Achim, mein Swiss Jura und MdS – Begleiter, hat mir ja in seinem Kommentar angekündigt, dass dieses Wochenende „stinklangweilig“ würde und er hat mich zum Laufen nach Mainz eingeladen. „Stinklangweilig“, weil ich mich entschlossen habe, dieses Jahr mal nicht am Supermarathon des Rennsteigs teilzunehmen. Aber führt das schon zu einem „stinklangweiligen Wochenende“?
Weil ich eine Abendeinladung zu einer türkischen Verlobung in unserer Gemeinde hatte und diese Einladung immerhin von einem sehr guten türkischen Freund ausgesprochen wurde, dessen jüngste Tochter sich verloben wollte, war dieses Event für mich gesetzt, der Samstag Abend war also verplant.
Damit erledigte sich auch die Überlegung, ein paar Stunden in Steenbergen/NL mitzulaufen. Dort startete der 24-Stunden-Lauf um 15 Uhr und ich hätte mindestens fünf oder sechs Stunden laufen müssen, um wenigstens ein paar Kilometer in die Beine zu bekommen. Das wäre also nicht möglich gewesen.
Aber das war nicht schlimm, denn so hatte ich die Gelegenheit, Samstag Vormittag im Büro noch einiges aufzuarbeiten. Und als mich am Freitag Nachmittag die Laufgruppe aus der Grafschaft gefragt hatte, ob ich am Samstag Nachmittag in Hönningen einen 10er laufen würde („Rund um die Teufelsley“), weil dieser Lauf Teil des Ahrtal-Cups sei und man personell etwas knapp sei, da erklärte ich in bewährter Manier, dass so ein kurzer Lauf überhaupt nichts für mich ist. Zu kurz, zu schnell, zu anstrengend.
Also war ich konsequent und lehnte mit einem klaren „Vielleicht!“ den Antrag ab.

Am Samstag Morgen kam die nächste SMS. „Wieder ist einer abgesprungen. Wir brauchen Dich,“ stand da. Aber es hatte sich ja nichts geändert, noch immer ist mir ein 10er zu kurz, zu schnell und zu anstrengend. Und man muss konsequent sein und klare Kante zeigen. Also lehnte ich auch diesen Wunsch mit einem klaren „OK, ich bin dabei!“ ab.
Warum kann ich einfach nicht „NEIN“ sagen?
Also hatte ich nach der Büroarbeit und vor der türkischen Verlobung eine harte Aufgabe. Und im Ahrtal gibt es Berge, also ging es erst fünf Kilometer bergauf und ich brauchte immerhin 26:20 Minuten für diese ersten fünf Kilometer. Danach führte der Weg einigermaßen steil nach unten. Am Ende erreichte ich eine Zeit von 48:20 Minuten, für die zweite Hälfte habe ich also nur 22:00 Minuten gebraucht. Ich war’s zufrieden und die Teampartner auch. Die hatten gar nicht erwartet, dass der Ultra-Marathoni TOM auch kurze Strecken einigermaßen gut abwickeln kann.

Dann ging es schnell nach Hause, damit ich frisch und geschniegelt bei Canan’s Verlobung auflaufen konnte. Schon vorher hat Gabi von Canan und Ali, Ihren Verlobten, die Studio-Aufnahmen geschossen und wir haben drei Aufnahmen ausgewählt und diese als Thermo-Sublimentationsprint vorneweg ausgedruckt, jeweils in ein Rähmchen gepackt, um ein Symbol für unser Verlobungsgeschenk zu haben. Im Laufe der nächsten Woche bekommen die beiden ihre Aufnahmen bearbeitet, gefiltert und vergrößert über unseren Mega-Laserbelichter auf Portrait-Fotopapier ausbelichtet.

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Es war eine kleine Veranstaltung. Nur zwei professionelle Kamera-Teams, die alles filmten und stets war eine der beiden Kameras live über eine Beamer auf der Riesenleinwand zu sehen, damit all diejenigen, die nicht sehen konnten, was gerade rund um das Verlobungpaar geschieht, über die Leinwand Teil haben konnten. Ein Musiker, der sang und eine spezielle Gitarre spielte, eine Gitarre, deren Hals geknickt war. Und dieser Musiker sang auch live und führte durch den Abend. Und da war noch ein Orgelspieler, der für die Tanzrhythmen sorgte. Es war wohl wirklich eine kleine Veranstaltung. Nur etwas zwischen 2oo und 250 Gäste, die trotz der Kälte des Abends den „Kaisersaal“ in unserer Gemeinde mit ihrem Tanz erwärmten.
