

Hat Dich die Antwort auf diese Frage schon einmal bewegt:
„Was treibst Du denn so in Deinen Nächten?“

„Schlafen“ ist da sicher die klassische Antwort oder eben all die Dinge, die man im Bett so machen kann. Aber hoch im Kurs stehen auch „Party machen“, „in die Disco gehen“, einfach „feiern“. Studenten beantworten die Frage oft banal mit „lernen“, andere lassen sich von Domian inspirieren, wieder andere freuen sich über merkwürdige Clips in dubiosen Sparten-Fernsehsendern. Nachtschwestern im Krankenhaus verstehen überhaupt nicht, warum sie das gefragt werden und manche säubern den Strand vom Touristenmüll oder präparieren die Skipisten für den Schneespaß am nächsten Tag.
Auch das „Regale im Supermarkt auffüllen“ und die Arbeit in der Backstube sind beliebte Antworten und Börsenmanager sowie Computerfreaks schätzen die Nachtarbeit, weil eben genau dann auf dieser Welt das Meiste passiert, wenn es in den USA taghell ist.

„Laufen gehen“ ist jedoch selten die entsprechende Antwort, oft löse ich damit lediglich Kopfschütteln und Unverständnis aus. Die meisten Nichtläufer dieser Welt verstehen ja schon nicht, wie man am Tag Laufen gehen kann und die Mehrzahl der Läufer dieser Welt wollen beim Laufen meist etwas von der Natur sehen, die Landschaften erleben und einfach schneller unterwegs sein.
Und doch ist es wunderschön, durch die Nacht zu laufen, zumindest für mich.
lakenOft zwingen Dich ja die Wettkämpfe zum „durch die Nacht laufen“ und da meine ich nicht die 10 Kilometer „Nachtläufe“ von Zons oder Köln oder die „Nachtmarathons“ von Luxemburg oder Marburg, die in der Regel alle am späten Abend schon enden, sondern ich meine die Bewerbe, bei denen eben so lange Distanzen zu bewältigen sind, dass Du zwangsläufig eine, zwei oder „etcetera“ viele Nächte durchlaufen musst.

Und genau dafür habe ich vor einigen Jahren mal angefangen, das Laufen in der Nacht zu trainieren. Und bei diesen Trainingsläufen habe ich mich ins Nachtlaufen verliebt.

Einer dieser Läufe fand im September 2010 von mir zu Hause nach Ratingen-Breitscheid statt. Über diesen Lauf habe ich damals hier an dieser Stelle berichtet:
„Ein 5.000 Meter Lauf mit reichlich Anlauf …“
Es ist für mich immer wieder ein tolles Erlebnis, in der Nacht mit Menschen zu reden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Alkohol, den ich statistisch trinken müsste, den ich aber wegen meiner Alkoholabstinenz nicht aufnehme, für mich mit zu konsumieren – und vielleicht auch noch den von anderen Menschen, die ebenfalls auf ihren statistischen Alkoholwert verzichten.

Aber das Laufen in der Nacht hat auch einen strategischen Vorteil für mich: ich kann mich voll auf mich konzentrieren, ich erlebe das Nachtdesign der Landschaft, durch die ich laufe, ich kann später dann mit meiner Familie frühstücken und trotz allem noch einen netten Tag mit meinen Lieben verleben, ich kann ohne Sorgen auch auf den Straßen laufen, wenn das sinnvoller erscheint, weil die Straßen leer sind und Autos früh wahrgenommen werden und ich rieche und schmecke die Natur deutlicher als am Tag und ich sehe Dinge, die ich am Tag nicht sehen würde.
Den Mond beispielsweise, der in er einen Stunde noch riesengroß und gelblich vor Dir steht und in der anderen Stunde weit oben klein und weißlich auf Dich scheint.
Oder auch Katzen, deren Augen im Schein Deiner Stirnlampe funkeln und Du Dich erst erschreckst und mit denen Du dann das Spiel spielst, dass der verliert, der zuerst flieht. Meist sind das die Katzen, gelegentlich aber fliehe aber auch ich …

