Ich sitze im Flieger nach Hause, die Sicht nach unten ist außergewöhnlich frei und schön. Ich sehe schneefreie Täler und schneebedeckte Berge. Und ich beginne, nachzudenken, was mir am vergangenen Wochenende denn so alles passiert ist.
Alles begann eigentlich schon mit meiner Entscheidung, statt an einem Lauf in der Türkei im April 2018 doch lieber mit Michi RaabsLaufcoaches.com Truppe den GR 221 auf Mallorca zu rocken.
Der GR 221 ist einer der besonders schönen Lauf- und Wanderstrecken durch das Tramuntana Gebirge auf „Malle“, Deutschlands „Bundesland Nummer 17“.
Im Gegensatz zum GR 20 auf Korsika, der ja mittlerweile Kultstatus und Weltruhm erlangt hat, ist der GR 221 noch weitgehend unbekannt, er ist auch nach vielen Jahren der Existenz noch nicht durchgehend markiert und er ist auch durch die Existenz von etlichen Alternativstrecken auch nicht abschließend festgelegt.
Aber der Weg durch das Tramuntana Gebirge, der „Weg der Trockenmauern“, die teilweise auf die Römer zurückgehen, ist einfach traumhaft schön.
Ich hatte den GR 221 vor einigen Jahren durch Michi Raab kennen gelernt, als er mich zum damaligen Lauf „Ultra Tramuntana“ mitnahm, 112 Kilometer von Andratx nach Pollenca, (Pollenca mit einem „c“ mit einer kleinen Schlangenlinie drunter, damit es statt „z“ als „s“ ausgesprochen wird. Und weil nicht nur mein Rechner nicht über diesen Buchstaben verfügt, deshalb schreiben Manche sicherheitshalber auch lieber „Pollensa“), einen Lauf, den ich danach noch zwei weitere Male wieder besuchen durfte, bis er sich zu einem meiner Lieblingsläufe entwickelt hatte, um dann leider eingestellt zu werden.
Der Lauf fand immer im April statt und ich werde nie die steil und heiß über den Läufern thronende Sonne vergessen, die uns jeden Schritt des steilen, s-förmig geschwungenen, längsten Anstiegs von Soller aus rauf bis zum Stausee schwer gemacht hat. Allein dieser Anstieg hat insgesamt mehr als 1.200 Höhenmeter und der gesamte GR 221 wartet mit knapp 5.000 Höhenmetern auf, keine „leichte Kost“ also. Kindergeburtstag geht eben anders, will aber keiner haben.
Aber zurück zum Anfang. Als ich mich also entschied, im April die Laufcoaches.com 3-Tage-Version des Laufs durch das Tramuntana Gebirge zu laufen, rief mich Michi an und berichtete, dass er zufällig einen fast ganz neuen Lauf auf nahezu gleicher Strecke gefunden hätte, ebenfalls von Andratx nach Pollenca, nun aber mit 124 Kilometern etwas länger. Das Zeitlimit war gleich wie beim „Ultra Tramuntana“, trotz der 12 Mehrkilometer, das sollte aber eigentlich passen, waren meine Finisherzeiten doch immer zwischen 19:40 Stunden und 21:40 Stunden. „Tramuntana Travessa“ heißt dieser Lauf, der 2016 erstmals ausgeführt wurde und für den es nur eine Webseite auf Spanisch und eine auf Mallorquinisch gibt. Eine nur sehr sporadische Beteiligung ausländischer Gäste war also vorauszusehen.
Kaum hatte ich mich dank der Übersetzung durch „Google Translate“ in die Details eingelesen, war ich Feuer und Flamme – und angemeldet. Und ich träumte und stellte mir einen letzten Lauf 2017 in der Sonne vor, mit kurzer Hose, kurzem Laufshirt, Mallorca eben.
Wie man sich doch täuschen kann! Weiterlesen →
2015 ist nun fast vorbei. Fast, das heißt, dass es für mich noch den „Kleinen KoBoLT“ geben wird. Und wieder den „Eisweinlauf“, natürlich. Und vielleicht noch den „Glühwein-Marathon“, je nachdem, wie ich mich an diesem Wochenende fühlen werde.
Danach bleibt dann wirklich nichts mehr, nada, njete, nothing, ketiadaan,hiçlik, فراغ.
2015 war in vielerlei Hinsicht „mein Jahr“. Die läuferische Hinsicht will ich hier einmal beleuchten.
„Nichts geschieht zufällig“, heißt es im Resonanzgesetz, „nihil fiet casu“ auf Latein, alles hat einen Sinn im eigenen Leben. Und so danke ich diesem Sinn des Lebens dafür, 2015 bisher so viele Länder besucht zu haben:
Frankeich, Gran Canaria, Italien, Madeira, Mallorca, die Niederlande, Menorca, England, Korsika, Spanien (Festland), Kappadokien (Türkei), Schweiz, Lykischer Weg (Türkei), Österreich und Luxemburg.
So viel Auswahl wird es wohl für mich nie wieder geben! Weiterlesen →
„MyMai“ hatte ich ihn ja genannt, meinen Mai.
Den „Wonnemonat“, in den so viele Läufe fielen.
Da war das Ende der Serie „MMM“, Madeira – Mallorca – Menorca, mit den 185 Kilometern Länge und dem Sturz nach 18 Kilometern auf Menorca, da waren die 24-Stunden von Steenbergen, bei denen ich gefühlt mehr geruht habe als dass ich gelaufen bin, da war der Monatsanfang mit dem Landschafts-Marathon „vor der Haustüre“ in Mendig, da war das Grand Union Canal Race (GUCR), das ich wegen der Nachwirkungen des Sturzes von Madeira nach 59,7 Kilometern am dritten Verpflegungspunkt verlassen musste.
Und da war der fantastische Abschluss beim UTLW, beim Ultra Trail Lamer Winkel, einer der best organisierten Veranstaltungen mit Herzlichkeit und Wärme, die ich je erleben durfte.
