Der Eiswein, die stade Zeit, der Weihnachtsmarkt und der Glühwein

Jedes Jahr, wenn der Eiswein gelesen wird, dann ist es schon kalt. Der Spätherbst hat eingesetzt, mit Nachtfrost und mit kurzen Tagen. Es ist die ruhige, oder wie sie die Bayern nennen, „stade Zeit“, die Zeit der Besinnung und der Vorbereitung auf die bevorstehenden Weihnachtstage.
Es ist die Zeit der abendlichen Weihnachtsmärkte, der heißen gebrannten Mandeln, der klebrigen Zuckerwatte und des massenweise Konsums von Glühwein. Familien und Freunde gehen gemeinsam aus und Einzelne nutzen die Gelegenheit, die letzten Geschenke für den Heiligen Abend zu erstehen.
All das passiert auch auf dem ganz besonders schönen und edlen Weihnachtsmarkt in Baden-Baden. Nur eine weitere Besonderheit gibt es dann auch noch dort:

Am dritten Advent laufen dort Dutzende von redseligen, müden und erschöpften Läufern ein, von denen die meisten schon 65 Kilometer und 1.800 Höhenmeter in den Beinen haben. In Offenburg gestartet, als Gruppe über Stunden durch den kalten Regen des Samstags gelaufen, geredet und gescherzt, ist der abschließende Einlauf auf den Baden-Badener Weihnachtsmarkt für viele der Abschluss eines mehr oder weniger aufregenden und anstrengenden Laufjahres und das Umschalten auf den „Weihnachtsmodus“, in dem alles ruhiger vonstatten geht, familiärer und harmonischer.

Traditionell um 8 Uhr in der Frühe startet die Truppe des von Brigitte und R(ud)olf Mahlburg organisierten und geführten Gruppenlaufs vom Offenburger Hauptbahnhof aus. Viele der Läufer haben zuvor in der Tullahalle in Brühl übernachtet, dort, wo dann einen Tag später auch die Abschluss-Veranstaltung mit einem gemeinsamen Abendessen und natürlich auch badischem Eiswein stattfindet. Dort hat man sich nach einem Jahr wieder gesehen, erneut begrüßt, die jeweilige Laufagenda gegenseitig abgefragt und über das kommende Laufjahr philosophiert. Man hat gemeinsam gelacht und ist gemeinsam früh schlafen gegangen, um früh wieder fit zu sein für die Morgentoilette, das zeitige Frühstück und die Fahrt nach Offenburg durch das Ende der Nacht.

Ein Vertreter der Stadt Offenburg hält eine kleine Rede und wünscht den Läufern Glück und Erfolg, die Drop-Bag Taschen werden eingesammelt, die dann an jedem Verpflegungspunkt aufwändig wieder ausgebreitet werden, damit jeder Läufer nahezu jederzeit an seine persönlichen Gegenstände heran kommt. Ein Gruppenfoto, ein paar nette Worte von Rolf Mahlburg über den Sinn und Zweck des Laufs, über die karitative Wirkung des Laufs und über die beiden Hilfsorganisationen, die in diesem Jahr den Erlös des Laufs erhalten. Die Aktion ABC (Aktion Benni & Co.) ist traditionell immer dabei – und das ist gut so.

Für mich sind Gruppenläufe immer die einmalige Gelegenheit, alte Kontakte zu vertiefen und neue Kontakte zu knüpfen. Gerade der Eisweinlauf ist dabei fast schon ein Familientreffen, wie ich es 2009 einmal hier an dieser Stelle beschrieben habe (Link zum damaligen Artikel hier …).
Auch 2013 versprach die Teilnehmerliste interessante Gespräche und liebevolle Umarmungen. Besonders gefreut habe ich mich dabei auf die erste Teilnahme des großartigen Ultraläufers Rainer Wachsmann aus Münster, mit dem ich über die wenigen Monate gemeinsamer Arbeit im Jahr 1996, über die gemeinsamen Freunde außerhalb der Läuferwelt und natürlich auch über unser langjähriges gutes Verhältnis reden konnte.
Ihn hatte ich zuletzt auf der legendären Treppe in Radebeul gesehen, das war aber nicht bei meinem erfolgreichen Finish in 2013, sondern deutlich früher. Manche Läufer sieht man eben eher selten im echten Leben, dafür umso häufiger auf den Teilnehmerlisten diverser Ultramarathon-Veranstaltungen auf diesem kleinen Planeten.

2013 hat erstmals Rolf Mahlburg auf seinen Start und die Führung der Truppe verzichtet, um sich mal „backstage“ auch um die Verplegungspunkte und die allgemeine Logistik zu kümmern. Brigitte Mahlburg hat stattdessen die Frontfrau gegeben und sie hat diese Aufgabe mit Bravour erledigt. Es war nicht nur so, dass wir Rolf nicht vermissten, sie brachte einen Zug in die recht homogene Läuferschar, der zu einem pünktlichen Erscheinen der weit über 100 Menschen auf dem wohlig warmen Baden-Badener Weihnachtsmarkt geführt hat.
Und wenn diese über 100 Menschen, meist mit Kopflicht bewaffnet und mit einer Sicherheitsweste bekleidet, als Gruppe dort einlaufen und ihren Weg durch die meist wohlhabenden Baden-Badener Weihnachtsmarktbesucher bahnen, wenn dann der Bürgermeister der Stadt diese Läufer in einer kleinen Rede lobt und die Weihnachtsmarktbesucher sich ob der übermenschlichen Leistung dieser Läufer, die gesamte Strecke von Offenburg bis nach Baden-Baden zu Fuß bewältigt zu haben, gewissermaßen bekreuzigen, klatschen und später immer wieder nach den Details des Laufs fragen, dann ist das schon ein Top-Termin, das so auch als Top-Termin im Führer zum Baden-Badener Weihnachtsmarkt explizit eingedruckt ist.Top-TerminFür die Läufer gibt es dort entweder heißen „alkoholfreien Glühwein“ oder eben die alkoholhaltige Version davon, einen leckeren Weckmann und viel Zuspruch. Zudem weiß jeder der Läufer, an diesem Tag nicht nur etwas für sich und seine Muskeln getan zu haben, sondern auch angesichts von zwei symbolischen Schecks von insgesamt 10.000 EUR für die beiden ausgewählten Hilfsorganisationen, etwas für kranke Muskeln, für kranke Menschen getan zu haben, für Menschen, deren größtes Glück es wäre, gesund und lange solche Läufe machen zu können.
Für mich gab es noch etwas Anderes: der großartige Klaus Duwe stand dort, mit seiner Kamera bewaffnet. Und er gönnte mir ein eigenes Foto, bestimmt werde ich es irgendwann auch zu sehen bekommen …

Auch einige der anderen Läufer ließen mein kleines Herz tanzen. Da war beispielsweise wieder Andreas Siebert dabei, erstmals auch der „Italiener“ Luigi Albergo, da war mein Laufpartner aus der marokkanischen Wüste, Tilmann Markert, dabei und so viele Andere, die ich nicht alle erwähnen kann. Obwohl auch die es Wert wären, genannt zu werden. Alles aber geht halt nicht.

