Bella Donnas

Das Aosta-Tal beginnt in Reichweiler.
Das kleine Örtchen an der Grenze zum Saarland kannte ich schon von den beiden Starts beim K-UT, aber ich bin noch nicht über die erste Kurve nach dem Ortseingang hinaus gekommen. Dieses Mal ging es aber durch das Örtchen bis zum Ende. Und dort, wo Reichweiler aufhört, da fängt Eric Tuerlings Reich an.
Ein sensationell schönes Haus mit einem unverbaubaren tollen Blick über die Hügel, so weit das Auge reicht. Ich muss sagen: ich war beeindruckt.

Uwe Herrmann und ich trafen uns also am Donnerstagabend vor zwei Wochen bei Eric, um uns von ihm rund 800 Kilometer weit bis nach Italien chauffieren zu lassen. Unser Ziel war die Stadt Donnas im Aosta-Tal, weil dort die vierte von sieben Etappen des Tor des Géants (TdG) beginnt.

Eric ist von uns Dreien der Planer. Er hat nahezu alle Erlebnisberichte über den TdG 2010 im Internet gelesen und wenn diese in einer fremden Sprache verfasst wurden, dann wurde Tante Google mit ihrem Übersetzungsprogramm zu Hilfe gebeten. Eric kennt jeden Berg, jede Etappenstadt und er hat schon einen detaillierten Zeitplan erarbeitet, der uns drei in 149 Stunden 59 Minuten und 59 Sekunden über die 330 Kilometerstrecke führt.
„Auf der vierten Etappe sind die meisten Läufer ausgestiegen, die vierte Etappe ist diejenige, die die Psyche der Läufer am meisten belastet hat und sie bietet mit 5.200 Höhenmetern im Aufstieg und 4.200 Höhenmetern im Abstieg mehr als ein Fünftel der Gesamt-Höhenmeter“ sagte Eric. Einige Gründe, die Besichtigung der Strecke in „bella“ Donnas zu beginnen.

Wir starteten am Freitagmorgen etwas später als geplant und fuhren Richtung Lausanne, Martigny und dann durch den Tunnel des St. Bernhard Massivs. Mit jedem Kilometer wurde es wärmer und wärmer. Während in Deutschland ein kühles regnerisches Wetter herrschte, hatten wir dort immerhin 28 Grad auf dem Thermometer.
Nach dem netten Besuch im Fremdenverkehrsbüro von Donnas, dem Umziehen und dem Packen der Rucksäcke war es schon 16.30 Uhr bis wir starten konnten, also entschieden wir uns, nur bis zu dem Örtchen Marine zu laufen und dort zu übernachten. Ein einziger Berg mit 400 Höhenmetern und nur wenige Laufkilometer waren bis dorthin zu bewältigen.

(Klicken zum Vergrößern!)

Nach dem abendlichen „Schwarzbrotfest“ ging es am nächsten Morgen um 6.30 Uhr wirklich los, erst runter und dann lange bergauf, hoch zum „Rifugio Coda“ auf 2.242 Metern.
Dort kamen wir gut gelaunt und hungrig an und der „Athletenrabatt“, der uns angeboten wurde, erhellte unsere Stimmung weiter. All das nur, weil wir den TdG laufen wollen …
Vom TdG 2010 hingen Fotos und Plakate an der Hüttenwand und viele Augen schätzten uns ein und packten uns in irgendeine Schublade. Ob wir in die Schublade „Finisher“ gepackt wurden oder in die Schublade „Nee, die Jungs auf keinen Fall …“ weiß ich nicht, ich bin aber sicher, dass wir noch einiges dafür tun müssen, alle in die Schublade „Finisher“ zu gelangen.

Danach ging es wieder steil bergab, herunter zum Lago Vargno, zu dem Stausee, an den wir Drei noch oft denken werden. Nicht weil Uwe, unser Frontläufer, kurz davor gestürzt ist und sich dort auch gleich verlaufen hat, sondern weil wir uns dort unfreiwillig getrennt haben.
Eric und ich wunderten uns zuerst, warum Uwe nicht auf uns warten wollte und so gingen wir, uns als Nachhut wähnend, unseres Wegs über die provisoirische Staumauer, nach links, gleich nach rechts hoch Richtung Col Marmontana herauf und nach einigen Minuten steilen Anstiegs kam rechter Hand ein Haus und dort kläffte ein aufgeregter und wenig nett dreinblickender Hund, der uns, weil er die Sicht auf ein Schild auf einen anderen Weg versperrte, uns unfreiwillig richtig führte.
Uwe, der durch den Sturz und das Verlaufen hinter uns war, hat sich jedoch dort mit dem Hund angefreundet und der hat ihm, zum Dank gewissermaßen, den Blick auf das andere Schild Richtung Col Marmontana herauf erlaubt. Die Folge war ein Verwirrspiel, wie ich es selten erlebt habe.

(Klicken zum Vergrößern!)

Beide Wege hätten ja auf den Col Marmontana geführt, aber mein Vorschlag, dass wir uns dort oben treffen, blieb unbeachtet.
Also warteten wir erst rund 90 Minuten auf Uwe, der irgendwie versucht hat, zu uns zu kommen. Aber mach‘ das mal, wenn Du nicht weißt, ob Du rechts oder links des richtigen Weges bist!
Manche unserer Telefonate grenzten an debile Seniorengespräche. Ob da Bäume bei uns seien, ob da ein See war, ob es dort eine Geröllwüste gab … alles Fragen, die man an fast jedem Punkt der Strecke alle mit „ja“ beantworten könnte.
Dann gingen wir doch einige Hundert Höhenmeter nach oben, allerdings auch das ohne Erfolg und nach weiteren 60 Minuten haben sich meine beiden Mitstreiter dann auf meinen Vorschlag eingelassen, dass wir uns alle zum letzten gemeinsamen Punkt, also zum Lago Vargno zurückbewegen sollten.
So fanden wir uns also wieder, eine kleine Ewigkeit allerdings war bis dahin vergangen.

