Daily Blog LYUM

Sonntag, 27. September

Um 6 Uhr klingelte mein Wecker, für das Event sicher zu spät, für uns jedoch eher zu früh. In Deutschland wäre es erst 5 Uhr gewesen, definitiv zu früh zum Aufstehen.
Aber wir waren aufgerufen, schon um 6 Uhr 30 die Koffer zum Abgabeplatz zu bringen. Und die persönliche Wäsche, das Einrollen des Schlafsacks und das Packen anderer Dinge brauchen ihre Zeit.
Um 7 Uhr 15 sollten schon die Busse zum Start fahren. Man hat sich offensichtlich für die vergangene Nacht und das Check-In für dieses schöne Camp entschieden, weil man dort baden und sich amüsieren kann, es am Wasser liegt und in einem Pinienwald. Der Start jedenfalls ist nicht dort.

Um 8 Uhr soll der Startschuss fallen. Für alle, für die Ultras, die 6G und auch die Läufer des 20 K, die ja nur am Starttag mitlaufen. Es wurde aber 8 Uhr und 10 Minuten, ich bin der Spießer, dem so etwas auffällt. Aber dann ging es auch wirklich los und manche rannten so schnell los, dass sich meine zeitweilige Überlegung, vielleicht doch „auf Zeit, auf Ergebnis“ zu laufen, sofort erledigte.
Im Verlauf der kommenden Woche begriff ich übrigens, dass eine Verspätung von 10 Minuten schon als überpünktlich hätte gewertet werden müssen. Hier in der Türkei drängt niemand aufs Tempo, da kommt niemand mit einem verzweifelten Blick angewackelt, mit dem Finger auf die Uhr zeigend, um den Läufern klar zu machen, dass sie, jetzt aber wirklich und ganz, ganz schnell, in die Busse zu steigen haben. Engelsgleiche Geduld war zu erleben, ein gutes, nein, ein sehr gutes Gefühl.

Schon nach einem Kilometer ging es rauf, noch einigermaßen bequem. Und irgendwann war klar, wer noch in meiner Liga läuft und wer nicht. Ich lief mit Sibel, die ich schon aus Kappadokien kenne und das war eine gute Entscheidung. Wir haben perfekt harmoniert, uns wunderbar ergänzt und wir gönnten uns unterschiedliche Schwächephasen, in der jeder den jeweils Anderen aufrichten und motivieren konnte. Wunderschön war das Durchlaufen der Pinienwälder, weit oben auf über 1.000 Metern über N.N. und die Anstiege, insbesondere der nach dem ersten CP, waren recht anspruchsvoll, schroff, steil, trailig. Kein „easy going“ also, aber wahrlich ein „lovely running“.2015-09-27 06.59.13Nur ein gutes Stück zu kurz waren die Etappen für mich. Nicht nur, weil ich ja in den letzten 100 Tagen das Jahres noch 1.000 Kilometer laufen will, sondern, weil nach 2:33:35 Stunden, das war die Zeit von Sibel, die damit erste Frau wurde, und mir, der Tag noch sehr lang ist. Und wenn Du dann keinen Internet-Zugang hast, dann bleiben nur die Gespräche mit den anderen Teilnehmern. Im zweiten Camp, dem einzigen ohne Bademöglichkeit, gab es nämlich weder Internetzugang noch Handyempfang.

Beim LYUM hat es die Fügung jedoch sehr gut mit uns gemeint. Nachdem ich ja in Kappadokien mit einem Dänen der einzige mitteleuropäische Läufer war, neben dem französischen Pressemann Brice natürlich, sind hier einige Mitteleuropäer dabei, sogar welche aus Deutschland.
Andi, zum Beispiel, der Chef von LUNA-Schuhen in Deutschland, einer seiner Freunde, Robert, der natürlich auch in LUNA lief, Peter aus Belgien und der schwedische LUNA-Distributor Daniel. Hoffentlich habe ich niemanden vergessen …
Aber auch die türkischen LäuferInnen, von denen ich so viele noch aus Kappadokien kenne, machen Freude. Niemals bin ich bei einem Lauf so herzlich und liebevoll empfangen worden, von der ORGA wie von den anderen Läufern, soweit sie eben auch in Kappadokien dabei waren.2015-09-27 09.07.132 Stunden und 33 Minuten für 19 Kilometer mit gut 1.000 Höhenmetern im Anstieg, eine für mich ganz ordentliche Sache. Finde ich zumindest. Aber immer, wenn einer der 33 gestarteten Ultraläufer ins Ziel kommt, fühle ich mich ein wenig schuldig und unterfordert.

