Das hässliche Entlein …

Es war der 02. März 2008 in Stein/NL, kurz vor dem Start zum 6-Stunden-Lauf.
Mein Lauffreund und Lauf-Urgestein Günter Meinhold kniff mir in die Seite und sagte: „Du hast gut gegessen über den Winter, TOM!“

Ein kleiner Satz und sofort spulte sich das alte Gedanken-Programm wieder ab. Und ich sah wieder den kleinen, dicken, hässlichen TOM mit seiner Hornbrille, den unvermeidlichen Knickerbocker-Lederhosen mit den Hosenträgern, die über der Brust die traditionelle bayrische Lederspange hatten, auf der ein weißer Plastik-Edelweiß befestigt war.
Und ich hörte wieder die anderen Kinder rufen: „Dicker fetter Pfannenkuchen!“
Und ich erinnerte mich an meinen schlanken blonden Bruder, der mich gegen diese Kinder verteidigt hatte.
Für einen kurzen Moment fühlte ich mich wieder jung, hässlich und ungeliebt. Dass ich direkt nach diesem 02. März 2008 mal wieder eine Diät machte, kannst Du wahrscheinlich nachvollziehen.

(klicken zum Vergrößern) - Meine Schwester, mein Bruder und ich im Wohnzimmer in den 60er Jahren. Erst mit 12 Jahren wurde ich schlanker.

Es war der 07. Februar 2010 in Herten-Bertlich, kurz vor dem Start zum Marathon der Bertlicher Straßenläufe.
Günter Meinhold war auch unter den Startern, glücklicherweise, nachdem er wegen körperlicher Probleme seinen Laufumfang eine Weile lang deutlich reduzieren musste. Günter schaute mich an und sagte: „Du bist zu dünn, TOM! Für den Ultralauf brauchst Du mehr Kraft – und die kommt aus dem Körpergewicht!“
Also war es wieder nicht richtig, wie ich war, aber ich gehe lieber als „zu dünn“ durch als dass ich mich wieder dick und hässlich fühle.

In der Tat habe ich in den letzten 12 Monaten deutlich Gewicht verloren. Das Gesicht ist länger geworden und die Laufshirts bekomme ich jetzt alle fast zwei Nummern kleiner. Aus XL wurde L und wenn die Armlänge kein Problem wäre, dann würde ich mir sogar M geben lassen. Niemals hätte ich mir so etwas träumen lassen …

Dabei war der 07. Februar 2010 ein für mich durchaus guter Tag. Denn nach 57 (!) Tagen ohne Marathon und nach einer ebenso langen Zeit ohne nennenswertes Training, ohne wirklich lange Läufe, fühlte ich mich schlapp und demotiviert und ich zweifelte sogar, ob ich auf der Marathonstrecke überhaupt noch akzeptable Zeiten hinbekommen würde. Seit dem Berlin-Marathon im September 2009 bin ich keinen Marathon mehr unter 4 Stunden gelaufen und auch beim diesem wunderschönen Lauf duckte ich mich im Stile eines Mambo-Tänzers nur äußerst knapp unter der 4-Stunden-Schwelle durch.
Die „langen Kanten“ vom Sommer 2009 haben Spuren hinterlassen, die Grundschnelligkeit schien genauso verloren wie die Motivation, relativ wenig attraktive Laufstrecken noch mit einem gewissen Druck anzugehen.

Da ist ein Lauf wie der „Unter-Tage-Marathon“ in Sondershausen natürlich anders, da motiviert Dich schon das Event und die Location an sich. Bei Bergläufen mit grandiosen Blicken ist es ähnlich. Aber drei Runden durch Bertlich und die wenig attraktive Umgebung laufen, ständig auf vom Winter stark beschädigten Nebenstraßen? Und das ohne Training, ohne rechte Lust und bei wenig attraktivem Wetter?
Aber ich wollte es wissen, ich wollte sehen, wie lange ich brauche, bis mein Körper müde wird.

Neben Günter Meinhold waren zuhauf erfahrene und bekannte Läufer am Start und außerdem waren ein paar Starter aus dem Freundeskreis dabei. Der „Ultrayogi“ Jörg Schranz zum Beispiel, mit dem ich mir am Ende der dann hoffentlich erfolgreich bestrittenen „TorTOUR de Ruhr“ ein „Erdinger Weißbier alkoholfrei“ teilen will und auch der „Extremsportler“ Gerhard Kotman, bei dem ich viele Parallelen in der läuferischen Karriere sehe. Ich erinnere mich an den Marathon in Glimmen/NL im Winter des Vorjahres, bei dem Gerhard und ich einige Zeit gemeinsam gelaufen sind und wo wir uns ausgiebig ausgetauscht haben.

