Alle Jahre wieder kommt …

Anfang September 2008, genau eine Woche vor dem TransAlpineRun 2008, Ende September 2009, am Dienstag vor der Deutschen Meisterschaft im 100 Kilometer Straßenlauf in Bad Neuenahr am darauf folgenden Samstag und Ende Oktober 2010, also gestern …
alle Jahre wieder kommen die Schmerzen wieder. Und nicht nur die.

Sie sind gepaart mit der Unfähigkeit, mich bewegen zu können, höllischen Schmerzen und auch der Chance, jedes Mal aufs Neue eine andere Krankenhaus-Notaufnahme von innen kennen lernen zu dürfen. Neue Ärztinnen, neue Pfleger, neue Schwestern, stundenlanges Warten und halbwegs lustige Späße im Warteraum, um die bleierne Zeit etwas zu verkürzen.

Bisher war es immer eine durch Kälte bewirkte Verhärtung der Muskelstränge im Rücken, die diese zur Kontraktion brachten und deren Verhärtung auf die nur wenige Millimeter entfernt liegenden Nervenstränge dückte. Durch den ersten Schmerz, der sich wie ein Stich in den Rücken äußert, gehst Du gebückt wie Methusalix in den einzelnen Asterix-Heften.

Gestern aber war es anders, irgendwie neu für mich. Und ich habe ein Gelenk kennen gelernt, von dem ich zuvor noch nie etwas gehört hatte: das Ilio-Sakral Gelenk. Dieses Gelenk, das wie ein Teil der Kirchentheologie klingt, eben irgendwie heilig, ist für den aufrechten Gang des Menschen verantwortlich.


Das Iliosakralgelenk bzw. Sakroiliakalgelenk oder Kreuzdarmbeingelenk ist die gelenkige Verbindung zwischen dem Kreuzbein und dem Darmbein.
Es handelt sich dabei um ein straffes, wenig bewegliches Gelenk mit einer engen Gelenkhöhle. Die beiden aneinanderstoßenden Gelenkflächen werden jeweils Facies auricularis genannt. Um diese Gelenkflächen stellt Faserknorpel die weitere Verbindung her. Aufgrund des (reibungsfrei gedachten) Gelenkspaltes können die Gelenkflächen des Iliosakralgelenks ausschließlich Normaldruckkräfte übertragen.
Die Bänder (Ligamentum sacrotuberale, sacrospinale, iliosacrale ventrale und iliosacrale dorsale) müssen alle weiteren Kräfte soweit kompensieren, dass die resultierende Kraft stets durch das momentane Bewegungszentrum des Gelenkes verläuft.

Wenn nun aber dieses heilige Gelenk verschoben ist, dann drückt es auf das umliegende Gewebe, dieses kontraktiert wieder und Du hast die ähnlichen Schmerzen wie bei den altbekannten Problemen, die ich schon kannte, einzig das Zentrum des Schmerzes hat einen anderen Sitz. Statt mittig im Rücken liegt es etwas nach links versetzt, vielleicht der Grund, dass ich die ersten Anzeichen für mein aktuelles Problem nicht schnell genug erkannt hatte.

Also war ich gestern wieder beim Tennis spielen, wo mich das Malheur in drei Schüben ereilt hat, erst ein ganz leichter Stich, dann ein etwas stärkerer Stich, verbunden mit einem Wegknicken der Beine.
Das Gute daran war, dass wir diesen letzten Punkt im vorletzten Spiel des zweiten Satzes dadurch gewinnen konnten, die Überraschung der beiden Gegner ob meines Wegknickens wohl zu groß war.

Mein folgendes Aufschlagspiel zum Satz- und Matchgewinn brachte ich dann auch noch durch, obwohl ich nicht mehr in der Lage war, feste Schläge anzubringen, aber nach dem Matchgewinn und dem entscheidenden letzten Stich war es Zeit für mich, aufzuhören und mit Schmerzen nach Hause zu fahren.

Dort habe ich mir sofort ein Wärmepflaster auf den Rücken geklebt, mich warm eingepackt und gehofft, dass ich damit schnell genug gehandelt hätte. Hatte ich allerdings nicht, denn als wir Besuch bekamen und ich geschlagene 10 Minuten gebraucht habe, um aus dem Bett aufzustehen, da wusste ich, dass ich wieder eine unfreiwillige Laufpause einlegen darf.