Auf den Col Marmontana herauf war es einigermaßen annehmbar, aber die Suchaktion nach einander hatte Spuren hinterlassen in unserer Psyche und so sank die Stimmung mit der Sonne ein wenig ab.


Noch einmal runter und rauf, was schwer und bedrückend war und dann sollte es „schnell“ runter gehen zu einem Refugio, um noch etwas zu essen. Es war mittlerweile schon recht spät und die Hütten bieten nicht allzu lange noch ein Nachtessen an. Bald war klar, dass wir bis zum nächsten Ort nach Niel herunter müssen in der vagen Hoffnung, dass dort noch ein Restaurant geöffnet sein würde.
„Italiener essen spät,“ dachten wir, aber wir kamen rund eine Stunde später in Niel an wie erhofft.
Die Getränkeflaschen waren bei allen leer und die Essensvorräte gegessen. Es war also der ideale Zeitpunkt, an dem Eric einfiel, dass da doch noch vor dem Etappenende in Gressoney ein Berg, der Col di Lazoney, zu bewältigen sei!
900 Höhenmeter bis zum Gipfel auf 2.387 Metern über N.N. ohne Wasser und Nahrung sind ja ein Kinderspiel!
Ich war jetzt richtig sauer, weil wir Niel vollkommen tot vorfanden, die Bürgersteige waren schon lange hochgeklappt, alles war sauber und schön, aber eben menschenleer, eben richtig tot.

(Klicken zum Vergrößern!)

Uwe suchte im Dorf eine Wasserstelle, natürlich erfolglos. Ich wiederum sah ein Haus, vor dem ein Schild „aperto“ hing. Es war kein Restaurant und es war auch kein Hotel. Ich dachte: „Schau da doch mal rein, vielleicht gibt es wenigstens einen Wasserhahn dort, den wir anzapfen können.“
Ohne Nahrung laufen geht ja, ohne Wasser laufen geht aber gar nicht.

Die Türe war nicht abgeschlossen und ich ging ins Haus. Die ersten Zimmer waren allesamt zugeschlossen, kein Toilettchen war zu sehen. Aber es war etwas zu hören. Von ganz oben kamen Geräusche und so ging ich vorsichtig hinauf.
Eine Handvoll Menschen kam mir im Treppenhaus entgegen und oben fand ich einen wunderschöner Raum vor, in dem ein Mann Nudeln mit grünem Pesto aß. Eine hübsche Frau stand in angemessener Entfernung neben ihm und ich frage sie: „Is this a restaurant?“
Die Dame bejahte das. Und sie bejahte auch meine Frage, ob wir dort noch etwas zu essen bekommen würden. Ich erzählte ihr von uns drei Unglücklichen, die auf der Suche nach dem Glück den TdG laufen würden und dass wir unglaublich hungrig seien.

Die Küche wollte gerade schon sauber machen und schließen, ließ sich aber auf drei Portionen vegetarische Pesto-Lasagne ein. Die war wirklich lecker. Noch leckerer aber waren die beiden Bierchen, die sich Eric genehmigte. Uwe und ich gönnten uns zwei Coca-Cola und ich mir noch ein Red Bull – Döschen.
Wir waren im Himmel – und der Himmel war zweifellos italienisch!

Die Dame erzählte uns, dass viele diese vierte Etappe als Test auswählen würden und dann, bei ihr angekommen, erklären würden, dass sie den TdG auf keinen Fall laufen würden. Wenn ich vor dem Essen und vor der Cola ähnliche Gedanken gehabt haben sollte, dann waren diese durch diese Aussage wie weggewischt.
Beim TdG wird dann sogar ein Verpflegungspunkt direkt unten am Hauseingang sein.

Es war aber auch noch ein Riesen-Schokokuchen übrig, den wir uns zu dritt einverleibt haben. Und der war so lecker!

Wir füllten noch unsere Getränkeflaschen auf und setzten den Weg fort, hoch auf den Col di Lazoney. Ob es die verbesserte Laune, das Essen oder die Gedanken an dies nette Italienerin war: so leicht sind mir 900 Höhenmeter nach oben noch nie gefallen.
Es könnte aber auch an dem Umstand gelegen haben, dass der Weg lange richtig gut gepflastert war.

Abwärts ging es dann sehr flach und lange, immer weiter Richtung Gressoney. Uns war schon klar, dass wir zu einer „unchristlichen“ Zeit dort ankommen würden, also liefen wir relativ langsam und gemütlich die Wiesen und Wege herab ins Tal, dorthin, wo beim TdG dann eine „Base Vita“ sein wird.
Bei uns aber gab es all das nicht, nur die Notwendigkeit, 90 Minuten auf den ersten Bus nach Donnas zu warten. Wir waren müde, kaputt und verdreckt. Wir rochen wie ein Moschus-Ochse am Hinterteil und wir wussten nicht, ob wir uns freuen sollten oder ob wir uns ob der vielen Laufstunden Sorgen für den TdG machen sollten. Ein wenig schneller sollten wir im September dann doch sein.

Wir waren dann alleine im Bus, so störte sich niemand an unserem Geruch und das erste, was wir nach der Ankunft am Auto taten war, uns ein italienisches Frühstück zu gönnen.
Auf der Rückfahrt nahmen wir den Weg über den Pass des Großen St. Bernhard, den Tunnel wollten wir vermeiden und wir waren froh, diesen Pass wieder zu sehen, den Pass, der Teil vieler Läufe ist. Ob es der Lauf Verbier / St. Bernard ist oder der PTL, immer wieder kommst Du auf diesen Berg. An die Gedanken an diese Läufe wollten wir alle uns erinnern.

