32 x SM

 … oder warum ich so gerne nach Schmiedefeld laufe

„32x SM“ stand auf einem Schild, das sich ein älterer Läufer vor mir auf den Rücken geheftet hat. 32x SM? Was macht denn der Herr an einsamen Samstagabenden denn so?

Dieses SM aber steht nicht, wir Läufer wissen das alle, für ungewöhnliche Partnerspiele, die in Leder und Nieten gepackt, oft gespielt werden, sondern es steht für einen ausgeprägten Hang zu Unkonventionellem, für einen oft schmerzhaften Hang zum Ultralaufen, für den „Supermarathon“ auf dem Rennsteig von Eisenach nach Schmiedefeld.
Und wo kann man das seit nunmehr 40 Jahren lustvoller tun als auf der ultimativen Kultveranstaltung in Thüringen, dem Rennsteiglauf?

Bevor ich aber vom Rennsteiglauf erzähle, muss ich erst eine Geschichte erzählen, die etwas älter ist:
Verena G. ist die Sandkastenfreundin meiner Gabi. Sie hat auch zwei mittlerweile fast erwachsene Kinder, wohnt noch immer am Niederrhein und ist seit vielen Jahren mit ihrem Rainer verheiratet.
Und mit Rainer verbinden mich zwei Dinge.

Zum Ersten ist da die gemeinsame, leidenschaftliche Ablehnung des Fußballtrainers Dietmar Schacht. Für mich war Schacht der Grund, meine Arbeit als Vereinsvorstand beim bundesligaerfahrenen Frauenfußballvereins SC07 Bad Neuenahr aufzugeben. Im offenen Kampf „Mann gegen Mann“ habe ich mir so viele Stichverletzungen eingefangen, bis der Verein sich zwischen den Rivalen entscheiden musste. Ich wagte damals den Machtkampf und verlor. Haushoch.
Aber das gab mir dafür viel mehr Zeit zum Laufen.

Für Rainer war Schacht der Grund, mit den aktiven Fußball aufzuhören. Schachts bewundernswert unnachahmliche Art, Zwietracht zu säen führte innerhalb nur eines Jahres als Trainer in Moers zur Selbstauflösung von Rainer’s damaligem Fußballverein.
Andererseits, wenn ich es recht bedenke, dann könnte „Didi“ Schacht in Tullius Destructivus aus dem Asterix-Heft „Streit um Asterix“ seinen Meister finden. Er schafft es sogar noch besser, Menschen gegeneinander aufzubringen, aber im Gegensatz zu Schacht ist Destructivus Fiktion. Rainer und ich jedenfalls waren viel zu harmoniebedürftig, um gegen solche Menschen bestehen zu können.
Schade ist nur, dass Rainer und ich erst über das gemeinsame Erleben redeten, als die entsprechende Lebensphase für beide schon vorbei war.

Zum Anderen verbindet uns das Laufen. Aber auch darüber haben wir bei den seltenen Grillabenden in Moers leider nicht geredet. Ich für meinen Teil war ja damals auch noch ein Laufanfänger, Rainer aber war schon damals Laufleiter bei der sympathischen Laufgruppe „Die Stolperer“ aus Moers.

Beide Verbindungen zueinander kamen dann 2007 zusammen, als ich nach 8:31:30 Stunden meinen ersten Rennsteiglauf beendet hatte und im Ziel überraschend Rainer und seine Verena traf.
Ohne die beiden hätten meine Gabi und ich vielleicht nie erfahren, dass es im Ziel von Schmiedefeld jährlich eine kultige Party gibt, bei der schnell auf den Bänken getanzt wird. Wir mussten damals also unsere Planung ändern und seither freuen wir uns alljährlich erneut auf den Rennsteig und auf die Party im Zelt. Mehr noch als für mich gilt das für Gabi.
Suche mal auf YouTube nach „Party“ und „Schmiedefeld“ und Du weißt, was ich meine.