Und es wurde viel getanzt, in Gruppen, einzeln. Ein Mal zeigten junge Männer ihre besten Tanzeinlagen solo vor dem Verlobungspaar. In kurzen Sequenzen tanzte erst der eine Mann, dann ließ er sich ablösen. Eine Augenweide, dieser Tanzteil, der mir wieder einmal bewusst gemacht hat, dass das Tanzen weiß Gott nicht meine Stärke ist. Und daher lasse ich es stets bleiben.
Türkische Hochzeiten und Verlobungen sind nicht ohne Grund beliebt und teuer. 20.000 EUR und mehr lässt es sich der Kindvater kosten, dieses Event auszurichten. Der Brautvater ruft – und alle kommen. Da waren Autokennzeichen aus Hamburg genauso vertreten wie aus dem Süddeutschen. Ich glaube nicht, dass wir, wenn wir alle Cousinen und Cousins zusammenzählen würden, alle Tanten und Onkel, auf fast 250 Verwandte kommen würden. Türkische Familien sind eben anders. Deutsche auch.
Mein Freund Ömer, der Vater der Braut, war den ganzen Abend angespannt am Regie führen. Aber er war auch stolz. „Wir geben dieses Geld gerne für unsere Töchter aus,“ sagte er zu mir und es ist eben Sache der Familie des Mädchens, für diese Kosten aufzukommen. Und es war ja nur eine kleine Veranstaltung, normalerweise kommen bei solchen Festen 500 Gäste, unvorstellbar!
Der Ablauf des Abends war einstudiert, wahrscheinlich läuft jede Verlobung nach den gleichen Riten ab. Wann der Brautvater mit der Braut tanzt war zeitlich genauso festgelegt wie die Reihenfolge, in der die Braut die Geschenke überreicht bekam. Natürlich waren wir zu früh dran damit, als wir unser Geschenk schon zur Begrüßung übergaben. Erst später, gegen 22 Uhr, wurde die Geschenkübergabe zelebriert. Ich konnte weder alles sehen noch alles verstehen. So viel aber habe ich realisiert: Da wurden die Ringe auf einem großen Satinkissen in den Veranstaltungsraum gebracht, zusammengebunden mit einem roten Band. Dann wurden vom ältesten Verwandten der Seite der Braut ein paar kurze Sätze gesagt, ein paar Geldscheine wurden mit Stecknadeln auf das Satinkissen gepinnt und der älteste Verwandte schnitt dann das rote Band auseinander, damit die Ringe übergeben werden konnten.
Erst steckte Ali Canan den Ring über den Finger, dann revanchierte sich Canan bei ihm. Es war ergreifend. Um das Brautpaar herum waren die Damen, eine hübscher zurecht gemacht wie die andere, in Festkleidung, die Herren waren meist im besten Anzug gekleidet.
Allein die türkischen Friseure, die sich um die Haare der Gäste gekümmert haben, müssen gestern reich geworden sein, genauso wie die Visagistinnen und die Nagelstudio-Betreiber. Aber es hat sich gelohnt. Canans Schwester Esra sah so gut aus, man hätte sie sofort in ein Model-Magazin aufnehmen können, ihre Cousine Mehtap zeigte eine Frisur, die sie so hübsch machte, wie ich sie noch nie gesehen hatte.
Dann wurden Braut und Bräutigam von der engsten Familie beschenkt. Canan wurde Schmuck umgehängt, der sie noch einmal schöner machte, Ali bekam eine teure Uhr ums Handgelenk geschoben und schon kamen die nächsten Verwandten. Ein Geldkouvert, oft garniert mit kleinen Goldtalern an einem roten Band, wurde von jedem Gast auf das Satinkissen gelegt, danach wurden erst die Braut und dann der Bräutigam beglückwünscht, gedrückt und geküsst. Alle standen brav Schlange, bis sie an die Reihe kamen.
Und dann, nach dem letzten Verwandten in der Schlange, wurde die Hochzeitstorte in den Festsaal getragen. Ich glaube, in meinem Leben schon viel gesehen zu haben, diese Torte aber übertraf alles, was ich kannte.