Ich quälte mich nach unten ins Wohnzimmer, um wenigstens ein bisschen mit den beiden über die Themen des Tages zu reden, aber nach etwa zwei oder drei Minuten am Tisch sitzend, drückte plützlich kalter Schweiß mit Vehemenz aus meinen Poren. Innerhalb von Sekunden rann mit der Schweiß über die Nase und tropfte auf den Tisch. So etwas hatte ich noch nie erlebt, so viel Angst um mich wie in diesem Moment hatte ich noch nie.
Ich wurde kreidebleich, sah Sternchen, der Kreislauf kippte weg und meine liebe Gabi rief den Notarzt.
Ich fühlte mich wie ein alter Mann, dem seine letzten Stündchen geschlagen hatten.

Aber genauso schnell, wie der Schweißschub kam, verschwand er auch wieder und als die beiden netten Notärzte kamen, war ich schon wieder bester Laune und mitten in meinen Erzählungen vom Kilimanjaro-Aufstieg. Was für eine Tragödie wäre es gewesen, wenn mich diese Verschiebung des heiligen Gelenks auf einem der beiden hoch gelegenen Camps der Machamé-Route ereilt hätte.
Ein Abstieg wäre nicht mehr möglich gewesen und die Helikopterflieger hätten sich eine kleine goldene Nase verdient. Und ich, ich hätte einen der schönsten Tage in meinem Leben, eben den Gipfeltag mit dem anschließenden Kraterbesuch, verpasst.

Wie geht es nun weiter für mich? Wenn ich noch dreißg Jahre zu leben habe, dann werde ich vielleicht noch dreißig Mal diese oder eine andere Krankenstation besuchen müssen. Ob sich mein Problem durch das Laufen verstärkt oder verkleinert weiß ich ebenso wenig wie die Antwort auf die Frage, ob ich von nun an im Leben mehr oder weniger Gas geben sollte.

Eine nicht glücklich machende Idee habe ich in den folgenden Sätzen bei meiner Recherche im Internet gefunden:

Eine Behandlung muss zuerst identifizieren, in welcher Position das
Gelenk steht. Das ist schwierig, da nur wenige Tests eine echte Aussage
liefern können, dann muss das Gelenk korrigiert werden und in der Korrekturstellung „trainiert“ werden.
Nur so haben die Bänder Zeit und die Möglichkeit, dem Gelenk auch wieder passive Stabilität zu geben.
In dieser Zeit sind auch solche Sachen wie joggen, springen, sitzen,
Treppensteigen, etc. zu vermeiden oder zu minimieren – sonst verschiebt
sich das Gelenk wieder von neuem.

Bei Frauen nach der Entbindung ist das ganz leicht zu machen: sie
bekommen einen Beckengurt, den sie für 6 Wochen tragen. Danach sind die Beschwerden in der Regel weg. Die Ursache liegt hier in einer durch die
Schwangerschaft „erlittenen“ vorübergehenden Bänderschwäche.

Männer aber sind so ein Fall für sich …

Für mich endete der gestrige Tag also in der Notaufnahme des Bonner Universitätskrankenhauses und da blieb ich bis weit nach Mitternacht. Eine Schmerz stillende Infusion, eine Spritze ins Gelenk, muskelspannungslösende Tabletten, Ibu 600 und etwas, damit der Magen nicht verrückt spielt, all das gab es für mich … und heute eben einen Bett-Tag.

Tja,, und ich frage mich, was der unbekannte Autor dieser Zeilen unter „minimieren“ versteht? Ist es schon Minimierung genug, wenn ich dieses Jahr nicht mehr die 100km-Marke überschreite oder ist die Grenze beim Marathon oder sogar nur dem 10K-Lauf zu suchen?

Ich werde es erfahren … und Du auch!

Der filetierte Pfefferkarpfen-Lauf …

(klicken zum Vergrößern) - Die ersten Zeilen des Eifel-Krimis "VINO DIAVOLO" von Carsten S. Henn, der bei uns in Bad Neuenahr spielt.

Samstag, der 20. Februar, 6.00 Uhr, ich sitze im Auto, unterwegs Richtung Nürnberg-Schnepfenreuth, zum „Pfefferkarpfen-Lauf“ nach Pommersfelden. Ich war aufgeregt und freute mich, Olaf Schmalfuß, den Veranstalter des Laufs und Alexander von Uleniecki mal persönlich kennen zu lernen. Außderdem freute ich mich, Kurt Süsser, Klaus Neumann und Gottfried „Gotti“ Oel wieder zu sehen.

Mein Plan war, zwischen 9.00 Uhr und 9.30 Uhr in Nürnberg-Schnepfenreuth anzukommen, da der Lauf um 10 Uhr beginnen sollte. Für die rund 390 Kilometer hatte ich also ausreichend Zeit. Die Autobahn war leer und trocken, ich schaltete den Tempomat also auf 150 km/h und schob die erste CD des Hörbuchs „VINO DIAVOLO“ in den CD-Schlitz, das meine Frau Gabi mir am Tag zuvor noch gekauft hat. „Damit es Dir beim Auto fahren nicht so langweilig ist … !“ sagte sie.