Nicht alles hat also funktioniert, zum perfekten „MyMai“ fehlen eben diese rund 180 Kilometer am Grand Union Canal, auf die ich verzichten musste. Schade, denn dieses Event wäre es wert gewesen, zu Ende gelaufen zu werden, schon wegen der schweren und edlen Finisher-Medaille. Und wegen Dick Kearn, dem urigen Veranstalter – oder, leider, besser: dem urigen ehemaligen Veranstalter. Weil der GUCR 2015 sein letztes Event war. Er hat sich mit warmen Worten bei den Läufern bedankt und verabschiedet und hofft, in Zukunft noch eine Rolle in der Organisation dieses Rennens zu spielen, die Zeiten als Frontman aber sind nun für ihn zu Ende. Dick, you are always in our hearts!
Vorbei ist nun also der „MyMai“, was werden die Monate Juni und Juli bringen?
Der Juni beginnt mit einem privaten Lauf im Muellerthal in Luxemburg, mit Eric Gee, mit dem ich auf Madeira lange Zeit laufen konnte. Irgend etwas um die 100 Kilometer sollen es sein, getreu dem Motto: „Hundert gehen immer!“
Darauf folgt die fünfte Ausgabe des RheinBurgenWeg-Laufs, die erste in einer warmen Zeit mit einer kurzen Nacht. Mal sehen, wie sich das auf die Truppe auswirken wird. Es wird voraussichtlich die größte Truppe sein, die da die 110 Kilometer von Koblenz nach Bingen unter die Füße nehmen wird.
Wir werden also unseren Körpern viel Gutes tun und gleichzeitig auch viel Gutes für Nepal zu tun versuchen. Nach dem schlimmen Erdbeben in Nepal, das dieses schöne Land weitgehend zerstörte, ist es uns allen eine Herzenssache, da unseren Beitrag zu leisten, Hilfe zum Neustart zu geben.Und eine Woche später geht es dann auf die Insel Korsika, für mich das erste Mal in meinem Leben.
Der legendäre Weitwanderweg GR-20 will bezwungen werden. Und das nicht in einem Wettkampf, sondern als Veranstaltung von Trail-ManiaX mit 24 anderen „Säbelzahntigern“ als Wohlfühl- und Kennenlern-Programm. Fünf Tage Zeit haben wir für die rund 180 Kilometer des GR-20, für eine Strecke, für die selbst der Wunderläufer Kilian Journet rund 32 Stunden gebraucht hat.
Wir werden rund 110 Stunden zur Verfügung haben, aber da sollen auch Zehntausend Fotos drin sein, die am Ende der Veranstaltung hoffentlich sogar einmal ein ganzes Buch füllen werden.
Ausnahmslos hervorragende BergläuferInnen werden dort vertreten sein, ein Glück, dass ich in diesem Kreis den Bremser machen darf.
Ein Wahnsinns-Event und ein Wahnsinns-Dank an die Ober-Säbelzahntiger Mario Schönherr und Michi Raab.Im Juli dann kommt der KÖLNPFAD, vielleicht das größte Highlight meines bisherigen Läuferlebens. Ich als Organisator, nicht als Läufer. Und aktuell 60 Namen auf der Einzelläufer-Liste und fünf Staffelteams mit jeweils fünf Staffelläufern. Die Erwartungen sind hoch, mal sehen, ob wir, das wunderbare Helferteam und ich, das gut umsetzen können.
Und dann wird es auch gleich episch. Die zweite Austragung des „BUFF EPIC TRAIL“, jetzt „BUFF EPIC RUN“ genannt, steht an. In den Pyrenäen, steil und schroff. Ein Event, das im Vorjahr nur 17 Finisher sah. Ich bin also darauf vorbereitet, hier wegen des Reißens der Cut-Off-Zeiten irgendwann herausgenommen zu werden.
Aber ich will es probieren … und ganz vielleicht habe ich ja einen perfekten Tag, die perfekte Vorbereitung mit viel Ruhe davor, immerhin laufe ich den KÖLNPFAD ja nicht selbst, aber ohne nennenswerten Muskelabbau durch eine zu lange Pause.
Vielleicht, vielleicht …
Und abschließen werde ich den Juli dann mit der 260 Kilometer langen „Suche nach meinen Wurzeln“. In der Türkei, in Kappadokien, zwischen den Städten Kayseri und Aksaray.
6 Etappen, darunter die Königsetappe mit 101 Kilometern, die Veranstaltung „Runfire Cappadocia“ wird eine Wallfahrt für mich werden. „teşekkür ederim“ in die Türkei!
Relativ kurz nach dem unglaublichen Lauf auf der spanischen Insel „die Größere“ (Mallorca) nun ein Lauf auf der spanischen Insel „die Kleinere“ (Menorca), wobei der Trail auf „die Größere“ kürzer ist wie der auf „die Kleinere“.
Erst einmal etwas über die Lage der Insel:
Neben den Inseln Mallorca und Menorca, die beide die Gymnesischen Inseln darstellen, gehören auch noch die Inseln Ibiza und Formentera, die beide zur Inselgruppe der Pityusen gehören, zur spanischen autonomen Region Balearen. Cabrera, die „Ziegeninsel“, eigentlich ein vorgelagerter Teil von Mallorca, gehört mit seinen rund 20 Einwohnern auch noch zu dieser autonomen Region.
Wie auf Mallorca gibt es auch auf Menorca das Tramuntana-Gebirge im Norden, im Süden liegt Migjorn, das Hügelland. Der Trail Camí de Cavalls (katalanisch für „Weg für Pferde“) ist ein Fernwanderweg auf Menorca, er ist 185 Kilometer lang und trägt im Fernwander-Wegenetz die offizielle Bezeichnung GR 223. Am Wochenende vom 16.-18. Mai sollten wir Trailläufer auf den fünf Streckenlängen von 32 Kilometern bis zu 185 Kilometern die Pferde sein. Nach so viel unnützem Wissen komme ich nun aber doch zu etwas Text über den Lauf, auf den ich mich schon lange freute..