Motiviert hat mich auch ein anderes Lauf-Urgestein, der mir gesagt hat, dass er jeden Marathon mit einer „3“ vorne abschließt. Großartig, dachte ich, bis er fortfuhr, dass es machmal auch eine 3:89 wäre. Welch fantastische Idee!
Sofort wusste ich in diesem Moment, dass ich diesem Lauf den Titel 3:68 Stunden gegeben hätte, wenn ich die 4-Stunden-Marke „gerissen“ hätte. Habe ich aber nicht.
3:55:23 Stunden war am Ende die Laufzeit und ich hätte durchaus besser sein können. Aber ich war nicht motiviert genug, mich anzustrengen, als mir klar war, dass ich auf jeden Fall unter 4 Stunden enden würde. 2:39:30 Stunden für die ersten 30 Kilometer und 1:15:53 Stunden für die 12,195 Kilometer danach. Aber hätte ich mich besser gefühlt, wenn ich mit 3:52:00 eingelaufen wäre? Sicher nicht. Und mehr wäre in meinem Trainingszustand und in der aktuellen mentalen Verfassung auch nicht drin gewesen.

Also freute ich mich daran, dass ich wohl nett anzusehen war. Ganz in schwarz gekleidet, sehr schlank und als Farbklecks eine orangene Laufbrille – mächtig cool. Da war nichts mehr von dem hässlichen Entlein, das ich mal war.

Und „Dicker fetter Pfannenkuchen!“ ruft mir schon seit 35 Jahren niemand mehr nach, nur manchmal, ganz manchmal, kann ich es noch hören …

Berlin: ein Marathon als Gruppenreise

Es ist schon ein paar Tage her, dass ich in Berlin den Marathon gelaufen bin. Längst hätte ich an dieser Stelle schon darüber berichten sollen, aber lieber spät als nie …

Im Vorjahr rief mich wenige Wochen vor dem Berlin-Marathon 2008 mein Lauffreund Peter Schmitz von den Rotwein-Runners aus Altenahr an und sagte, dass er in Berlin laufen wolle. Er ließ meinen Hinweis, dass Berlin schon seit Ewigkeiten ausgebucht sei, nicht gelten und meinte nur: „Du schaffst das schon!“

Der liebe Gott hat die Erde an 7 Tagen erschaffen, das scheint leichter zu sein als Startkarten für den Berlin-Marathon zu bekommen, der schon lange ausverkauft ist. Ich telefonierte und googelte, ich surfte und mailte. Keine gute Idee war es, den Versuch zu starten, mich als Journalist zu akkreditieren. Mein Presseausweis aus meiner politischen Zeit als junger Mann stammt aus dem Jahr 1983, das ist aufgefallen. „Haben Sie keinen Neuen?“
Aber am Ende hatte ich doch Glück: ich bekam die beiden letzten Startkarten vom Marathon-Reise-Service, den Olli Schmidt von der Volksbank Schlangen, einem Städtchen in der Nähe von Paderborn, betreibt – und das zu einem wirklich günstigen Preis, in dem die Busreise ab Paderborn, zwei Hotelübernachtungen und ein paar sonstige Extras wie der Transport zum Frühstückslauf und dem eigentlichen Marathon schon inbegriffen waren.
Es wurde ein wunderschönes Männer-Wochenende in Berlin, das ich nicht missen wollte.

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Die "Marathon-Reise-Service" Gruppe kurz vor dem "Frühstückslauf" am Samstag vor dem Berliner Schloß Charlottenburg

Nun wollte ich schon vor Monaten meine Frau Gabi zum Berlin-Marathon 2009 einladen. Aber selber buchen, ein Hotel suchen, die An- und Abreise zum Start und zum Ziel, selbst so weit mit dem Auto hin und, noch schlimmer, zurück fahren … und die Truppe aus dem Vorjahr war richtig nett! Also haben wir uns entschlossen, auch dieses Jahr wieder den Service vom Marathon-Reise-Service zu nutzen – und das war gut so.
Wieder waren es nette Menschen, Läufer eben, die sind ja alle nett und ein gutes Arrangement.

Am Anreisetag, am Freitag, hatte auch mein Berliner Bruder seinen 49. Geburtstag, den wir zünftig bei einem österreichischen Weißwein aus dem Kamptal im Restaurant „No Kangaroos“ in Berlin Kreuzberg feierten.

Es ist schon lustig, wenn man in Kreuzberg in einer Berghütte ist und in ausgedienten Sesselliften sitzt, Wolfgang Ambros hört und original österreichische Küche genießt. Ein echtes Erlebnis!

Am Samstag gab es zuerst den Frühstückslauf, an dessen Ende der Hauptsponsor real,- die Läufer mit vielen Ständen versorgt hat. Meiner Ansicht nach muss dieser Frühstückslauf jeden Vergleich mit dem „Continental Freedom Run“ in New York meiden. Weder sind die Teilnehmer so witzig verkleidet wie in der amerikanischen Metropole, noch hält die Organisation des Laufs, was er verspricht. Und das „Frühstück“ am Ende ist eher eine Katastrophe als ein Genuss. Schade drum, fand ich schon in 2008.

Aber der Berlin-Marathon war wieder schön. Rechtzeitig zum Start wurde es warm, nein, heiß, zu heiß für meine Begriffe. Aber ich hatte ja nur vor, locker zu traben, ohne mich anzustrengen. Vierzehn Tage vor den Deutschen Meisterschaften im 100km Straßenlauf und nur 21 Tage nach dem UTMB war ich froh, es hier mal locker angehen lassen zu können. Aber „unter 4 Stunden“ sollte die Zeit dann doch bleiben, fand ich.