Der Eisweinlauf selbst ist mit seinen 5 hervorragend ausgestatteten Verpflegungsstellen in Durbach Schloß Staufenberg, Tiergarten Fatima Kapelle, Sasbachwalden, Burg Windeck, Neuweier Kirche schon etwas ganz Besonderes. Da gibt es alles zu essen und zu trinken, was das Läuferherz begehrt. Ob Schokolade oder Gewürzgurke, ob vegetarische Bouillon oder Fleischbällchen, ob Käse oder Schaumküsse, es ist einfach alles da. Und ob Du mit oder ohne Alkohol trinkst, Du kommst bei Glühwein, Bier, Wasser, Cola und Tee auf jeden Fall auf Deine Kosten.
Und immer wieder wird der lange Stand neu vom Team auf- und wieder abgebaut, die Drop-Bags werden für den Zugriff der Läufer verteilt und all das erledigt ein kleines Team emsiger Helfer, denen eigentlich der Dank der Läufer und der Weihnachtsmarkt-Besucher gehören müsste.

Die Strecke des Eisweinlaufs führt rauf und runter über die Höhen des Schwarzwaldes und in die Täler des Rheingrabens. Dabei werden Orte durchquert wie Oberkirch oder Sasbachwalden. Und immer, wenn es auch nur annähernd gefährlich werden könnte, steht ein Auto des Veranstalters quer, damit die Läufer gepudert und gepampert sicher und weich ihren Weg nehmen können.
In Baden-Baden dann wird die große Läuferschar dann von einer Polizei-Eskorte durch die nächtliche Stadt bis zum Kurgarten geführt, vorbei an mondänen Villen und prachtvollen Klinken, vorbei an einem großen Gebäude des SWR und hinunter in eben jenen Kurgarten. Und kurz davor stoßen sogar noch einige Walker dazu, die die Strecke im Gänze oder in Teilen mit Stöcken begangen haben. Dann ist die Gruppe riesig, die Aufregung spürbar und der Hunger der Läufer groß.

Der Eisweinlauf ist für mich der Lauf, den ich am häufigsten bislang von allen Läufen wiederholt habe und der, den ich wahrscheinlich immer wieder wiederholen werde, bis zum Ende meiner Läufertage. Und so trägt mich das Bild vom nächtlichen Abstieg in Baden-Baden und vom glitzernden Weihnachtsmarkt wieder ein ganzes Jahr lang und ich freue mich jedes Jahr aufs Neue vor, bis die „stade Zeit“ wieder anbricht, der Nachtfrost kommt, der Eiswein gelesen und der Eisweinlauf gelaufen wird.

UTMB für Runaways …

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Wenn ein Engel herunter geschwebt kommt vom großen Berg, in diesem Falle vom Weiler Bovine, und wenn Dir dieser Engel dann ein Geschenk anbietet, dann musst Du dem Himmel oder dem Wahnsinn nahe sein …

„Nein, ich gehe auf keine Finisher-Zeit,“ sagte ich Tom Dörner. Schlimm genug, dass er gewonnen hat!
„Ich setze 50 EUR auf Deinen Start,“ hat er gesagt. Aber niemand hat dagegen gehalten, auch ich nicht. Die Oberschenkel fühlten sich noch bis Donnerstagmorgen an wie feste Schienen, erst die Wanderung mit Uwe Herrmann zum „Refugio Belle Lachat“ lockerten sie auf. Aber die Knie und die Kniescheiben wackelten wie Pudding herum. Und richtige Lust zu starten hatte ich eigentlich auch nicht.
Eher war es die Überlegung, nichts mit mir anfangen zu können, wenn alle beim CCC oder UTMB laufen und ich ziemlich alleine im „Deutschen Haus“ herum lungere. Und wieder nur surfen? Facebook, bis die Fingerkuppen qualmen? Nein, dachte ich, dann doch lieber laufen gehen!
UTMB
Die Organisatoren hatten mir mit ihrer Mail am Donnerstagnachmittag die letzten Sorgen genommen, nicht starten zu dürfen. „Wer sich noch nicht eingeschrieben hat, der möge es morgen früh ab 9.00 Uhr bitte tun!“ Also tat ich es.
Es war leichter als befürchtet. Niemand fragte mich wegen des Starts beim PTL, wie auch, bei 2.300 Startern? Aber wenn man die Einschreibeprozedur des PTL hinter sich gebracht hat, dann stellt man fest, das die gleiche Prozedur beim UTMB ein Vielfaches an Zeit benötigt. Alles wird detailliert kontrolliert. Und Du läufst von Pontius nach Pilatus, um erst einen Schein zu erhalten mit Deinen Daten, dann die Materialkontrolle über Dich ergehen zu lassen, das Bändchen für das Handgelenk zu erhalten, das Plastikfähnchen an den Rucksack zu bekommen, die Startnummer und das Starterpack zu erhalten, das Starter-T-Shirt ausgehändigt zu bekommen und noch das nette Sackerl des UTMB für Deine Abfälle abzugreifen, das dann an Deinen Rucksack montiert werden soll.
Mir hätte die Startnummer und das strahlend blaue Starter-T-Shirt schon genügt. Aber das Shirt war schon sehr, sehr wichtig.
Nach den guten Jahren 2009 und 2010 gab es ja manche Geschmacksverirrung im Starter-T-Shirt Design, 2013 aber ist das Shirt wieder ein Traum. Gut, dass ich zwei Mal gestartet bin. Zwei Starts – zwei Shirts, so gehört sich das!