Es war am Donnerstag, dem Tag vor dem Start zum Menorca Ultra Trail.
Wir, das waren Michael (Michi) Raab, seine Lebensgefährtin Kathrin und ich, bewegten uns zur Startnummernausgabe. Das sollte kein Problem sein, dachten wir, immerhin hat Michi diesen Lauf ja in 2013 erfolgreich gefinished.
Wir fanden auch schnell die Zielgegend aus dem Vorjahr, die Halle, in der die Startunterlagen 2013 ausgegeben wurden, zu finden, war schon ein wenig aufwändiger.
2013 war das bei Michi auch schon schwierig gewesen, er war zuerst in der falschen Sporthalle, in der gegenüber dem Hallenbad, und musste dann quer durch die Stadt in die Halle auf der anderen Stadtseite, in die gegenüber dem großen Supermarkt.
Dank einer Eingebung aber erinnerte er sich nun also an den Weg zu dieser Halle, zu der gegenüber dem großen Supermarkt, und dort waren wir dann zum Glück auch nicht alleine. Gleich drei andere Läufer waren dort genauso ratlos wie wir, weil die Halle geschlossen war.
Ein paar Telefonate später war dann klar, dass die Halle gewechselt wurde, weil sich die Teilnehmerzahl so dramatisch gut entwickelt hatte. Jetzt waren wir dann dort richtig, wo Michi noch vor einem Jahr falsch war.
Also erneut quer durch die Stadt, um dorthin zu kommen, in die Halle gegenüber dem Hallenbad.
Dort trafen wir dann gleich Victor, den Chef, den Initiator, den, der für all das verantwortlich zeichnet, was da auf dieser wunderschönen Insel in Sachen Ultralauf passiert. Victor ist ein richtig netter Zeitgenosse, einer, mit dem man sofort warm wird und dessen Freund man auch sofort werden will.
Wir schossen einige gemeinsame Fotos, quatschten über dies und das und natürlich auch über andere Läufer. Und Victor verriet uns, dass noch ein Thomas Dörr kommen würde, der wiederum für ein Laufportal schreiben würde. Für welches aber wusste er im Moment nicht.
Ich hatte ja Victors Wunsch, nach dem Lauf etwas über meine Erlebnisse zu schreiben, schon im Vorfeld positiv beantwortet und war gleich ein wenig eifersüchtig, dass er offensichtlich auch andere deutsche Läufer gebeten hatte, so etwas zu tun. Es war am Freitag, frühmorgens, vielleicht eine Stunde vor dem Start. Noch war wenig los im Startgebiet und ich suchte Gesprächspartner. Und da war eine Niederländerin, die ihren zweiten Hunderter laufen wollte. Ihre ganze Familie war mitgekommen, um sie nach Kräften zu unterstützen und ihr Vater fotografierte erst mich vor der Startlinie und später dann bat ich ihn, erneut den Auslöser zu drücken, dann aber mit mir und Thomas Dörr.
Ihn sah ich alleine stehend und ich erkannte ihn an dem einen Tag zuvor gehörten Namen. Unter „Kollegen“ sprach ich ihn an und fragte ihn, für welches Portal er denn schreiben würde. „Ich schreibe nicht,“ antwortete er und ich war verdutzt. Wir sprachen weiter und er erzählte mir, dass er erst kurz aus dem Süden in den deutschen Westen gezogen sei und sich Eigentum in der Grafschaft gegönnt habe.
In der Grafschaft? Und da dämmerte es mir, dass Victor mich Thomas aus der Grafschaft mit ihm Thomas aus der Grafschaft verwechselt haben muss. Ich begann, mich darüber zu freuen, dass Victor meine Berichte offensichtlich doch wohl gut fand und dass er sich wahrscheinlich wirklich über meinen noch ungeschriebenen Bericht über den Menorca Ultra TrailCamí de Cavalls freuen würde.
Was er und ich aber noch nicht wussten, ist, dass es diesen so nie geben würde.
So kam es also, dass bei drei deutschen Startern, Michi Raab auf dem 100 Kilometer Trail, Thomas Dörr und ich auf den 185 Kilometern, zwei TRAIL-MANIAKS dabei waren, zwei Thomas und zwei aus der kleinen Grafschaft in Rheinland-Pfalz.
Dass ich mich überhaupt entschlossen habe, nach Menorca zu fliegen, um diesen Lauf zu bestreiten, hat seinen Grund in einem wunderbar warmen Abend in Michis Münchner Wohnung. Wer weiß, dass ich keinen Alkohol trinke, dem sei gesagt, dass ich für das Ausbrüten verrückter Ideen keinen Alkohol brauche. Gute Gespräche über schöne Trails auf dieser kleinen Welt führen bei mir schon schnell zu einer ganz eigenen Art von Betrunkenheit.
Und weil ich immer Angst vor den Entzugserscheinungen habe, sollen diese Gespräche auch niemals enden …
Michi erzählte also davon, wie schön dieser Trail sei, wie fantastisch diese Insel wäre und wie wunderbar nett die Organisatoren waren. Und er sagte, dass wir das unbedingt einmal gemeinsam machen sollten.
Trotz unserer menschlichen Nähe, die uns seit Anfang 2010 verbindet, hindert uns leider die fehlende räumliche Nähe daran, auf den Trails allzu viel gemeinsam anzustellen.
Da war ein Rennsteiglauf, eine Tagesetappe beim TransAlpineRun und da war der Lauf auf Mallorca 2012. An mehr erinnere ich mich nicht, der Rest musste immer telefonisch erledigt werden. Oder eben an wunderbar warmen Abenden in München.
Aber all das macht nichts. Wenn man sich im Geiste nahe ist, dann ist auch eine räumliche Entfernung lediglich eine Schwierigkeit, definitiv aber kein Hindernis. Und Schwierigkeiten überwinden üben wir ja alle bei unseren Läufen.