In amerikanischen Filmen ist die Hochzeitstorte manchmal drei- oder vierstöckig, aber sie ist immer relativ klein. Diese Torte war zwar nur einstöckig, aber sie hatte eine Herzform, war aus 50 Kilogramm Backwerk hergestellt und hatte die Ausmaße 80×120 cm! „Die muss so groß sein, bei so viele Gästen,“ sagte Ömer.
Die Oberseite der Torte war mit Erdbeeren bedeckt, rund um die Torte lief ein Band aus Marzipan, das wiederum mit Teigherzen garniert war und auf den Erdbeeren saßen zwei Zucker-Täubchen in ihrem Nest und eine Widmung für das Brautpaar war aus Zucker auf der Torte zu sehen.
Angeschnitten wurde die Torte vom Brautpaar und der Mutter des Bräutigams, ganz viele Hände, die sich um das große Messer falteten, mit dem diese Torte ihrer Bestimmung, die Gäste zu füllen, übergeben werden sollte.
Zuerst gab es ein großes Stück für das Brautpaar. Er fütterte sie, sie fütterte ihn, dann gab es die Stücke für die engste Familie und anschließend wurde die riesige Torte in einen Nebenraum gebracht, um sie ordentlich zerlegen zu können. Nun wurden aus dem Nebenraum die einzelnen Teller mit dem Hochzeitskuchen gebracht, bis jeder sein „Stück vom Himmel“ hatte.
Es war spät, als ich in mein Bettchen kam, später als geplant, denn am Sonntag um 7.45 Uhr sollte ich schon am Tennisheim sein, die „Medenspiele“ begannen.

Schon im Vorjahr hatte ich den Tennisfreunden erklärt, dass ich 2010 für die Medensaison nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Laufen und Tennis lässt sich einfach nicht miteinander vereinbaren. Und das Laufen ist mir viel, viel wichtiger als das Tennis spielen, vor allem dieses Jahr mit den vielen Highlights. Nicht auszudenken, wie ich mich fühlen würde, wenn ich mir vor der TorTOUR de Ruhr oder dem PTL verletzen würde!
Meinen Muskelfaserriss letztes Jahr hatte ich mir – natürlich – bei einem Medenspiel geholt, als ich, noch weniger warm als engagiert, für ein Volley ans Netz gestürmt bin. Auch zwei Jahre davor habe ich mein Tennis-Engagement mit einem Muskelfaserriss bezahlt. Also keine Medenspiele in 2010.
Was aber machst Du, wenn Dein Team zu wenige Spieler hat?
Und diesen Sonntag hatten wir definitiv zu wenige. Sechs Spieler müssen es mindestens sein für die sechs Einzel und die drei Doppel, zwölf könnten theoretisch zum Zug kommen, wenn Du manche Spieler nur Einzel und die anderen nur Doppel spielen lässt. Die Jungs hatten nur drei Spieler, mit mir waren es dann vier.
Einerseits muss man konsequent sein und klare Kante zeigen, aber nach ein paar Mails verwandelte sich mein klares „Vielleicht“ in ein „OK, ich bin dabei!“
Damit war die Hoffnung, wenigstens am Sonntag früh noch ein paar Stunden in Steenbergen mitlaufen zu können, auch dahin. Um 9 Uhr begann der 6-Stunden-Lauf, ich hätte mich wohl zum 24-Stunden-Lauf angemeldet, wäre früh aufgestanden und dann vielleicht von 6 Uhr bis Mittag gelaufen. Alles blanke Theorie, pure Spekulation.
Ich musste Tennis spielen.
Im letzten Jahr habe ich nur zwei Einzel-Spiele und drei Doppel gewinnen können, das Auftaktspiel gegen vollkommen überforderte Gegner, das wir als Team mit 21:0 knapp für uns entscheiden konnten. Ein Einzel zählt zwei Punkte, ein Doppel bringt drei Punkte, zusammen also 21. Schon eine Woche nach diesem Desaster zog die gegnerische Mannschaft ihre Meldung für die Medensaison zurück und zur Belohnung wurden uns die Spiele und der Sieg aberkannt, damit die anderen Mannschaften in der Liga, die nicht das Glück hatten, gegen dieses überforderte Team spielen zu dürfen, keinen Nachteil uns gegenüber hatten.