Der 4er Club der UTMB-Starter des „Deutschen Hauses“ setzte sich schon um 14.30 Uhr Richtung Startlinie in Bewegung. Na ja, eigentlich war es gar kein 4er Club, eher ein 2x2er Club. Zwei Rennhasen, Axel, der am Ende eine unglaubliche Zeit abliefern sollte und Gerald auf der einen Seite und zwei Rennschnecken, Marius, der sich selbst wegen seiner Knieprobleme nur eine 50%-Chance gegeben hatte, das Ding zu finishen und ich auf der anderen Seite.
Und wir warteten geduldig vor dem Start auf dem Boden sitzend. Selbst hier wurden manche noch stichprobenartig auf die Vollständigkeit der Pflichtausrüstung kontrolliert. Na ja, alles, was ablenkt, ist gut und hilft, dass die Zeit schneller vorbei geht.
Aber das zog sich hin und erst vielleicht 15 Minuten vor dem Start, alles stand natürlich schon wieder, begann das Kribbeln im Bauch, die Nervosität und der Wille, dieses Ding auch ein zweites Mal zu finishen.

Ich hasse eigentlich die zweiten Läufe.
Bei der TorTOUR de Ruhr hatte ich 2010 die 230 K finishen können, trotz großer Hitze und immenser Schmerzen. 2012 hat wieder etwas weh getan und dann war nach 100 Kilometern Schluss für mich. Nein, Jens Vieler, das passiert mir nicht noch einmal! 2014 musst Du mich wieder im Ziel bei der berühmten Stele empfangen.
Beim KoBoLT konnte ich in der ersten Edition bei klirrender Kälte finishen, ein Jahr später hatte ich schon nach 35 Kilometern mehr Lust, mit Günther Brun Bahn zu fahren und zu quatschen.
Wahrscheinlich ist es das: beim ersten Mal bist Du bis in die Haarspitzen motiviert und Du willst Dir beweisen, dass Du es kannst. Beim zweiten Mal weißt Du, dass Du es kannst. Die Frage ist nur, ob Du es wirklich noch einmal willst.
KarteAber den UTMB wollte ich wirklich noch einmal. Spätestens als „die Musik“ spielte, als sich die 2.300 Läufer in Bewegung setzten und Du gefeiert wurdest wie ein Star. Der Start beim PTL war schon „Emotion pur“, der Start beim UTMB 2013 war einfach unbeschreiblich. Ich würde mich immer wieder dort anmelden, nur, um diesen Start erleben zu dürfen. So viel Gefühl, so viel Begeisterung!
Mit einem Mal sind alle Gedanken an das, was zu Hause an Problemen auf Dich wartet, weg geblasen und Du bist beseelt von dem Wunsch, die Vorschusslorbeeren, die diese Menschen Dir auf den ersten zwei Kilometern gegeben haben, auch wirklich zu verdienen.
Ich hätte den Menschen in Chamonix nicht mehr in die Augen sehen können, wenn ich dieses Rennen ohne triftigen Grund nicht gefinished hätte. Zudem kam dazu, dass schon die ersten Finisher des TDS im Ziel waren. Und die hatten die Weste!
Die Weste des UTMB ist ja eines der am besten gehüteten Geheimnisse dieser Welt. Selbst die Nachfrage bei der NSA hilft da kaum weiter. Aber spätestens, wenn der erste Finisher des TDS im Ziel ist, ist das Geheimnis gelüftet. Und dieses Jahr war das Geheimnis rot! Strahlend rot!
Die Weste passt so schön zum strahlend blauen Starter-T-Shirt! Es ist einfach wunderbar.

Ich begann locker trabend, aber etwas zügiger als 2009. Aber ich hatte immer eine kleine Bremse im Kopf. So viele machen sich schon auf dem Weg nach Les Houches kaputt. Aber was kannst Du auf den ersten 7,6 Kilometern denn gewinnen? Vielleicht 10 Minuten. Aber was kannst Du hinten heraus verlieren?
Das gilt auch für den ersten Abstieg. Abstieg ist da eigentlich nicht der richtige Ausdruck, Abfahrt trifft es besser. Es ist eine ordentlich steile Skipiste, die ich im Winter wohl kaum ohne Päuschen durchfahren würde. Aber bergab laufen scheint ja so einfach zu sein. Und viele, so viele, sind ohne Rücksicht auf Knie, Oberschenkel oder sonstige Verluste da runter gespurtet, als gäbe es kein morgen mehr, keine weiteren vielleicht 150 Kilometer!

Ansonsten gibt es wenig zu schreiben über diesen Lauf bei mir. Das rauf und runter schien weniger als 2009 zu sein, vielleicht weil 9.600 Höhenmeter heute nicht mehr so gewaltig klingen wie damals, vielleicht auch, weil nach den Erlebnissen des PTL die „Bergautobahn“ des UTMB mehr dem Auslaufen als dem Anstrengen zu dienen schien.
Und alles war gut – bis kurz vor Courmayeur.

Ich war ja auch bestens vorbereitet. Als ordentlicher Trail-Maniak hatte ich auf neue Stöcke gesetzt, auf die leichtesten, die es zurzeit gibt, auf die FIZAN-Stöcke. Sie kamen gerade noch rechtzeitig vor meiner Abreise nach Chamonix, schade, dass ich sie heute nicht mehr habe. Aber dazu später.
Und ich habe mich ja dem Fanclub der CLIF BARS angeschlossen, das schrieb ich ja hier an dieser Stelle nach dem Pitztal Gletscher Marathon schon. Und weil ich ja ursprünglich vorhatte, vor dem UTMB erst ein paar Bergtrainingstage einzulegen, habe ich von den fünf leckeren Sorten jeweils vier CLIF BAR Riegel mit nach Chamonix gebracht.
Und zuletzt hatte ich vor allem für die zweite UTMB-Nacht bei unser aller „Dealer“, dem großartigen Rolli von WAT LÄUFT, einige Ampullen des Wachhalters Activator aus dem Hause Sponser bestellt. Da ist so ziemlich alles drin, was mit -in aufhört: Koffein, Taurin, … auch eine gute Wahl, die ich schon in den beiden Nächten des PTL getestet hatte.