Und an dieses wunderschöne „Männer-Laufwochenende“ werden wir uns auch noch lange erinnern. Es wird uns dann auch helfen auf unserem langen Weg von Courmayeur wieder nach Courmayeur.

Man könnte fast meinen, dass es im September einfach ein verkürzter „CCC“ wird, ein „CC“ eben.
Und der kann einfach nicht wirklich schwer sein.

Weil Familie über alles geht …

Der Frust wegen dess missgückten England-Laufs saß tief. So tief, dass ich überlegt habe, an diesem Wochenende doch noch einen Lauf einzuschieben, also machte ich mich auf die Suche.
Zuerst dachte ich an Guido Huwiler, der mit vielen anderen Lauffreunden den Ultratrail Verbier St. Bernard vor sich hatte. Das ist ein klasse Lauf mit rund 6.000 Höhenmetern, aber Verbier ist doch extrem weit von Bonn entfernt.

Außerdem gab es den Lavredo Ultratrail in den südtiroler Dolomiten. Das ist auch nicht gerade um die Ecke, aber die Gegend ist so schön, dass das schon eine Sünde wert ist. Die Meldeliste allerdings war schon lange geschlossen, über diese Sünde brauchte ich also nicht nachzudenken.

Der Preussen 100er schied aus, weil er am Sonntag stattfindet. Und das geht gar nicht. Meine Frau Gabi arbeitet seit Donnerstag bis zum frühen Samstag Abend in Stuttgart und kommt dann erst spät zurück. Zudem muss sie am Montag gleich wieder in der Stuttgarter Ecke arbeiten und fährt daher schon am Sonntag Nachmittag wieder in den Süden. Ein Lauf an diesem Sonntag wäre also ein Affront gewesen.

Also der Thüringen Ultra, dachte ich. Aber auch der hat so seine Tücken. Meine Tochter Milena fragte mich beim Frühstück am Freitag, ob für den Samstag Abend ein Auto für sie zur Verfügung stehen würde, weil am Samstag Abend die „Rheinkultur“ stattfinden würde, immerhin mit dem Topact Razorlight. Nun haben wir zurzeit nur zwei Autos, eines davon hat Gabi in Stuttgart, das andere sollte mich nach Thüringen bringen.
Milena war schon ein wenig enttäuscht und so versprach ich ihr, schnellstmöglich wieder zu Hause zu sein. Mein Plan war dann, um 19 Uhr zu starten, die 100 Meilen in 20 bis 22 Stunden abzuwickeln und dann gleich heim zu fahren. Das könnte alles gerade so klappen, dachte ich.
Es klappte aber nicht.


Erst einmal musste ich bis 15 Uhr arbeiten, dann stand ich vor Alsfeld auf der BAB 5 in einem Megastau, sodass ich erst kurz vor 19 Uhr am Start war, an einen Start um 19 war nicht zu denken, weil ich weder umgezogen war noch etwas gegessen hatte. Also ein Start um 20 Uhr, wieder eine Stunde „Luft“ weniger.
Aber ich spitzte die Ohren, als beim Briefing kurz vor dem Start gesagt wurde, dass diejenigen, die bei der 100 K Verpflegung aussteigen, dennoch gewertet werden, eine Urkunde und das Finisher-T-Shirt erhalten. Das war Musik in meinen Ohren und ich beschloss, diese Option zu ziehen, wenn der Lauf länger dauern würde als geplant.

Er dauerte lange, das zeigte sich schon sehr früh. Gegen diesen Lauf, insbesondere auf den ersten 70 Kilometern, war der MIAU regelrecht einfach zu laufen, an eine Wiederholung der Laufzeit dort war nicht zu denken. Vor allem die langen Anstiege und die durch den vorangegangenen Regen matschig-klebrige Strecke forderten die Läufer schon sehr. Dass es obendrein extrem rutschig war tat ein Übriges. Ein böser Sturz eines Läufers direkt hinter mir ist ein Beleg für diese Problematik.
Schon nach 15 Meilen war für mich klar, dass ich die angebotene Option des Verkürzens nutzen werde.

Für den Lauf entschied ich mich für die extrem leichten roten Trailschuhe Roclite 285  von INOV-8. Zwar gab es auch viele Asphalt-Passagen, aber der Trail dominierte doch. Beim Packen schaute ich mir die Schuhe an und hatte das Gefühl, dass sie mit mir sprechen wollten. Noch nie habe ich sie so weit laufen lassen, noch nie wurden sie schlammig und wirklich gefordert.
Und sie wollten dreckig werden, sie wollten Auslauf haben und sie wollten gefordert werden …

Vor dem Start war ich noch nicht wirklich angekommen. Ich war hektisch und fahrig und „Runningfreak“ Steffen Kohler fragte mich, warum ich so nervös sei. Er kennt mich eigentlich eher ruhig. Sigi Bullig wiederum meinte, er würde mich nur so hektisch kennen …

Nach der Startklappe beschloss ich, sehr langsam zu laufen und war schnell nicht nur der Letzte der 2o Uhr Starter, ich war auch früh ganz allein, so allein, dass ich mich auch schnell verlief. Ich war verzweifelt und wollte dem Lauf schon den Titel des am schlechtesten beschilderten Laufs aller Zeiten geben und dachte sogar kurz ans Aufhören.
Erst als ich endlich das Kopflicht aufsetzte und anmachte geschah ein Wunder. Die zumindest für mich kaum sichtbaren Markierungen fingen an zu leben. Sie blendeten regelrecht zurück. Ob es einfache Reflektoren an den Verkehrsschildern oder den Bäumen waren oder Reflektoren, die liebevoll an die einzelnen Markierungsbänder angebracht wurden –  ab dann war es ein anderer Lauf, einer ohne Verlaufen. Auch die unscheinbaren Pfeile auf dem Boden begannen im Licht zu leuchten wie ein Weihnachtsbaum und ich haderte mit mir, warum ich so lange mit dem Kopflicht gewartet hatte.

