– mit Tobi im Fliewatüüt zum Cami de Cavalls auf Menorca
Tag 5, Zeit fürs Fliewatüüt:
Der fünfte und letzte Reisetag war geprägt von der Heimreise.
Wir hatten vereinbart, uns um 9.00 Uhr in der Frühe zu treffen, um gemeinsam zu Flughafen zu fahren. Der Mietwagen musste retourniert werden … hatte ich eigentlich erwähnt, dass die drei statt eines Opel Corsa sogar einen Opel Meriva bekamen? Ideal für mich, da mich die drei ja eingeladen hatten, mich ihren Fahrten anzuschließen. Und vier Mal Gepäck und vier Fahrgäste? Das wäre im Corsa sicher kaum zu machen gewesen, im Meriva aber war es sehr angenehm … zugleich erlebten wir alle zum ersten Mal, wie die hinteren Türen im Meriva auf gehen, eben anders angeschlagen als normalerweise, und was das für das Öffnen der Türe bedeutet.
Bist Du gewöhnt, die Türe mit einem Ellenbogencheck weit hinten aufzudrücken, dann geht das bei diesem Wagen nicht.
Die Fahrt zum Flughafen ging schneller als geplant, die Mietwagen-Rückgabe ging schnell und absolut problemlos und wir wurden auch sofort zum Flughafen transferiert, also hatten wir viel Zeit.
Bier und Burger für die jungen Herren, Tobi und Stefan, ich hatte nach dem üppigen Frühstück, es gab ein spanisches Kartoffel-Omlett, das ich aber nur zu gut der Hälfte gegessen habe, genug.
Das einzig Besondere war wohl, dass Tobi und ich, wir leidenden Läufer, noch immer eine ganz besondere Form der Fortbewegung wählten, noch immer in Schlappen. Nur für das Fliewatüüt selbst hatten wir uns dann doch in Schuhe gezwängt.
Am Flughafen Köln-Bonn angekommen, trennten wir uns. Die drei mussten noch auf ihr aufgegebenes Gepäck warten, ich hatte ja nur Handgepäck. Ab in den Flughafenbus nach Bonn HBF, dort umsteigen in den Bus bis zur Museumsmeile.
Und von dort trabte ich, Schritt für Schritt, das Bord-Köfferchen hinter mir her ziehend, weiter bis zum Parkplatz, wo man mir ein Auto platziert hatte. Gut einen Kilometer galt es so zu bewältigen, den Schmerzen geschuldet brauchte ich dafür etwa 45 Minuten. Aber es gab dort kein Cut-Off, alles gut also.
Mein Fazit und mein Dank: es war ein phantastisches Wochenende zu viert. Und von den beiden Supportern so betüttelt zu werden, das ist schon mehr als nur einen Dank wert.
Stefan schrieb mir über Facebook, dass er mich in seine Liste „postitiv verrückter Läufer“ aufgenommen hätte.
Ich nehme das mal als Kompliment …
Danke Stefan, danke Karl-Heinz – und danke für alles, Tobi!
Tag 4, Zeit zu finishen:
0.40 Uhr, zehn Minuten nach der Zeitschranke und damit zehn Minuten hinter unserem Zeitplan, ging es weiter.
Wenn Du einen schwierigen, steinigen Weg hast und Du siehst nur die Steine in einem kleinen Spot vor Dir, dann werde ich immer langsamer. Und so entschlossen wir uns, in der Nacht das Laufen fast komplett einzustellen, dafür eben zügig zu gehen.
Wir empfanden überhaupt kein Gefühl von Müdigkeit in der Nacht, alles lief bestens. Und nach der Nacht kam wieder der Tag und damit die Motivation und wieder etwas Geschwindigkeit und wir träumten von einem Finish zwischen 15.30 Uhr und 17.30 Uhr. Das wären 31 bzw. 33 Stunden Laufzeit.
Tobi hatte sich einen schriftlichen Plan geschustert, der sogar ganz knapp unter 30 Stunden endete. Daran glaubte ich nie. Hoffnung haben allerdings ist nie verboten.
Die Überlegungen dazu waren klar: es sollten insgesamt rund 2.900 Höhenmeter sein und wir hatten bis zum Dropbag schon so viele Höhenmeter erlaufen, dass da eigentlich nicht mehr viel kommen konnte. Dachten wir.