Also hielt ich mich stets in Sichtweite zum gelben 4 Stunden Ballon, aber zwischen den km18 und 28 habe ich vergessen, den Ballon zu beobachten. Ich hing meinen Gedanken nach, träumte in den Tag hinein und verlor die Spur des Ballons. Ich realisierte nur, dass Haile keinen neuen Weltrekord geschafft hat, schade eigentlich.

Als es mir bewusst wurde, dass der Ballon nicht mehr zu sehen war, dachte ich, dass ich doch ein wenig Tempo zulegen sollte und bei km38 merkte ich, dass mir sogar rund 1 1/2 Minuten zum Zeitplan fehlten. Also musste ich mich doch noch anstrengen.

Mein Problem war, dass ich meinen GARMIN Forerunner 305 mit vier Sichtfeldern im Display bestückt habe: Pace/Geschwindigkeit, gelaufene Zeit, Herzfrequenz und zurückgelegte Strecke. Bei dieser Einstellung verlierst Du aber nach einer Stunde die Sekunden aus dem Blickfeld. Also wusste ich nicht, wo ich genau stand. Als ich dann durch das Brandenburger Tor lief, schlug die Uhr auf 3:59 Stunden um. Es waren schon noch ein paar Meter bis zum Ziel hinter dem Brandenburger Tor, vielleicht gute 200 Meter, vielleicht etwas mehr. Und nur noch eine Minute! Wie ärgerlich wäre es, wenn ich mit 4:00:02 Stunden finishen würde, also dachte ich mir: gib nochmal alles!
So wurde aus dem lockeren Trainingslauf am Ende doch noch eine recht anstrengende Angelegenheit, aber ich hätte noch viel Luft gehabt: mit 3:59:40 Stunden lief ich effektiv durch das Ziel, was hätte ich mit den 19 Sekunden noch alles anfangen können …
Dann gab es die wirklich schöne Medaille, ein paar Schlucke alkoholfreies Weizenbier (kann man wirklich ein ganzes Bier nach dem Lauf trinken?), der Rest wurde auf dem Rasen vor dem Reichstagsgebäude entsorgt, danach unter die viel zu warmen Duschen und dann ab in das Restaurant, in dem sich die Gruppe treffen und sammeln wollte. Weil die Dusche viel zu heiß war kühlt man nicht richtig runter und die Sonne stand heiß und steil am Himmel. Und ich schwitzte arg auf den wenigen Hundert Metern bis zum Restaurant.

Dort wartete ich sehr lange, bis meine Frau Gabi ihren 8. Marathon ebenfalls erfolgreich abgeschlossen hatte, aß mit ihr noch ein Häppchen und dann ging die Rückreise im Bus los. Gabis Zeit war erwartungsgemäß wenig spektakulär und auch die schlechteste von all ihren Marathons, aber dafür, dass sie überhaupt nicht trainiert hatte … durchgekommen, durchgekämpft, nicht aufgegeben und gefinisht – das ist alles, was zählt.

In Paderborn ging ich dann vom Busbahnhof bis zu unserem geparkten Auto. Es war 23.45 Uhr in der Nacht, keine Menschenseele war auf den Straßen zu sehen. Aber kaum hatte ich im Wagen gesessen und Richtung Busbahnhof gewendet, war eine Polizeistreife hinter mit und hatte eine rote Laufschrift auf dem Dach: BITTE FOLGEN!
Ich hatte gar keine Lust zu folgen und ich war nervös, müde und hektisch. Bei der üblichen Frage nach den Fahrzeugpapieren und dem Führerschein fand ich natürlich lange die Fahrzeugpapiere nicht. Und ich war nervös. Und ich war hektisch. Ich dachte daran, dass Gabi auf mich warten würde und sich sicher fragen würde, warum ich für die paar Meter so lange brauchen würde. Und ich war müde.

Der Polizist interpretierte das alles als „alkoholisiert“ und drängte auf einen Alkoholtest. Ich zeigte ihm die Medaille und fragte ihn, ob er tatsächlich der Ansicht wäre, dass ein Läufer sich so wenig unter Kontrolle haben würde, um sich mitten in der Nacht vor der zweistündigen Heimfahrt noch einen zu heben. Obwohl ich der Ansicht war, dass er dazu kein Recht auf eine Alkoholkontrolle hatte, weil die Verdachtsmomente fehlten, willigte ich schlussendlich ein, damit ich nicht noch mehr Zeit verlieren würde. Seine Kollegin ließ mich also pusten und das Ergebnis war klar: keinerlei Alkohol!

Das hätte ich ihm auch so sagen können. Hatte ich auch, aber er hat es mir ja nicht geglaubt.
Ich war immer noch nervös, müde und hektisch, aber ich durfte fahren. Es war kurz nach 2 Uhr, als wir dann endlich zu Hause waren.

Berlin ist immer eine Reise wert – aber Paderborn?