Zwei Stunden lang kontrollierte ich meine Geschwindigkeit und hielt sie niedrig. Ich finde ja immer, dass Du Dich in diesen ersten zwei Stunden auf eine Geschwindigkeit einnordest und die darf nicht zu hoch sein, damit Du auch nach 12 Stunden noch dieses Tempo halten kannst.

Mit zunehmender Laufzeit wurde ich eher schneller als langsamer. Ich konnte bis zum vorzeitigen Ende bei der 100 K Marke in der Ebene laufen, etwas, was nicht wirklich typisch ist für mich. Diejenigen, die wissen, dass ich keinen „1. Gang“ habe, mögen das bestätigen. Nach 13 Stunden und 40 Minuten war ich am Ziel, zweifellos der langsamste 100 K Lauf, den ich je gemacht habe.
Angesichts der Schwere der Laufstrecke aber bin ich damit sehr zufrieden.

Bemerkenswert war für mich auch, wie viele Lauffreunde und Facebook-Freunde da waren. Viele hatte ich schon lange nicht mehr gesehen, mache gehören gewissermaßen zum Inventar jedes großen Laufevents.

Dank der Verkürzung auf die „Kurzstrecke“ war ich um 15 Uhr schon wieder zu Hause und packte meine Sachen wieder aus. Die INOV-8 Schuhe schienen mich anzugrinsen und ich hatte kurz den Eindruck, dass sie sich bei mir dafür bedanken wollten, dass ich sie so weit habe auslaufen lassen.
Angesichts der rutschige Strecke schaute ich die Schuhe ebenfalls an und bedankte mich dafür, dass sie mir recht viel Trittsicherheit gegeben hatten. Außerdem versprach ich, sie kommende Woche intensiv zu putzen.

Sie haben es verdient …

Vom Abbrechen, vom Aufgeben und von mehr …

Wir alle kennen diese Ansicht: „Gib nie einen Ultra auf, Ultraläufer tun so etwas nicht!“

Und wir kennen die Begründungen dafür:
In Deinem Kopf nistet sich das Aufgeben so fest ein, dass das immer wieder präsent ist und Du bist ein Weichei.

Wie siehst Du das? Wie ist Deine Meinung dazu?

Ich bin da eigentlich relativ entspannt und mache mir keine großen Gedanken, wenn es eben einfach mal nicht passt.
Und so habe ich in der Vergangenheit einige Läufe nicht oder schon vorzeitig beendet. Beispielsweise beim Röntgenlauf. Hier habe ich bei zwei Teilnahmen zwei Mal nach dem Marathon Schluss gemacht. Ich fand die Versuchung, dort am Marathonpunkt aufzuhören, beide Male viel zu verlockend.
Oder beim Swiss Alpine. Drei Mal bin ich dort zum K78 gestartet, zwei Mal habe ich „gekniffen“ und zum C42 abgekürzt. Freilich hatte ich beide Male gute Gründe dafür, beim ersten Mal war ich einfach noch zu krank gewesen und beim zweiten Mal waren wir als Familie auf dem Weg in den Urlaub nach Kroatien und ich hatte das Gefühl, für die Familie das Richtige zu tun, um früher weg zu kommen. Erst im vergangenen Jahr habe ich dann die ganze Strecke des K78 zurück gelegt.

Wegen extremen Regens wurde letztes Jahr das Rennen Verbier / St. Bernard für zwei Stunden oben auf dem großen St. Bernhard unterbrochen und danach war ich mit Schüttelfrost gebeutelt und entschied, das Rennen dort oben zu verlassen.
Beim unglaublichen Lauf durch den Canyon du Verdon habe ich mich in dem malerischen Städtchen Moustiers Sainte Marie zu zwei Glas Wein einladen lassen und auf das Weiterlaufen verzichtet.

Beim PTL im letzten Jahr hat wenig gestimmt. Meine Ausrüstung war unzureichend, ich hatte nicht einmal an die Sonnencreme gedacht, das Team war nicht harmonisch und zuletzt gab es einen Wetterumschwung, der die UTMB-Läufer sogar fast den ganzen Lauf gekostet hat. Gründe genug für mich, dort auszusteigen, aber diese Wunde hat noch sehr lange in mir geblutet und soll erst mit dem Tor des Géants (TdG) geheilt werden.

Und dieses Jahr? Beim Rennsteiglauf bin ich mental gar nicht in den Lauf gekommen. Am Anfang habe ich mich unglaublich gut gefühlt, ich bin dann viel zu schnell angegangen und hatte spätestens auf dem Großen Inselsberg die Lust am Lauf verloren. Ich lief dann noch bis zum Grenzadler (Kilometer 55) gelaufen, um gewertet zu werden und auch eine Medaille zu bekommen, dann war Schluss für mich.

Beim vom großartigen Eric Türlings veranstalteten K-UT bin ich nach einer Runde ausgestiegen. Auch hier hatte ich gute Gründe dafür. Ich hatte meiner Frau versprochen, sie nicht allzu spät in Fellbach abzuholen und zudem traf ich nach der ersten Runde zufällig die Trainingspartnerin von Jutta, einer Lauffreundin von Achim Knacksterdt, und wir unterhielten uns prächtig.
Danach allerdings wollte ich nicht mehr weiterlaufen.