Aber auch FIZAN-Stöcke haben so ihre Grenzen. Kurz vor Courmayeur auf dem schmalen Waldweg runterwärts, gar nicht an einer extrem steilen Stelle, sondern eher in einer gemäßigten, die Gedanken schweiften ab, ich fragte mich, ob Eric Tuerlings vielleicht dort zu Besuch wäre, da fädelte ich an einer Wurzel ein, stolperte und konnte mich nicht mehr fangen. Ich sah einen großen Baum auf mich zukommen und drehte ab, den Abhang hinunter. Dort fiel ich dann auf den Rücken, zum Glück durch den Rucksack abgefedert. Und da lag dann ein abgesägter Baumstamm. Es ging alles so schnell und instinktiv. Ich stoppte mit dem linken Fuß an dem Baum, schüttelte mich, zählte meine Extremitäten, alle waren noch da. Nur einer der Stöcke fehlte. Nach knapp der halben Strecke und als passionierter Stöckeschieber musste ich auf einen Stock verzichten. Mehr noch als die Wunde am Rücken, die ich in Courmayeur versorgen ließ, schockierte mich diese Situation und der Verlust enorm und bremste mich auf Stunden ein.
Du glaubst gar nicht, wie vielen Läufern ich danach erklären musste, warum ich nur einen Stock dabei hatte!
ProfilAus Courmayeur heraus lief ich auf Gabi Kenkenberg auf und wir beide beschlossen, lange Zeit zusammen zu laufen. Für Gabi, die auf ebenen Strecken sämtliche Rekorde dieser Welt knacken kann, war es nach dem CCC im Vorjahr der erste wirklich lange Berglauf und ihr ging es sichtlich schlecht. Mir auch, aber eher wegen des Sturzes. Mittlerweile wurde ich beim Kopf drehen immer wieder an den Sturz erinnert, der Nacken tat weh, der Rücken schmerzte und ein Stock war weg.
Und Gabi und ich trabten und trotteten die Berge rauf und runter.
Am einem sonnenbeschienenen Berg ohne Büsche und Bäume, dafür mit hohen Temperaturen, großer Müdigkeit und sinkender Motivation, ich glaube, es war der Grand Col Ferret, mit 2.537 Metern höchster Punkt des UTMB, konnte und wollte ich Gabi nicht mehr halten. Ich musste ein paar Minuten ruhen, mich die Wege hinauf quälen und ich hatte das Gefühl, dass mich in dieser Phase Hunderte anderer Läufer überholten. Aber dann war ich auch dort oben und – alleine.

Immer, wenn es rauf ging, kannst Du Dir sicher sein, dass es auch wieder runter geht. Und dann auch wieder rauf. Verpflegungspunkte gibt es zu Hauf beim UTMB, Höhenmeter auch. Und irgendwann kam der Berg, an den ich mich nur mit Grausen erinnern kann. 2009 war der Bovine richtig schwer und steil, enorme Steinstufen waren zu überwinden. Nach einem Regenjahr schrieb Rainer Wachsmann über diesen Berg einmal, er sei „Körperverletzung“. Und dieser Berg kam. Ich habe mir vorher noch in einem Vorsorgungszelt die sich anbahnenden Blasen am linken Fuß versorgen lassen, dabei hatte ich auch den anderen Stock versehentlich stehen lassen. Jetzt war ich also komplett auf mich alleine gestellt. Und das vor dem Bovine.
Die Organisatoren hatten ja schon geschrieben, dass es den Versorgungspunkt auf dem Bovine nicht mehr geben würde, man solle sich essensmäßig und von den Getränken her doch darauf einstellen. Aber direkt vor dem Berg standen drei vielleicht 8-jährige Mädchen, die Spaß daran hatten, die Läufer mit Wasser zu versorgen. Ein kleines Wunder, eines von zweien, das diesen Berg zu meinem Freund werden ließ.
Und als ich die ersten Meter nach oben gelaufen war und den Berg als wesentlich unproblematischer erlebt hatte, kam Engel Gabi Kenkenberg mit einem japanischen Läufer von oben. Sie hatte ein schmerzverzerrtes Gesicht und erzählte mir, dass der Rumpfbeuger nicht mehr mitspielen würde. Sie müsste hier und jetzt aussteigen.
Und sie fragte mich, ob ich mir ihre Stöcke ausleihen wollte! Das zweite Wunder des Bovine. Aber klar doch, nur mal her damit.
Bis dahin dachte ich immer, dass Engel weiße Flügel haben, es gibt sie aber auch in einer Läufer-Edition.

UTMBNun, wieder mit Stöcken, war der Bovine ein eigentlich einfacher Berg. Aber ich schickte bei den nächsten beiden Abstiegen ein Stoßgebet nach oben. Abstiege ist dabei eigentlich nicht das richtige Wort für die Strecken runter nach Trient und nach Vallorcine, die Dinger sind so steil und so wenig griffig, dass Du wirklich froh bist, dass Du Stöcke hast und irgendwann tatsächlich unten bist. Welcher Landschaftsarchitekt sich bei der Planung und dem Bau dieser Berge eine solch üble Passage ausgedacht hat?

Trotzdem war ich dann froh, in Vallorcine zu sein. Seit dem Aufstieg zum Catogne war ich auch nicht mehr alleine gewesen. Jörg, ein Schweizer, kam mir auf dem Weg nach oben entgegen. „Was machst Du denn?“ fragte ich ihn. Und er antwortete vergeistigt, dass er müde wäre, aufhören würde und in Trient schlafen würde. Ich redete auf ihn ein wie auf ein unartiges Kind. „Nein,“ sagte ich, „das machst Du nicht. Du gehst jetzt mit mir auf den Berg, dann wieder runter und schläfst in Vallorcine. Du hast mehr als genug Zeit für das Laufen und das Schlafen.“ Jörg folgte artig. Oben dann, auf dem Berg, war ich froh um ihn, weil ich so müde wurde, mich immer wieder auf die Stöcke stützen musste und in Trance irgendwelchen Blödsinn erzählte. Mehr lallen als ich dort kann auch kein halbwegs ambitionierter Alkoholiker.
Später dann, in Vallorcine, war Jörg dann nicht mehr müde. Schlafen wollte er nicht mehr, also sollte es gleich weiter gehen. Aber Schweizer sind ja eher gemütlich. Bis wir uns wieder weiter bewegt hatten, das dauerte. Und ich hatte mir ausgerechnet, dass wir mein eigentliches und erstes Ziel, die Strecke unter 40 Stunden zu bewältigen, erreichen konnten. Aber Jörg war langsam. Für einen, der in 24h 230 Kilometer laufen kann, der den Halbmarathon in unter 1:30 Stunden ablaufen kann, war er doch sehr, sehr langsam. Ich blieb das flache Stück bis zum Col des Montets bei ihm und dann wurde es wirklich steil. Die üblen Steinstufen waren an diesem Berg, nicht da, wohin meine Erinnerungen sie gepackt hatten.