Der Tag war lang, die Zelte waren noch nicht aufgebaut, aber ich habe viel Neues erfahren. Barefoot Ted, der Erfinder der LUNA Sandalen, hatte ein SoloWheel Fahrgerät dabei, das er uns stolz präsentierte, wir redeten über die aktuellen Trends im Laufsport und darüber, „welche Sau da gerade durchs Dorf getrieben“ wird.

Das Abendessen war bekannt großartig, einzig die zeitliche Abfolge des Abends wurde heute mal geändert. Statt Briefing – Buffet hieß es heut Buffet -Briefing, eine gute Idee, fanden wir alle. Und beim Briefing gab es neben den Erklärungen der morgigen Strecke auch noch die Bilder und Filmchen von gestern und sogar von heute, Wie schnell die Jungs da gearbeitet haben!2015-09-27 09.08.06Früh ging es in den Schlafsack, morgen geht es noch früher raus wie heute. Ob es, um mit Roberts Witz zu reden, den er uns beim Abendessen erzählt hat, eine Nacht wird, in der wir „wie ein Motorrad“ schlafen? Morgen werden wir es wissen …2015-09-27 09.51.27 2015-09-27 09.53.17 2015-09-27 09.58.41


Samstag, 26. September

Wir landeten, von Istanbul Sabiha kommend, in Dalaman. Es gibt einen kleinen Flughafenbau und einen großen Bau. Wir landeten am Kleinen, ein Bus brachte uns aber zum Großen.
Beim Baggage Claim kamen der Koffer von Gabi und meine „MT. Everest 60 K Extreme“ Tasche tatsächlich an. Nichts war verschwunden, keine Duplizität der Ereignisse mit Kappadokien also, alles war gut.
Es war 2.30 Uhr in der Nacht und wir legten uns im Flughafengebäude ein wenig aufs Ohr. Schlafen aber kann man das nicht wirklich nennen, eher der Versuch, die Zeit bis 11 Uhr rumzukriegen, bis der erste Bus des Veranstalters kommen sollte. Immerhin waren mitten in der Nacht noch die meisten Shops im Terminal offen, manche Restaurants warben sogar mit der Öffnungszeit „7/24“, unglaublich!
Wenn ich einen kleinen Flughafen wie in Osh oder in Nevsehir erwartet hatte, dann wurde ich deutlich getäuscht und überrascht.

Kurz vor neun Uhr, nach einem Toilettenbesuch und mit frisch geputzten Zähnchen, verließen wir das Flughafengebäude. Direkt davor geht ein leicht abschüssiger Weg runter zu einem Touristensammelplatz. Es ist ein riesiger Platz, linker Hand ein Café mit einer großzügigen Terrasse, vor uns lagen Stände der TUI, vom Robinson Club und von dreißig anderen Touristenbeglückern.
Und unglaublich viele Menschen waren da, aber niemand mit einem großen Rucksack.
Wir setzten uns auf die Terrasse des Cafés, nicht ohne den Café-Besitzer glücklich zu machen. 32 türkische Lira für ein kleines verschrumpeltes Croissant, eine Dose Orangennektar und eine kleine Flasche Wasser, rund 10 Euro irgendwas für so wenig …