Ein, zwei Mal haben wir dann noch über Menorca geredet, aber uns konkret dort einschreiben wollten wir dann doch irgendwie nicht, scheinbar. Aber irgendwann Anfang 2014 berichtete Michi mir davon, dass er jetzt auf der Starterliste stehen würde und diese Reise mit einem längeren Besuch, einem kleinen Urlaub bei Kathrins Tante auf deren Gut in Portugal verbinden würde.
Für Julian, den gemeinsamen Sohn, sollte es die erste weite Reise sein.
Ab dann war ich in der Pflicht, aber auch in der Zwickmühle. Über so etwas wie eine Auslandsreise reden ist das Eine, sich wirklich dafür entscheiden ist das Andere. Es war ja leider ein Wochenende, an dem ich eigentlich hätte arbeiten müssen. Und ich hatte keinen Ersatz für mich, scheinbar.
Dann aber, als ich doch eine kleine Chance auf eine Realisierung sah, habe ich mich dort sicherheitshalber schon mal eingeschrieben, um mir selbst etwas Druck zu machen. Und dann, als mein Sohn Pascal sich bereit erklärte, für mich zu arbeiten, buchte ich, nach der Zustimmung meiner „besseren Zweidrittel“ auch noch die Flüge dazu. Es war eine gute Entscheidung, eine meiner besten in diesem Jahr.
Menorca ist zweifellos eine Reise wert, oh mit Laufen oder ohne. Diese spanische Insel verzaubert Dich mit einer unvergleichlichen und wechselhaften Landschaft auch deshalb, weil die Verantwortlichen dort schon früh begriffen haben, dass Massentourismus auf Dauer nur wenig bringt. Massentouristen sind wie Heuschrecken, die sich dort niederlassen, wo sie scheinbar für ihr Geld das meiste erhalten, am liebsten „all inclusive“.
Zurück zum Trail. Zurück zum Start, alles wieder auf Anfang. Michi kam 20 Minuten vor dem Start an, ich machte Thomas Dörr und ihn miteinander bekannt, aber ich bin nicht sicher, ob ich Michi auch erkärt habe, welche Zufälle zusammen spielen mussten, damit wir beide, in diesem Fall ich Thomas aus der Grafschaft und er Thomas aus der Grafschaft, realisierten, dass wir, die einzigen Ultraläufer der Grafschaft, gemeinsam auf Menorca am Start standen und dass wir uns, kaum drei Kilometer von einander entfernt wohnend, ausgerechnet dort vor dem Start kennen lernen konnten.
Mit Michi laufen wollte ich nicht. Er wollte sowieso „nur“ die kurzen 100 Kilometer Trailsprint laufen, außerdem wollte er auf Zeit laufen, angreifen, um mindestens in die Top Ten zu kommen. Zehnter werden hat er am Ende dann doch nicht geschafft, als Altersklassenerster wurde er Gesamtzweiter. Wahrscheinlich war dieses Übertreffen des Ziels psychisch kein allzu großes Manko, bleibende Schäden und eine nennenswerte Erosion des Selbstwertgefühls sind also nicht zu erwarten.
Und dieser zweite Platz wurde ihm dann mit einer wunderschönen Trophäe versüßt. Die hätte es ja auch nicht gegeben, wenn er „nur“ Zehnter geworden wäre. Michi hat sich also mal wieder als ein TRAIL-MANIAK mit Vorbild-Charakter gezeigt, so hat er auch das Recht und die Pflicht, die Mädels und Jungs vom TRAIL-MANIAK Lauftreff München ein wenig zu ziehen und zu quälen, aber nur so weit, dass man gefordert ist, der Spaß aber nicht vergessen wird. Also lief ich mit Thomas Dörr. Zwei Grafschafter auf dem Weg von Ciutadella nah Ciutadella, zwei Grafschafter, die beide dieses Ziel nicht sehen würden, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ich blieb bei Thomas bis zum ersten Verpflegungspunkt. Dazwischen lief er mir immer wieder davon, wenn ich Fotos machte. Und eine Lücke von wenigen Metern zulaufen ist doch schwerer, als man denkt.
Dann aber verschwand ich eher aus dem Verpflegungspunkt als er und ich sah ihn danach auch nicht mehr wieder, leider.
Heute weiß ich, dass er am Ende nur rund eine halbe Stunde hinter mit lag, wahrscheinlich hätten wir zusammen bleiben sollen.
Hinterher ist man halt immer schlauer …
Beim Lauf selbst ging es mir fantastisch. Ich fühlte mich gut und ich war komplett schmerzfrei. Ein Aussteigen am 100 Kilometer Punkt war vollkommen undenkbar, auch deshalb nicht, weil mich die Landschaft so faszinierte.
Aber die Strecke, die Temperaturen und das Profil waren alle härter als ich das erwartet hatte. Und mir saßen das Wissen um das Endspiel im DFB-Pokal, das am Samstagabend übertragen wurde und das ich so gerne sehen wollte, im Nacken.
Ich erlebte, deutlich langsamer zu sein, wie ich es erwartet hatte und wähnte, meinen Plan voraussichtlich nicht erreichen zu können, das demotivierte mich.
Die Strecke aber war ein Traum. Die Szenerie wechselte ungefähr alle 10 Kilometer, ein Tal war schöner als das andere, ein Ausblick auf die Insel schöner als der nächste.
Aber ich stürzte schon nach 25 Kilometern und die Wunde am Ellenbogen des rechten Arms wird mich noch eine ganze Weile begleiten. Ich wollte mal wieder ein „nice guy“ sein, als ich beschleunigte, weil ein vor mir laufender Kollege für mich eines der unzähligen Gatter aufhielt, um es mir leichter zu machen. Um ihm ein paar Sekunden zu ersparen, hektikte ich Richtung Tor, allerdings ohne auf den Boden zu achten und so lernte mein Ellenbogen die Härte und den Staub des Bodens kennen und ich schlug mit dem Kopf gegen das Gatter. Nur meine neue X-Kross Sportbrille verhinderte, dass ich auch im Gesicht verletzt wurde.