Aber Dank des Geschenks des absteigenden Engels war ich schnell und ich nahm keine Rücksicht mehr auf den immer langsamer werdenden Schweizer. Ich wollte sicher gehen, unter 40 Stunden einzulaufen, da durfte ich kein Risiko mehr eingehen. Rauf auf den Tete aux Vents, immer in Gedanken an das Jahr 2009, wo ich diese Strecke im Sonnenschein mit Lars Schläger hochgestiefelt bin. Ich wusste noch, dass Du da immer denkst, gleich oben zu sein. Und wenn Du dann scheinbar oben warst, dann ging es noch weiter und noch weiter …
Oben überholte ich noch eine Gruppe Läufer und dann begann ich diesen Berg zu hassen. Eine Steinwüste, nichts war mit Laufen oder Tempo machen, es ging Ewigkeiten von großem Stein zu großem Stein und die Zeit verrann. Noch eine Kontollstelle, noch ein Versorgungspunkt, noch zwei kleinere Anstiege. Und dann ging es abwärts.
Meine Füße, mittlerweile von drei Rot-Kreuz-Leuten begutachtet, waren voller Blasen und schmerzten wie noch nie. Tausend Gründe, langsam zu machen. Aber ich hatte kaum mehr als 38 Stunden auf der Uhr und es waren vielleicht noch 9 Kilometer abwärts, vielleicht noch 10 Kilometer. Vielleicht geht da noch was, die 39 Stunden-Marke schien erreichbar.
Blasen hin, Schmerzen her, der letzte Abstieg darf schmerzen!
Wenn Du drin bist, dann gibt es keinen Berg mehr, Du brauchst keine Reserven mehr. Und so lief ich Trail. Wie ein Trail-Maniak so schnell, wie ich Trails eigentlich nie laufe. Und ich überholte einen Läufer nach dem anderen. Da waren zügige Läufer dabei und Läufer, die sich kaum mehr bewegen konnten. Und vor mir war ein guter Trail-Läufer. Er machte die Geschwindigkeit, ich folgte auf Abstand.
Es war die vielleicht schönste Dreiviertel Stunde meines Lebens. Wir rasten gemeinsam den Wald-Trail hinab, passierten alle und jeden, Läufer, die ehrfürchtig zur Seite gingen, als sie uns anfliegen hörten. Und dann kam der letzte Abschnitt vor Chamonix, die breite Waldautobahn.
Der Trail-Läufer vor mir, ein Franzose, war mir auf der Autobahn vollkommen unterlegen. Ich zündete den Turbo, genau an der Stelle, wo ich 2009 nur noch tippeln konnte und ich rannte und rannte und rannte. Ich ließ ihn einfach stehen, überholte einen weiteren Läufer, der es mir sehr schwer machte und dann kam die Straße.
Und die Staße in Chamonix ist lang.
Ich hatte mittlerweile Zeiten von 4:30 Minuten pro Kilometer, aber ich wusste nicht, wie weit es noch war. Und da kam dann der erste Bogen.
Unmittelbar ein paar Meter vor dem Bogen überholte ich noch einen Italiener und ich sah den Zeitnahmebalken unter dem Bogen. Und ich bekam ein schlechtes Gewissen.
Überholen nach 168 Kilometern fünf Meter vor dem Bogen gehört sich nicht. Also stehen bleiben, die Hand des Italieners greifen und gemeinsam durch das Tor laufen.
Trail-Maniak_LogoAber er korrigierte mich und sagte, dass das erst der Vorbogen wäre. Noch ein weiterer Kilometer! Und er schickte mich los und ich gab wieder Gas. Rechts an der Strecke stand Julia, unser Trailschnittchen und feuerte mich an. Und ich rannte und rannte und rannte wie noch nie nach 100 Meilen. Als die 39 Stunden um waren war ich gerade beim Hotel Alpina und es ging nach rechts ein paar Meter bergauf.
Die Luft war jetzt leider ein wenig raus, also ein paar Meter gehen und verschnaufen. Und dann wieder gebremst Fahrt aufnehmen. Die Fußgängerzone entlang, nach rechts Richtung Start-/Zielbogen und dann nach 39:03 Stunden richtig glücklich rein.

Es hat gar nicht weh getan, das mit den drei Minuten. Ich freute mich, fühlte mich wie im „7. Himmel“, ich wollte endlich meine strahlend rote Weste haben und ich wartete noch ein Weilchen auf andere Läufer.
Ich war tatsächlich richtig glücklich. Die Füße schmerzten zwar sehr, aber der Verstand war so klar und rein wie der Morgen. Trailschnittchen kam, wir warteten noch auf den Einlauf von Marius aus dem „Deutschen Haus“ und dann gingen wir gemeinsam nach Hause.
Erst duschen, dann frühstücken.
Tränen rollten auf dem letzten Weg zum „Deutschen Haus“ mal wieder über meine Wangen, aber es war einer der schönsten Momente meines Lebens.
Nach dem Abbruch beim PTL hatte ich mir doch noch eine Weste erlaufen können. Und nur für diese Weste laufen wir ja.
Ich glaube, ich ziehe sie nie wieder aus …

UTMB Abschlussfoto  3

(klicken zum Vergrößern …)

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Beim Karnevalsmarathon in Bad Driburg gab es fünf „Elfer“ zu feiern. So ein Datum kommt nur alle 100 Jahre, die Älteren unter uns mögen sich an den letzten entsprechenden Tag erinnern. Und kaum einer von uns wird den nächsten entsprechenden Tag erleben.

Aber es gab neben diesem Datum und dem Beginn der diesjährigen Session auch noch zwei weitere Jubiläen zu feiern. Markus Pitz, der Veranstalter des Karnevalsmarathons, hatte Geburtstag und wurde endlich „marathonalt“. 42 Jahre ist er geworden aber vielleicht hätte er mit dem Lauf doch noch 71 Tage warten sollen, um dann 42,195 Jahre alt zu sein.
Aber von dieser Rundung abgesehen gab es für ihn ja noch einen weiteren Grund zu feiern.