Ich muss ja gestehen, ein großer Fan von Hörbüchern zu sein, was aber nicht bedeutet, dass ich keine Bücher lesen würde. Aber ein Hörbuch oder ein Hörspiel während der langen Fahrten erheitert oft ungemein. Und der fette Koch Julius Eichendorff aus unserem Ahrtal ist schon ein paar Lacher wert. Der Autor, Carsten Sebastian Henn, schreibt in einer unnachahmlich bildhaften Art und schon der Anfang der Geschichte hat mich fasziniert. Ich stellte mir vor, dass mir auch das passieren würde, was Julius Eichendorff erlebt hat, nämlich, dass ein schwarz gescheckter Wiederkäuer von wo aus auch immer direkt auf meinen Wagen fallen würde.


Aber das passierte natürlich nicht, es ist ja für Kühe überaus unüblich, vom Himmel zu fallen, also konnte in Ruhe zwei der vier CD’s anhören, bis ich in Erlangen-Tennenlohe von der A3 abfahren musste. Gleich sechs Kilometer weiter war dann auch das Sportheim des TB Johannis 1888, wo alle der 30 gemeldeten Läufer eintrudeln sollten. Viele waren schon da – und ich war froh, noch viel mehr Läufer zu kennen als die, auf die ich mich eingestellt hatte. Es gibt ja viele, die man oft gesehen hat, aber denen man keinen Namen zuordnen kann.

Nach ein paar Startfotos ging es auch pünktlich los, immer der Regnitz entlang, eine wunderschöne Strecke, die durch lange vermisste Sonnenstrahlen weiter verschönert wurde. Die meisten waren zu dick angezogen und ich wollte hier Vorbild sein und trug vier dünne Schichten, ein SKINFIT Unterhemd, ein kurzärmliges Laufshirt, eine dünne SKINFIT Windjacke und darüber noch eine ERIMA Laufjacke.
Und weil es ja heißt „Viel hilft viel!“ habe ich mir noch SKINFIT Armlinge gegönnt.
Kein Wunder, dass ich schon bei der ersten Verpflegungsstelle am Fuß des schon mit einem Umweltpreis ausgestatteten Schutt- und Energieberges nach 11 Kilometern klitschnass war. Hier verzichtete ich auf die Armlinge und die Windjacke. War das ein gutes Gefühl, wieder luftiger gekleidet zu sein!

Sorgen machte mir schon zu diesem Zeitpunkt mein Rücken. Nachdem ich jetzt wochenlang schmerzfrei war und auch beim Tennis die neu gewonnene Lauffreiheit genossen habe, rumorte es wieder an der neuralgischen Stelle über dem Popo. Nicht dramatisch, aber ich bin ja super vorsichtig zurzeit. Auf keinen Fall darf mir etwas vor dem Marathon des Sables passieren!
Das Rumoren des Rückens war dann den ganzen Tag lang zu spüren, aber den berühmten Stich ins Kreuz gab es nicht, zum Glück.


Nachdem wir auch auf den Schutt- und Energieberg gelaufen und auch dort oben fotografiert hatten, ging es von der Regnitz ab über das platte Land, viel Straße, ein paar Dörfer, viel Wald und vor allem noch viel Schnee. Aber kein schöner Schnee wie bei meinen Eifel-Läufen durch unberührte Schneefelder, sondern schwerer, nasser Schnee, zusammengedrückt von den Reifen von landwirtschaftlichen Fahrzeugen, wirklich unangenehm zu laufen.

Die insgesamt 55,57 Kilometer bis zum Pommersfeldender Hotel „Grüner Baum“ waren insgesamt eher wenig erbaulich, von der Strecke bis zur ersten Verpflegung einmal abgesehen. Aber die Verpflegungspunkte waren sensationell. Bei der zweiten Verpflegung waren nicht nur Dutzende der berühmten Nürnberger Rostbratwürstchen gebraten, die Gastgeber dieser Verpflegungsstelle waren auch eifrig am grillen und brutzeln. Und damit wir nicht auskühlen, durften wir sogar in das eigens für uns leer geräumte Wohnzimmer gehen. Die Stühle, auf denen wir saßen, rieten uns genauso, da zu bleiben und nicht mehr weiter zu laufen wie auch die frischen Biere mit Bügelverschluss, die da auf die Leerung warteten. Aber angesichts der vielen Fleischesser und der vielen geöffneten Bierflaschen fühlte ich mich wie Julius Eichendorff und fragte mich, wo ich hier nur rein geraten bin …