Dass diese Veranstaltung traditionell mit dem „Rennsteiglied“ beginnt, ist klar. Spätestens aber wenn die Band am Abend mit ihrem Programm anfängt, stehen die Zeltgäste auf den Tischen, es wird geschunkelt, getanzt und mitgesungen. Oft wird aber auch nur noch mitgelallt.
Viele der Zeltgäste sind keine Läufer. Begleiter eben oder Thüringer, die die Gunst der Stunde nutzen, an einem der für Schmiedefeld herausragenden Tag das eigene Jammertal zu verlassen und so richtig abzufeiern.
„Wie weit bist Du denn gerannt?“ lallte mich ein enorm angetrunkener junger Mann gegen 23 Uhr von der Seite an, um anschließend seine Bewunderung ob der kaum menschenmöglich erscheinenden 72,7K in mehreren Schlucken Bier zu ertränken.

Saufen, rauchen und feiern sind aber nicht die Dinge, die ich am Rennsteiglauf liebe. Es ist eher die Versorgung und da vor allem der legendäre Haferschleim, natürlich – oder mit Heidelbeer-Geschmack. Andere bekommen glasige Auge beim Gedanken an die Ebertswiese, ziemlich exakt in der Mitte der Gesamtstrecke gelegen, weil die Thüringer Bratwürste dort ein echtes Alleinstellungsmerkmal darstellen.
Wenn dort gegrillte oder gebratene vegetarische Tofu-Würstchen angeboten würden, dann würde ich mich da wohl auch anstellen.

Der Rennsteig ist für mich aber auch der fantastische Blick schon nach wenigen Kilometern auf die über Eisenach thronende Wartburg, der stramme Anstieg auf den Inselsberg und unzählige großartige Aussichten über die Täler und Städte Thüringens.

Das allerwichtigste aber sind die vielen anderen Läufer. Du kommst vor dem Start kaum aus dem Hände schütteln und dem Freunde begrüßen heraus. Allein der vielfach definierte Treffpunkt „kurz vor 6 Uhr am Brunnen“ sorgt dafür, dass Du keine Chance hast, um den Brunnen herum zu gehen, um all die vielen Gesichter zu scannen, so voll ist es da.
Meistens warte ich dann mit Rolf Mahlburg’sLaufend helfen“ Truppe auf den Startschuss, auch dieses Jahr. Also triffst Du viele von denen, die Du auch „kurz vor 6 Uhr am Brunnen“ zu treffen gehofft hast, dann noch auf der Laufstrecke. Das klappt recht gut, weil ich meist weit hinten und stets verhalten in die Läufe starte.
Dieses Jahr waren das beispielsweise Karin Walder aus der schönen Schweiz, Steffen Kohler, dersich spontan entschlossen hat, Didi Beiderbeck zu führen, nachdem Didis Guide nicht beim Start erschienen ist, Günter Bruhn, Gerhard Börner, Thorsten Stelter und dem Suhler Mirco Leffler, mit dem ich ganz am Ende ein paar Kilometerchen gelaufen bin.

Gestartet aber bin ich mit Michi Raab von X-BIONIC, auch aus der schönen Schweiz und seinem Münchner Sandkastenfreund, dem Sport-Allrounder Bernhard Seidl. Ein Golf Handicap von 8 in seiner besten Zeit spricht da Bände.
Michi hatte sein X-BIONIC Shirt und Hose in weiß gewählt, ich war wie fast immer in dezentem Schwarz gekleidet. War es nicht Henry Ford, der sagte: „Egal welche Farbe – Hauptsache schwarz“?
Bis zur Hälfte konnte und wollte ich mit Michi und Bernhard mithalten. Danach ließ ich mich etwas zurück fallen, um am Ende knapp 9 Minuten nach Michi zu finishen. Die beiden schafften also das Finish unter 8 Stunden, ich brauchte 7 1/2 Minuten länger. Aber eine Zeit von 7 Stunden und 67 Minuten ist auch nicht so schlecht, für mich immerhin mein bisher zweitbestes Ergebnis.

Im Ziel erwartete mich wie fast jedes Mal meine Gabi. Sie ist mal wieder den Halbmarathon gelaufen, hatte schon geduscht und ihr zauberhaftes Lächeln aufgesetzt. Und ich traf auch Verena’s Rainer dort. Er ist allerdings dieses Jahr den normalen Marathon gelaufen. Die Sonne schien warm vom Himmel, alle bekamen eine Medaille umgehängt, alle waren glücklich, alles passte also für die Party im Zelt von Schmiedefeld am Abend.