Und ich gewann ein zweites Einzel-Spiel mitten in der Saison, die anderen Spiele gingen alle verloren. Meist verhalte ich mich wie ein Roockie beim Marathon. Ich beginne gut, aber im weiteren Spielverlauf verliere ich zunehmend Boden. Das liegt wohl daran, dass ich eigentlich gar kein Tennis spielen kann.
Ich spiele nicht lehrbuchmäßig, stets mit viel Schnitt und das macht es dem Gegner schwer, sich auf meine Bälle einzustellen. Aber der Anfangsvorteil schwindet, wenn man während des Spiels lernt, sich auf diese Eigenarten einzustellen. Ein erfahrener Tennis-Hase probiert so lange aus, bis ich mit meinem bescheidenen Repertoire an tennistechnischen Möglichkeiten am Ende bin. Und weil mir der liebe Gott noch immer keinen Aufschlag geschenkt hat, muss ich meine Punkte vorwiegend mit den Breaks erspielen. Gegen Spieler, die über einen starken Aufschlag verfügen, habe ich so kaum eine Chance.
Am Sonntag waren wir also zu viert. Zwei Einzel und ein Doppel waren also schon verloren, bevor der erste Ball über das Netz flog. Leider darf man nicht zwei Einzel spielen oder in zwei Doppeln eingesetzt werden, aber es genügt, drei Einzel und zwei Doppel oder vier Einzel und ein Doppel zu gewinnen. Eine kleine Chance hatten wir also, zumindest theoretisch.
Aber wir waren uns von Anfang an durchaus bewusst, dass wir nach Thür fahren würden, um uns „verkloppen“ zu lassen, dass wir als Gastgeschenk brav die Punkte da lassen würden und dass wir froh sein würden, wenn dieser Spieltag vorbei ist. Nicht anzutreten aber kostet eine Geldstrafe für den Verein, also lieber den Kopf hinhalten und die Watschen kassieren, dachten wir. Und kann ja nichts passieren. Da wir in der untersten Liga spielen, können wir nicht einmal absteigen. Also auf nach Thür.
Das Experiment Thür ist schnell beschrieben. Nachdem wir schon die beiden ersten Einzel verloren haben, war die Minimalchance dahin, das Spiel insgesamt verloren und der Kampf um die „goldene Ananas“ begann. Mein Einzel ging dann ebenfalls verloren, obwohl ich den ersten Satz deutlich und klar mit 6:2 gewinnen konnte. Aber dann ließ mein Druck nach und ich gab mein Aufschlagspiel im zweiten Satz mit 3:2 führend ab. Davon erholte ich mich nicht mehr.
Im dritten Satz lag ich dann bei eigenem Aufschlag mit 4:5 hinten, als ich es nicht schaffte, dieses Aufschlagspiel durchzubringen.
Im Doppel hatten Erwin und ich von Anfang an keine Chance. Dass wir nur mit 2:6 und 3:6 verloren, gereicht uns beiden schon zur Ehre. Wir haben enorm gekämpft wie Löwen, für unsere Verhältnisse aggressiv gespielt und teilweise spektakuläre Punkte gemacht. Und es war eng, sehr eng, viel enger, als es das Ergebnis zeigt. Aber die „big points“ waren uns nicht vergönnt. Egal, immerhin hat unser Team einen Sieg im Einzel, einen Sieg im Doppel und meinen ersten Satz eingefahren. Wenigsten kein 0:21!
Es war fast 17 Uhr, als wir nach dem gemeinsamen Essen mit den Tennisspielern aus Thür wieder zu Hause waren. Am Morgen hatte ich noch kurz überlegt, ob ich von Thür aus nach Hause laufen sollte und so habe ich vorsorglich meine Laufklamotten auch eingepackt. Aber nach dem Tennis hatte ich dann doch keine Lust, noch vier oder fünf Stunden lang laufen zu gehen, vor allem, weil ich den genauen Weg nach Bad Neuenahr nicht kannte. Die Autobahn, dachte ich, wird wohl nicht der richtige Weg sein und wenn Du den Weg nicht kennst, dann können 45 Kilometer mit dem Auto auch schnell mal 60 Kilometer und mehr werden, wenn Du „Pi mal Daumen“ nur in die grobe Richtung läufst.

Alles in allem war es also ein „stinklangweiliges Wochenende“.
Und wenn alle Wochenenden so „stinklangweilig“ sind, dann ist das für mich mehr als ausreichend.
Bleibt nur die Frage: gibt es etwas weniger anstrengendes als „stinklangweilig“?
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