Der Frust wegen dess missgückten England-Laufs saß tief. So tief, dass ich überlegt habe, an diesem Wochenende doch noch einen Lauf einzuschieben, also machte ich mich auf die Suche.
Zuerst dachte ich an Guido Huwiler, der mit vielen anderen Lauffreunden den Ultratrail Verbier St. Bernard vor sich hatte. Das ist ein klasse Lauf mit rund 6.000 Höhenmetern, aber Verbier ist doch extrem weit von Bonn entfernt.
Außerdem gab es den Lavredo Ultratrail in den südtiroler Dolomiten. Das ist auch nicht gerade um die Ecke, aber die Gegend ist so schön, dass das schon eine Sünde wert ist. Die Meldeliste allerdings war schon lange geschlossen, über diese Sünde brauchte ich also nicht nachzudenken.
Der Preussen 100er schied aus, weil er am Sonntag stattfindet. Und das geht gar nicht. Meine Frau Gabi arbeitet seit Donnerstag bis zum frühen Samstag Abend in Stuttgart und kommt dann erst spät zurück. Zudem muss sie am Montag gleich wieder in der Stuttgarter Ecke arbeiten und fährt daher schon am Sonntag Nachmittag wieder in den Süden. Ein Lauf an diesem Sonntag wäre also ein Affront gewesen.
Also der Thüringen Ultra, dachte ich. Aber auch der hat so seine Tücken. Meine Tochter Milena fragte mich beim Frühstück am Freitag, ob für den Samstag Abend ein Auto für sie zur Verfügung stehen würde, weil am Samstag Abend die „Rheinkultur“ stattfinden würde, immerhin mit dem Topact Razorlight. Nun haben wir zurzeit nur zwei Autos, eines davon hat Gabi in Stuttgart, das andere sollte mich nach Thüringen bringen.
Milena war schon ein wenig enttäuscht und so versprach ich ihr, schnellstmöglich wieder zu Hause zu sein. Mein Plan war dann, um 19 Uhr zu starten, die 100 Meilen in 20 bis 22 Stunden abzuwickeln und dann gleich heim zu fahren. Das könnte alles gerade so klappen, dachte ich.
Es klappte aber nicht.
Erst einmal musste ich bis 15 Uhr arbeiten, dann stand ich vor Alsfeld auf der BAB 5 in einem Megastau, sodass ich erst kurz vor 19 Uhr am Start war, an einen Start um 19 war nicht zu denken, weil ich weder umgezogen war noch etwas gegessen hatte. Also ein Start um 20 Uhr, wieder eine Stunde „Luft“ weniger.
Aber ich spitzte die Ohren, als beim Briefing kurz vor dem Start gesagt wurde, dass diejenigen, die bei der 100 K Verpflegung aussteigen, dennoch gewertet werden, eine Urkunde und das Finisher-T-Shirt erhalten. Das war Musik in meinen Ohren und ich beschloss, diese Option zu ziehen, wenn der Lauf länger dauern würde als geplant.
Er dauerte lange, das zeigte sich schon sehr früh. Gegen diesen Lauf, insbesondere auf den ersten 70 Kilometern, war der MIAU regelrecht einfach zu laufen, an eine Wiederholung der Laufzeit dort war nicht zu denken. Vor allem die langen Anstiege und die durch den vorangegangenen Regen matschig-klebrige Strecke forderten die Läufer schon sehr. Dass es obendrein extrem rutschig war tat ein Übriges. Ein böser Sturz eines Läufers direkt hinter mir ist ein Beleg für diese Problematik.
Schon nach 15 Meilen war für mich klar, dass ich die angebotene Option des Verkürzens nutzen werde.
Für den Lauf entschied ich mich für die extrem leichten roten Trailschuhe Roclite 285 von INOV-8. Zwar gab es auch viele Asphalt-Passagen, aber der Trail dominierte doch. Beim Packen schaute ich mir die Schuhe an und hatte das Gefühl, dass sie mit mir sprechen wollten. Noch nie habe ich sie so weit laufen lassen, noch nie wurden sie schlammig und wirklich gefordert.
Und sie wollten dreckig werden, sie wollten Auslauf haben und sie wollten gefordert werden …
Vor dem Start war ich noch nicht wirklich angekommen. Ich war hektisch und fahrig und „Runningfreak“ Steffen Kohler fragte mich, warum ich so nervös sei. Er kennt mich eigentlich eher ruhig. Sigi Bullig wiederum meinte, er würde mich nur so hektisch kennen …
Nach der Startklappe beschloss ich, sehr langsam zu laufen und war schnell nicht nur der Letzte der 2o Uhr Starter, ich war auch früh ganz allein, so allein, dass ich mich auch schnell verlief. Ich war verzweifelt und wollte dem Lauf schon den Titel des am schlechtesten beschilderten Laufs aller Zeiten geben und dachte sogar kurz ans Aufhören.
Erst als ich endlich das Kopflicht aufsetzte und anmachte geschah ein Wunder. Die zumindest für mich kaum sichtbaren Markierungen fingen an zu leben. Sie blendeten regelrecht zurück. Ob es einfache Reflektoren an den Verkehrsschildern oder den Bäumen waren oder Reflektoren, die liebevoll an die einzelnen Markierungsbänder angebracht wurden – ab dann war es ein anderer Lauf, einer ohne Verlaufen. Auch die unscheinbaren Pfeile auf dem Boden begannen im Licht zu leuchten wie ein Weihnachtsbaum und ich haderte mit mir, warum ich so lange mit dem Kopflicht gewartet hatte.
Zwei Stunden lang kontrollierte ich meine Geschwindigkeit und hielt sie niedrig. Ich finde ja immer, dass Du Dich in diesen ersten zwei Stunden auf eine Geschwindigkeit einnordest und die darf nicht zu hoch sein, damit Du auch nach 12 Stunden noch dieses Tempo halten kannst.
Mit zunehmender Laufzeit wurde ich eher schneller als langsamer. Ich konnte bis zum vorzeitigen Ende bei der 100 K Marke in der Ebene laufen, etwas, was nicht wirklich typisch ist für mich. Diejenigen, die wissen, dass ich keinen „1. Gang“ habe, mögen das bestätigen. Nach 13 Stunden und 40 Minuten war ich am Ziel, zweifellos der langsamste 100 K Lauf, den ich je gemacht habe.
Angesichts der Schwere der Laufstrecke aber bin ich damit sehr zufrieden.
Bemerkenswert war für mich auch, wie viele Lauffreunde und Facebook-Freunde da waren. Viele hatte ich schon lange nicht mehr gesehen, mache gehören gewissermaßen zum Inventar jedes großen Laufevents.
Dank der Verkürzung auf die „Kurzstrecke“ war ich um 15 Uhr schon wieder zu Hause und packte meine Sachen wieder aus. Die INOV-8 Schuhe schienen mich anzugrinsen und ich hatte kurz den Eindruck, dass sie sich bei mir dafür bedanken wollten, dass ich sie so weit habe auslaufen lassen.
Angesichts der rutschige Strecke schaute ich die Schuhe ebenfalls an und bedankte mich dafür, dass sie mir recht viel Trittsicherheit gegeben hatten. Außerdem versprach ich, sie kommende Woche intensiv zu putzen.
Sie haben es verdient …