Es war sein 50. Marathon, den er, als Bäcker verkleidet, engagiert knapp unter vier Stunden bewältigte.

Mein Weg zu diesem Lauf war einigermaßen schwierig. Schon vor Monaten hat mich mein Freund Wolfgang Bernath aus Waldbreitbach, einem Örtchen gleich bei uns, nur auf der anderen Rheinseite, der falschen Rheinseite, der „Schäl Sick“, so nebenbei bemerkt, zu einem Karnevalsmarathon eingeladen. Ich war spontan begeistert und habe meine Teilnahme in Aussicht gestellt. Jetzt, so Wolfgang, wären wir schon vier!
Andreas Butz, der Organisator des „Decke Tönnes“, ein mir nicht bekannter Freund von Wolfgang, er und eben ich. Dabei blieb es für eine sehr lange Zeit.

Nun hatte ich ja in den letzten Wochen jedes Wochenende gearbeitet und während der Woche weder Zeit noch Muße zu trainieren. Seit dem Ausscheiden beim TdG bin ich keinen Wettkampf mehr gelaufen und habe nur zwei Mal die Halbmarathondistanz im Training bewältigt und zudem vielleicht drei Läufe um die 10 Kilometer hinter mich gebracht.
Das ergibt durchschnittlich knapp 10 Wochenkilometer als Trainingsleistung. Keine optimale Vorbereitung im Hinblick auf die Läufe, die nun kommen sollen.
Und da ein Lauf unter Freunden mit mir als Bremsklotz hinten dran?
Das kann nicht gut sein, dachte ich und so suchte ich nach einer Alternative.

Dank „Tante Google“ wurde ich eben in Bad Driburg fündig. Ein Marathon nicht als Gruppenlauf, aber auf einer 400-Meter-Bahn, Start um 11 Uhr 11 an jenem Tag, auf den die Jecken sehnsüchtiger warten als auf Weihnachten, das alles klang viel versprechend. Aber ich kam in einen Gewissenskonflikt. Sollte ich nun mit Wolfgang und Andreas laufen gehen oder die vernünftige Lösung wählen, die, die meinem katastrophalen Fitnesszustand entsprach?

Ein Blick auf die bislang 22 Teilnehmer löste meinen Konflikt. Ich fand da neben Wolfgang Bernath auch Andreas Butz, zudem durfte ich mich auf Rainer Wachsmann und Bernd Kalinowski freuen. Der Lauf im fernen Bad Driburg war also der Lauf, von dem Wolfgang berichtet hatte. Wunderbar!


Ich fuhr also um 8 Uhr am Morgen des Freitag die 250 Kilometer Richtung Bad Driburg, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Schon am Vortag hatte ich die eigentlich schon lange geschlossene Meldeliste mittels eines Telefonats mit Markus Pitz elegant umschifft und so gab es sogar eine Startnummer, die meinen Namen trug.
Als letzter Gemeldeter erhielt ich die Startnummer 23 bei 23 Startern, ein Umstand, der es mir leicht machte, zumindest mein Minimalziel, eine Platzierung niedriger als meine Startnummer zu erreichen, realisierbar erscheinen ließ.

Eine Verkleidung war an diesem Tag und bei diesem Lauf erwünscht, ich hatte aber nur eine edle Weihnachtsmütze zur Hand, die ich also die ganze Zeit trug. Das war nichts gegen das Nonnenkostüm von Bernd Kalinowski oder den Schotten-Outfit von Wolfgang Bernath. Rainer Wachsmann behalf sich mit einem an die Hawaii-Inseln erinnernden Plastik-Blumenkranz, den er sich um den Hals hängte und Andreas Butz machte einen auf „Pippi Langstrumpf“.
Rothaarige Perücke, einen grünen und einen orangenen Kompressionsstrumpf, ein Pippi-Laibchen – eine echte Augenweide! Da Andreas/Pippi sowieso immer sehr schnell unterwegs ist, wird es ihm/ihr leicht gefallen sein, die Damenwertung zu gewinnen.
Eberhard Ostertag trug eine old fashioned Ladies Underwear und eine entsprechende Nachtmütze und Markus war, wie oben schon erwähnt, unser Bäcker.

Bemerkenswert war schon, dass Markus eine recht ansehnliche Truppe von Volunteers zusammen trommeln konnte, die die Zeitnahmen machten, die sich um den Verpflegungspunkt gekümmert haben und die uns alle immer wieder aufs Neue zu motivieren versuchten.
Und das war, zumindest in meinem Fall, ab der Runde 85 auch dringend notwendig.

Ich startete zwei der 105 1/2 Runden recht langsam mit Bernd Kalinowski, um dann etwas zu beschleunigen. Ich wollte mein „langsames Marathontempo“ laufen, so um die 4 Stunden als Zielzeit. Dabei wusste ich, dass ich dieses Tempo nicht durchhalten konnte, aber ich wollte so lange wie möglich versuchen, auf diesem Kurs zu bleiben. Bis km 35 gelang es mir. danach war Beißen und langsamer werden angesagt.
Am Ende waren es 4:10:46 Stunden, immerhin knapp unter der „Sechser-Zeit“. Unter dem Strich OK, finde ich.


105 1/2 Runden auf der Bahn laufen ist ermüdend. Zwar ist die Strecke zweifellos flach, aber das Geläuf liebe ich zumindest nicht. Trotz des kalten, aber sonnigen Wetters war der Spaß am Laufen also recht begrenzt. Als Trailläufer liebe ich es ja, möglichst viele neue Gegenden, viele neue Impressionen zu sehen – einVergnügen, dass uns in Bad Driburg nicht zuteil werden konnte.
Nur die Kirchturmuhr, die Runde für Runde eine andere Uhrzeit zeigte, bewies uns, dass sich doch irgend etwas geändert hatte.

Dennoch war es ein tolles Erlebnis für mich – mein erster Marathon seit eine kleinen Ewigkeit. Dieser Umstand hat mich nervös gemacht wie einen Marathon-Novizen. Wenn es also einen für mich perfekten Wiedereinstieg ins Laufen gegeben hat, dann war es dieser Lauf in Bad Driburg, auch wegen der anderern Läufer, die ich zum Teil schon sehr lange nicht mehr live erlebt habe.