Der Kratzer auf der orangenen Sichtscheibe heilt hoffentlich noch irgendwann. Für den GUCR habe ich jetzt erst einmal auf die Radfahr-Scheiben umgestellt.
Ich ersparte dem unbekannten Läufer also keine Zeit, sondern ich hielt ihn auch dadurch auf, weil er sich nun erst einmal um mich kümmern musste, dafür hatte ich meinen Laufpartner für die nächste Etappe des Laufs gefunden.
Beim Lauf ging es mir dann nicht mehr so gut. Ich litt unter der Hitze, die Oberschenkel schmerzten und ich begann, mir Sorgen zu machen wegen der 145 Meilen beim GUCR (Grand Union Canal Race), das am nächsten Wochenende folgen würde. Meine Aufenthalte in den Verpflegungspunkten wurden länger und ich begann, mir Gedanken darüber zu machen, dass ich langsamer und langsamer wurde.
Zwar lief ich noch immer in der gleichen Liga wie die Mädels und Jungs um mich herum, da waren zwei, die ich immer laufend überholte, beim nächsten Berg aber zogen die beiden wieder an mir vorbei. Solch ein Spiel kann man stundenlang spielen, es erweckt aber den Eindruck, dass Du Stück für Stück nach hinten durchgereicht wirst.
Harte Trails, sandige Passagen über die zauberhaften und vollkommen leeren Strände des Nordens, eingebettet in aufregende Felsformationen und weit entfernt von menschlichen Ansiedlungen, Holztreppen, die schön, aber auch sehr heftig waren und dann kamen knapp 10 Kilometer, vor denen schon ein Schild auf dem Tisch des Verpflegungspunktes davor gewarnt hatte. Auf Deutsch!
Es waren die einzigen deutschen Worte, die ich auf Menorca gelesen habe und die waren tatsächlich wahr. Aber auch diese Etappe ging vorüber.
Beim Lauf ging es mir dann richtig schlecht. Ich haderte an mir und an meinem Tempo. Das GUCR, das Pokalendspiel, die Hitze des nächsten Tages, die nässende Wunde am Ellenbogen, die Oberschenkel und nicht zuletzt das Gefühl, nun wirklich niemanden mehr hinter mir zu haben, ließen mich an Alternativen denken.
Ich fand einen dritten und letzten Laufpartner, mit dem ich in den Verpflegungspunkt bei 100 Kilometern einlief. Nach 15 Stunden und 3 Minuten!
Ich hatte in diesem Moment fast schon genug, also fragte ich, ob ich den Bewerb switchen könnte. „Ja“, sagte die Lady dort, „ich nehme Dich auf die 100 K Liste“. Ich bekam das Finishershirt und später auch die Medaille und dann gönnte ich mir die weiche Matraze, die mich sicher und warm durch die Nacht gebracht hat.
Thomas Dörr stieg, wie ich später erfahren habe, auch bei 100 K aus. „Falsche Schuhe, falsche Einstellung, andere falsche Entscheidungen“ schrieb er mir. Und so kam es, dass alle deutschen Teilnehmer nicht über die 100 K heraus kamen und wir alle in Es Grau, einem Städtchen nahe der Hauptstadt Maó, das Ende unserer Läufe fanden.
Für Michi, der mit einer so guten Platzierung wohl nicht gerechnet hatte und seinen Rückflug nach Deutschland schon auf einen Zeitpunkt vor der Siegerehrung terminiert hatte, nahm ich stellvertretend die Ehrung als Altersklassen-Sieger in Empfang. Dabei freute ich mich ein wenig darüber, in der nächstjüngeren Altersklasse noch eine einigermaßen gute Figur zu machen.
Und ich nahm, wieder stellvertretend für Michi, auch die Ehrung als Gesamtzweiter in Empfang. Dabei freute ich mich aber gar nicht, ich fühlte mich eher unwohl. Auf dem Podest des Altersklassen-Siegers stand ich ja schon manchmal, ein Mal sogar ganz oben, auf dem Podest der Gesamtsieger aber war ich noch nie. Und da werde ich auch nie hinkommen, außer Umstände wie auf Menorca führen mich da hinauf, um andere zu vertreten. Für Thomas Dörr war dieser Trail sicher eine Lernerfahrung, die ihn in eine läuferisch großartige Zukunft führen wird und für mich war Menorca auch ein Signal, auf mich selbst zu achten und immer, wirklich immer, unterhalb meiner Möglichkeiten zu laufen. Denn nur dann hast Du noch Kraft für die Kilometer, die nach dem 100 Kilometer Sprint, nach dem 100 Kilometer Bambini-Lauf, kommen. Und mit diesem Bewusstsein flog ich nach England, nach Birmingham, wo der Start zum GUCR war.
Auf den Heimflug wartend amüsierte ich mich noch darüber, dass es zwar keinen Direktflug von Deutschland aus nach Menorca gibt, wohl aber einen von Birmingham, dem Startort des GUCR. Ich hätte also gleich dort diesen Flieger besteigen können und ich hätte mir so viel Zeit gespart.
Und eine weitere positive Überraschung erlebte ich nach dem Menorca Trail Costa Nord.
Ich war nicht der Einzige, der sich in diese Insel und in diesen Lauf verliebt hat. TRAIL-MANIAK organisiert für 2015 eine Gruppenreise nach Menorca.
Und wenn die TRAIL-MANIAKS mich fragen, ob ich dabei bin?
Dann würde ich wohl an das zauberhafte Lied der Gruppe „The Beautiful South“ denken und ich glaube, die Antwort wäre „Yes“.