Und so wird es auch 2012 auf YouTube wieder Filmchen zu sehen geben. Ich werde mal danach suchen und „Party“, „Schmiedefeld“ und „2012“ eingeben …
Und 2013 geschieht das alles dann zum 41. Mal und zum 6. Mal für mich …

Schiller – der Mann aus dem Osten

Abschließen will ich meine Reihe von Geschichtchen über einige Teilnehmer des SwissJuraMarathon mit einem, dessen sonniges Gemüt es wirklich jedem leicht macht, ihn zu mögen, mit Detlef Schiller aus dem thüringischen Mühlhausen.
Schon beim Start dachte ich mir: „den kennst Du!“
Und so suchte ich in meinen Erinnerungen den Lauf, bei dem wir schon einmal zusammen gelaufen sind. Auch Detlef erinnerte sich dunkel und so begann ein langes Frage- und Antwortspiel, das am Ende erfolgreich war.

„Bist Du den TransAlpineRun 2008 gelaufen?“ fragte ich Detlef. Aber die Frage führte nicht weiter, Detlef hatte zwar schon zwei Mal den TAR hinter sich gebracht, aber nur in den Jahren 2006 und 2007.
„Harzquerung?“ fragte Detlef zurück, aber da war ich noch nie dabei. Und so folgten einige Dutzend Läufe, die uns aber nicht weiter brachten. Schließlich einigten wir uns darauf, dass es wohl beim Rennsteiglauf gewesen sein muss.
Das hätte auch sein können, immerhin wohnt Detlef fast direkt neben der Strecke. Aber dort laufen so viele Menschen, warum sollte er mir aufgefallen sein?

Keine 5 Kilometer nach dem Start fiel mir Detlefs ungewöhnlicher Laufstil auf und eine Idee ging mir durch den Kopf: „Gondo Event 2008?“
„Natürlich!“ sagte Detlef. Jetzt war alles klar, ich erinnerte mich wieder sehr gut an diesen Lauf. Es war der schönste Lauf des Jahres 2008 für mich, schöner noch als der TAR.

Gondo

Eine kleine Gruppe von 120 Mann machte sich auf, zum Gedenken an den 14. Oktober 2000, als ein gewaltiger Erdrutsch das kleine schweizer Grenzdorf Gondo, direkt an der italienischen Grenze gelegen, verschüttete und dabei 13 Menschen ihr Leben verloren, von Gondo aus über den Simplon- und den Bistinenpass einen alpinen Doppelmarathon-Erlebnislauf nach Ried-Brig und zurück zu bewältigen.
Dabei
geht es auch ohne die Benutzung einer Brücke durch einen Gebirgsfluss durch, da diese Brücke bei der Erstausrichtung des Laufs noch zerstört war.

Traumhafte Landschaft, enorme körperliche Anstrengungen und ein soziales Ziel, drei wichtige Aspekte dieses Laufs, der mir wie kaum ein anderer in Erinnerung geblieben ist. Dort lief ich einige Meter mit Detlef. Dieser Laufstil … es war in Genf für mich dann so, als wäre das Gondo Event gestern gewesen.

Aber noch war Detlef mir zu schnell, ich wollte den ersten Tag ja besonders langsam und vorsichtig beginnen. Also ließ ich ihn ziehen und konzentrierte mich darauf, mit Gottfried zu laufen und „nach hinten abzusichern“. Na ja, die letzten waren wir nicht, aber wir waren doch sehr, sehr weit hinten.

Als Gotti dann kurz der dritten Versorgungsstelle meinem Tempo bergauf nicht mehr folgen konnte lief ich alleine weiter. Vor mir sah ich Detlef laufen und dachte: „Oh, da ist er ja wieder!“ Schritt für Schritt kam ich näher und bald nach der dritten Versorgungsstelle hatte ich ihn eingeholt. „Du machst ganz schön Druck von hinten!“ beschwerte er sich.