Die Zeit verging und ich begann, nervös zu werden. Es war 10.45 Uhr und noch immer war kein anderer Läufer in der riesigen Menge an Touristen auszumachen, auch nicht um 11.00 Uhr.
Peter jedoch gesellte sich irgendwann zu uns, Peter, der Ultraläufer, den ich schon zuvor auf dem Gesichtsbuch kennen und schätzen gelernt hatte. Nun waren wir schon zu dritt.
Um 11.15 Uhr dachte ich, etwas tun zu müssen. Meine andauernden Runden um die Touristenbeglücker-Stände und bis zum Ausgang der Ankunftshalle, die ich schon so oft gedreht hatte, dass sich in den Bodenbelag schon Laufrillen eingegraben hatten, hatten ja keinen Erfolg gebracht, jetzt gab es nur noch eins, was uns retten könnte: das Gesichtsbuch!2015-09-26 11.28.38Ich sah ein gepostetes Foto der anderen Läufer aus Istanbul, schon lange her. Und dann begann ich, meine türkischen Freundinnen von oben nach unten abzutelefonieren. Auf Facebook suchen, die Chat-Funktion auswählen und dort auf ANRUFEN gehen. Beim dritten Versuch, bei Merve, hatte ich Erfolg.
„Ja seids Ihr denn am Ausgang des International Airports?“ fragte sie. „Wir waren alle beim Domestic Airport!“ Sprachs und ergänzte, wir sollten zum Ausgang des Domestic Airport kommen, der Bus wäre zwar schon weg, aber es würde ein Fahrer dort auf uns warten.2015-09-26 11.28.56Ich ließ Gabi und Peter stehen und rannte rüber zum anderen Terminal, zu dem kleinen Gebäude. Gabi und ich hatten längst vergessen, dass es da ja  noch ein weiteres Gebäude gab und auf die Idee, dass der Treffpunkt da davor sein könnte, kamen wir auch nicht. Auch nicht Peter.
Und finde mal jemanden, der irgendwo auf Dich wartet! Ich drehte meine Runden über die diversen Parkplätze hin zu den Ausgängen der drei Geschosse. Holla, was weiß ich denn, wo die Leute da nach der Ankunft rauskommen?
Aber irgendwann sprach mich ein Mann an, der gemütlich auf einer Bank saß und eine Zigarette rauchte. Wir waren gerettet!
„Geboren in Neumarkt in der Oberpfalz“ sagte er über sich selbst und dann sei er mit 14 Jahren wieder in die Türkei seiner Eltern zurück gekommen.
Wir fuhren zum anderen Terminal rüber, luden das Gepäck und die beiden Wartenden ein und fuhren über Fethiye nach Gemiler Bay, zum Camp. Es lag direkt in einem Nationalpark und die Bucht, in der wir später badeten, ist ein wahrer Traum.
Wunderschön, super warmes Wasser, eine von zwanzig atemberaubenden Buchten alleine im Bereich der Stadt Fethiye!2015-09-27 07.28.29Ich erinnere mich an unseren Urlaub in Lykia World, Ölüdeniz, einem ehemaligen Robinson-Club. Damals bin ich auch genau an diese Bucht rangelaufen und beim Tandem-Paragliding damals hatten wir schon den fantastischen Blick auf dieses Stück Erde gehabt. Ich muss, wenn ich wieder zu Hause bin, unbedingt die Fotos und Videos von damals noch einmal raussuchen. Bestimmt sehe ich jetzt Dinge darauf, die mir bislang zu sehen verwehrt waren.

Der Check-In von Gabi und mir war problemlos, auch wenn ich mich frage, wozu die 6G Läufer, also diejenigen, deren durchschnittliches Laufziel 20 Kilometer pro Tag, 120 Kilometer an 6 Tagen, ist, einen Kompass, ein Feuerzeug, ein Kopflicht und anderes Zeug brauchen, das ich bei den Ultraläufern für sinnvoll erachte. Aber bei drei oder vielleicht vier Stunden Laufzeit?
Na ja, vielleicht geht die Sonne ja schon gegen Mittag wieder unter?
Schön war aber, dass ich vor lauter Hugs und Küsschen kaum einen einzigen Meter weit kam. Das Orga-Team bereitete mir einen Empfang, wie ich ihn schöner nie vermutet hätte. Und auch viele der Läuferinnen und Läufer, die schon im Camp waren, kannten mich noch aus Kappadokien.2015-09-26 16.57.22Gabi und ich durften das „Zelt 6“ der 6G Läufer belegen, gemeinsam mit erst einer, Aleyna, dann zwei Ladies (Bahar kam vom Ultrabewerb und ließ sich nach nur einem Tag auf den Bewerb 6G umschreiben) und zwei Herren, Nasir, der Arzt, der in 6 Jahren unglaubliche 36 Kilogramm abgenommen hat und Kemal, der immer fröhliche einarmige ältere Herr. Wie immer gab es Strom in den Zelten und im Camp und ausreichend Steckdosen, ein wahrer Luxus dank eines unglaublich großen Stromgenerators und das Catering sorgt dafür, dass niemand leichter aus der Veranstaltung raus geht, wie er rein gekommen ist. Und beim Anblick des Buffets und den vielen Lauffreunden aus dem Event „Runfire Cappadocia“ wusste ich sofort, dass ich mit dem „downsizing“ vom Ultra auf den Bewerb 6G goldrichtig entschieden habe.
Vor uns lagen 7 Tage mit bestem Essen, netten Leuten, einer fantastischen Stimmung und einem wunderbaren Lykischen Weg.

Mit diesem Gedanken gingen wir dann erst baden, dann zum Abendbuffet und anschließend schlafen.