Diese beiden letzten DNFs oder vorzeitigen Abschlüsse hatten mir aber doch ein paar Sorgenfalten ins Gesicht gestrieben, vor allem im Hinblick auf den 24-h Burginsellauf in Delmenhorst und auf das 250 Meilen lange Thames Ring Race nächste Woche.

Delmenhorst aber hat bewiesen, was ich immer geglaubt habe: jedes Rennen ist anders, ständig beginnst Du neu und wieder bei null. Und heute abbrechen, morgen aufgeben und übermorgen verkürzen bedeutet nicht, dass Du nicht nächste Woche wieder an Deine normalen Leistungen anknüpfen oder sogar über Dich hinaus wachsen kannst.

Ich jedenfalls bin mir sicher, dass ich in England nicht an Eisenach oder an Reichweiler denken werde, sondern nur an Delmenhorst.

Mein 2010 – ein persönlicher Jahresrückblick …

Steffen Kohler und viele andere sind schneller als ich, Yogi Schranz und viele andere haben gewaltigere Dinge hinter sich als ich, Gerhard Börner und viele andere haben mehr Bergerfahrung als ich, Norman Bücher und viele andere haben spektakulärere Events hinter sich als ich, Jack B. Liver und viele andere haben längere Strecken nonstop gelaufen als ich und Joe Kelbel und viele andere haben mehr „Marathons und länger“ gelaufen wie ich.

Ich weiß, dass ganz viele unserer gemeinsamen und meiner lieben Lauffreunde höher kamen, weiter und schneller liefen, erfolgreicher waren, spektakulärere Event bestritten haben und insgesamt in 2010 besser waren als ich – und doch finde ich, das das Jahr 2010 mein Laufjahr war.


In den Jahren 2008, 2009 und 2010 wuchs ich vom „Marathoni“ zu einem, der Strecken läuft, die ich mir selbst vor einigen Jahren noch nicht zugetraut hätte.
Begonnen hat alles mit der Vorbereitung des TransAlpineRuns 2008, wo ich zwangsweise längere Strecken testen musste. Und durch den TransAlpineRun 2008 erhielt ich 3 UTMB Punkte, von denen ich bis dahin nicht einmal wusste, dass es sie gab und was sie bedeuten.
Erst Bernie Conradt’s  Hinweis, dass ich nun auch den UTMB probieren sollte, führte 2009 zu den langen Strecken um die 100 Meilen, aber erst 2010 kamen Herausforderungen, die ich jetzt, am Ende dieses Jahres, kaum noch zusammen bekomme.

War Jens Vieler’s TorTOUR de Ruhr mit ihren 230 Kilometern wirklich erst dieses Jahr im Mai? Und die sieben Wüstentage des Marathon des Sables – waren die auch in diesem Jahr? Ich war in Nizza beim Canyon du Verdon, in Chamonix beim PTL und in Verbier beim Verbier St. Bernard, ich war auf dem Kilimanjaro-Gipfel und dem Kilimanjaro-Krater, in Rom und Davos, gleich drei Mal in Dresden und in Brugg/CH – ein wirklich unglaubliches Jahr.

Eine besondere Freude war dabei, dass ich Menschen kennen gelernt habe, die ich vorher nur im weltweiten Netz erleben konnte. In Brugg war das Guido Huwiler, in Troisdorf waren es mit MissMonster und Melanie und Steffen Kohler gleich drei „virtuelle“ Menschen, die zu „realen“ Menschen wurden. Den Abschluss machte dann Anne aus Offenburg, die beim Eisweinlauf ein reales Gesicht für mich bekam.

Ich lief mit Hauke König und Susanne Alexi auf dem Elberadweg, mit Martin Raulf auf dem Ruhrradweg, mit Jeffrey Norris und Joey Kelly in Löningen, ich lief mit Steffen Kohler in Bad Berleburg und mit Achim Knacksterdt auf dem Rheinsteig.

Aber nicht alles in 2010 war läuferisch zufrieden stellend. 2010 ist für mich leider auch das Jahr von vier DNF’s. Beim Sächsischen Mt. Everest Treppenmarathon, beim Canyon du Verdon, beim Verbier St. Bernard und beim PTL erreichte ich das Ziel, mein Ziel, nicht. Waren es beim Sächsischen Mt. Everest Treppenmarathon noch die entzündeten Fersen, beim Canyon du Verdon die Sorge um meine Frau Gabi, so war es beim Verbier St. Bernard oben am Großen St. Bernard der unglaubliche Regen, aber spätestens beim PTL aber musste ich begreifen, dass nicht jedes Ziel, dass ich erreichen will, für mich auch wirklich erreichbar ist. Die Fähigkeit jedes Körpers ist begrenzt, meine Grenzen habe ich dieses Jahr in Chamonix kennen gelernt.
Ob hier mehr Training für bessere Resultate sorgt?
Das wünsche ich mir für 2011.
Bessere Resultate wünsche ich mir aber auch für die Politik. Hier war 2010 wieder ein Jahr, in dem die politische Führung deutlich gemacht hat, dass sie einerseits mit den Realitäten überfordert ist, andererseits von den führenden wirtschaftlichen Eliten an der Nase herum und vor uns als Publikum vorgeführt wurde.
Kritik daran wird allerdings nicht erst seit Zensursula Stück für Stück erschwert. George Orwell hätte seine Freude daran, sein Bestseller „1984“ hatte offensichtlich nur den falschen Titel, „2024“ wäre wohl richtig gewesen. Verlassen können wir uns aber darauf, dass „Big Brother“ Stück für Stück Realität wird.