Ich erinnerte mich auch anders, deutlich anders. aber auch Dany vom Hinflug, die ja zu den Spätstarterinnen gehörte, sagte etwas von „leicht“. Kurzum: ich hatte Recht, war darüber aber weder glücklich noch dass ich darauf stolz war. So Du also mal auf dem CdC unterwegs sein solltest … Merke: Die Anstiege im Süden sind da, sie sind hart und sie sind eklig. Und sie demoralisieren Dich, weil sie kein Ende nehmen. Und schon gar keine Rücksicht …
Da sind zwar nicht die großen Hügel zu erklimmen, aber es geht ständig hart rauf und viel zu steil runter, stets auf steinigem und Schmerzen in den Füßen verursachenden Steinen.
Es war die Phase, in der das Schimpfen über die Strecke begann:
„Und wieder rauf!“ „Wir waren schon lange nicht mehr durch den Sand gelaufen!“ oder schlicht „Muss das jetzt alles noch sein?“
Immer wieder standen Tobi’s Bruder Stephan und sein Onkel Karl-Heinz an der Strecke. Sie gaben die Jubler, aber auch die Supporter. Ein gutes Gefühl, so be“vatert“ zu werden. Die schmucke und reiche Hafenstadt San Tomas war so ein Punkt. Kurz vor dem VP jubelten die beiden uns entgegen und sie begleiteten uns in den VP. Die beiden hatten es leicht, uns zu folgen, wir waren tatsächlich langsam und psychisch und vor allem physisch ziemlich am Ende.
Aber Orte wie San Tomas, atemberaubend schöne Buchten im Süden mit türkisblauem Wasser, mit Schiffen darauf, die zu schweben scheinen, weil Du leicht den Meeresboden tief unter den Schiffsrümpfen erkennen kannst, diese kleinen Augenweiden ließen uns immer wieder auch die steilen Stücke angehen.
Es war heiß. Und es war nahezu windstill, was es noch heißer machte.Und ab und an sahen wir auch Gabi also Supporterin von Joop oder auch Stefan Niederhofer, der Fotos machte. Jeder Jubler, jeder Gruß, motivierte mich erneut und ließ mich für einen Augenblick die Schmerzen vergessen. Nur an den VPs wurden die Fragen nach meinem Zustand immer banger. Das Blut war mittlerweile auch aus der Hose heraus zu sehen und weitgehend verkrustet, zudem litt meine Haltung zusehends. Ich lief offensichtlich doch in einer „Schonhaltung“, die meine Körperachse verschob.
Irgendwann war klar, dass wir bestenfalls noch die 17.30 Uhr erreichen könnten, aber auch dafür müssten wir uns sputen. Tobi kämpfte zunehmend mit Blasen und mit seinem Magen und er wollte sich etwa 10 km vor dem Ziel noch einmal die Füße ansehen. Ich wollte nur noch rein. „Ich gehe langsam vor,“ sagte ich, er aber kam nicht. Und ich sah ihn auch nicht mehr. Es waren diese letzten Kilometer auf dem „unlaufbaren Untergrund“, wieder so eine Steinwüste. Nur wenige CdC Läufer*innen überholten mich, trotz meiner Langsamkeit, dafür aber die Schnellsten des 85 K Bewerbs über den Südbogen. Und die fanden den „unlaufbaren Untergrund“ gar nicht unlaufbar, rasten an mir vorbei als wäre ich eine Slalomstange, nicht aber, ohne uns Langläufern Respekt zu zollen und uns motivierend weiterhin Glück zu wünschen.
Die Steinwüste war dann zuende. Noch gut sechs Kilometer standen an. Tobi war noch immer nicht in Sichtweite, aber meine Uhr sagte mir, dass ich immer noch die Chance hätte, vor 17.30 Uhr drin zu sein, unter 33 Stunden zu bleiben. Eine 34:00:10 Stunden aus dem Jahr 2015 stand ja. Und unter 33 Stunden bleiben hieße auch, noch innerhalb der Zeitrange zu bleiben, die ich vorher angekündigt hatte.
Also Gas geben. Und hoffen, dass Tobi und Joop auch noch ihren Weg Richtung Ziel finden würden. Ich lief, ich ging, ich kämpfte. Und irgendwann war klar, dass ich dieses Zeitziel schaffen würde, immerhin. Die Straßen und Wege waren meist flach, aber immer heiß und sonnig. Einen halben Kilometer durchlaufen? Schaffte ich nicht. Aber ein paar Hundert Meter. Dann wieder ein paar Meter gehen und erneut anlaufen. Mehr als ein Tempo von 7:30 Minuten pro Kilometer war nicht mehr erreichbar, aber es würde ja langen, das wusste ich.
Zwei Mal ging es von der Straße ab, ein paar Treppen runter zu einem Stadtstrand, den der Naturhafen gebildet hat und drüben wieder rauf und raus.