Ich weiß, dass ich bergauf einen ganz guten Schritt habe und dass mich da nur wenige überholen können. Aber ich kam auf den letzten paar Höhenmetern nicht mehr von Detlef weg und der Regen begann. Regen? Nein, es schüttete wie aus Eimern und der steile Abstieg stand uns ja noch bevor. Zum Glück war der Regen warm und Detlef und ich beschlossen, den restlichen Weg gemeinsam zurück zu legen. Redethemen hatten wir ausreichend und wir waren nass bis auf die Knochen. Und so stiegen wir gemeinsam ab, über steile und glitschige Wege und wir erreichten Hand in Hand glücklich und pitschenass gemeinsam das Ziel.

Am zweiten Tag lief mir Detlef erneut weg. Weit weg, wie ich dachte. Aber als ich die dritte Versorgungsstelle sah, erkannte ich auch, dass Detlef dort gerade wieder losgelaufen war. Zu diesem Zeitpunkt lief ich mit dem Schweizer Thomas Vetterli aus Wermatswil, einem interessanten und netten Laufkollegen, mit dem man gut quatschen kann. Wir haben uns einmal gemeinsam verlaufen und mussten uns durch einen Wald auf den richtigen Weg zurück kämpfen, aber als wir endlich wieder auf dem offiziellen Weg waren, sahen wir in Sichtweite vor uns drei andere Läufer. Und ich kannte den ungewöhnlichen Laufstil des einen Läufers.
„Detlef?!“ rief ich, aber es kam keine Reaktion. Noch einmal rief ich, diesmal noch etwas lauter: „Detlef?!“ Nun drehte er sich um, lachte und wir konnten aufschließen. Ich machte dann noch den Pacemaker für die nun auf fünf Personen gewachsene Laufgruppe, aber ich achtete darauf, dass jeder mitkam. Und kurz vor dem Ziel liefen wir alle auf einer Höhe und kamen zeitgleich ins Ziel.
Für Detlef und mich war es schon die zweite Zeitgleichheit.

Am dritten und vierten Tag konnte Detlef nicht mehr mit meinem Tempo mithalten. Vor allem der vierte Tag, mein bester Einzeltag, sorgte für einen scheinbar komfortablen Zeitvorsprung. Aber eben nur scheinbar.

An den Tagen fünf und sechs gab ich den komfortablen Vorsprung wieder komplett ab und war nun fünf Minuten hinter Detlef. Und das wollte ich am letzten Tag wieder ändern.

Dass mein letzter Tag sehr gut war, habe ich ja schon geschrieben. Nicht aber Detlefs letzter Tag. Bei ihm sammelten sich die Entzündungen an den Fußfesseln so, dass er am Ende die Schuhzungen abschnitt, weil sie so sehr auf die entzündeten Beine drückten. Aber Detlef, von vielen liebevoll „Kampfsau“ genannt, hielt durch und erreichte als vorletzter humpelnd, aber stolz, das Ziel in Basel.

Detlef hat als erfahrene Bergziege natürlich alle Qualifikationspunkte, die er für die Teilnahme am Ultra Trail de Mont Blanc (UTMB) benötigt. Aber Detlef sagte mir schon in Genf, dass er sich dieses Jahr dafür nicht fit fühlt. Krankheiten und Trainingsrückstände sind dafür verantwortlich. Aber er ist ein enorm belastbarer und leidensfähiger Läufer.
Und er ist ein guter Vater. Als seine 21-jährige Tochter ihren ersten Marathon laufen wollte, den „Möbel Kraft – Marathon“ in Hamburg, da war Detlef als Pacemaker gerade recht. Er führte das junge Talent sicher ins Ziel und das mit der guten Schlusszeit von 4:40:00 Stunden.

Und noch etwas habe ich von Detlef gelernt. Wenn Detlef von den Zeiten der ehemaligen DDR erzählt, dann fällt immer wieder der Satz: „Du musst Dich mit den Verantwortlichen immer gut stellen, dann ist auch mal mehr auf dem Teller!“ Vielleicht ist es diese sympathische Art, mit anderen Menschen umzugehen, die Detlef so beliebt macht.

Detlef, wir sehen uns wieder – irgendwann auf einem Berg!