Und während sich die Welt streitet, ob die Thesen von Thilo „Wunderlich“ mit dem scharfen Sarrazinen-Schwert richtig sind, ob es ein Skandal ist, dass ein junger Unteroffizier 250.000 vertrauliche, geheime und streng geheime Dokumente irgendwo auf der Welt einfach auf einen USB Stick laden kann oder ob es der Skandal ist, dass jemand diese geheimen Informationen öffentlich macht, laufen wir alle weiter und hoffen, am Ende des Weges auf eine Welt zu treffen, die besser ist als die, in der wir losgelaufen sind.

Eine Welt, in der die Menschen gebildeter sind, nachhaltiger wirtschaften, gesünder leben und sich nicht so schrecklich abhängig machen von dem, was der „income shortener“ (Joseph Mc´Clendon III. bei Tony Robbins „UPW“ über den Fernsehapparat) ihnen täglich als Wahrheit vorlügt.

Aber weil das alles wohl noch sehr lange dauert, laufe ich wohl auch noch viele Jahre nach dem Jahr 2011. In diesem kommenden Jahr jedoch teste mich bei richtig „langen Kanten“ wie dem „TRA Thames Ring Race“, schwierigen und langen Bergläufen oder einfach bei eiskalten Spaßläufen wie dem „Tough Guy“ in Wolverhampton.

Und irgendwann wird dann die Welt besser sein.

Der „Kleine KOBOLT“ – ganz groß!

Wenn man einen Lauf wie den „Kleinen KOBOLT“ mit dem Abstand von einigen Tagen ansieht, dann wird der „Kleine KOBOLT“ tatsächlich fast klein. Wenn man mit diesem Abstand auf so einen Lauf zurück blickt, dann denkt man leicht, dass er eigentlich gar nicht so schwer war.
Jetzt, wo die Wunden an den Fersen verheilt sind, die Muskeln sich wieder gut anfühlen und ich auch im Magen wieder das Gefühl einer leichten Übersättigung habe, kommt mir der „Kleine KOBOLT“ wie ein netter, kleiner Freund daher …


Allerdings weiß ich auch noch gut, welch gehörigen Respekt ich vor diesem Lauf hatte. Schon die nackten Zahlen sprechen für sich:
140,5 Kilometer lang – mein bislang fünftlängster Lauf überhaupt …
4.446 Höhenmeter – nur der „PTL“, der „UTMB“, der „Trail Verbier St. Bernard“ und der „Canyon du Verdon“ hatten bisher mehr Höhenmeter …
3 UTMB Punkte – so viel wie eine Woche „TransAlpineRun“, so viel wie eine Woche „Marathon des Sables“ …

(Klicken zum Vergrößern!)

„Wenn die Jungs und Mädels in Chamonix sich also nicht irren, dann wird der „Kleine KOBOLT“ doch ein ganz großer Lauf für mich,“ dachte ich und ich erinnerte mich daran, dass ich zwei Drittel der Strecke schon gelaufen war. Ganz gemütlich bei meist bestem Wetter in der Woche vor Ostern als Gruppenlauf mit Rolf Mahlburg beim „Rheinsteig Erlebnislauf“.
Rolf startet immer in Bonn und geht etappenweise den Rheinsteig entlang bis nach Wiesbaden. Die ersten drei Tagesetappen dabei sind die Strecke des „Kleinen KOBOLT“. Die ersten beiden Tagesetappen bin ich schon mit Rolf Mahlburg gelaufen.
Und ich erinnerte mich gut daran, dass ich früher schon nach einer einzigen dieser Tagesetappen am Folgetag kaum mehr laufen konnte. Nach dem Ende der ersten Etappe damals in Unkel ging es am nächsten Tag weiter über der Erpeler Ley Richtung Koblenz und so war die Erpeler Ley weit, weit weg von Bonn, dachte ich damals.
Beim „Kleinen KOBOLT“ allerdings sagte ich mir, dass wir fast am Ziel wären, wenn Achim und ich erst einmal die Erpeler Ley erreicht haben würden.

Ach, Achim, mein Laufpartner beim „Kleinen KOBOLT“ … es war so schön, endlich mal wieder einen ganzen Lauf mit ihm, neben ihm zu bestreiten, auch wenn 28 Stunden lang quatschen dann auch nicht möglich war. Am Ende gab es Phasen, wo wir stumm hintereinander hergelaufen waren, teilweise stumm aus Erschöpfung, teilweise auch aus Frust, weil wir uns mal wieder verlaufen hatten.

Sich zu verlaufen ist vielleicht eines der entscheidenden Punkte bei diesem Lauf. Jeder hatte es am Ende hinter sich, Achim und ich genossen die Extra-Runden ausgiebig. Gleich nach zwei der üppig bestückten Verpflegungspunkten drehten wir eine lange Schleife, die uns wieder zum Verpflegungspunkt zurück brachte. Am Ende waren statt der 140,5 Kilometer immerhin 153,5 Kilometer auf der GARMIN Uhr. Sich zu verlaufen haben Achim und ich also zur Stilform erhoben.