Leute klatschten und eine Frau erklärte den anderen, die sonnenhungrig ihren Liegestuhl verteidigten: „He ran one hundred and eightyfive kilometers! One hundred and eightyfive!“ Und wieder klatschten und riefen die Menschen …
In solchen Situationen fühlst Du Dich wie ein Star, wie ein Eliteläufer. Du vergisst die vielen, die schon vor Dir diesen Punkt hinter sich gelassen haben und Du bist Dir der Bewunderung der „normalen Menschen“ bewusst. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen! Und plötzlich kannst Du auch wieder die fünfzehn Stufen nach oben rennen, so, dass es einigermaßen ordentlich aussieht.
Aber dann, gleich hinter der Kurve, gönnte ich mir wieder ein paar erholsamere Gehpausen.
Noch eine Straße hinauf bis zum Kreisverkehr, dann sah ich schon die Einlaufspur. Ich kämpfte mich laufend weiter und merkte gar nicht, wie linkslastig ich mittlerweile lief.
Einige Leute riefen nach mir, Stephan hatte die Kamera gezückt, ich aber hatte nur noch einen Gedanken im Kopf: durch die Ziellinie und ab ins Zelt der Leute vom Roten Kreuz, ab zur medizinischen Abteilung.Ich lief mittlerweile sehr schief, was der Schonhaltung geschuldet war.
Unser Körper ist ja schon ein Wunderwerk, ein statisches Gebilde, das drei aufeinander gestellten Kugeln gleicht. Verrutschst Du nur eine Kugel, dann wird das System sofort instabil. Beim Eiger Ultra 2016 habe ich das bewiesen, als ich in einem Schuh eine Einlage hatte, im anderen nicht. Die Folge waren Schmerzen im Hüftbeuger.
Knieproblem wirken sich bis in die Schulter aus. Und eine schmerzende Hüfte wird auch entlastet, was doof aussieht und auf Dauer auch nicht gut ist.
Vielleicht war das schief laufen auch eine Auswirkung der Tatsache, dass ich das rechte Bein noch stärker als gewohnt als Führungsbein verwendet hatte, das linke Bein, das mit dem wunden Problem im Oberschenkel, musste nur das leisten, was unbedingt zu leisten war.
Ich lief also den grünen Teppich entlang zwischen unzähligen Menschen hindurch Richtung Ziellinie. Ich sah die Ladies, die für die Medaillen zuständig waren, ich sah den Moderator und vor allem: ich hörte ihn. Was für ein Empfang! Genial.
Rechts sah ich Karl-Heinz und Stefan, letzteren mit Kamera, der meine letzte Sequenz aufnahm. Ich klatschte beide ab. Rauf auf ein Podest und ich blickte in Dutzende von Fotokameras.
Ich war glücklich, erlöst. Und ich war dankbar. Dankbar, drin zu sein, dankbar, der Schmerzen entledigt zu sein und dankbar, es trotz des Sturzes bis hierhin geschafft zu haben.
Ich faltete in devoter asiatischer Tradition meine Hände und schickte ein Stoßgebet Richtung Himmel.
Und ich nahm nach der Medaille auch meine Finisherweste in Empfang.Im Zelt des Roten Kreuzes war man einigermaßen schockiert von mir und meinem Zustand. Ich bekam zwei Mal jeweils ein großes kaltes Tuch über den Kopf und auf die Brust, der Kreislauf wurde kontrolliert, die Wunden erstversorgt, dann kam der Oberschenkel dran.
Unter Wasserzufuhr wurde Hose von Oberschenkel getrennt und was ich dann als Loch im Oberschenkel-Muskel sah, das hätte mich definitiv sofort aufhören lassen, zu laufen. Der Arzt desinfizierte und erklärte mir, dass hier genäht werden musste. Das und auch zwei Infusionsbeutel habe ich klaglos ertragen, in dem Moment war mir eigentlich alles egal. Hauptsache, nicht mehr laufen.
Später dann holte mich Stefan ab und wir fuhren in die Hotelanlage.
Ich durfte zum Glück duschen, trotz der Verletzung, trotz der Gaze darauf und trotz des Verbands. Wie schön kann eine Dusche sein!
Wir sind dann zum Pizza-Bäcker gefahren, aber das letzte Stück vom Parkplatz vor der Pizzeria bis zur Terrasse, das war schon ein Erlebnis. Barfuß, langsam, gebückt, leidend ….
Aber nicht nur ich. Tobi’s Gang sah nicht wirklich entspannter aus zu diesem Zeitpunkt.
Viel mehr weiß ich nicht mehr von dem Abend. Ob ich die Pizza gegessen habe oder nicht, wie wir nach Hause kamen … alles liegt unter einem Schleier der totalen Müdigkeit.