Andreas Butz zuletzt vor einem guten Jahr bei einer Veranstaltung im Phantasialand in Brühl, Rainer Wachsmann beim Treppenmarathon in Radebeul 2010, Bernd Kalinowski beim MIAU im April 2011 und Wolfgang Bernath vor eineinhalb Jahren im schönen Dernau.

Schön war es also auch in Bad Driburg, ncht nur wegen dieses Datums mit den fünf „Elfern“ 11-11-11-11-11…

Ein wirklich extremer Lauf …

Wenn man seinen eigenen Nonstop-Längenrekord deutlich verbessert, dann sollte man glücklich und stolz sein. Ich aber bin vor allem dankbar. Nicht nur, weil diese zwei Lauftage ohne einige Menschen nicht möglich und nicht denkbar gewesen wären, sondern weil ich mir spätestens jetzt im Klaren bin, dass sich andere Menschen wirklich für mich interessieren und sich um mich sorgen.

Mein erster Dank geht natürlich an Jens Vieler, den Veranstalter der TorTOUR de Ruhr. Wenn man sieht, worum er sich schon im Vorfeld gekümmert hat, wie viele Briefing-Mails er vorab geschickt hat, wie er im Rahmen seiner Budgets versucht hat, es den Läufern möglichst angenehm zu machen, dann beschleicht Dich fast so etwas wie Demut. Und auch beim Lauf selbst war er omnipäsent, von Q wie Quelle bis Z wie Ziel gewissermaßen. Jens war an den Verpflegungsstellen, Jens war ständig telefonisch erreichbar und er war auch beim Zieleinlauf da.
Und Jens hat „seine“ Läufer auch gesucht. Nach der vorletzten offiziellen Verpflegungsstelle, die von Peter J. Hunold, ebenfalls einem erfahrenen und allseits geschätzten Ultra-Marathonläufer, betreut wurde, habe ich mich, warum auch immer (dazu später mehr), entschlossen, mir im Auto meiner Frau Gabi ein Schläfchen zu gönnen. Später rief dann Jens an, um sich zu erkundigen, wie es mir ginge, ob ich dabei sei und auch dabei bleiben würde.

Jens, selbst nicht nur ein geschätzter Ultra-Marathonläufer, sondern auch noch einer, der mit besonderen Resultaten und Platzierungen aufwarten kann, nimmt Dich gewissermaßen mental in die Arme, pudert Dich und pampered Dich. Nur noch laufen musst Du noch selbst.


Mein zweiter Dank geht mal wieder an meine Frau Gabi. Als Supporterin ist sie schon einigermaßen erfahren, 2009 war sie schon meine Batterie und Motivation bei der 24-h DLV Challenge in  Delmenhorst, aber vor allem den KÖLNPFAD hätte ich nicht ohne ihre Unterstützung bewältigen können. Ihr Support ist so herausragend, dass sie von meinen Mitläufern Hans-Peter Gieraths beim KÖLNPFAD genauso gelobt wurde wie dieses Mal von Hauke König, mit dem ich so lange gemeinsam gelaufen bin.
Ich danke ihr außerdem, weil sie nicht nur sah, dass es mir richtig schlecht ging, sondern sie versuchte auch, den Zustand zu verbessern. Sie zwang mich kurz nach dem oben erwähnten vorletzten Verpflegungspunkt zu einem Schläfchen in ihrem Auto, weil sie merkte, dass ich schon anfing zu lispeln, keine klaren Sätze mehr artikulieren konnte und wohl auch richtig schlecht aussah. Wenn man so umsorgt wird, dann weiß man, was Liebe ist.

Mein dritter Dank geht an die beiden Mitläufer Martin Raulff und eben an Hauke König, ohne die die TorTOUR noch mehr zur Tortour geworden wäre. Dass beide nicht finishen konnten, lag teilweise auch an mir und deshalb fühle ich mich ein wenig schuldig und ich schäme mich. Zumindest bei Hauke hätte ich darauf bestehen müssen, dass er sich von mir absetzt, aber sein Pflichtbewusstsein und sein „Helfersyndrom“ sind so stark ausgeprägt, dass er bei mir blieb. Schlussendlich hat ihm dann seine Archillessehne gesagt, dass er mich verlassen muss. Da war es aber schon zu spät.
Ich erinnere mich in solchen Situationen immer an das, was mein Laufpartner Heiko Bahnmüller vom TransAlpineRun 2008 zu mir gesagt hat: „Du hast keinen ersten Gang!“
Damit meint er, dass ich schnell gehen kann, sehr schnell sogar. Und ich kann auch laufen, aber ich kann nicht sehr langsam laufen.
Das wiederum führt dazu, dass ich, wenn mein Akku leer ist und ich auf das Gehen umstellen muss, meinen Mitläufern Schwieriges zumute. So schnell zu gehen wie ich gelingt nur den Wenigsten und das führt zu einer Mischung aus Gehen und Tippeln – sehr belastend für die Archillessehne. Ich hätte Hauke das sagen müssen.

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Dankbar bin ich auch für die vielen schönen Momente, die ich bei der TorTOUR de Ruhr erleben durfte.

Einer davon war zum Beispiel, als Bernd Krayer mich überholte. Bernd ist nicht nur ein hervorragender Ultra-Marathonläufer, sondern auch noch der Motor des TuS Breitscheid e.V., einem Verein, dem ich bin heute zutiefst verbunden bin. Mit den Läufern dieses Vereins habe ich am 3. Oktober 2005 zum ersten Mal die Längenmarke „Marathon – 42.195 Meter“ überwunden. Und ohne den Einsatz von Robert Zeller, einem erfahrenen Trainer dort, hätte ich das auch nicht geschafft.
Er aber zeigte mir nach 45 km, dass man weiter kommt, wenn man die Geschwindigkeit reduziert. Und auch wieder regeneriert. Der Seniorenmeister im Langstreckenlauf, das war er zumindest in dieser Zeit, kümmerte sich liebevoll um mich und so konnten wir ab km 55, als ich wieder bei Kräften war, noch eine Läuferin einsammeln, die beim Ratinger Rundlauf die Kilometer von 30 bis 60 laufen wollte und nach 25 Kilometern vollkommen am Ende war.