Man nehme: Eine Insel, nicht allzu groß. Einen Gebirgszug, möglichst schroff. Man stelle ihn ins UNESCO Welterbe World Heritage. Einen Trail, möglichst eng und steinig. Ein Meer, blau, zum drauf schauen. Eine Horde Läufer, mindestens 350 Stück. Viel direkte Sonne. Ein Orga-Team, das sich um die Läufer kümmert. Zuschauer, die stundenlang applaudieren und anfeuern.
Zuerst nimmst Du die Insel. Du positionierst sie so, dass sie gut erreichbar ist. Und Du positionierst sie im Süden, damit es warm ist, aber nicht zu tief im Süden, damit die Temperaturen noch auszuhalten sind.
Das Gebirge schichte nicht allzu hoch auf, damit noch Platz für Wälder und Sträucher bleibt. Am besten ist es, wenn man das Gebirge nicht mitten in der Insel aufschichtet, sondern irgendwo am Rand.
In dieses Gebirge legst Du nun den Trail. Achte dabei darauf, dass Du diesen möglichst oft wieder bis ganz runter in die Täler führst.
Das Meer legst Du um die Insel herum, damit die Aussichten darauf schön sind.
Die Läufer bereitest Du einzeln vorab vor (siehe Rezept: Wie mache ich aus Menschen Läufer?),
achte dabei darauf, dass sie alle einen Rucksack tragen, stecke dort etwas Essbares rein und fülle die Trinkblasen mit sehr viel Wasser. Die Läufer werden es brauchen.
Wenn Du all das hast, dann köchle alles unter direkter Sonneneinstrahlung. Achte darauf, dass mindestens 27 Grad erreicht werden und dass die Hitze möglichst lange anhält und nicht allzu sehr abfällt gegen Abend.
Das Orga-Team verteile ungefähr gleichmäßig am Anfang des Trail, den wir „Start“ nennen und an das Ende des Trails, das wir „Finish“ nennen. Und vergiss nicht, dieses Team auch in den vielen Tälern zu verteilen. Statte die Team-Mitglieder mit viel Essen und mit sehr vielen Getränken aus. Sie sollen diese Sachen den Läufern geben.
Und statte die Team-Mitglieder im Finish auch mit hübschen Metallplättchen aus, die Du, damit sie besser um den Hals getragen werden können, mit einem Textilband versiehst. Dazu statte diese letzten Team-Mitglieder auch mit wärmenden Vlies-Pullis aus, die sie am Ende den Finishern geben sollen. Auf die Pullis nähe vorab ein hübsches Bildchen, dann sind die Läufer noch stolzer.
Die Zuschauer verteile sporadisch in den Tälern, die meisten aber stellst Du vor dem Finish auf. Achte darauf, dass die Zuschauer andauernd „¡Ánimo!“ rufen, je lauter, desto besser, je öfter, desto besser. Für den Erfolg des Rezepts ist es vor allem sehr wichtig, dass die Zuschauer vor dem Finish zahlreich und laut sind.
Wenn Du all das richtig zusammenstellst, Dir die nötige Ruhe antust, das alles wirken zu lassen, dann wird das Ergebnis ein Lauf sein, der seinesgleichen sucht. Der ULTRA TRAIL SERRA DE TRAMUNTANA auf Mallorca ist solch ein Lauf, der es wert ist, von vielen aus unserer Läuferfamilie gelaufen zu werden. Und das sage ich, wohl wissend, dass ich schon den einen oder anderen Lauf auf der einen oder anderen Insel hinter mir habe und deshalb durchaus Vergleiche ziehen kann.
Ganz besonders schön finde ich dabei, dass dieser Lauf nicht wie die meisten Inselläufe von einer Küste zur anderen Küste geht und man dazwischen das Meer meist gar nicht sieht, sondern der Trail läuft parallel zur nord-westlichen Küste und verwöhnt Dich immer wieder mit imposanten Ausblicken auf das große, stille, blaue Meer, das von oben immer so harmlos und glatt aussieht, so mächtig und attraktiv, dass ich stets denke, dass wir Menschen uns heimlich immer noch dahin gezogen fühlen, wo wir eigentlich herkommen.
Die Organisatoren feilen dabei ständig am Konzept und an den Details. So haben sie gegenüber 2012, wo ich dort das erste Mal gelaufen bin, den Startplatz verändert. Statt ganz profan auf der Straße neben dem „PALAU MUNICIPAL D’ESPORTS“ hat man sich für 2014 ein Kastell ausgesucht, das wunderschön erleuchtet ist und den mitternächtlichen Start besonders bemerkenswert macht.
Für Lars, Hendrik und mich, die wir uns kurz vor dem Start noch ein Wässerchen gegönnt hatten und die die Ruhe weg hatten, obwohl wir mittlerweile nur noch die „letzten Mohikaner“ in dem Bistro waren, hätte das fast ein Riesenproblem werden können. Wissend, dass der Start gleich draußen vor der Türe stattfindet, hatten wir uns gewundert, warum die anderen Läufer alle schon Richtung Start gegangen waren, bis ein aufgeregter Bistro-Mitarbeiter uns darauf hingewiesen hat, dass wir noch einen längeren Fußweg bis zum Start zu bewältigen hätten. Also zogen wir los, nicht in Hektik, aber auch ohne die übliche Gelassenheit, um gerade noch rechtzeitig zum Massenstart auf dem Kastell zu kommen.
Die zweite Änderung war, dass man nach Valldemossa, dem Startort des „Trails“, also der kürzeren Variante, nicht links über die Berge ging, sondern rechts herum durch eine Schlucht, die mich so sehr fasziniert hat, dass ich am liebsten stehen geblieben wäre. Dachte ich bislang, dass die Schlucht auf Gran Canaria, die zum Cruz Grande führt, einen „Magic Moment“ darstellt, so blieb das für mich weit hinter dieser Schlucht zurück.
Der Vorteil auf Mallorca ist dabei, dass es nicht so hoch ist und auch nicht so heiß ist im Jahresverlauf, einen richtigen Winter haben kann und daher Gebiete bewaldet sind, die auf Gran Canaria einfach nur mit niedrigem Buschwerk bewachsen sind. Und dieser optische Vorteil kommt eben dieser Schlucht zu Gute.