Ich vermute, Karl-Heinz hat mich gerettet und alles organisiert. Und all das ließ mich richtig gut schlafen …
Tag 3, Raceday: Wir hatten vereinbart, um 9.00 Uhr vom Hotel nach Ciutadella zum Start zu fahren.
Meinen Wecker stellte ich auf 07.15 Uhr, um genug Zeit für mich zu haben. Gerade die Morgentoilette und das bewusste Anziehen sind mir sehr wichtig, zu oft schon habe ich etwas vergessen.
Die Brustwarzen klebe ich mir prophylaktisch genauso ab wie ich die rechte Achilles-Sehne tape. Ist wahrscheinlich nur gut für den Kopf. Aber wenn ein Placebo wirkt – warum nicht nehmen?
Spykers an die Waden, die Armlinge an, ich hatte mich für die weiß/orangenen Klamotten aus Andorra entschieden, also eine weiße Mütze auf den Kopf und die weiße Sziols mit den orangenen Scheiben gewählt. Startnummernband mit Nummer, die schmale Hüfttasche vom 360 Grad TGC, die ich so liebe, auch orange/weiß und schwarz, zwei Laufuhren, eine rechts, eine links.
Zwei Uhren? Ich versuche meist, das Nachladeproblem dadurch zu lösen, dass ich an beiden Armen jeweils eine Laufuhr trage. So starte ich mit der neuen Garmin 920XT, weil sie immens schnell die Satelliten findet und sehr präzise ist und irgendwann wechsle ich dann auf die „alte“ Garmin 310. So komme ich rund 35 Stunden lang ohne ein erneutes Aufladen aus. Zwei Buffs, die farblich passen und die mich an gute Zeiten erinnern. Buffs sind immens wichtig für mich, gerade die von Läufen, die schwer waren.
Sie erinnern mich daran, was ich früher schon geschafft habe, das lässt mich die Schwierigkeiten mancher Läufe leichter ertragen.
Kopfhörer um den Hals. Nicht dass ich sie benutzen will, schon gar nicht beim CdC, weil Tobi und ich ja vereinbart hatten, dieses Ding gemeinsam zu rocken, sofern möglich. Aber falls man sich doch trennt, falls die Nacht lang und der Kopf müde wird, dabei haben beruhigt, finde ich, also rum um den Hals mit dem Teil.
Die Entscheidung, eine meiner kurzen schwarzen X-BIONIC Hosen zu wählen und nicht die weiße, diese Entscheidung stellte sich schon bald als einigermaßen glücklich heraus.
Fehlt was? Ach ja, Schuhe noch. Ich entschied mich, in HOKA zu starten und packte meine Dynafit Schuhe in den Dropbag.
Der Rucksack war schon gepackt, also nur noch etwas Geld in die schmale Hüfttasche, das Salztabletten-Döschen dazu, das Handy rein – und es kann los gehen.
In Ciutadella angekommen hatten wir viel zu viel Zeit, also gab es noch einen Kaffee für die Jungs und einen Tee für mich.
Bevor es auf den „Weg der Pferde“ geht, gibt es eine kleine Pferdeshow für die Läufer*innen. Hunderte von Smartphones waren gezückt, meines blieb aus. Ich hätte eh‘ nur Arme, Hände und Smartphones fotografieren oder filmen können, schöne Bilder hätten nicht entstehen können.
Punkt 8.30 Uhr ging es dann los, erst durch eine lange Trasse zwischen Absperrgittern durch, Hunderte von Händen reckten sich uns entgegen, die Zahl der Zuschauer war riesig.
Die ersten knapp 10 Kilometer sind leicht. Es geht durch die Stadt, vorbei an den Luxus-Ferienvillen derjenigen, die sich nicht jeden Monat kurz vor dem Ultimo fragen müssen, warum am Ende des Geldes noch ein wenig Monat übrig ist. Und da ist ein Haus schöner als das andere.
Hier sei der Hinweis gestattet, dass diese Häuser durchweg teuer waren, das Preisgefüge allerdings im Vergleich zu dem der größeren Nachbarinsel moderat geblieben ist. Trotzdem zu viel für uns kleine Läufer, die wir unsere freien Ressourcen dann doch lieber in Fernreisen und schöne Weitwanderwege investieren.
Aber am Ende der Bebauung beginnt dann tatsächlich der Trail. Und wie.
Gerade die ersten ca. 15 Kilometer nach der Stadt sind unglaublich. Der Boden ist eine harte Steinwüste und die vielen vorspringenden Steinteile sind aus härtestem Vulkangestein. Du versuchst, immer irgendwie auf die Steingebilde am Boden zu treten, ohne umzuknicken und ohne beim nächsten Schritt einzufädeln, hängen zu bleiben oder irgendwo mit der Kappe anzustoßen, dass Dir Deine Zehen ein „Hallelujah“ singen.