Ich wusste gar nicht, dass Bernd meinen Laufweg beobachtet hatte und wurde mir dessen erst bewusst, als er mir eine Mail schrieb, dass er sich für den Bambini-Lauf der TorTOUR de Ruhr angemeldet hat und mit Freude sah, dass ich mich für die große, die ganze Strecke des Ruhr-Radwegs von der Quelle bis zur Mündung in den Rhein entschlossen habe. Als Bernd mich dann überholte, hatte ich schon mindestens 150 Kilometer hinter mir und befand mich im totalen Tief.
Schade, denn sonst wäre die Begrüßung wesentlich herzlicher ausgefallen. Falls Du, Bernd, diese Zeilen also lesen solltest, dann sehe mir das nach und fühle Dich nachträglich gedrückt und geherzt.

Ein anderer dieser Momente war, als ich bei der Verpflegungstelle „130 km“ ankam. Dort begrüßte mich ganz herzlich mein lieber Lauffreund Rainer Wachsmann aus dem westfälischen Münster. Ihn hatte ich zuletzt beim Sächsischen Mt. Everest Treppenmarathon gesehen, den er in beeindruckender Weise finishte. Mit ihm hatte ich gar nicht gerechnet und er war auch nur da, um die Einführungsrunde für die 100 Meilen-Läufer zu laufen. Ein kleiner Lauf, aber ein TorTOURist ist er immerhin schon. Und auch sonst hat er fast alles gefinished, was auf der Agenda der meisten Ultra-Marathonläufer steht.

Für andere Momente sorgten die vielen Fahrradfahrer und Spaziergänger auf der TorTOUR-Strecke. Viele wussten, was wir hier trieben, manche aber stellten die immer gleichen Fragen: „Was ist das für ein Lauf? Wie weit lauft ihr?“
Wenn Du die letzte Frage mit: „230 Kilometer“ beantwortest, dann kommt ein entsetztes „Was?“ zurück und auch die besten Wünsche. Einer der vielen ungeplanten Zaungäste fragte mich so vieles. Er wollte alles wissen. Warum wir so etwas tun, wie wir leben und arbeiten, wie wir uns vorbereiten. Und er verriet mir, dass er selbst Marathons laufen würde. Weiter aber, so ergänzte er, hätte er sich noch nie getraut. Ein interessierter, wirklich netter Mann. Vielleicht bekommt er irgendwann auch den „Kick“ und er gönnt sich die Vorsilbe „Ultra“ vor dem Wort „Marathoni“?


Kurz vor dem Ende, vielleicht bei km 217, passierte ich zwei junge Männer, die, beide einheitlich mit einer Flasche Bier und einer Zigarette bewaffnet, sich lautstark unterhielten Der eine sagte zum anderen: „Ich bin kein schlechter Mensch! Ich bin kein schlechter Mensch, nur weil ich …“
Zu gerne hätte ich erfahren, was ihn vielleicht zum schlechten Menschen gemacht hätte, aber da war ich schon zu weit von den beiden entfernt.

Schon kurz danach gab es ein Problem. Der Ruhr-Radweg verlief durch ein Gebiet, auf dem eine riesige Pfingstfeier stattfand. Ich war irritiert und fragte zwei der Gäste, wie ich von hier (ich zeigte auf den Punkt auf der Karte) nach da (wieder zeigte ich auf die Karte) käme. Beide Gäste waren, wie eigentlich auch alle anderen auf diesem Fest, schon aus der Phase des Biertrinkens heraus. Mehr wäre wohl auch nicht mehr gegangen.
„Mann, was ist denn hier los? Alle wollen hier durch!“ Sein Kumpel antwortete daraufhin: „Na, das ist doch die Marathon-Scheiße.“
Und dann erklärte er mir den richtigen Weg.

Ohne diese schönen Momente, diese „Magic Moments“, wie Amerikaner sie nennen würden, hätte ich diesen Lauf wohl nicht gepackt.
So bleibt mir die Erinnerung an die vielen „Magic Moments“, an Lauffreunde, die mir sehr, sehr nahe stehen, an einen Lauf, bei dem ich mich zwar oft verirrt, aber nie verloren gefühlt habe. Mir bleiben intensive und ehrliche Gespräche vor allem mit Hauke König und mit Martin Raulff. Und mir bleibt das Bewusstsein, dass wir Läufer irgendwie alle zusammen gehören, zusammen hängen, dass die Welt zugleich riesengroß und auch so winzig klein ist.

Und wenn ich heute Beschwerden an den Füßen habe, dann sind sie geringer als bei anderen Großevents. Wenn ich nur schwer in die Senkrechte komme, dann immer noch leichter als nach anderen Events. Eines aber wird mir sicher in Erinnerung bleiben, aber darüber schreibe ich das nächste Mal.

Wenn Du gestern um 15.30 Uhr im MDR die Sendung „BIWAK“ verpasst hast …

Klicken zum Film ansehen ...

…, die sich mit den armen Irren auf der Spitzhaustreppe in Radebeul befasst hat, dann kannst Du den Film hier noch nachträglich ansehen.

Entstanden ist und gesendet wurde ein wirklich interessanter Filmbericht, der in drei Teilen auf die gesamte Sendung verteilt wurde und der die Stimmung auf der Treppen gut einfing. Ich finde ihn sehenswert und lohnend.
Aber beachte bitte: wenn Du Dir die Sendung „BIWAK“ ansiehst und plötzlich das Thema „Volksmusik“ kommt, dann denke nicht, dass der Bericht von der Treppe schon vorbei wäre. Nein, es geht weiter.
Und verzweifle nicht wegen der schrägen Töne, sondern schiebe den Fortschrittsbalken einfach nach rechts bis es wieder schön wird für die Augen und erträglich für die Ohren.

Und das gleiche machst Du, wenn später dann plötzlich das Thema „Richtiges Fahren von Wohnmobilen auf einem Testgelände“ kommt. Auch danach folgt ein weiterer Teil der Geschichte über den „Sächsischen Mt. Everest Treppenmarathon 2010“ der vergangenen Woche.

Besonders interessant ist die Sendung für Michael Eßer, für Rainer Wachsmann, für Ulf Kühne und auch für HUPSI aus Berlin, aber irgendwann sieht man wirklich jeden, der bei diesem Event dabei war.
Ich sage an dieser Stelle ein herzliches „DANKESCHÖN“ an den Twitterer Jens Friebe, Twitter-Name SAUHUNDBESIEGER, der mich auf die MDR Mediathek hingewiesen hat.

Was schwätz‘ ich die ganze Zeit: Twitter ist halt einfach eine verdammt tolle Sache!