Im letzten Jahr war ich vor dem TransGranCanaria Lauf zwei Mal durch die Nacht unterwegs, raus aus Playa del Inglés, rauf in die nächtlichen Berge. Ein Mal war es in einer kanarischen Karnevalsnacht, als ein dicker Karnevalist mit Flügeln an den Armen und einem Schwan auf dem Kopf sturzbetrunken aus einer Kneipe kam, mich mit der gesamten Laufausstattung gesehen hat und ungläubig fragte: „Wie siehst Du denn aus?“
Männer mit Schwänen auf dem Kopf sind hierbei aber nicht immer vorbildliche Fragensteller, finde ich.

Dieses Jahr aber entgeht mir eine Serie von Nachtläufen, die zu laufen für mich eine wahre Freude gewesen wäre. Aber ich will Dir diese Nachtlaufserie ans Herz legen …
Ich selbst werde mich an diesem Wochenende wieder im fairen Kampf „Läufer gegen Kanal“ versuchen, nicht übermüdet in denselben zu fallen und am Grand Union Canal vorbeilaufen, von Birmingham nach London. Und das mit zwei Handvoll anderer Deutscher, auf die ich mich schon jetzt ganz besonders freue.
TRAIL-MANIAK Black-Forest_BachDa man aber nicht gleichzeitig in England am Kanal und in Deutschland im Schwarzwald sein kann, entgeht mir also der „Black-Forest TRAIL-MANIAK 2014 – the dark edition“, leider.
Der Ausdruck „dark edition“ deutet bei Schokoprodukten ja auf besonders dunkle Schokolade hin und damit auf einen ganz besonderen Genuss, an dem ich leider kaum vorbei komme. Das eine oder andere Pölsterchen im Bauch- und im Hüftbereich legt dabei Zeugnis ab, wie gierig ich oft nach „dark edition“ bin.

Dass „dark edition“ auch anders geht, zeigt der Schwarzwald. Da läufst Du in drei Nächten 100 Meilen durch den Schwarzwald mit einem Finish auf dem höchsten Berg des Schwarzwaldes, dem Feldberg. Oder Du läufst in zwei Nächten 100 Kilometer oder in einer Nacht einen Marathon oder wenigstens einen Halbmarathon durch den Schwarzwald und, na klar, mit einem Finish auf dem Feldberg.
Ob sehr viel Spaß auf 100 Meilen, viel Spaß auf 100 Kilometern, Spaß mit einem Marathon oder wenigstens etwas Spaß mit einem ungewöhnlichen Halbmarathon, eine „dark edition“ wäre immer meine Wahl.

„Mach doch mal was Verrücktes“ heißt es da vom Veranstalter. Und das stimmt, es ist schon ziemlich abgefahren, was da probiert wird. Noch nie hat es eine solche „dark edition“ Veranstaltung gegeben. Wenn Etappen gelaufen werden, dann eben genau anders herum. Du läufst am Tag und ruhst in der Nacht.
Und auf „Abgefahrenes“ stehen wir doch alle, oder?
Unter Tage schwitzen, einen Tag auf der Treppe leiden, sich durch Wüsten schleppen oder Pulkys hinter uns her ziehen – alles sein außer „normal“.

Die ganzen Details dieser „dark edition“ Veranstaltung siehst Du hier (klicken zum Vergrößern!):
TRAIL-MANIAK Black-Forest 2014Einen kleinen Trost aber habe ich dennoch für mich. Wenn wir die 145 Meilen Richtung London laufen, dann werden wir in der einen Nacht, die wir durchlaufen werden, sicherlich auch so schöne Stirnlampen-Muster in den Nachthimmel zaubern wie hier:

TRAIL-MANIAK Black-Forest_StirnlampeAllen, die wie ich gerne durch die Nacht laufen, ob im Schwarzwald, in England oder sonstwo auf einem Trail, wünsche ich allzeit gute Sicht und unvergessliche Momente in den durchwachten Nächten.

Männer mit Schwänen auf dem Kopf würden Dich verstehen …