2014 war ich schon hier und stürzte nach knapp einem Marathon, 2015 stürzte ich böser und früher, kurz vor dem Ausgang aus dieser Steinwüste. Weil da eine Fernsehkamera und ein kleines Fernsehteam stand. Und weil ich irgend etwas Witziges machen wollte. Direkt vor der Kamera zu stürzen war sicher nicht der beste aller Gags, aber wenn Du in solchem Gelände auch nur eine kurze Zeit geistig nicht auf dem Trail, sondern irgendwo im Imaginarium bist, dann sind Stürze vorprogrammiert und Stürze können hier auf diesem harten Geläuf mit den vielen heraus stehenden Steinen richtig weh tun.
Ich dachte an den Sonntag vor dem Rennen, als ich schon nach einem flachen Halbmarathon ziemlich am Ende war und ich sagte Tobi, dass ich froh wäre, dass es so gut und fluffig laufen würde. Die Gedanken flogen – und ich flog auch.
Ich fädelte mit dem rechten Fuß an einem Steingebilde ein, versuchte vier, fünf, sechs Ausfallschritte, dachte, das Gleichgewicht wieder zu finden und merkte dann, dass ich den Boden küssen würde. Durch die Ausfallschritte war ich noch weiter weg vom Trail und in einem noch steinigeren Areal.
Die Zehen des linken Fußes, den ich mir dabei angeschlagen hatte, merkte ich sofort, ebenso die Prellung der linken Hüfte. Und den linken Oberschenkel, der weh tat. Beide Hände waren betroffen, links genau zwischen Zeigefinger und Mitfelfinger, ein kleiner Hautfetzen hing lose herab. Rechts war der Handteller betroffen, der beleidigt vor sich hin tropfte. Tobi half mir auf, Tobi suchte nach einem Pflaster für die linke Hand und wir beschlossen, beim nächsten VP alles mal gründlich ansehen zu lassen. Und wir liefen weiter.
Anfangs humpelte ich noch ein wenig, das aber gab sich später.
Nur sah ich, dass Blut aus der Hose quoll. Blut bildete eine harte Schicht im Stoff der Hose und das Aushärten dieser Fläche half. Meine Gedanken waren von nunan immer auf dem Oberschenkel und der Frage, ob sich der Stoff der Hose mit der Wunde verbinden würde?
Der nächste VP kam, wir hatten diese Steinwüste verlassen, der Rot-Kreue-Wagen rief mir zu: „Lauf weiter!“
Ich kann gar nicht sagen, was mich gehindert hatte, die Rot-Kreuz-Leute aufzusuchen, mir war aber klar, dass es notwendig wäre, einfach weiter zu laufen. Ich wollte selbst keinesfalls sehen, was da im Detail passiert war. „Gejammert wird im Ziel,“ sagte ich mir und so genossen wir die kleinen Speisen und die meist gekühlten Getränke des Verpflegungspunkts und gingen weiter.
Tobi war viel schneller als ich in dieser Zeit. Aber er blieb bei mir, obschon ich ihm einige Male angeboten hatte, unsere kleine Laufeinheit zu verlassen.
Beim CdC kannst Du zwischen zwei Startzeiten wählen. 8.30 Uhr oder sechs Stunden später um 14.30 Uhr. Der Nachteil des späten Starts ist, dass Du nur sechs Stunden weniger verfügbare Laufzeit hast, der Nachteil des frühen Starts ist, dass Du in Es Castell, km 100, wo der Dropbag ist, nicht vor 0.30 Uhr weiterlaufen darfst. Wir waren also nicht auf zügig programmiert, sondern hatten den Plan, zwischen 23.30 Uhr und 24.00 Uhr in Es Castell anzukommen. Dann hätten wir noch eine lange Pause gehabt und wollten dann um 0.30 Uhr weiter. Soweit zum Plan.
2014 war ich extrem spät dort, erst relativ kurz vor dem Cut-Off, 2015 hatte ich mit dieser 0.30 Uhr Zeitbarriere auch keine Probleme gehabt.
2017 aber waren wir zu schnell, fand ich. Viele Kilometer lang waren wir bis zu einer Minute pro Kilometer vor unserem Zeitplan, es drohte ein Ankommen gegen 23.00 Uhr.
Nach den oben erwähnten VP kommt die vielleicht schönste Strecke der Insel. Du befindest Dich nur wenige Meter von der Küste entfernt, nur wenige Meter über dem Meeresspiegel, aber Du fühlst Dich phasenweise wie im schottischen Hochland. Da gibt es bunte Blümchen, grüne Bäume, Wiesenlandschaften, das Meer aber siehst Du nicht. Manchmal hörst Du es, zu Gesicht bekommst Du es aber dort selten.