Aber jede Münze hat zwei Seiten, sagt man, alles hat seinen Preis. Und der Preis für diese schöne Schlucht war dann nach einem fantastischen Höhenweg mit Blick auf das Meer ein Downhill, den ich erst schnell angegangen bin. Dann aber habe ich gemerkt, dass ich das ja gar nicht kann und ich reduzierte mein Tempo. Bis dahin war ich wirklich gut in der Zeit gelegen, die ersten 56 von 112,2 Kilometern habe ich in 8:58 Stunden hinter mich bringen können.
Aber trotz dessen, dass ich langsamer wurde, begannen die Oberschenkel zu brennen und ich hatte das Gefühl, dass jetzt nichts mehr gehen würde.
Diese Phase war die vielleicht einzige, vor der ich Sorge hatte.
2012 erreichte ich Valldemossa um 7:40 Uhr und dann, nach dem nächsten Uphill, rannten mich die noch frischen Cracks des kurzen Trails TRAIL SERRA DE TRAMUNTANA, der um 8:00 Uhr startet, auf dem Downhill tot. Eingeschüchtert ob meiner Langsamkeit blieb ich immer wieder stehen, um die Züge der Cracks vorbei zu lassen, für die es ja der erste Downhill war.
Die großartige Steph Lieb von den TRAIL-MANIAKs war da auch darunter.
2014 wollte ich diese Situation weitgehend vermeiden. Ich lief also schon um 6:59 Uhr in Valldemossa ein und um 7:02 Uhr dort aus und der erste der schnellen Trailer holte mich erst kurz vor dem Ende des deutlich schwierigeren Downhills ein.
Dennoch blieb das Überholen durch die Trailer ein Dauerzustand und ich weiß nicht, ob ein Start um 10 Uhr da nicht sinnvoller wäre.
Insgesamt überholten mich bis zum Finish 431 der rund 1.200 Starter, also rund ein Drittel der Gestarteten. Und ich war nun wirklich nicht langsam unterwegs.
Von Läufern des Ultra wurde ich sehr selten überholt. Die Schnellen waren ja sowieso vorne, da ich wie immer langsam und verhalten begann. Deshalb war ich anfangs recht weit hinten im Feld, aber dann holte ich Position für Position auf. Natürlich hat jeder seine guten und schwachen Phasen und so gab es einige Ultras, die mich überholten, die ich überholte und mit denen ich im Grunde einen großen Teil des Rennens gemeinsam gelaufen bin.
Aber eben die Trailer, die mich überholten, waren seit Valldemossa mir gegenüber ja 58 Minuten schneller unterwegs, keine Frage, dass die alle nicht mehr einzuholen waren. Dennoch tröstete es mich, dass mir 417 Läufer des Trails diese 58 Minuten nicht abnehmen konnten, obwohl sie die rund 46 Kilometer zuvor nicht in den Beinen hatten und dass beispielsweise der letzte der Trailer kaum mehr als drei Stunden weniger für seine Strecke gebraucht hat wie ich für die gesamte Strecke.
Dann aber kamen die Verpflegungspunkte mit Kohlenhydraten. Hintereinander folgten Nudeln, Reis und erneut Nudeln. Auch das war neu. Ein Mal Nudeln in Soller war alles, was es 2012 gab. Und noch etwas war neu und absolut himmlisch: Wasser und Cola wurden in großen Bottichen gekühlt und waren zwar nicht eiskalt, aber eben nett kühl.
Mit Grausen erinnere ich mich an die Cola im Jahr 2012, die so warm war, dass ich sie nicht mehr haben und trinken konnte.
Und es kam Soller. Soller ist ein wirklich nettes Städtchen mit einem pulsierenden Stadtzentrum, wo Tausende von Menschen vor den Cafés und Bistros im Freien saßen und den April einen schönen Monat sein ließen.
An denen ging es vorbei bis zum großen Verpflegungspunkt und wieder ertönten „¡Ánimo!“ Rufe. Einige der Zuschauer waren dabei enorm sachkundig und erkannten, dass die Läufer mit den grünen Startnummern in Valldemossa gestartet waren, die mit den roten Startnummern aber schon in Andratx los gelaufen waren.
Die mit den roten Startnummern waren wohl 400 Starter gewesen, davon sind 286 Läufer im Ziel angekommen, die letzten kurz vor dem Cut-Off um 24.00 Uhr.
Und weil, wie schon geschrieben, jede Medaille zwei Seiten und alles seinen Preis hat, bezahlten wir das Erlebnis in Soller mit dem Anstieg auf den höchsten Punkt des Rennens. 1.250 Meter ging es nach oben. Und das auf einem Weg, der steil war und direkt von der gnadenlos brütenden Sonne beschienen wurde.
Ein Polizist fing am Anfang jeden Läufer ab, fragte ihn, ob er wisse, wo er sei und was da auf ihn zukommen würde. Ich wusste es. Ich hatte diesen Uphill 2012 hassen gelernt. Und ich hatte die Fotos beispielsweise von Birger Jüchter und Hans-Peter Roden aus dem Jahr 2013 bewundert, die diese Passage im Nebel bewältigen durften. Wo bitteschön, ist das Paradies?
Bei 27 Grad im Schatten wird daraus eine echte Herausforderung.
Ein Sonnenstich in 2012 holte ich mir da, Nasenbluten am höchsten Punkt, weswegen ich anhalten und Läufer um ein Tempo bitten musste, später dann musste ich mich insgesamt vier Mal übergeben, eine Situation, die ich weder davor noch danach noch einmal hatte.
Ja, ich wusste, was mich erwarten würde.
Dem Polizisten sagte ich: „Ja, ich weiß, 1.250 Höhenmeter, steiler Trail, kein Schatten, brütend heiß!“
Er war zufrieden.