Neben den beiden Schleifen nach den Verpflegungspunkten 2 und 3 war auch die Gegend um das hübsche Ausflugslokal „Milchhäuschen“ ein ideales Gelände, um dieser Stilform zu frönen und wir taten es hier gleich mehrmals.
Ich liebe das „Milchhäuschen“ und hatte Achim schon kilometerweit vor diesem Restaurant von seiner Schönheit erzählt, die Gegend um das „Milchhäuschen“ herum liebe ich jedoch jetzt nicht mehr so sehr …

Ein Lauf wie der „Kleine KOBOLT“ ist also schon auf Grund der nackten Zahlen und der teilweise suboptimalen Beschilderung ein hartes Ding, am ersten Dezember-Wochenende kamen dann noch die Wetterbedingungen hinzu. Zwar war es beileibe nicht so kalt wie in den Nächten zuvor, es hat auch erst ganz am Ende geschneit, dennoch war es während der ganzen Zeit kalt und feucht, der Boden war von zusammengetretenen Schnee bedeckt und damit sehr, sehr glatt. Zum Glück hatte ich meine Alpin Sticks dabei, sie verhinderten einigem Male einen Sturz, vor allem deshalb, weil ich schuhtechnisch nicht optimal ausgestattet war.


Auf der Rückfahrt nach dem Ziel nickte ich ein Mal kurz ein. Gabi fuhr und das monotone Fahrgeräusch läd Läufer, die eben mal eine Nacht durchgelaufen sind, geradezu zum Einschlafen ein. Und ich träumte von einem Polizisten mit stark bayrischem Akzent, der mich anhielt, auf die neue Winterreifenpflicht hinwies und mein Profil sehen wollte.
Also hielt ich meine Schuhsohlen nach oben und der Polizist bemerkte natürlich sofort, dass der Schuh ein Sommermodell war, zudem war das Sohlen-Profil an vielen Stellen komplett abgelaufen.
Ich liebe diese Nike Laufschuhe, obwohl sie an zwei Stellen schon zerschlissen und definitiv viel mehr als die empfohlenen 1.000 Kilometer gelaufen haben, was die Dämpfungseigenschaften einschränkt. Für den „Kleinen KOBOLT“ aber war diese Schuhwahl nicht akzeptabel.
Und der Polizist schimpfte über das Profil und bestrafte mich mit zehn Liegestützen und einer 5-km-Strafrunde.
Ich war schon vollkommen fertig und flehte ihn an: „Tun Sie das nicht, bitte. Tun Sie das nicht, bitte, bitte, ich habe schon über 13 Strafkilometer hinter mir …“
Aber der Polizist wollte nicht auf mich hören, also wurde ich wütend und dann schrie ich ihn an: „TUN SIE DAS NICHT!“ Dann wachte ich wieder auf, wir waren zu Hause.

Aber so labil, wie ich im Traum bei dem Polizisten war, so war ich auch auf den letzten acht Kilometern vor dem Ziel. Irgendwann zwischen dem letzten Verpflegungspunkt und dem Ziel wollte mein Geist nicht mehr und alles tat weh.
Ich hatte mir im Schritt einen „Wolf“ gelaufen und hatte die beiden Hosen, die ich übereinander trug, schon so weit nach unten gezogen, dass die obere Hälfte meines Hinterns nur durch die Laufjacke bedeckt wurde, ich hatte eine dicke Blase hinten an der linken Ferse, eine kleine Blase unter dem rechten Fuß und mein linkes Knie machte sich ganz leicht schmerzend bemerkbar. Ich wollte nur noch im Ziel sein, endlich am Ziel sein …

Wenn Du so lange mit dem gleichen Partner läufst, dann gibt es Momente, in denen Du den Partner ziehen und motivieren musst und es gibt Momente, in denen Du Zuspruch brauchst und Unterstützung. Am Ende habe ich nur noch von Achims Kraft gelebt, er hat mich gezogen und meine Laune einigermaßen hoch gehalten, aber ich habe den Bonnern, die wir nach dem Weg zum Ziel gefragt hatten, wohl ein jämmerliches Bild geboten. Aber irgendwann dann waren wir tatsächlich im Ziel, irgendwann und mit 27:54 Stunden doch noch wenigstens unter der 28 Stunden Marke.

Unsere Hochrechnungen sahen uns schon mal mit 25:30 Stunden im Ziel, mal aber auch erst nach dem Cut-Off von 29:00 Stunden. Ganz schlimm war es ein paar Kilometer vor dem letzten Verpflegungspunkt. Nach dem vielen Verlaufen wussten wir, dass wir viel Zeit, Kraft und Motivation verloren hatten und wir begannen, neu zu rechnen.
Die Strecke nach dem VP, die Strecke von Bad Honnef bis zu diesem VP und die Strecke bis nach Bad Honnef … und in diesem Moment kam eine Spitzkehre mit einer Wegbeschilderung nach Bad Honnef, auf der stand: BAD HONNEF 11,5 km.

Wir hatten keine Chance mehr, vor dem Cut-Off anzukommen, dachten wir. Achim wurde aus Trotz und Ärger schneller, ich wurde aus den gleichen Gründen langsamer. Achim wurde richtig ärgerlich, ich verzweifelte und wanderte ins „innere Jammertal“.
Es folgte eine merkwürdige Viertelstunde, in der wir liefen und schwiegen, träumten und dachten, bis wir von einem dicken Stein erlöst wurden, auf dem stand: BAD HONNEF 1,5 km.

Alles war wieder gut für Achim, für mich aber noch nicht. Nach einem Kilometer kam ein Abzweigschild nach Bad Honnef Innenstadt, das ich aber übersehen habe und wir liefen und liefen und kamen scheinbar einfach nicht nach Bad Honnef. Ich stellte mir vor, dass auf dem Stein 7,5 km gestanden haben musste und ärgerte mich. Erst als Achim von der Abzweigung erzählte, die ich übersehen hatte, ging es mir wieder besser.

Knapp 28 Stunden lang stramm bergauf oder vorsichtig bergab, weil es so glatt war, ständig mit dem gleichen Laufpartner zusammen, den Du schon so lange kennst, immer unleidlich vor den Verpflegungspunkten, aber motiviert und vorne weg danach, da denkst Du oft an Deinen Laufpartner und daran, woher Du ihn kennst.