Wir passierten ein Örtchen, dessen Dächer alle weiß gestrichen sind. Es ist, wie so viele Orte, ein stilles, abgelegenes Dörfchen voller Ruhe, aber direkt am Meer. Und dann wurde die Strecke hügeliger. Immer wieder kamen längere Anstiege, gefolgt von steilen Abstiegen, die meine angeschlagenen Zehen weiter angriffen. Jeder Schritt tat weh, teils wegen des Oberschenkels, hauptsächlich aber wegen der wunden Füße. Aber Tobi und ich unterhielten uns prächtig, auch wenn wir mittlerweile häufig ganz alleine waren.
Knapp 200 Starter auf der langen Strecke, davon startete ein Teil später, waren also hinter uns. Da zieht sich ein Läuferfeld schnell auseinander.
Pferde standen auf den Wiesen herum und irgendwann kam uns eine große Gruppe von Reiter*innen hoch zu Roß entgegen. Es gab oft viel Schönes zu sehen und ab und an ging es ganz runter an einen der schönen Strände der Insel, die im Norden allerdings seltener und leerer waren als im touristischeren Süden.
Verpflegungsstellen gab es in der Regel alle gut 10 Kilometer. Und alle VPs waren ausreichend bestückt. Genug zu trinken, genug zu essen. Für Vegetarier war die Auswahl natürlich kleiner, ich hatte aber nie die Sorge, nicht genug „Futter“ zu bekommen. Und an jedem VP lag eine Zeitmatte, sodass Du am Ende des Laufs Deine Abschnitte alle ansehen und interpretieren kannst. Wenn Du dazu Lust und Zeit hast.
Wir liefen mal auf Joop Werson auf, einen sehr sympathischen Niederländer, der seit gut zehn Jahren auf der Insel lebt und dort eine Tauchschule betreibt. Er wurde phasenweise von einer Gabi aus Swisttal begleitet, also unsere Nachbarin, gewissermaßen, und wir redeten und quatschten viel. Gabi sollten wir im weiteren Verlauf des Rennens nur noch als Supporterin wiedersehen, ihr Winken und ihre Freude, dass ich trotz meiner Situation noch dabei war, motivierten mich jedoch Stunde um Stunde.
Joop wiederum sahen wir öfter, wir liefen oft lange Strecken gemeinsam. Es war ein glücklicher Zufall, der uns viele Stunden versüßt hatte.
In diesem Gelände, im ständigen rauf und runter, ließ auch unser Tempo nach und wir korrigierten unser Zeitziel für Es Castell, für die Dropbag-Station, von 23.30 Uhr bis 24.00 Uhr auf 24.00 Uhr bis 0.15 Uhr. Nach dem besonders schwierigen Teil aber kam erst einmal eine lange Passage auf einer Straße. Schlecht für uns Trailer, gut aber für unsere Zeit. Die fünf Kilometer auf Asphalt brachten uns wieder unserem Zeitplan näher.
Und nach der Straße geht es in einen Nationalpark hinein, dessen Wege ich immer in bester Erinnerung hatte. Wir waren wieder weit weg von jeder Zivilisation, wieder auf schönen Trails und wir dachten langsam an die Nacht.
Am VP Es Grau, dem letzten VP vor der Dropbag-Station, packten wir die Stirnlampen auf die Schädel und wir bewegten uns sukzessive weiter Richtung Es Castell. Wieder bewegten wir uns langsam und verloren Minute um Minute auf unseren Zeitplan. Aber dann führt die Strecke flach an einem riesigen Hafen vorbei, alles urban, so konnten wir dort wieder laufen und wir erreichten die Dropbags um 0.20 Uhr, immerhin.
Der Veranstalter, Victor Truyol Alles, sagte mir, ich könne gleich weiter laufen, die Zeitschranke würde in wenigen Minuten zu Ende sein. Aber ich hatte nicht einmal etwas gegessen …
Ich wollte eigentlich duschen, doch das ging mit den Verletzungen nicht. Also nur das Salz im Schritt weg wischen und dort alles neu eincremen, damit nicht auch noch „ein Wolf“ dazu kommt.
Schuhe und Strümpfe wechseln war auch angesagt. Die Strümpfe schnitt ich mit einer Schere weg, ich hätte sie nicht über die wunden Füße ziehen wollen, zudem hatten sie sowieso schon Löcher.
Und von den HOKAs verabschiedete ich mich dort auch. Sie hatten mir lange und treu gedient und sie hatten es verdient, in den Ruhestand gehen zu dürfen.