Ich war es auch, denn es gab dennoch hin und wieder doch etwas Schatten. Den hatte meine Erinnerung vollkommen ausgeblendet. Aber weil ja meine Oberschenkel noch immer zeitweilig gekrampft haben, musste ich unter dem Krampfpunkt laufen und wählte einen langsamen, aber stetigen Läufer als meinen Pacer, den ich keinesfalls überholen wollte. Das war eine richtig gute Entscheidung, weil ich merkte, wie ich zu regenerieren begann.
Allen, die solch eine Situation noch nie erlebt haben, sei gesagt, dass es immer die Chance gibt, zu regenerieren. Früher bin ich in solchen Situationen gelegentlich ausgestiegen, weil ich dachte, dass ich in dem Zustand, in dem ich war, nicht mehr finishen könnte. Aber wenn Du dann bewusst langsam machst, ein, zwei, drei Stunden lang, dann geht es Dir wieder besser. Und Du „verlierst“ in der Stunde vielleicht zehn Minuten, also maximal eine halbe Stunde, wenn Du das drei Stunden lang machst. Aber Du kannst wieder laufen, kannst finishen und alles wird gut.
Danke an dieser Stelle meinem unbekannten Pacer.
Ein Verpflegungspunkt auf 850 Metern, dann der Anstieg auf den 1.250 Meter hohen Gipfel und dann ging es runter.
Aber eins hätten wir dann doch noch …
Nach dem Abstieg auf etwas mehr als 1.000 Meter geht es dann doch noch einmal auf knapp 1.200 Meter hoch, ein kleiner Test für Deine Psyche, den Du dann aber locker meisterst. Wer bis dahin rund 90 Kilometer bewältigt hat, der lässt sich von so einem letzten Berg nicht abschrecken.
Aber dann ging es wirklich runter, runter bis zum Kloster Lluc. Ich lief und trabte im Wohlfühl-Modus, ich war nicht sicher, wie es mir gehen würde und wollte mich etwas schonen.
Dann aber, nach dem letzten Verpflegungspunkt im Kloster Lluc, ging es einen letzten Trail downhill. Noch etwa 17 Kilometer, da geht noch was. Und wenn danach alles weh tut, dann ist das egal. Dann ist da das Finish und alles wird wunderbar!
Ich heftete mich an die Fersen eines Trail-Experten. Ich lief in seiner Spur, stellte die Füße dort auf, wo er es tat und so bildeten wir einen Zwei-Mann-Kurzzug, der Läufer um Läufer überholte. Wir waren so schnell, wie ich alleine niemals gewesen wäre. Ich bin ja eher ein ängstlicher Downhiller, ständig in Sorge, umzuknicken, zu stürzen oder, noch schlimmer, an jemandem vorbeizulaufen, den ich kenne und ihn nicht grüße!
Ich weiß nicht, wie viele Läufer wir auf diesen 9 Kilometern downhill überholt haben und wie viele davon Trailer und wie viele davon Ultras waren, ich weiß nur, dass ich diesen Lauf fantastisch fand.
Und dann folgten etwas mehr als 7 Kilometer fast flach bis ins Ziel. Mal auf der Straße, mal auf einem Trail daneben. Ich hielt das Laufen nicht mehr permanent durch und wechselte von schnellem Gehen über das Traben zum Laufen und wieder zurück.
Als das Schild „Noch 7 Kilometer“ kam, rechnete ich mit maximal noch 10 Minuten pro Kilometer, also mit maximal noch 70 Minuten. Ein Finish unter 19:30 Stunden war also sicher, bis dahin wären es sogar noch 74 Minuten gewesen. Unter 19:00 Stunden zu finishen war auch illusorisch, da hätte ich nur noch 44 Minuten Zeit gehabt. Eine glatte Sechser-Zeit … aber nicht nach über 100 Kilometern in den Beinen.
Und irgendwann kam dann die Stadt Pollença, das Ziel. Ich wurde schneller.
Je mehr Menschen den Weg säumten, desto schneller lief ich. Nur einmal, an einem Anstieg im Dorf, schaltete ich kurz zurück, um dann mit Verve und Elan die letzten Meter zur Finish-Line zu nehmen.
Ich packte gefühlt eine 4:30er Zeit aus, mein Garmin hatte mich schon lange verlassen, aber ich war so schnell wie selten. Vor mir, kurz vor dem Ziel, machte mir noch ein Läufer Platz und er forderte mich auf, ihn zu überholen.
Aber das wollte ich nicht und ich sagte ihm, dass ich das nicht fair fände. Wir liefen also zusammen ein und schon auf den letzten 50 Metern begannen wieder die Tränen zu laufen.
Aus den Tränen wurden Sturzbäche und die Orga-Team-Leute wussten nicht recht, was sie mit mir anfangen sollten. Dabei war ich einfach nur überglücklich.
Das sind die Momente, für die ich laufe, für die ich lebe!
19:07 Uhr stand auf der Anzeige über mir, die Menge jubelte und ich fühlte mich so, also hätte ich dieses Rennen gerade gewonnen.
Man stellte mir einen Stuhl hin und ich bemühte mich, durch Wackeln des Oberkörpers dem Körper noch etwas Bewegung zu geben, um langsamer runter zu kommen.
Dass ich den 7. Platz der Altersgruppe MÀSTER MASC erreicht hatte, wusste ich erst viel später. Auch der 136. Platz von allen ist für mich in Ordnung. Mehr ist für mich alten Mann eben nicht mehr drin.
Im vorderen Drittel der Gestarteten, deutlich in der vorderen Hälfte der 286 Finisher, was will ich mehr?
So bleibt mir nur, mit guten Gedanken Richtung Mallorca zurück zu denken, den Organisatoren des TRAIL SERRA DE TRAMUNTANA von Herzen zu danken und ihnen zuzurufen:
„Da habt Ihr etwas ganz, ganz Tolles auf die Beine gestellt. Respekt, Hut ab und tief, ganz tief, verneigt!“