Achim kenne ich schon viele Jahre. Wir hatten uns auf dem Eisweinlauf vor einigen Jahren kennen gelernt und kamen damals über das Thema Fußball ins Gespräch. Achim ist in erster Linie ein Fan von Mainz 05, damals noch von „Kloppo“ trainiert. In zweiter Linie ist er ein Fan von Eintracht Frankfurt, schön, dass während des „Kleinen KOBOLT“ gerade diese beiden Vereine gegeneinander gespielt hatten. Achim hatte sich mit einem mobilen Radio und Ohrclips bewaffnet, um noch das Siegtor der Frankfurter mitzubekommen, bevor der Akku seinen Geist aufgegeben hatte.

Danach haben Achim und ich uns bei ein paar kleineren Läufen gesehen. Ich erinnere mich an den 50K Ultra in Rodgau, aber da sahen wir uns nur kurz nach dem Zieleinlauf auf dem Weg zum Auto. Achim hatte damals eine 4:35 Stunden gelaufen, ich hatte 4:45 Stunden gebraucht. Achim ist meist etwas schneller als ich, nur beim K-UT konnte ich ihn kurz vor dem Ziel noch einholen.

Das erste lange Ding, das wir dann zusammen gemacht hatten, waren die 350 Kilometer des Swiss Jura Marathon von Genf nach Basel. Antje, seine Frau, war als Helferin mit im Orga-Team, Achim und ich liefen. Achim lief wie immer ein wenig schneller als ich, zur Strafe durfte er in den Turnhallen immer schon unsere Schlafecke einrichten.
Nur an einem Tag war ich schneller als er, am 5. Tag, dem Donnerstag, einen Tag nach Achims Sturz und einen Tag bevor meine Muskelverhärtung begann.
Achim war also gestürzt beim SJM und er ging dann nach dem Lauf zum Doc, um die Rippen untersuchen zu lassen.
Eine angebrochene Rippe hatte er, wenn ich mich richtig entsinne, und der Doc fragte ihn etwas vorwurfsvoll, warum er denn nicht gleich nach dem Unfall zu ihm gekommen wäre.
„Weil ich noch 200 Kilometer laufen musste,“ war Achims Antwort. Der Doc war schockiert, ich war amüsiert. So eine Antwort kann nur von einem „Ultra“ kommen, oder?

Mit Yogi Schranz und Susanne Alexi sind Achim und ich dann das „Schräge O.“ gelaufen, mit meinem Laufpartner vom TransAlpineRun 2008, mit Heiko Bahnmüller, sind Achim und ich dann gemeinsam in der Wüste gewesen. Beim „Marathon des Sables“ war die Ankunftsreihenfolge in unserem Zelt auch jeden Tag gleich. Zuerst kam Heiko eingelaufen, dann folgte Achim, dann erreichte ich das Ziel, danach Tilmann, dann Christian. Jeden Tag gleich.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl haben aber vor allem diese beiden Etappenläufe enorm gestärkt, über all das dachte ich also nach beim „Kleinen KOBOLT“.

24 Läufer waren für die langen 140,5 Kilometer angemeldet, nur 17 davon traten an. Einer, mein Freund JoSi, Joachim Siller, scheiterte an der Zugverbindung, die im Schnee stecken blieb, einer, der großartige Jens Vieler, musste wegen einer Erkältung passen, wieder andere kamen aus anderen Gründen nicht und nur 10 ser 17 Starter kamen tatsächlich am Ziel an.
Und wenn Achim und ich uns gemeinsam den 8. Platz teilen und wir uns somit ganz weit hinten auf der Ergebnisliste wiederfinden, dann tut mir das gar nicht weh. Wir sind durchgekommen, haben gefinished, durch den Schnee, durch die Kälte, durch die Nacht …

Wir hatten trotz der Verlaufer offensichtlich mehr Glück als die, die auf der Strecke aufgeben mussten. Und wir hatten das Glück, diesen Lauf erleben zu dürfen, der von den drei Jungs aus dem „Chamonix-Appartement“ in kürzester Zeit ins Leben gerufen wurde.
Michael Eßer, der mitgelaufen war und 10. wurde, Stefan Scherzer, der den „Kleinen KOBOLT light“ lief und dort den zweiten Platz errang und Andreas Spieckermann, der Race Director, der in einer unglaublichen Ruhe die vielen Helfer dirigierte, motivierte und lenkte, haben hier einen kleinen Traum realisiert, auf den sie stolz sein können.

Ein richtig harter Winterlauf, der Dir alles abverlangt, gleichzeitig aber liebevoll organisiert ist und landschaftliche Highlights bietet, wie Du sie nur selten siehst. Wenn dieser Lauf im nächsten Jahr neu aufgelegt wird, dann solltest Du dabei sein und auch den Blick auf die in der Nacht hell erleuchteten Burgen werfen, stets abwechselnd das Rheintal und die Höhen der rechtsrheinischen Berge kennen lernen.
Du solltest die kalte und lange Winternacht erleben und genießen. Die kurze, warme Nacht von Biel ist zauberhaft, das Gegenstück, eine Nacht, die schon früh beginnt und nicht enden will, die kalt ist und lang, ist auch ein echtes Erlebnis.
Wir gehen in die Wüsten, in die Alpen und in die Dünen, um wegzukommen vom üblichen Trott eines Straßenmarathons – hier beim „Kleinen KOBOLT“ hast Du die Herausforderungen gebündelt und direkt vor der Haustüre.

Schade nur, dass der Rheinsteig auf der „schäl Sick“ liegt, aber daran können Michael, Stefan und Andreas ja noch arbeiten …