Tag 2 startete gemütlich.
Tobi, sein Bruder Stephan und sein Onkel Karl-Heinz („Heinrich“) gingen an einen der vielen Strände des Südens der Insel, anschließend wieder mal zum Hotel-Pool.
Ich nutzte den Tag, um zu schreiben.
Mein Laufreport über den 20 Kilometer Bewerb der „Trails4Germany Koblenz“ wollte geschrieben werden, geschrieben und zu Thomas Schmidtkonz transferiert. Publiziert wird er zwar erst in ein paar Tagen, aber ich war froh, diesen Bericht abgeschlossen zu haben. Am Spätnachmittag fuhren wir zur Startnummernausgabe. So groß und professionell habe sie noch nie auf Menorca erlebt und relativ schnell durfte ich den Veranstalter, Victor Puyol Alles und seine Frau begrüßen. Es gab ein Startershirt, die Startnummer, ein Paar Socken, die sich ab km 100 als einen Teil meiner Rettung herausstellen würden, einige Kleinigkeiten als Goodies – und viel Lesestoff, Flyer von anderen, teils ganz neuen Rennen, alle weit, weit weg.
Anschließend machten Tobi und ich, beide noch voller Euphorie, Fotos von unseren Startnümmerchen …
Und schließlich sahen wir uns gemeinsam Ciutadella an, die zweitgrößte Stadt der Insel, die Zielstadt der Laufbewerbe auf dem Weg der Pferde und der Startpunkt unseres 185 K langen Cami de Cavalls. Hier findest Du den zweitgrößten Naturhafen der Welt und eine wunderschöne Altstadt, und wir entdeckten ein Fernsehteam, das seine Interview-Sendung ganz leger auf auf Regiestühlen vor der Kathedrale von Ciutadella aufnahm. Und all das unter einem sonnig-blauen Himmel, der am Vortag des Rennens noch Wolken trug. Die aber verschwanden dann allesamt, rechtzeitig zum Event …
Nach der Stadtbesichtigung suchten wir uns noch ein Restaurant und wir fanden eines an dem Platz, an dem am nächsten Morgen um 8.30 Uhr unser Start stattfinden würde.
Zurück im Hotel richtete ich noch meinen Rucksack, legte mir die Laufklamotten raus und packte meinen Dropbag, der für den VP in El Castell, km 100, vorgesehen ist.
Drin waren Wechselschuhe (ich entschied mich, in HOKA zu starten und dann auf meine Dynafit zu wechseln), die Socken aus dem Startbeutel, ein paar Riegel und Gels, ein zweites Salztabletten-Döschen, ein Wechselshirt und Ersatzbatterien.
Dann, es war kurz nach 22 Uhr, hoffte ich auf einen frühen und langen Schlaf, ich zählte Schäfchen und schlief nach vielleicht 39 gezählten Schäfchen glücklich ein.
Tag 1: Um fünf Uhr in der Frühe des Mittwochs, 17. Juni 2017, ging in der Innenstadt von Bremen schon der Wecker. Und wie immer war ich ein Viertelstündchen vorher schon wach. Ich wachte auf im wunderschönen „Hotel Lichtsinn“ in der Bremer Rembertistraße, unweit des prunkvollen Bremer Hauptbahnhofs.
Frühstück gab es glücklicherweise schon ab 6.30 Uhr und „wir“ wollten zeitig da sein, um das Hotel auch früh verlassen zu können.
„Wir“, das waren meine Gabi, die neben mir lag, und ich.
Wir hatten uns einen „Elternabend“ gegönnt. Ich musste am Vortag in Bremen arbeiten und Gabi nutzte den Service von FlixBus, um kurz nach 19 Uhr in Bremen zu sein. Wir schauten uns der brühmten Bremer Schnoor – auch das Schnoorviertel genannt – an. Der Schnoor ist ein mittelalterliches Gängeviertel in der Altstadt Bremens und auch der Name der Straße Schnoor in diesem Viertel.
Typisch dabei sind schmale Häuschen und noch schmalere Wege und Straßen dazwischen. Und manches Gässchen ist in den letzten Jahrhunderten in den Häusern rechts und links aufgegangen, die kurzerhand zusammengebaut wurden, das Gässchen wurde dabei dann der spätere Flur. Ein reizendes Viertel, direkt an einem der vielen Wasser, die es in und um Bremen gibt.