Da ich ja kein Fleisch esse und auch nur wenig Alkohol trinke, konnte ich diese Angebote nicht genießen, aber ich sah das schiere Glück in den Augen der anderen Läufer und ich dachte, wenn Gott ein Deutscher ist, dann muss er im Frankenland leben, weil die Würstchen und das Bier sicher göttlich sind. Olaf hatte mich ja schon vor dem Lauf gewarnt, dass die Versorgung beim Pfefferkarpfen-Lauf so gut ist, dass wir Läufer eher zu- als abnehmen würden. Und Olaf hat nicht übertrieben, das Angebot war jedes Mal üppig und vorbildlich, fast zu viel. Für mich sowieso, da ich ja beim Laufen stets nur geringe Mengen Nahrung zu mir nehme.

Die letzte Verpflegungsstelle, die wir allerdings erst suchen mussten, war dann in einem Fahrrad-Geschäft. Auch hier konnten wir länger ausharren, weil wir nicht in der Kälte stehen mussten und die dortigen Gastgeber haben sich viel Mühe gegeben, uns alle Wünsche von den Augen abzulesen. Überhaupt habe ich an diesem Samstag nur nette Menschen erlebt, alles Freunde von Olaf. Es bewahrheitet sich auch im Frankenland immer wieder: nette Menschen haben eben nette Freunde!


Trotz der hervorragenden Verpflegung war ich am Ende sehr froh, endlich im Hotel angekommen zu sein. Der Rücken schmerzte, die Beine wollten nicht mehr und die Psyche war gebrochen. Ich entschied bereits bei km 30, dass ich diese Strecke am nächsten Tag wohl nicht zurück laufen, sondern Olafs Angebot annehmen werde, mit dem Auto noch am Samstag Abend nach Nürnberg zu fahren. So würde zwar die „104 Kilometer lange Läuferparty“ wie ein Pfefferkarpfen filetiert und halbiert sein, aber zur Rückenschonung war die Entscheidung richtig und wichtig. Und ein halber Pfefferkarpfen ist doch besser als gar keiner, oder?

Ich blieb noch zum Abendessen und redete lange und viel mit Gerhard Börner, dem PTL-Finisher des Jahres 2009, der bei Marathon4you.de den legendären Artikel geschrieben hat: „Es gab Überlebende!“
Gerhard war einer derjenigen, die ich schon oft gesehen hatte, denen ich aber keinen Namen zuorden konnte. Gleichzeitig wusste ich viel von Gerhard, weil er zwei Wochen vor dem UTMB 2009 die virtuelle Trainingsgruppe um Bernie Conradt, in der auch Kurt Süsser und ich vertreten waren, angeschrieben hatte, weil er kurzfristig noch einen Mitläufer gesucht hatte.

Ich war zwar nicht so verrückt, diese Einladung anzunehmen, weil ich mir gesagt habe, dass ich zumindest erst einmal den UTMB finishen muss, bevor ich mich an die nächste Aufgabe wage. Aber den Samen für meinen PTL Lauf im August dieses Jahres hat er damit gesät. Und als ich nach dem UTMB seinen Laufbericht gelesen hatte, wusste ich, dass ich meinen inneren Frieden nicht werde finden können, wenn ich diesen Lauf nicht probiere.
Es war schön, dass ich mich mal richtig lange mit Gerhard unterhalten konnte, vor allem, weil er beim Abendessen mein direkter Sitznachbar zur Rechten war.

Schade war, dass ausgerechnet Olaf, der Veranstalter, das Geburtstagskind, keinen der vielen Pfefferkarpfen bekommen konnte, weil zu wenige dieser Spezialitäten vorbestellt waren. Ich für meinen Teil habe mich für Sprossentaler auf leicht verkochtem Gemüse und für einen kleinen Salat entschieden, dazu gab es eine große Flasche Mineralwasser, eine gute Wahl.

Dann musste es allerdings schnell gehen, weil das Auto nach Nürnberg abfuhr, kaum Zeit, sich zu verabschieden. Nicht von Kurt, nicht von Gerhard, nicht von Tanja, Alexander, Petra … und auch nicht vom Veranstalter, vom Geburtstagskind, von Olaf.


HAPPY BIRTHDAY Olaf, danke für diesen Lauf!

Auf dem Rückweg hörte ich mir die beiden letzten CD’s des Eifel-Krimis „VINO DIAVOLO“ und ich hatte am Ende, als der Mörder gefunden und seine bewegende Beichte vorbei war, ein paar Tränchen in den Augen, so ergreifend war das weinselige Gespräch zwischen Julius Eichendorff und dem Täter, voller Liebe und Romantik.

„In vino veritas“ – im Wein liegt Wahrheit, im Laufen auch.