Dort gönnten wir uns auch ein nettes Abendessen, eine leckere Kürbis-Kokossuppe und eine vegane Quiche mit Ruccola-Salat, ebenfalls lecker, dazu gönnten wir uns jeweils ein Glas Wein, einen Grauburgunder für Gabi und einen gut ausgebauten Syrah für mich. Ich und Alkohol … eigentlich geht das ja nicht. Aber besondere Abende und besondere Locations machen auch besondere Köstlichkeiten möglich.
Gegessen haben wir dort im „Künstlerhaus Ausspann“, einem Restaurant, das seit nunmehr vier Monaten unter neuer Leitung geführt wird. Und das ist ein kleines Juwel inmitten der vielen, teils hoch kommerziellen, Gastro-Betriebe des Schnoor. Das „Künstlerhaus Ausspann“ (http://www.ausspann-bremen.de) steht auf drei Säulen:
– der Gastronomie, wobei da auf Bio-Qualität, wo immer möglich, gesetzt wird, auf eine kleine Karte und möglichst auf „Handarbeit“ gesetzt wird.
– der Künsterkolonie, wo die Künstler in den oberen Stockwerken sich verwirklichen und ihre Kunstobjekte auch dort im „Künstlerhaus Ausspann“ verkaufen können
– der Integration, wo Flüchtlinge kostenfrei spielen oder sich zurückziehen können, kostenfrei Wasser bekommen und wo zudem auch deutscher Sprachunterricht angeboten wird.
Ein rundum edles „Gutmenschen-Haus“ also.
Wir bekamen auch noch eine Führung durch dieses älteste Gebäude der Stadt, sahen den Flur, der mal eine Gasse war, geflankt von zwei jetzt Innenwänden, die beide dicke Außenwände waren. Wir sahen das Erdgeschoss, wo auf der einen Seite die Feuerstelle des Hufschmieds war, dort, wo die Pferde ausgespannt wurden -daher der Name- und auf der anderen Seite die Reste der ehemaligen Pferdeboxen, und wir sahen die Halbetage, wo das Gesinde, das Personal, oberhalb des Feuers und der Boxen schlief (den Geruch der warmen Pferde und dessen, was sie ausschieden, konnten wir uns lebhaft vorstellen, dafür aber wird es wohlig warm gewesen sein).
Ein toller Ort, finden wir, schade, dass wir so weit von Bremen entfernt wohnen. Das „Künstlerhaus Ausspann“ hätte das Zeug dazu, unsere Stammkneipe, unser „Stamm-Ausspannhaus“, zu werden.
Danach ging es also ins üppige Hotelzimmer, bis eben um 5 Uhr uns der Wecker an einen stramm durchorganisierten Zeitplan erinnerte.
Gabi brachte mich dann zum Düsseldorfer Flughafen, wo am Gate A49 unser „Fliewatüüt“ auf Tobi, seinen Bruder, seinen Onkel und auf mich, wartete. Besser, wir warteten auf unser „Fliewatüüt“, das erst mit erheblicher Verspätung ankam und mit fast gleicher Verspätung Düsseldorf verließ.
Die drei hatten eine Sitzreihe vor mir, ich saß auf einem Gangplatz und auf der anderen Gangseite saß Dany Moehle, eine österreichische Triathletin, die am Freitag ebenfalls den Weg der Pferde unter die Füße nehmen will.
2015 war sie zweite Frau hinter Elisabet Barnes über die 85K Distanz, den Südbogen. Gut erinnere ich mich daran, wie Elisabet mich damals auf den letzten Kilometern vor der Stadt auf dem unlaufbaren Felsenuntergrund überholt und geherzt hat. Ob Dany, die damals wohl gut eine Stunde hinter ihr lief, mich auch überholte? Ich weiß es nicht …
2016 wagte sie sich an die ganze Runde ran, musste aber bei km 157 wegen schmerzender Blasen das Rennen aufgeben. Heuer, sagt sie, ist das große Finish Pflicht.
Im Gegensatz zu Tobi und mir startet sie sechs Stunden nach uns in der schnellen Gruppe. Ich hoffe, dass das die richtige Entscheidung war. Glück auf, Dany!
Und wenn zwei Läufer*innen zusammen sitzen, dann stört die frühe Landung eher das Gespräch als dass so etwas wie Langeweile aufkommt.
Am Flughafen wurde dann der Leihwagen geholt und dann ging es ab nach Ciutadella, der schönsten Stadt der Insel, in die Stadt, in der Tobi und ich am Freitagmorgen um 08.30 Uhr auf die 185 km lange harte Piste starten werden.
Für Tobi gab es noch den Pool am Hotel, für mich erst ein langes Nickerchen, das der kurzen Nacht geschuldet war. Ein Feierabendbier, für mich ein „Mahon Sin“, für die drei anderen eine „richtige Cerveza“, dann war Tag 1 vorbei.